Begriff und rechtliche Einordnung der Bedingten Entlassung
Die Bedingte Entlassung bezeichnet im Strafrecht die vorzeitige Haftentlassung von verurteilten Personen unter bestimmten, gesetzlich geregelten Bedingungen. Sie stellt eine Form der Aussetzung des noch zu verbüßenden Strafrestes auf Bewährung dar. Die bedingte Entlassung zielt darauf ab, den Übergang von Inhaftierten in die Gesellschaft zu erleichtern und die Resozialisierung zu fördern, während die öffentliche Sicherheit weiterhin gewährleistet werden soll.
In den deutschsprachigen Rechtsordnungen – insbesondere in Deutschland, Österreich und der Schweiz – ist die bedingte Entlassung detailliert geregelt und unterliegt strengen Voraussetzungen sowie gesetzlichen Kontrollmechanismen.
Gesetzliche Grundlagen und Voraussetzungen
Deutschland
Die Rechtsgrundlagen für die bedingte Entlassung in Deutschland finden sich insbesondere in den §§ 57 bis 57c des Strafgesetzbuchs (StGB) sowie § 453 und folgende der Strafprozessordnung (StPO).
Voraussetzungen:
- Verbüßung eines Mindestteils der Freiheitsstrafe: Regelmäßig muss mindestens zwei Drittel der verhängten Freiheitsstrafe abgegolten sein; bei außergewöhnlich günstiger Sozialprognose ist in Ausnahmefällen eine Entlassung nach der Hälfte der Strafe möglich.
- Positive Sozialprognose: Es muss erwartet werden können, dass der Verurteilte künftig keine Straftaten mehr begeht.
- Opferschutzinteressen: Bei Gewalt- und Sexualdelikten sind die Belange der Opfer besonders zu berücksichtigen.
- Kein schwerwiegendes öffentliches Interesse an der weiteren Vollstreckung: Dem Interesse an der Prävention und Sühne steht die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung gegenüber.
Sonderregelungen gelten für lebenslange Freiheitsstrafen (§ 57a StGB), bei Jugendstrafen (§ 88 Jugendgerichtsgesetz, JGG) und im Maßregelvollzug.
Österreich
In Österreich ist die bedingte Entlassung in §§ 46 ff. des Strafvollzugsgesetzes (StVG) geregelt. Hier bestehen folgende Voraussetzungen:
- Zwei Drittel der Strafzeit müssen verbüßt sein, bei Jugendstrafen die Hälfte.
- Positive Legal- und Sozialprognose: Es muss glaubhaft erscheinen, dass keine weiteren Straftaten begangen werden.
- Bewährungszeit: Die Entlassung erfolgt für einen gesetzlich festgelegten Zeitraum auf Bewährung (zwischen einem und drei Jahren).
Schweiz
Die Schweiz regelt die bedingte Entlassung in Art. 86 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (StGB):
- Zwei Drittel der Strafe, mindestens aber drei Monate, müssen verbüßt sein.
- Günstige Prognose für das künftige Verhalten: Der oder die Entlassene muss erwarten lassen, sich künftig rechtstreu zu verhalten.
- Bewährungsfrist: Diese beträgt zwischen einem und fünf Jahren.
Verfahren der Bedingten Entlassung
Antrags- und Prüfungsverfahren
Das Verfahren wird in der Regel durch einen Antrag des Haftinsassen, seines gesetzlichen Vertreters oder durch eine richterliche Initiative in Gang gesetzt. Die Entscheidung trifft das zuständige Gericht (Vollstreckungsgericht) nach Anhörung der Staatsanwaltschaft, der Vollzugsanstalt sowie gegebenenfalls weiterer beteiligter Stellen (z.B. Bewährungshilfe, Opferschutzorganisationen).
Entscheidungsmaßstab und Prognoseentscheidung
Die Entscheidung beruht auf einer umfassenden Würdigung des bisherigen Haftverlaufs, der Persönlichkeit des Inhaftierten (z.B. Schuldeinsicht, Verhalten im Strafvollzug, Reuebereitschaft, Teilnahme an Resozialisierungsmaßnahmen) sowie einer aktuellen Gefährdungsprognose. Auch das soziale Umfeld und die Möglichkeiten einer Wiedereingliederung werden berücksichtigt.
Festlegung der Bewährungs- und Auflagen
Mit der bedingten Entlassung wird eine Bewährungszeit bestimmt, in der der oder die Entlassene verschiedene Auflagen zu erfüllen hat. Typische Auflagen sind:
- Meldepflichten bei Bewährungshelfer:innen
- Wohnsitznahme in einer bestimmten Unterkunft
- Arbeitsaufnahme oder Fortführung einer Ausbildung
- Kontaktverbote (insbesondere zu Opferpersonen)
- Teilnahme an Anti-Gewalt- oder Suchttherapien
Zudem können Weisungen mit Blick auf die Gefahrenabwehr und die soziale Stabilität erfolgen.
Rechtsfolgen und Kontrolle während der Bewährungszeit
Während der Bewährungszeit erfolgt die Kontrolle der begünstigten Personen überwiegend durch die Bewährungshilfe. Die Erfüllung der Auflagen und das Sozialverhalten unterliegen der Überwachung und regelmäßigen Berichterstattung an das Gericht.
