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Bankenunion

Bankenunion: Begriff, Zielsetzung und Kernstruktur

Die Bankenunion ist ein Rahmen der Europäischen Union zur einheitlichen Aufsicht und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten. Sie soll die Stabilität des Finanzsystems stärken, Risiken für Steuerzahler verringern und gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt fördern. Sie gilt in allen Mitgliedstaaten der Eurozone sowie in weiteren EU-Ländern, die sich im Wege einer engen Zusammenarbeit anschließen. Die Struktur der Bankenunion ruht auf drei Säulen: dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM), dem Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM) und der perspektivisch vorgesehenen europäischen Einlagensicherung (European Deposit Insurance Scheme, EDIS).

Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten

Institutioneller Rahmen

Die Aufsicht in der Bankenunion wird vom Einheitlichen Aufsichtsmechanismus getragen, in dem die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Aufsichtsbehörden zusammenwirken. Die EZB überwacht direkt große, systemrelevante Institute und übt übergeordnete Aufsicht über weniger bedeutende Institute aus, die operativ von den nationalen Behörden überwacht werden. Für die Abwicklung ist der Einheitliche Abwicklungsausschuss (Single Resolution Board, SRB) zuständig, der mit den nationalen Abwicklungsbehörden koordiniert und den Einheitlichen Abwicklungsfonds verwaltet. Die Europäische Kommission und der Rat der EU nehmen in der Abwicklung bestimmte Kontroll- und Prüfkompetenzen wahr. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) setzt unionsweit technische Standards und fördert die Konvergenz der Aufsichtspraxis.

Geltungsbereich und Teilnahme

Die Bankenunion umfasst grundsätzlich alle Kreditinstitute in teilnehmenden Mitgliedstaaten. Eurostaaten sind automatisch einbezogen. Nicht-Eurostaaten können mittels enger Zusammenarbeit teilnehmen und erhalten dadurch Mitwirkungsrechte bei gleichzeitig verbindlicher Integration in Aufsicht und Abwicklung. Der Aufsichtsrahmen unterscheidet zwischen bedeutenden Instituten, die direkt von der EZB beaufsichtigt werden, und weniger bedeutenden Instituten unter nationaler Federführung. Niederlassungen und Tochtergesellschaften grenzüberschreitend tätiger Gruppen werden im Verbund betrachtet, um einheitliche Aufsichts- und Abwicklungsentscheidungen zu ermöglichen.

Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (SSM)

Aufsichtsziele und -prinzipien

Der SSM verfolgt das Ziel, die Solidität von Kreditinstituten zu sichern und systemische Risiken zu begrenzen. Die Aufsicht ist risikobasiert und verhältnismäßig ausgestaltet. Sie ist institutionell von der Geldpolitik getrennt, um Unabhängigkeit und klare Mandate zu gewährleisten.

Aufgaben und Befugnisse

Zu den Kernaufgaben gehören die Zulassung von Kreditinstituten, die Beurteilung der Leitungspersonen, die Beaufsichtigung von Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen, die Genehmigung interner Risikomodelle, die Durchführung aufsichtlicher Prüf- und Überwachungsprozesse sowie Vor-Ort- und Analysen auf Dokumentenbasis. Die Aufsicht kann Maßnahmen anordnen, Auflagen erteilen und Sanktionen verhängen. Für grenzüberschreitende Gruppen koordiniert der SSM gemeinsame Aufsichtsteams, um konsistente Entscheidungen sicherzustellen.

Verfahren und Rechtsschutz

Aufsichtsentscheidungen folgen geregelten Verwaltungsverfahren. Institute erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Entscheidungen sind zu begründen und unterliegen unionsrechtlichen Maßstäben an Transparenz, Verhältnismäßigkeit und fairen Verwaltungsprozess. Gegen Maßnahmen des SSM bestehen Rechtsbehelfe, einschließlich verwaltungsinterner Überprüfung und gerichtlicher Kontrolle auf EU-Ebene.

Der Einheitliche Abwicklungsmechanismus (SRM)

Abwicklungsziele

Der SRM stellt sicher, dass scheiternde Institute geordnet abgewickelt werden, ohne die Finanzstabilität zu gefährden. Dabei werden kritische Funktionen aufrechterhalten, Einleger geschützt, wesentliche Kosten für die Allgemeinheit vermieden und Ansteckungseffekte begrenzt. Verluste werden vorrangig von Eigentümern und Gläubigern getragen.

