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Bedarfsgemeinschaft


Begriff und rechtlicher Rahmen der Bedarfsgemeinschaft

Die „Bedarfsgemeinschaft“ ist ein zentraler Begriff im deutschen Sozialrecht, insbesondere im Zusammenhang mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), allgemein bekannt als „Hartz IV“. Sie dient als maßgebliche Einheit zur Bestimmung von Anspruch, Höhe und Dauer von Sozialleistungen. Im Folgenden werden Definition, Rechtsgrundlagen, Abgrenzung, Rechtsfolgen sowie aktuelle Entwicklungen und Rechtsprechung umfassend dargestellt.


Definition der Bedarfsgemeinschaft

Die Bedarfsgemeinschaft bezeichnet im Rahmen des SGB II die Gemeinschaft von Personen, die zusammenleben, wirtschaften und gemeinsam für ihren Lebensbedarf einstehen. Der Gesetzgeber definiert, welche Personen unabhängig von ihrer rechtlichen Bindung, etwa durch Ehe oder Verwandtschaft, als eine Bedarfsgemeinschaft gelten. Der Begriff ist nicht mit Haushaltsgemeinschaft oder Familie gleichzusetzen. Die Bedarfsgemeinschaft bildet die Grundlage, um Einkommen und Vermögen der Mitglieder bei der Leistungsberechnung zusammenzurechnen.


Rechtsgrundlagen und gesetzliche Regelungen

§ 7 Absatz 3 SGB II

Die maßgebliche gesetzliche Grundlage für die Bedarfsgemeinschaft bildet § 7 Absatz 3 SGB II. Danach gehören zur Bedarfsgemeinschaft in der Regel:

  • die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person („Antragsteller“),
  • der nicht dauerhaft getrennt lebende Ehegatte oder Lebenspartner,
  • der nicht dauerhaft getrennt lebende Partner einer eheähnlichen oder partnerschaftsähnlichen Gemeinschaft,
  • die im Haushalt lebenden unverheirateten Kinder (bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres), sofern sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken können.

Abgrenzung zur Haushalts- bzw. Wohngemeinschaft

Eine Bedarfsgemeinschaft ist nicht mit einer bloßen Haushalts- oder Wohngemeinschaft gleichzusetzen. Während bei Wohngemeinschaften keine gegenseitige Einstandspflicht für Unterhalt besteht, gilt dies innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft als Regelfall. Die Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft wird anhand tatsächlicher Lebensverhältnisse und nicht bloßer Wohnverhältnisse ermittelt.


Personenkreis und Typen von Bedarfsgemeinschaften

Ehe- und Lebenspartner

Zu einer Bedarfsgemeinschaft zählen stets verheiratete oder verpartnerte Personen, die nicht dauerhaft getrennt leben und gemeinsam wirtschaften.

Verantwortungsgemeinschaften („eheähnliche Gemeinschaften“)

Eine Bedarfsgemeinschaft kann auch zwischen zwei erwachsenen unverheirateten Personen bestehen, wenn sie „auf Dauer angelegt zusammenleben“, den Haushalt gemeinschaftlich führen und füreinander einstehen. Indizien hierfür sind gemeinsames Wirtschaften, Übernahme von Verantwortung füreinander und die Außendarstellung der Lebensgemeinschaft.

Bedarfsgemeinschaft mit Kindern

Unverheiratete Kinder unter 25 Jahren, die im Haushalt leben und nicht über eigenes ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen, zählen zu Bedarfsgemeinschaften. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kinder leibliche oder adoptierte Nachkommen sind.

Sonderkonstellationen

Weitere Konstellationen, wie Mehrgenerationenhaushalte, Patchwork-Familien und Personen mit Unterbringung außerhalb des Haushalts (z. B. bei Ausbildung oder längeren Auslandsaufenthalten), werden im Einzelfall nach den konkreten Lebens- und Unterhaltsverhältnissen bewertet.


Rechtsfolgen der Bedarfsgemeinschaft

Zusammenrechnung von Einkommen und Vermögen

Im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft werden das Einkommen und Vermögen sämtlicher Mitglieder bei der Berechnung des Bedarfs gemeinsam berücksichtigt. Dies führt dazu, dass gegebenenfalls Leistungen versagt oder gekürzt werden können, wenn z. B. ein Partner über ausreichendes Einkommen verfügt. Insbesondere das sogenannte „Partnereinkommen“ ist ein häufiger Streitpunkt im Zusammenhang mit der Gewährung von SGB II-Leistungen.

Anspruch auf Leistungen

Die Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft beeinflusst den Anspruch auf Arbeitslosengeld II (ALG II) maßgeblich. Die Bedarfsgemeinschaft ist Grundlage für die Berechnung des sogenannten Gesamtbedarfs (Regelbedarf, Kosten für Unterkunft und Heizung, Mehrbedarfe etc.), von dem das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen abgezogen wird.