Bewährungswiderruf:
Kommt es während der Bewährung zu erheblichen Verstößen gegen Auflagen oder wird erneut eine Straftat begangen, kann das Gericht die bedingte Entlassung widerrufen, sodass der Strafrest erneut vollstreckt wird.
Nach Ablauf der Bewährungsfrist und ordnungsgemäßer Erfüllung aller Bedingungen gilt der Strafrest endgültig als erledigt.
Besondere Konstellationen der Bedingten Entlassung
Lebenslange Freiheitsstrafe
Bei Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe sind die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung deutlich strenger. In Deutschland kann nach 15 Jahren Haft geprüft werden, ob eine Freilassung auf Bewährung möglich ist (§ 57a StGB). Hier wird besonders intensiv geprüft, ob von der entlassenen Person keine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit mehr ausgeht.
Jugendliche und Heranwachsende
Im Jugendvollzug finden sich erleichterte Bedingungen für die bedingte Entlassung (§ 88 JGG). Die Prognose und die Interessen der Resozialisierung stehen hier stärker im Vordergrund, um jungen Menschen eine neue Lebensperspektive zu ermöglichen.
Maßregelvollzug
Auch aus dem Maßregelvollzug wegen psychischer Erkrankung oder Sucht (Sicherungsverwahrung, Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern oder Entziehungsanstalten) kann eine bedingte Entlassung erfolgen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Diese unterliegt zusätzlichen medizinischen und therapeutischen Einschätzungen.
Bedeutung, Ziele und Kritik
Die bedingte Entlassung hat einen hohen Stellenwert im modernen Strafvollzug. Sie steht im Spannungsfeld zwischen Resozialisierung, Opferschutz und öffentlicher Sicherheit. Kritische Stimmen mahnen, dass eine vorschnelle Entlassung das Rückfallrisiko erhöht. Befürworter betonen jedoch, dass die kontrollierte Entlassung unter strengen Auflagen erfolgreicher für die soziale Wiedereingliederung ist als eine vollständige Verbüßung der Strafe ohne jede Nachbetreuung.
Literatur und weiterführende Informationen
- Löwe-Rosenberg, StPO-Kommentar
- Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar
- Strafvollzugsgesetze der Länder
- Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB)
- Bundesamt für Justiz: Strafvollzug und Bewährungshilfe (DE, AT, CH)
Die bedingte Entlassung ist somit ein zentrales Instrument des modernen Strafvollzuges, das mit zahlreichen rechtlichen Schutzmechanismen ausgestaltet ist. Sie dient sowohl dem gesellschaftlichen Interesse an Wiedereingliederung als auch der Wahrung der öffentlichen Sicherheit.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen für eine bedingte Entlassung erfüllt sein?
Für die bedingte Entlassung müssen mehrere rechtliche Voraussetzungen gegeben sein, die im Strafvollzugsrecht und im jeweiligen Landesrecht detailliert geregelt sind. Grundsätzlich ist erforderlich, dass der Gefangene einen bestimmten Teil seiner Freiheitsstrafe verbüßt hat – in Deutschland meist zwei Drittel, in Ausnahmefällen auch die Hälfte. Außerdem muss eine günstige Legalprognose vorliegen: Das Gericht muss davon überzeugt sein, dass der Verurteilte nicht erneut Straftaten begehen wird, wenn man ihn vorzeitig aus der Haft entlässt. Hierzu werden die Entwicklung während des Vollzugs (z.B. Teilnahme an Resozialisierungsmaßnahmen, Verhalten gegenüber Mitgefangenen und Personal), die Einsicht in das begangene Unrecht und die bisherigen Bemühungen um ein straffreies Leben geprüft. Weiterhin spielen soziale Faktoren wie familiäre Bindungen, Arbeitsplatzperspektiven und mögliche Unterstützung durch soziale Dienste eine Rolle. Gesetzlich geregelt ist die bedingte Entlassung insbesondere in § 57 und § 57a StGB, wobei auch etwaige Täter-Opfer-Ausgleiche oder Schadenswiedergutmachung positiv berücksichtigt werden können. Die Entscheidung trifft das zuständige Gericht auf Antrag und nach Anhörung der Justizvollzugsanstalt, der Staatsanwaltschaft und je nach Fall weiterer Beteiligter.
In welcher Form werden Auflagen und Weisungen bei einer bedingten Entlassung erteilt?
Auflagen und Weisungen bei einer bedingten Entlassung werden kraft richterlichen Beschlusses und individuell auf den Entlassenen zugeschnitten festgelegt. Die gesetzlichen Grundlagen ergeben sich aus § 56c und § 68b StGB. Weisungen können u.a. die Verpflichtung betreffen, sich bei einem Bewährungshelfer zu melden, einen festen Wohnsitz beizubehalten, Arbeit aufzunehmen oder bestimmte Kontakte zu meiden. Auch Therapieauflagen, ein Aufenthaltsverbot in bestimmten Gebieten oder die Anweisung zur Teilnahme an sozialen Trainingskursen sind möglich. Diese Bedingungen dienen sowohl dem Schutz der Allgemeinheit als auch der Stabilisierung des Entlassenen in einem straffreien Leben. Werden notwendige Auflagen verstoßen, droht der Widerruf der Aussetzung. Die genaue Ausgestaltung orientiert sich am individuellen Risiko- und Sozialprognoseprofil des Verurteilten.