Ablauf einer Abwicklung

Auslöser ist die Feststellung, dass ein Institut ausfallend oder wahrscheinlich ausfallend ist. Zusätzlich muss das öffentliche Interesse eine Abwicklung gegenüber einer regulären Insolvenz rechtfertigen. Abwicklungsbehörden erstellen vorab Pläne und setzen Mindestanforderungen an verlusttragendes Kapital und haftungsfähige Verbindlichkeiten. In der Abwicklung stehen Instrumente wie der Verkauf von Geschäftsteilen, die Übertragung auf eine Brückenbank, die Ausgliederung von Vermögenswerten und der Bail-in zur Verfügung. Die gesetzliche Gläubigerhierarchie und der Grundsatz, dass niemand schlechter gestellt werden darf als in einer Insolvenz, sind leitend.

Einheitlicher Abwicklungsfonds und finanzielle Absicherung

Der Einheitliche Abwicklungsfonds wird aus Beiträgen der Institute gespeist und dient der Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen, wenn Verluste und Umstrukturierungen bei Anteilseignern und Gläubigern nicht ausreichen. Der Fonds wird schrittweise vergemeinschaftet und verfügt über eine gemeinsame Absicherung auf europäischer Ebene, die als Backstop ausgestaltet ist.

Einlagensicherung in der Bankenunion

Heutiger Rechtsrahmen

Die Einlagensicherung ist unionsweit harmonisiert und wird derzeit von nationalen Systemen getragen. Einlagen natürlicher Personen und bestimmter Unternehmen sind bis zu 100.000 EUR je Bank und Einleger geschützt. Die Auszahlung erfolgt innerhalb kurzer Fristen über die national zuständigen Systeme. Diese Harmonisierung zielt auf einheitlichen Mindestschutz und Vertrauen in den Binnenmarkt ab.

Perspektive eines europäischen Systems (EDIS)

Ein europäisches Einlagensicherungssystem ist politisch vorgesehen, jedoch noch nicht umgesetzt. Ziel ist eine weitergehende Risikoteilung und eine einheitliche Absicherung über Landesgrenzen hinweg. Diskutiert werden Modelle, die stufenweise von einer Rückversicherung nationaler Systeme zu einer weitergehenden Vergemeinschaftung führen. Im Mittelpunkt stehen rechtliche Fragen der Risikoteilung, Governance, Beitragsbemessung und Haftungsverteilung.

Wechselwirkungen mit anderem EU-Recht

Wettbewerb und staatliche Beihilfen

Öffentliche Unterstützungsmaßnahmen für Banken unterliegen der beihilferechtlichen Kontrolle. Abwicklungsentscheidungen müssen mit Wettbewerbsregeln vereinbar sein. Restrukturierungen und Verlustbeteiligungen sind zentral, um Wettbewerbsverzerrungen zu begrenzen.

Verbraucherschutz und Marktverhalten

Die Bankenunion konzentriert sich auf Stabilität und Solvenzaufsicht. Vorschriften zum Verhalten am Markt und zum Schutz von Kunden gelten unionsweit und ergänzen die Bankenunion. Beide Bereiche greifen ineinander, etwa bei internen Kontrollen, Governance und Offenlegung.

Krisenprävention und makroprudenzielle Politik

Makroprudenzielle Instrumente wie Kapitalpuffer werden von nationalen Behörden und der EZB im Rahmen der Bankenunion koordiniert. Das Europäische Systemrisikorat überwacht systemweite Risiken und gibt Warnungen und Empfehlungen ab.

Teilnahmemodelle und enge Zusammenarbeit

Beitritt nicht dem Euro angehörender Mitgliedstaaten

Nicht-Eurostaaten können durch enge Zusammenarbeit am SSM und SRM teilnehmen. Das Verfahren umfasst eine rechtliche Vereinbarung, in der die Mitwirkung an Entscheidungen, die Umsetzung der Aufsichts- und Abwicklungsstandards und die Beteiligung an den jeweiligen Gremien festgelegt werden. Ein späterer Austritt aus der engen Zusammenarbeit ist möglich, erfolgt aber nach geregeltem Verfahren und unter Wahrung von Stabilitätszielen.

