Automatische Kennzeichenerfassung
Definition und Funktionsweise
Die Automatische Kennzeichenerfassung (auch: Automatic Number Plate Recognition, ANPR; oder Kennzeichenlesesysteme, KLES) bezeichnet technische Systeme, die mittels optischer Zeichenerkennung die Kennzeichen von Kraftfahrzeugen erfassen, auswerten und speichern. Grundlage dieser Systeme ist typischerweise eine Kombination aus digitaler Kamera, Software zur Texterkennung (Optical Character Recognition, OCR) sowie Datenverarbeitungseinheiten, die die erfassten Kennzeichen mit vorhandenen Datensätzen, beispielsweise polizeilichen Fahndungsdaten, abgleichen.
Die Anwendung der automatischen Kennzeichenerfassung findet vor allem im Bereich der Verkehrsüberwachung, Strafverfolgung, Mauterhebung, Zugangskontrolle sowie bei der Gefahrenabwehr statt. Kennzeichenerfassungssysteme können sowohl stationär als auch mobil, temporär oder dauerhaft installiert werden.
Rechtliche Grundlagen der automatischen Kennzeichenerfassung in Deutschland
Verfassungsrechtliche Einordnung
Die automatische Kennzeichenerfassung berührt in besonderem Maße Grundrechte, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ableitet. Darüber hinaus sind das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht auf Datenschutz sowie Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) einschlägig, sofern entsprechende Erfassungen in privaten Bereichen erfolgen.
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Beschluss vom 11. März 2008 (1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07) die automatisierte Kennzeichenerfassung überprüft. Der Einsatz solcher Systeme bedarf einer gesetzlichen Grundlage und muss die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit und Normenklarheit beachten. Ein Abgleich der Daten mit Fahndungsdateien ist demzufolge nur zulässig, wenn hinreichend konkrete Gefahrenlagen oder Tatverdachtsmomente bestehen.
Einfachgesetzliche Regelungen
Polizeigesetze der Bundesländer
Die Regelungen zur automatischen Kennzeichenerfassung sind in Deutschland überwiegend in die Polizeigesetze der Länder aufgenommen worden. Die Zulässigkeit, der Umfang der Datenerhebung, -speicherung und -verarbeitung sind im Detail unterschiedlich geregelt. Wesentliche Aspekte sind:
- Voraussetzungen des Einsatzes: Der Einsatz für Zwecke der Gefahrenabwehr ist typischerweise an das Vorliegen einer konkreten Gefahr gebunden.
- Befugnisnormen: Es müssen spezifische gesetzliche Befugnisnormen bestehen, die Art, Umfang und Zweck der Erhebung sowie Speicherung und Nutzung der Daten klar regeln.
- Speicherdauer und Löschungsverpflichtung: Für die Speicherung der erhobenen Daten gelten strikte Löschungsfristen, nur bei positiven Treffern („Hits“) innerhalb der Fahndungsdatenbanken dürfen die Daten weiterverarbeitet werden.
Strafprozessordnung und Bundespolizeigesetz
Im Bereich der Strafverfolgung ist in § 163f der Strafprozessordnung (StPO) die automatische Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen geregelt. Auch das Bundespolizeigesetz (§ 27a BPolG) regelt den Einsatz solcher Systeme beispielsweise zur Abwehr von Gefahren für bedeutende Rechtsgüter oder zur Überwachung bestimmter Einrichtungen und Verkehrswege.
Datenschutzrechtliche Vorgaben
Die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der Kennzeichenerfassung unterliegt der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie den spezifischen Datenschutzgesetzen des Bundes und der Länder. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Prinzipien der Zweckbindung, Datenminimierung sowie Transparenz der Verarbeitung.
Umfang und Grenzen der Datenverarbeitung
Zweckbindung und Verhältnismäßigkeit
Die automatisierte Erhebung und Verarbeitung von Kfz-Kennzeichen bedarf einer klaren Zweckbestimmung. Die Daten dürfen ausschließlich für den gesetzlich vorgesehenen Zweck genutzt werden, insbesondere zur Gefahrenabwehr, Fahndung oder Verkehrssteuerung. Maßnahmen zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit müssen stets gewährleistet sein. Dies bedeutet, dass der Grundrechtseingriff durch die Kennzeichenerfassung nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen darf.
Löschungspflichten, Transparenz und Betroffenenrechte
Die erhobenen Kennzeichendaten sind unverzüglich zu löschen, sofern sie keinen sogenannten „Treffer“ ergeben. Betroffene Personen haben ein Auskunftsrecht über die zu ihrer Person gespeicherten Daten, soweit dies nicht die Zwecke der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung gefährdet.