Wer entscheidet über die bedingte Entlassung und wie läuft das Verfahren ab?
Die Entscheidung über die bedingte Entlassung trifft das Strafvollstreckungskammergericht auf Antrag des Gefangenen oder der Justizvollzugsanstalt. Zunächst wird ein Bericht der Vollzugsanstalt eingeholt, der die Sozialprognose, den Haftverlauf, etwaige Entlassungsvorbereitungen und begangene Verstöße dokumentiert. Daneben werden Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und ggf. des Bewährungshelfers berücksichtigt. Das Gericht kann auch Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen einholen, insbesondere bei Gewalt- oder Sexualstraftaten. Das Verfahren ist schriftlich, kann aber auf Antrag eine mündliche Anhörung umfassen. Abschließend wird durch Beschluss entschieden; eine sofortige Beschwerde ist möglich. Das prozessuale Vorgehen ist in den §§ 454 ff. StPO geregelt.
Was passiert bei einem Verstoß gegen die Bewährungsauflagen nach bedingter Entlassung?
Ein Verstoß gegen Bewährungsauflagen zieht eine Überprüfung der Gesamtumstände nach sich. Das Gericht wird informiert und prüft, ob die Nichterfüllung der Auflagen oder Weisungen einen Bewährungswiderruf rechtfertigt. Maßgeblich ist, ob durch den Verstoß die positive Prognose aufgehoben wird – also die Gefahr neuer Straftaten erneut besteht. Ist dies der Fall, kann die bedingte Entlassung widerrufen werden, sodass der Rest der Freiheitsstrafe zu vollziehen ist. Bei weniger gravierenden Verstößen kann das Gericht mahnen, Auflagen nachträglich verschärfen oder verlängern. Ziel ist stets, einen Rückfall zu verhindern und die Resozialisierung zu fördern. Die gesetzlichen Regelungen finden sich in § 56f StGB.
Gilt bei jeder Art von Freiheitsstrafe die Möglichkeit der bedingten Entlassung?
Die Möglichkeit der bedingten Entlassung steht grundsätzlich jedem Verurteilten mit Freiheitsstrafe offen, einschließlich lebenslänglich Verurteilter. Allerdings gibt es Unterschiede hinsichtlich der Fristen und Voraussetzungen: Bei zeitigen Freiheitsstrafen kann in der Regel nach Verbüßung von zwei Dritteln, in Ausnahmefällen nach der Hälfte der Strafe entlassen werden. Bei lebenslanger Freiheitsstrafe ist eine bedingte Entlassung erst nach 15 Jahren möglich, sofern das besondere Sicherungsbedürfnis dies zulässt. Ausgeschlossen ist die Möglichkeit bei Maßregeln wie Sicherungsverwahrung oder Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB; hier gelten gesonderte Regelungen. Nicht anwendbar ist die bedingte Entlassung zudem bei Geldstrafe oder Ersatzfreiheitsstrafe.
Können Opfer einbezogen oder angehört werden?
Das Recht der Opfer auf Beteiligung im Entlassungsverfahren ist im Rahmen des Opferschutzes ausgebaut worden. Nach § 406d StPO kann das Opfer (bzw. dessen Rechtsbeistand) über die bevorstehende Entlassung informiert werden, insbesondere bei schweren Gewaltdelikten und Sexualstraftaten. Dem Opfer steht zwar kein formales Mitspracherecht im eigentlichen Entlassungsbeschluss zu, es kann aber Stellungnahmen zu Gefahren oder individuellen Schutzbedürfnissen abgeben. Das Gericht hat diese Stellungnahmen zu berücksichtigen und ggf. Weisungen zugunsten der Opfer zu erlassen, etwa Kontakt- oder Näherungsverbote nach § 56c Abs. 3 StGB.
Wie ist die Rechtslage bei ausländischen Verurteilten bezüglich bedingter Entlassung?
Für ausländische Verurteilte gilt das allgemeine Recht zur bedingten Entlassung ebenso wie für Inländer. Allerdings wird im Rahmen der Prognoseentscheidung regelmäßig geprüft, ob eine Abschiebung erfolgen wird, da diese die Resozialisierungsprognose maßgeblich beeinflussen kann. In der Praxis kann das Gericht daher bei bevorstehender oder durchgeführter Abschiebung von einer günstigen Prognose ausgehen, wenn durch die Rückkehr ins Heimatland keine Gefahr weiterer Straftaten in Deutschland besteht. Bei Wiedereinreisesperren oder fehlender Bleibeperspektive können Auflagen nur begrenzt kontrolliert werden. Die genaue Praxis richtet sich nach nationalen und unionsrechtlichen Vorgaben zum Strafvollzug und Ausländerrecht.