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Barrierefreiheit


Begriff und Definition der Barrierefreiheit

Barrierefreiheit bezeichnet im rechtlichen Sinne die umfassende Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Lebensbereichen für alle Menschen, unabhängig von körperlichen, geistigen oder altersbedingten Einschränkungen. Ziel ist es, gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen oder temporären Einschränkungen ohne fremde Hilfe zu gewährleisten. Der Begriff wird insbesondere im Kontext baulicher Anlagen, digitaler Angebote, öffentlicher Verkehrsmittel und Dienstleistungen verwendet und ist im deutschen und europäischen Recht umfangreich geregelt.

Rechtliche Grundlagen der Barrierefreiheit in Deutschland

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zielt neben anderen Diskriminierungsverboten darauf ab, Benachteiligungen aus Gründen einer Behinderung zu verhindern oder zu beseitigen. § 7 Abs. 1 GG regelt das Diskriminierungsverbot, während § 1 AGG den Anspruch auf Gleichbehandlung auch im Zusammenhang mit Barrierefreiheit stützt.

Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)

Zielsetzung und Anwendungsbereich

Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) dient der Umsetzung des Benachteiligungsverbots nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz. Es verpflichtet öffentliche Stellen des Bundes, Barrierefreiheit zu gewährleisten. § 4 BGG definiert Barrierefreiheit als die Gestaltung von Lebensbereichen in der Weise, dass sie von Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise genutzt werden können, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe.

Anforderungen und Pflichten

Das BGG verpflichtet insbesondere staatliche Stellen, ihre baulichen und digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Dazu zählen Behördengebäude, Websites und mobile Anwendungen im Sinne des § 12a BGG. Der Gesetzgeber legt damit verbindliche Maßstäbe für Barrierefreiheit im öffentlichen Sektor fest.

UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)

Deutschland ist seit 2009 Vertragsstaat der UN-Behindertenrechtskonvention. Artikel 9 UN-BRK verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderung gleichberechtigten Zugang zu physischen Umgebungen, Transportmitteln, Information und Kommunikation sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten zu verschaffen. Die Konvention entfaltet unmittelbare Wirkung auf die nationale Rechtsordnung und ist wesentliche Auslegungsgrundlage bei barrierefreien Anforderungen.

Spezielle Rechtsbereiche der Barrierefreiheit

Barrierefreiheit im Bauordnungsrecht

Das öffentliche Bauordnungsrecht regelt die Anforderungen an barrierefreies Bauen. Die Musterbauordnung (MBO) sowie die Landesbauordnungen (LBO) enthalten in der Regel verbindliche Vorgaben, insbesondere für öffentlich zugängliche Gebäude (§ 50 MBO). Hier sind erforderliche barrierefreie Zugänge, Bewegungsflächen, Aufzüge und barrierefreie Sanitäreinrichtungen verbindlich festgelegt.

Barrierefreiheit im Nah- und Fernverkehr

Personenbeförderungsgesetz (PBefG)

Das Personenbeförderungsgesetz verpflichtet Verkehrsunternehmen zur schrittweisen Umsetzung der Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr, spätestens bis 2022 (§ 8 Abs. 3 PBefG). Anforderungen betreffen Haltestellen, Fahrzeuge, Informationssysteme und Serviceleistungen.

Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO)

Die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung schreibt vor, dass Bahnhöfe, Züge und sonstige Anlagen weitestgehend barrierefrei ausgestaltet werden müssen. Besonders relevant sind auch die Vorschriften zur Information und Orientierung für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen.

Barrierefreiheit in der digitalen Welt

Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0)

Die BITV 2.0 legt die technischen Standards zur Barrierefreiheit staatlicher Websites und mobiler Apps fest. Sie konkretisiert die Anforderungen aus dem BGG und setzt Vorgaben der europäischen Richtlinie (EU) 2016/2102 um. Dazu gehören beispielsweise die Gewährleistung von Textalternativen, Bedienbarkeit per Tastatur, klare Navigationsstrukturen und barrierefreie Dokumente.

Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz setzt die europäische Barrierefreiheitsrichtlinie (EU) 2019/882 um und erweitert die Anforderungen auf den Privatsektor. Ab 2025 sind zahlreiche Produkte und Dienstleistungen, wie Bankautomaten, Telefone und E-Books, barrierefrei bereitzustellen.

Durchsetzung und Kontrolle der Barrierefreiheit

Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen

Für die Kontrolle und Durchsetzung der Barrierefreiheit bestehen unterschiedliche staatliche und zivilgesellschaftliche Stellen. Bundesbehörden werden vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik überwacht. Betroffene können sich auf dem Klageweg gegen Diskriminierung wehren und ggfs. Schadenersatz oder Beseitigung verlangen.