Besonderheiten beim Wegfall und bei Änderungen

Erfolgen Veränderungen in der Zusammensetzung, etwa durch Trennung, Auszug oder Erreichen der Altersgrenze von Kindern, ist umgehend eine Neuberechnung und gegebenenfalls Neufeststellung der Bedarfsgemeinschaft notwendig. Leistungsansprüche können sich dadurch kurzfristig erheblich ändern.


Abgrenzung gegenüber anderen Gemeinschaften

Haushaltsgemeinschaft

Die Haushaltsgemeinschaft (§ 9 Abs. 5 SGB II) unterscheidet sich dadurch, dass zwischen den Mitgliedern keine gegenseitige Pflicht zur Unterstützung besteht, etwa bei gemeinsam wohnenden Erwachsenen ohne Partnerschaft oder verwandtschaftliche Beziehung. Hier ist meist nur eine anteilige Anrechnung des Einkommens der Mitbewohner vorzunehmen, soweit von einer Unterstützung auszugehen ist.

Wohngemeinschaft

Bei Wohngemeinschaften ohne gegenseitige Einstandspflicht findet keine Zusammenrechnung des Einkommens und Vermögens statt. Leistungsverpflichtungen werden nur für die jeweilige Einzelperson ermittelt.


Bedarfsgemeinschaft in der Praxis

Prüfung durch die Behörden

Jobcenter sind verpflichtet, die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen. Die Nachweiserfordernisse zur Feststellung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft sind von der Behörde darzulegen. Es müssen objektive Indizien für eine Bedarfsgemeinschaft vorliegen.

Streitfragen in der Praxis

Insbesondere Unklarheiten hinsichtlich nichtehelicher Lebensgemeinschaften und Situationen, bei denen einzelne Familienmitglieder eigenes Einkommen erzielen, führen regelmäßig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Die Rechtsprechung verlangt eine umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalls.


Rechtsfolgen bei falscher Angabe und Mitwirkungspflicht

Folgen von Falschangaben

Wird die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft nicht oder falsch angegeben, kann dies zu Rückforderungen von Leistungen, zu Bußgeldern oder sogar strafrechtlichen Konsequenzen führen. Die SGB II-Leistungsberechtigten sind im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht (§§ 60 ff. SGB I) verpflichtet, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu machen.


Aktuelle Rechtsprechung und Entwicklungen

Gerichte, insbesondere die Sozialgerichte sowie das Bundessozialgericht (BSG), haben das Verständnis der Bedarfsgemeinschaft durch zahlreiche Urteile weiter konkretisiert. Beispielsweise wurde die Definition und die Indizien für Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaften stetig weiterentwickelt. Änderungen in der Gesetzgebung, etwa durch Anhebung von Bedarfs- und Freibetragsgrenzen, wirken sich ebenfalls regelmäßig auf die Praxis aus.


Zusammenfassung

Die Bedarfsgemeinschaft ist ein zentrales Konzept des deutschen SGB II und wirkt sich unmittelbar auf Anspruch und Umfang von Sozialleistungen aus. Die genaue Abgrenzung, die Berücksichtigung sämtlicher Einkommensquellen sowie die umfassenden Mitwirkungspflichten sind von erheblicher Bedeutung für Leistungsberechtigte. Die Einschätzung der Bedarfsgemeinschaft ist in vielen Fällen eine komplexe Einzelfallentscheidung, die eine sorgfältige rechtliche Prüfung und Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung erfordert.

Häufig gestellte Fragen

Wer zählt rechtlich zur Bedarfsgemeinschaft gemäß SGB II?

Zur Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) gehören zentral der erwerbsfähige Leistungsberechtigte sowie die Personen, die mit diesem in einem Haushalt leben und für deren Lebensunterhalt er zu sorgen hat beziehungsweise die für diesen zu sorgen haben. Dies sind insbesondere der Ehegatte, eingetragene Lebenspartner oder der Partner einer sogenannten Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, sowie die unverheirateten Kinder unter 25 Jahren, soweit diese im Haushalt leben und selbst keine Grundsicherungsleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II erhalten. Stiefkinder und Pflegekinder können ebenfalls dazugehören, wenn sie im gleichen Haushalt leben. Ausgenommen sind regelmäßig volljährige Kinder über 25 Jahre, volljährige Verwandte oder Verschwägerte sowie Mitbewohner ohne besondere Verantwortungsbeziehung. Die genaue Zuordnung zur Bedarfsgemeinschaft ist entscheidend für die Berechnung und Anspruchsvoraussetzung von Leistungen nach dem SGB II.

Welche rechtlichen Konsequenzen hat das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft?

