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Autonomes Fahren


Rechtliche Grundlagen des Autonomen Fahrens

Das autonome Fahren beschreibt die Fähigkeit von Fahrzeugen, sich unter Einsatz moderner Technik ohne direktes menschliches Eingreifen im Straßenverkehr fortzubewegen. Diese Entwicklung revolutioniert Mobilität, führt jedoch zu umfassenden rechtlichen Fragestellungen und Anpassungen nationaler wie internationaler Regelwerke. Wesentliche Schwerpunkte betreffen u.a. Zulassung, Haftung, Datenschutz, Versicherungsrecht, Fahrerlaubnis und verkehrsrechtliche Haftungsfragen.


Klassifizierung und Definition des Autonomen Fahrens

Im rechtlichen Kontext werden Fahrzeuge anhand international abgestimmter Automatisierungsgrade klassifiziert. Die Society of Automotive Engineers (SAE) unterscheidet hierzu sechs Stufen (SAE Level 0 bis 5), basierend auf der Übernahme von Teil- bzw. Gesamtkontrolle durch das System. In der Europäischen Union und Deutschland bildet diese Typisierung die Grundlage der Gesetzgebung. Rechtlich von besonderer Relevanz sind Systeme der Stufen 3 bis 5, ab denen Fahrzeuge die Fahraufgabe ganz oder vollständig übernehmen.


Nationale Gesetzgebung zum Autonomen Fahren (Deutschland)

Straßenverkehrsgesetz (StVG)

Bereits 2017 hat Deutschland als erstes Land weltweit mit dem „Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes“ Rahmenbedingungen für den Betrieb hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge geschaffen. Im StVG (§ 1a ff.) wird geregelt, unter welchen Voraussetzungen technische Systeme die Fahraufgabe übernehmen dürfen, welche Pflichten verbleibenden menschlichen „Fahrern“ zufallen und wie mit Systemübernahmen und -übergaben zu verfahren ist.

Die 2021 in Kraft getretenen Änderungen ermöglichen den Regelbetrieb von autonomen Fahrzeugen der Stufe 4 im öffentlichen Straßenverkehr (§ 1f StVG). Damit werden Voraussetzungen für Betrieb, Aufsicht und Haftung geschaffen.

Fahrerlaubnisrecht

Nach gegenwärtigem Stand bleibt stets ein Mensch als verantwortliche „führende Person“ erforderlich, außer bei höchstem Automatisierungsgrad 5. Die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) wurde um Regelungen zur Übernahme sowie zur Rückgabe der Steuerung an das Fahrzeug ergänzt.


Europäische und Internationale Rechtsrahmen

Wien­er Übereinkommen über den Straßenverkehr

Das Wiener Übereinkommen von 1968 sah ursprünglich vor, dass Fahrzeuge stets unter menschlicher Kontrolle stehen müssen. Eine Änderung 2016 öffnete den Weg für Systeme, wenn diese jederzeit abgeschaltet oder vom Fahrer übersteuert werden können. Die Anpassung der nationalen Gesetzgebung erfolgte daraufhin anhand dieser Grundsätze.

UNECE-Regulierung

Die Wirtschaftskommission für Europa beim UN (UNECE) hat technische Regelwerke (z. B. UN-Regelung Nr. 157 zum Automatisierten Spurhaltesystem – ALKS) verabschiedet, die Voraussetzung für nationale Genehmigungen und Typenzulassungen sind. Diese harmonisieren technische Mindestanforderungen, Sicherheitsanforderungen und Prüfverfahren auf internationaler Ebene.


Haftung und Schadensregulierung beim Autonomen Fahren

Delikts- und Gefährdungshaftung

Im deutschen Recht ist nach StVG grundsätzlich Halterhaftung die Haftungsgrundlage bei Unfällen. Die Besonderheit autonomer Systeme erfordert, Haftung für Fehler des automatisierten Systems (z.B. Softwarefehler, Sensorausfälle) und für Versäumnisse des Systemaufsichtsführenden voneinander abzugrenzen. § 1a Abs. 2 StVG stellt die Gleichrangigkeit des menschlichen und des automatisierten Systems bei der Betriebsbereitschaft sicher.

Im Schadensfall greifen weiterhin die Gefährdungshaftung des Halters (§ 7 StVG) sowie eventuell eine Haftung des Herstellers (Produkthaftungsgesetz).