Verbandsklagerecht

Nach § 12 BGG besitzen anerkannte Behindertenverbände das Klagerecht, um Verstöße gegen die Barrierefreiheit gerichtlich geltend zu machen. Damit wird die Durchsetzung auch da gestärkt, wo Einzelpersonen nicht selbst klagen können oder es an Rechtskenntnissen fehlt.

Barrierefreiheit im europäischen Recht

Die Europäische Union schafft mit verschiedenen Rechtsakten einen europaweiten Rahmen für die Barrierefreiheit. Zentral ist die Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen. Darüber hinaus gelten spezifische Vorschriften für öffentliche Aufträge, Verkehr und digitale Dienste.

Sanktionen und Ausnahmen

Nichtbeachtung der gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit kann zu Schadensersatzansprüchen, gerichtlichen Unterlassungsklagen oder aufsichtsrechtlichen Maßnahmen führen. Gesetzlich vorgesehene Ausnahmen bestehen lediglich, wenn Barrierefreiheit mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre (§ 12a Abs. 6 BGG). Hier gilt eine Einzelfallprüfung.

Fazit

Barrierefreiheit ist im deutschen und europäischen Recht umfassend geregelt und betrifft zahlreiche Lebensbereiche. Sie dient der sozialen Teilhabe und dem Schutz vor Diskriminierung. Die gesetzlichen Anforderungen entwickeln sich stetig weiter und verpflichten vor allem öffentliche Stellen, zunehmend aber auch Privatunternehmen zu baulichen, technischen und digitalen Anpassungen. Dabei stellen nationale Gesetze, europäische Richtlinien und internationale Abkommen einen integralen und rechtlich verbindlichen Ordnungsrahmen dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Barrierefreiheit in Deutschland?

Die rechtlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit in Deutschland ergeben sich auf verschiedenen Ebenen: Zunächst bildet das Grundgesetz gemäß Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 GG mit dem Diskriminierungsverbot eine grundsätzliche Ausgangsbasis. Konkretisiert wird dies durch das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), das den rechtlichen Rahmen für Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden, digitalen Angeboten und im Umgang mit Behörden festlegt. Besonders für Internet- und Intranet-Angebote von öffentlichen Stellen gilt die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0), die Mindestanforderungen vorgibt und EU-Richtlinien wie die „EU-Richtlinie 2016/2102″ zur Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen umsetzt. Im privaten Bereich, wie etwa bei Produkten und Dienstleistungen, entfaltet die EU-Barrierefreiheitsrichtlinie (European Accessibility Act, EAA) ab 2025 direkte Wirkung in nationales Recht. Zudem finden sich branchenspezifische Regelungen zum Beispiel im Bauordnungsrecht der Bundesländer (Landesbauordnungen), im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) sowie im Telemediengesetz (TMG) und im Sozialgesetzbuch IX. Die Einhaltung und Durchsetzung der gesetzlichen Vorgaben wird über verschiedene Aufsichtsbehörden und Gerichte gewährleistet.

Welche Pflichten ergeben sich für öffentliche Stellen bezüglich Barrierefreiheit?

Für öffentliche Stellen – hierzu zählen Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden sowie öffentliche Unternehmen, die im Allgemeininteresse liegende Dienstleistungen anbieten – bestehen weitreichende gesetzliche Pflichten hinsichtlich der Barrierefreiheit. Zentrale Grundlage bildet dabei das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) auf Bundesebene und entsprechende Landesgleichstellungsgesetze. Öffentliche Stellen müssen ihre baulichen Anlagen, die Informationstechnik (z.B. Websites und Apps), Dienstleistungen sowie Verwaltungsverfahren so ausgestalten, dass sie für Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt und ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzbar sind. Die konkrete Umsetzung wird in verschiedenen Verordnungen geregelt, etwa der BITV 2.0 für digitale Barrierefreiheit, und durch Fristen und Überprüfungsmechanismen flankiert. Auch die Pflicht, eine sogenannte Barrierefreiheitserklärung auf Websites zu veröffentlichen und ein Feedback-Mechanismus für Betroffene zur Meldung von Barrieren einzurichten, ist gesetzlich festgelegt.

Welche Sanktionen drohen bei Nichtbeachtung der Barrierefreiheitsvorschriften?

Die Missachtung von Barrierefreiheitsanforderungen kann verschiedene rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Im Verwaltungsrecht können betroffene Personen auf Grundlage des § 12 BGG und entsprechender Landesgesetze eine Verbandsklage durch anerkannte Verbände anstrengen. Sanktionen reichen von behördlichen Anordnungen zur Nachbesserung bis hin zu Bußgeldern, insbesondere wenn Auflagen im Bereich des Baugenehmigungsrechts missachtet werden. Verstöße gegen Vorgaben der BITV 2.0 können ebenfalls zu aufsichtsrechtlichen Maßnahmen führen. Für digitale Angebote kann das Fehlen einer Barrierefreiheitserklärung oder eines Barrierefeedbacks ordnungswidrigkeitsbewehrt sein. Ab 2025 sieht der European Accessibility Act im Bereich des Privatrechts auch verbraucherschutzrechtliche und vertragsrechtliche Sanktionen vor, etwa das Recht auf Schadensersatz oder die Durchsetzung von Ansprüchen auf Nacherfüllung bzw. Vertragsrücktritt. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, dass bei systematischen Verstößen Wettbewerber Abmahnungen aussprechen oder wettbewerbsrechtliche Klagen angestrengt werden können.