Haftung und Verantwortlichkeit

Aufsichtsfehler und Amtshaftung

Für Maßnahmen und Unterlassungen von Aufsichts- und Abwicklungsbehörden gelten unionsrechtliche Haftungsgrundsätze. Der Rechtsschutz umfasst die Überprüfung von Ermessensentscheidungen, die Beachtung von Verfahrensrechten sowie mögliche Ansprüche bei rechtswidrigen Eingriffen.

Informationspflichten und Transparenz

Die Behörden sind an Transparenz- und Begründungspflichten gebunden, soweit dies mit der Vertraulichkeit von Aufsichts- und Abwicklungsinformationen vereinbar ist. Institute haben Mitwirkungspflichten und müssen vollständige, richtige und fristgerechte Informationen bereitstellen.

Bedeutung für Bankkunden und Wirtschaft

Die Bankenunion soll Vertrauen in das Finanzsystem stärken, die Belastung der öffentlichen Haushalte durch Bankenkrisen verringern und grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen im Binnenmarkt erleichtern. Einheitliche Aufsicht und Abwicklung fördern Vorhersehbarkeit und Kohärenz in Krisensituationen.

Aktuelle Entwicklungen und Debatten

Schwerpunkte sind die Vollendung der Bankenunion, insbesondere die Ausgestaltung einer europäischen Einlagensicherung, die Weiterentwicklung von Abwicklungsinstrumenten, die Stärkung von Verlusttragfähigkeit und MREL-Anforderungen, die Verzahnung mit makroprudenzieller Politik sowie der Umgang mit neuen Risiken aus Digitalisierung, Cyberbedrohungen und nachhaltigkeitsbezogenen Finanzrisiken.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Bankenunion

Für welche Institute gilt die Bankenunion?

Sie gilt für alle Kreditinstitute in teilnehmenden Mitgliedstaaten. Bedeutende Institute unterliegen der direkten Aufsicht der EZB, weniger bedeutende Institute der nationalen Aufsicht unter dem Dach des SSM. Grenzüberschreitende Gruppen werden konsolidiert betrachtet.

Wer entscheidet über die Abwicklung eines Instituts?

Der Einheitliche Abwicklungsausschuss entscheidet für grenzüberschreitende und bedeutende Institute über das Abwicklungsschema, im Benehmen mit nationalen Abwicklungsbehörden. Kommission und Rat üben bestimmte Prüf- und Einwendungsrechte aus.

Wie sind Einlagen geschützt?

Einlagen sind unionsweit harmonisiert bis 100.000 EUR je Bank und Einleger geschützt. Die Auszahlung erfolgt über nationale Einlagensicherungssysteme innerhalb kurzer Fristen. In der Abwicklung genießen gedeckte Einlagen besonderen Schutz.

Was unterscheidet Abwicklung von Insolvenz?

Die Abwicklung ist ein unionsweit geregeltes Verfahren zur Stabilisierung oder geordneten Abwicklung von Banken im öffentlichen Interesse, mit speziellen Instrumenten wie Bail-in und Brückenbank. Die reguläre Insolvenz folgt nationalem Recht und ist auf Banken zugeschnitten, wenn kein öffentliches Interesse an der Abwicklung besteht.

Können Nicht-Eurostaaten teilnehmen?

Ja, durch eine enge Zusammenarbeit können sie in SSM und SRM eingebunden werden. Sie übernehmen die Regeln und nehmen an Entscheidungsstrukturen teil. Rechte und Pflichten werden in einer formalen Vereinbarung festgelegt.

Wer finanziert den Einheitlichen Abwicklungsfonds?

Der Fonds wird durch risikogewichtete Beiträge der Institute in teilnehmenden Staaten gespeist. Er kann Abwicklungsmaßnahmen unterstützen, nachdem Eigentümer und Gläubiger Verluste getragen haben. Eine gemeinsame Absicherung dient als zusätzlicher Backstop.

Welche Rechte haben Institute im Aufsichtsverfahren?

Institute haben Anspruch auf rechtliches Gehör, auf begründete Entscheidungen und auf wirksame Rechtsbehelfe. Verfahrensgarantien stellen sicher, dass Maßnahmen verhältnismäßig und überprüfbar sind.

Wie wirkt sich die Bankenunion auf Tochtergesellschaften und Zweigniederlassungen aus?

Tochtergesellschaften innerhalb teilnehmender Staaten unterliegen der konsolidierten Aufsicht. Zweigniederlassungen werden in die Gruppenaufsicht einbezogen; die Koordination zwischen Heim- und Gaststaat wird durch den SSM und den SRM strukturiert.