Das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft führt dazu, dass das Einkommen und das Vermögen aller Mitglieder gemeinschaftlich bei der Berechnung von Leistungen nach dem SGB II berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass beispielsweise das Einkommen eines Partners unter Umständen den Leistungsanspruch des anderen partners beeinflusst oder ganz entfallen lassen kann. Gleiches gilt für Vermögenswerte. Dabei wird nach dem sogenannten „Prinzip der Einstandsgemeinschaft“ davon ausgegangen, dass die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft füreinander einstehen und somit weder Einkommen noch Vermögen einzelner Mitglieder isoliert betrachtet werden. Das Zusammenleben in einer Bedarfsgemeinschaft bringt außerdem Mitwirkungspflichten mit sich: Alle Mitglieder müssen für die Gewährung von Leistungen relevante Auskünfte geben und Unterlagen zur Verfügung stellen.

Wann endet eine Bedarfsgemeinschaft rechtlich?

Eine Bedarfsgemeinschaft endet, wenn die gesetzlich festgelegten Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Partner sich trennen und keinen gemeinsamen Haushalt mehr führen, ein Kind das 25. Lebensjahr vollendet und damit als eigenständige Person gilt, oder wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auszieht. Das Ende der Bedarfsgemeinschaft muss der zuständigen Behörde umgehend mitgeteilt werden, da sich dies direkt auf den Leistungsanspruch und die Höhe der Leistungen nach SGB II auswirken kann. Die Behörden prüfen das Ende einer Bedarfsgemeinschaft anhand von Nachweisen wie Meldebescheinigungen, eigenen Hausständen oder Mietverträgen.

Wie wird „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft“ rechtlich beurteilt?

Eine sogenannte Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft liegt laut Sozialgesetzgebung vor, wenn zwei Personen in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben und füreinander Verantwortung tragen, vergleichbar mit Ehe- oder Lebenspartnern. Rechtlich beurteilt wird dies anhand mehrerer Indizien, die in § 7 Abs. 3a SGB II konkretisiert werden, wie etwa die Dauer des Zusammenlebens (mindestens ein Jahr), gemeinsames Wirtschaften, gegenseitige Sorge im Krankheitsfall oder das gemeinsame Auftreten gegenüber Dritten. Eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft wird nicht automatisch durch Zusammenleben in einer Wohnung unterstellt, sondern muss jeweils anhand der Lebensumstände geprüft und belegt werden.

Welche Pflichten bestehen hinsichtlich Angaben zur Bedarfsgemeinschaft?

Jede Person, die Leistungen nach dem SGB II beantragt, ist gesetzlich verpflichtet, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben bezüglich der Haushalts- und Familiensituation zu machen. Das umfasst insbesondere alle Personen, die im Haushalt leben sowie deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Die Antragsstellenden müssen zudem Änderungen, etwa beim Einzug oder Auszug von Personen oder bei Änderung der Einkommensverhältnisse, unverzüglich anzeigen. Unterbleiben solche Angaben oder werden unzutreffende Angaben gemacht, handelt es sich um einen Verstoß, der zu Rückforderungen und ggf. zu Bußgeldern oder strafrechtlichen Konsequenzen führen kann.

Welche Unterschiede bestehen rechtlich zwischen einer Bedarfsgemeinschaft und einer Haushaltsgemeinschaft?

Rechtlich trennt das SGB II klar zwischen einer Bedarfsgemeinschaft und einer Haushaltsgemeinschaft. In einer Bedarfsgemeinschaft übernehmen die Mitglieder gegenseitig rechtliche Verantwortung füreinander und es findet eine umfassende Einkommens- und Vermögensanrechnung statt. Eine Haushaltsgemeinschaft liegt vor, wenn mehrere Personen gemeinsam wohnen, aber keine gegenseitige soziale und finanzielle Einstandspflicht besteht, beispielsweise bei einer WG. Bei Haushaltsgemeinschaften wird in der Regel nur das Einkommen und Vermögen der antragstellenden Person bzw. deren Bedarfsgemeinschaft angerechnet – das Einkommen anderer Haushaltsangehöriger (etwa Untermieter oder Mitbewohner) bleibt grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, es besteht dort eine Verantwortungsbeziehung, etwa bei Verwandten.

Wie wirkt sich das Einkommen eines einzelnen Mitglieds auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft aus?

Das gesamte Einkommen aller zur Bedarfsgemeinschaft zählenden Personen wird zusammengelegt und anteilig auf die Bedarfe aller Mitglieder verteilt. Dies bedeutet, dass beispielsweise das Einkommen eines Partners auch dann angerechnet wird, wenn der andere Partner kein oder nur geringes Einkommen hat. Dadurch kann es sein, dass der Gesamtanspruch der Bedarfsgemeinschaft auf Leistungen nach SGB II geringer ausfällt oder ganz entfällt. Es gelten jedoch Freibeträge und Absetzbeträge, insbesondere bei Erwerbseinkommen, die vor der Anrechnung abgezogen werden. Ebenso muss das anrechenbare Einkommen stets nach den jeweils aktuellen gesetzlichen Regelungen berechnet und nachgewiesen werden.