Wie wird die Einhaltung der Barrierefreiheitsvorschriften kontrolliert?

Die Kontrolle der Einhaltung barrierefreier Standards erfolgt durch verschiedene staatliche und unabhängige Stellen. Für Webauftritte und mobile Anwendungen ist dies Aufgabe der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT-Bund) sowie vergleichbarer Stellen auf Landesebene. Diese führen regelmäßige Prüfungen sowohl stichprobenartig als auch anlassbezogen durch. Bei Bauvorhaben prüfen Bauaufsichtsbehörden im Rahmen von Genehmigungsverfahren die Einhaltung einschlägiger Barrierefreiheitsregelungen, wie sie sich aus den Landesbauordnungen ergeben. Im Bereich Verkehr sind die jeweilig zuständigen Aufsichtsbehörden einzubeziehen. Beschwerden und Mängelanzeigen von Betroffenen können ebenfalls Anlass für Sonderprüfungen und Beanstandungen sein. Die Ergebnisse der Prüfungen werden veröffentlicht und bei festgestellten Mängeln können verbindliche Nachbesserungsaufforderungen ausgesprochen werden.

Welche Rolle spielen Landesgesetze bei der Barrierefreiheit?

Neben dem Bundesrecht existieren in Deutschland zahlreiche landesrechtliche Regelungen, die teils weitergehende Anforderungen stellen. Die Länder haben eigene Gleichstellungsgesetze, die die Bundesvorgaben konkretisieren und erweitern, beispielsweise im Bildungsbereich, bei der Ausgestaltung von Wahlen oder im kulturellen Sektor. Besonders im baulichen Bereich sehen Landesbauordnungen detaillierte Vorgaben für die Gestaltung öffentlich zugänglicher Gebäude, Verkehrsflächen und Wohnungen vor. Sie können zusätzliche oder strengere Anforderungen, etwa zu taktilen Leitsystemen, barrierefreien Wohnungen oder barrierefreien Notausgängen, enthalten. Die Kontrolle und Durchsetzung dieser Vorschriften obliegt den zuständigen Behörden auf Landes- und Kommunalebene. Landesgesetze gewährleisten dadurch eine an die regionalen Gegebenheiten angepasste Durchsetzung der Barrierefreiheit.

Wer ist für die Durchsetzung von Barrierefreiheit im privaten Sektor zuständig?

Mit Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG), das den European Accessibility Act (EAA) in deutsches Recht umsetzt, werden auch Privatunternehmen ab 2025 verpflichtend zur Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen verpflichtet. Die Durchsetzung im privaten Sektor obliegt insbesondere den Marktüberwachungsbehörden (z.B. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BAuA) sowie Verbraucherschutzbehörden, die bei Verstößen Prüfungen einleiten und Durchsetzungsmaßnahmen ergreifen können. Für Ansprüche einzelner Betroffener stehen zudem die ordentlichen Gerichte offen, sodass Unternehmen sich auch Schadensersatz-, Nacherfüllungs- und Unterlassungsansprüchen ausgesetzt sehen können. Eine wichtige Rolle zur Durchsetzung nehmen daneben anerkannte Behindertenverbände ein, die klageberechtigt sind.

Welche Möglichkeiten haben Betroffene bei Diskriminierung aufgrund mangelnder Barrierefreiheit?

Menschen, die sich durch nicht vorhandene oder unzureichende Barrierefreiheit benachteiligt fühlen, haben zahlreiche rechtliche Handlungsoptionen. Sie können sich zunächst an die zuständigen Überwachungs- oder Aufsichtsbehörden wenden und um Abhilfe bitten. Zudem existiert nach dem BGG und den Landesgleichstellungsgesetzen das Verbandsklagerecht: Hierbei können anerkannte Verbände im Interesse der Betroffenen klagen oder auf Unterlassung drängen. Im privaten Bereich ist auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) einschlägig, das Schadensersatzansprüche und Unterlassungsrechte eröffnen kann. Seit 2025 erweitern sich durch das BFSG und den EAA die Verbraucherschutzrechte, sodass Betroffene auch direkt Nacherfüllung verlangen oder vom Vertrag zurücktreten können. Beratung und Unterstützung erhalten sie darüber hinaus durch Beteiligungsstellen für Menschen mit Behinderungen, kommunale Behindertenbeauftragte und spezialisierte Rechtsschutzvereine.