Produkthaftung

Autonome Fahrzeuge sind als Produkte im Sinne des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) einzustufen. Haftungsfragen richten sich daher auch danach, ob ein technischer Defekt, ein Softwarefehler oder ein Bedienfehler der verantwortlichen Person zum Unfall geführt hat. Hersteller müssen nachweislich sicherstellen, dass Systeme bei ordnungsgemäßem Gebrauch keine Gefahr für Dritte darstellen.

Versicherungsrechtliche Aspekte

Die Kfz-Pflichtversicherung greift weiterhin primär. Zusätzliche Anforderungen resultieren daraus, dass sich schuldhafte und nicht-schuldhafte (z. B. Systemausfall) Unfallszenarien zuordnen lassen müssen. Möglicherweise entstehen neue Versicherungsprodukte oder Regulierungsmodelle zur Deckung von Schäden, die auf autonome Fahrsysteme zurückzuführen sind.


Datenschutzrechtliche Anforderungen

Verarbeitung von personenbezogenen Daten

Autonome Fahrzeuge erheben und verarbeiten umfangreiche personenbezogene Daten (z. B. Standortdaten, Fahrdaten, Videoaufnahmen). Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist daher anwendbar. Betreiber und Hersteller müssen Informationen bereitstellen, datenschutzfreundliche Technik gestalten (privacy by design) und die Betroffenenrechte sicherstellen.

Speicherung und Zugriff auf Fahrzeugdaten

Das StVG verpflichtet zum Einbau sog. Black-Box-Systeme (§ 63a StVG), welche Betriebs-, Steuerungs- und Eingriffsprotokolle datenschutzkonform speichern. Gesetzlich ist geregelt, wer wann und zu welchem Zweck Zugriff auf diese Daten erlangen darf, etwa zu Beweiszwecken im Haftungsfall.


Aufsicht und Betriebserlaubnis von autonomen Fahrzeugen

Technische Zulassung

Die Zulassung von autonomen Fahrzeugen unterliegt strengen Prüfungs- und Genehmigungsverfahren, gestützt auf nationale und internationale technische Vorschriften (z.B. UN ECE-R 157). Technische Aufsichtsbehörden kontrollieren die Erfüllung der Anforderungen an Fahrzeugsicherheit, Systemverfügbarkeit sowie IT- und Cybersicherheit.

Aufsichtspflicht der Systemüberwachung

Für Fahrzeuge des SAE-Level 4 muss eine „technische Aufsicht“ benannt sein, die im Notfall jederzeit eingreifen kann. Diese Aufsicht ist rechtlich mit Aufgaben, Kompetenzen und Pflichten ausgestattet und haftet gegebenenfalls für Versäumnisse.


Strafrechtliche Implikationen im Kontext Autonomes Fahren

Bei Verkehrsverstößen durch autonome Fahrzeuge stellt sich die Frage nach strafrechtlicher Verantwortlichkeit. Wird eine ordnungswidrige oder strafbare Handlung durch einen Systemfehler verursacht, stehen neben dem Fahrzeugführenden u.U. auch der Hersteller und Betreiber im Fokus strafrechtlicher Ermittlungen. Eine individuelle Verantwortbarkeit kann an die Systemaufsicht oder ggf. an Zulieferer entlang der Lieferkette geknüpft werden.


Zukunftsperspektiven und Weiterentwicklung des Rechtsrahmens

Autonomes Fahren fordert kontinuierliche Weiterentwicklung der gesetzlichen Vorgaben. Internationale und europäische Institutionen arbeiten an weiteren Harmonisierungsschritten (z. B. EU-Verordnungen zu Künstlicher Intelligenz und Produkthaftung), während nationale Gesetzgeber verfahrensrechtliche und technische Anpassungen fortlaufend nachjustieren. Die zukünftige Rechtsetzung wird sich vermehrt auf Haftungsklarheit, Datenschutz und Sicherheit autonomer Systeme fokussieren.


Fazit

Autonomes Fahren stellt den Gesetzgeber und die Rechtsprechung vor komplexe Herausforderungen. Die derzeitigen Regelungen im nationalen, europäischen und internationalen Kontext bieten ein umfassendes, jedoch dynamisch entwickelndes Regelwerk, das sämtliche relevanten Aspekte von Zulassung, Haftung, Datenschutz und Versicherung erfasst. Die kontinuierliche Evaluation und Anpassung dieses Rahmens werden die sichere und verantwortungsvolle Integration autonomer Systeme in den Straßenverkehr langfristig gewährleisten.

Häufig gestellte Fragen

Wer haftet bei einem Unfall mit einem autonomen Fahrzeug?

Im rechtlichen Kontext stellt sich bei einem Unfall mit einem autonomen Fahrzeug die Haftungsfrage häufig komplexer dar als bei herkömmlichen Kraftfahrzeugen. Grundsätzlich ist in Deutschland das Straßenverkehrsgesetz (StVG) maßgeblich, das eine Gefährdungshaftung des Halters nach § 7 StVG vorsieht. Demnach haftet zunächst der Halter des Fahrzeugs, unabhängig vom Verschulden, für Schäden, die durch den Betrieb des Fahrzeugs entstanden sind. Da autonome Fahrzeuge eine spezielle Technik nutzen, wirkt sich diese Technik auch auf die Haftungsverteilung aus. Neben der Halterhaftung können bei technischen Defekten oder Fehlfunktionen des Fahrzeugs auch Ansprüche aus Produkthaftung gemäß dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) gegen den Hersteller in Betracht kommen. Außerdem sieht die Straßenverkehrsordnung (StVO) vor, dass der jeweilige „Fahrzeugführer“ – je nach Automatisierungsgrad kann das auch der Nutzer sein – verpflichtet ist, die Kontrolle zurückzugewinnen, wenn das System dazu auffordert. Entsteht also ein Unfall, weil der Nutzer einer Aufforderung nicht nachkommt, bleibt auch eine Mitschuld möglich. Die rechtliche Bewertung ist stets im Einzelfall unter Berücksichtigung von Verschulden, technischen Fehlern und der Interaktion zwischen Fahrer und System vorzunehmen.

Inwieweit dürfen autonome Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt werden?

Autonome Fahrzeuge dürfen in Deutschland seit Inkrafttreten des Gesetzes zum autonomen Fahren am 21. Juli 2021 unter bestimmten Voraussetzungen am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen. Dabei regelt § 1e StVG, dass ausschließlich sogenannte „autonome Fahrzeuge“ der Stufe 4 (vollautomatisierte Systeme mit Kontrollrückfalloption für eine technische Aufsicht) im Rahmen festgelegter Betriebsbereiche und nach amtlicher Genehmigung eingesetzt werden dürfen. Die Fahrzeuge müssen mit einer technischen Aufsicht verbunden sein, die jederzeit aus der Ferne eingreifen und das Fahrzeug stoppen kann. Darüber hinaus sind für den Betrieb zahlreiche technische und organisatorische Bedingungen einzuhalten, darunter kontinuierliche Überwachung, Datenaufzeichnung und Sicherheitsanforderungen an die IT-Infrastruktur. Der Einsatz außerhalb des gesetzlich definierten Rahmens, beispielsweise auf der Autobahn ohne technische Aufsicht, ist bislang rechtlich unzulässig.

Welche Rolle spielt der Datenschutz beim autonomen Fahren?

Im Kontext des autonomen Fahrens sind datenschutzrechtliche Anforderungen von zentraler Bedeutung. Autonome Fahrzeuge erheben und verarbeiten im Betrieb eine erhebliche Menge personenbezogener Daten, darunter Standortdaten, Bewegungsprofile sowie gegebenenfalls Videodaten der Fahrzeuginsassen und des Verkehrsraums. Diese Verarbeitung unterliegt den Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Hersteller und Betreiber müssen den Grundsatz der Datenminimierung beachten, geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zur Sicherung der Daten treffen und Betroffene über Art, Umfang und Zweck der Datenverarbeitung informieren. Zudem unterliegen insbesondere die Blackbox-Daten (Unfalldatenerhebung) besonderen Zugriffs- und Auskunftsbeschränkungen. Die Einwilligung der betroffenen Personen ist in vielen Fällen unumgänglich, es sei denn, es liegen zwingende gesetzliche Erlaubnistatbestände vor, wie sie etwa für die Unfallaufklärung vorgesehen sind.

Wie werden Verstöße gegen Verkehrsregeln durch autonome Fahrzeuge geahndet?

Bei Ordnungswidrigkeiten oder Verkehrsverstößen, die durch ein autonomes Fahrzeug begangen werden, stellt sich die Frage nach dem verantwortlichen Adressaten der Sanktion. Rechtlich betrachtet bleibt die Halterhaftung nach § 25a StVG bestehen: Kann der tatsächliche Fahrer, also bei vollautonomen Fahrten meist die technische Aufsicht oder der Nutzer, nicht ermittelt werden, wird der Halter zur Verantwortung gezogen. Bei nachweisbar systembedingten Verstößen kann eine Verlagerung auf den Hersteller – im Sinne einer produkthaftungsrechtlichen Verantwortung – möglich sein. Bußgelder, Punkte oder Fahrverbote können jedoch nur gegen natürliche Personen verhängt werden, sodass die technische Aufsicht in ihrer Überwachungsrolle zunehmend in den Fokus rückt. Für Verstöße, die auf Softwarefehler oder eine unsachgemäße Konfiguration zurückzuführen sind, wäre begleitend eine Haftung des Systembetreibers oder Herstellers auf dem Zivilrechtsweg denkbar.

Welche Besonderheiten gelten beim internationalen Einsatz autonomer Fahrzeuge?

Beim grenzüberschreitenden Einsatz autonomer Fahrzeuge ergeben sich zahlreiche rechtliche Herausforderungen aus dem Umstand, dass Verkehrsrecht im Wesentlichen national geregelt ist. Während in der EU Harmonisierungstendenzen durch UN/ECE-Regelungen und die EU-Verkehrssicherheitsgesetzgebung bestehen, unterscheiden sich die Zulassungsanforderungen, Betriebserlaubnisse und Haftungsvorschriften teils erheblich. Für den Betrieb eines autonomen Fahrzeugs in einem anderen Land ist daher zu prüfen, ob die nationale Rechtsordnung den Einsatz der jeweiligen Automatisierungsstufe zulässt und ob das Fahrzeug die technischen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt. Zusätzlich ist zu beachten, dass die Anerkennung von Testlizenzen und Betriebserlaubnissen nicht automatisch grenzüberschreitend erfolgt und dass die Versicherung den Risikotransfer in andere Rechtsräume explizit abdecken muss.

Welche Rechte und Pflichten haben Nutzer autonomer Fahrzeuge im Schadensfall?

Nutzer von autonomen Fahrzeugen sind verpflichtet, sich vor Fahrtantritt über ihre spezifischen Rechte und Pflichten zu informieren. Im Schadensfall müssen sie, wie bei konventionellen Fahrzeugen, umgehend den Unfall melden, die erforderlichen Angaben machen und gegebenenfalls Beweise sichern. Besonderheiten ergeben sich daraus, dass Nutzer bei bestimmten Systemstufen verpflichtet sein können, Kontrolle über das Fahrzeug zurückzuerlangen, wenn das autonome System dazu auffordert (Mensch-Maschine-Interaktion). Gelingt dies nicht oder wird die Aufforderung missachtet, kann eine Mitverantwortung entstehen. Auch sind Nutzer verpflichtet, technische Störungen unverzüglich zu melden und nicht mit erkennbar fehlerhaften Systemen zu fahren. Hinsichtlich der Datenweitergabe zur Unfallanalyse trifft die Nutzer eine Mitwirkungspflicht, um den Unfallhergang nachvollziehbar zu dokumentieren. Dabei sind zugleich die Betroffenenrechte nach DSGVO zu wahren.

Welche regulatorischen Vorgaben bestehen für Hersteller und Betreiber autonomer Fahrzeuge?

Hersteller und Betreiber müssen umfangreiche regulatorische Anforderungen erfüllen, bevor autonome Fahrzeuge am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen dürfen. Dies umfasst vor allem die Einhaltung von Typgenehmigungsprozessen nach der Verordnung (EU) 2018/858, technische Überwachungsmaßnahmen nach § 1d ff. StVG sowie Zertifizierungen gemäß einschlägiger UN/ECE-Regelungen (wie UN/ECE R155 zur IT-Sicherheit und R156 zur Software-Updates). Betreiber sind verpflichtet, eine technische Aufsicht zu gewährleisten, die jederzeit auf das Fahrzeug zugreifen kann, kontinuierliche Systemupdates sicherzustellen sowie ein Krisen- und Meldemanagement bei Systemausfällen zu implementieren. Ferner haben sie Vorkehrungen zur Cybersicherheit zu treffen und müssen Prozesse zur Erkennung, Bewertung und Meldung neuer Risiken etablieren. Hersteller trifft zudem die Pflicht zur Datenaufzeichnung und zur Bereitstellung von Schnittstellen für staatliche Untersuchungen. Die Nichteinhaltung kann zu behördlichen Stilllegungen, Strafzahlungen oder zum Entzug der Betriebserlaubnis führen.