Einsatzbereiche der automatischen Kennzeichenerfassung
Polizeiliche Nutzung
Die automatische Kennzeichenerfassung dient der polizeilichen Kontrolle und Fahndung, beispielsweise zur Ermittlung gestohlener Fahrzeuge, zur Überwachung von Fahrzeugen in Verbindung mit schweren Straftaten oder zur Identifikation von Fahrzeugen in Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung.
Verkehrs- und Parkraumüberwachung
Auch außerhalb von Sicherheitsbehörden wird die automatische Kennzeichenerfassung eingesetzt, wie etwa zur Überwachung von Zufahrten, bei der Kontrolle der Parkberechtigung oder im Mautwesen.
Rechtsfolgen bei unzulässigem Einsatz
Ein Verstoß gegen die Vorgaben zur automatischen Kennzeichenerfassung kann zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führen. Betroffenen stehen Unterlassungs-, Beseitigungs- sowie gegebenenfalls Schadensersatzansprüche zu. Darüber hinaus können daraus resultierende Beweismittel im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.
Entwicklung und Perspektiven
Mit der zunehmenden Digitalisierung und Technologisierung entwickelt sich auch die automatische Kennzeichenerfassung fortlaufend weiter. Dies hat insbesondere rechtspolitische Diskussionen über die Vereinbarkeit mit grundrechtlichen Anforderungen und die Notwendigkeit einer ständigen Anpassung der gesetzlichen Grundlagen zur Folge.
Literatur und Weblinks
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. März 2008 – 1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07
Polizeigesetze der Bundesländer (z. B. Art. 39 Bayerisches Polizeiaufgabengesetz)
§ 163f Strafprozessordnung (StPO)
§ 27a Bundespolizeigesetz (BPolG)
* Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)
Automatische Kennzeichenerfassung stellt ein technisch fortschrittliches, jedoch rechtlich äußerst sensibles Instrument dar, dessen Einsatz an strenge gesetzliche Vorgaben gebunden ist und einer fortlaufenden Überprüfung unterliegt.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen regeln die automatische Kennzeichenerfassung in Deutschland?
Die automatische Kennzeichenerfassung (AKE) ist in Deutschland insbesondere durch das Polizeirecht der Länder und das Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) geregelt. Die wichtigsten rechtlichen Grundlagen finden sich in den jeweiligen Polizeigesetzen der Bundesländer, die den Zweck, die Voraussetzungen, die Dauer und den Umfang der AKE bestimmen. Die Erhebung und Verarbeitung von Kfz-Kennzeichen greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein, weshalb der Gesetzgeber präzise und verhältnismäßige Regelungen treffen muss. Darüber hinaus greifen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) sowie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die die Verarbeitung personenbezogener Daten nur im Rahmen gesetzlicher Befugnisse erlauben. Die Rechtsprechung, namentlich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), hat hohe Hürden für die Zulässigkeit der AKE aufgestellt: Es muss ein hinreichend gewichtiger Anlass vorliegen, und die Maßnahme muss verhältnismäßig sein. Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr oder das Vorliegen besonders bedeutsamer Rechtsgüter sind hierbei maßgeblich. Die anlasslose, flächendeckende Erfassung ist regelmäßig unzulässig.
Unter welchen Voraussetzungen dürfen Polizeibehörden die automatische Kennzeichenerfassung einsetzen?
Die Voraussetzungen für den polizeilichen Einsatz automatischer Kennzeichenerfassung variieren je nach Bundesland und Anwendungsfall, sind jedoch grundsätzlich an hohe rechtliche Hürden geknüpft. Zulässig ist die Maßnahme meist nur zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten. Hierzu muss entweder eine konkrete Gefahr für bedeutende Rechtsgüter (wie Leib, Leben oder Freiheit einer Person, Bestand des Staates oder erhebliche Sachwerte) vorliegen oder es muss im Rahmen der Strafverfolgung um die Bekämpfung von besonders schwerer Kriminalität gehen. Die Polizei darf Kennzeichen nicht unbegrenzt oder zur allgemeinen Verkehrsüberwachung erfassen, sondern muss jede Maßnahme dokumentieren, begründen und zeitlich sowie räumlich begrenzen. Regelmäßig muss zudem ein konkreter, im Gesetz festgelegter Zweck angegeben werden, beispielsweise die Fahndung nach gestohlenen Fahrzeugen oder die Suche nach Straftätern.
Welche datenschutzrechtlichen Anforderungen sind bei der automatischen Kennzeichenerfassung zu beachten?
Datenschutzrechtlich ist bei der AKE zu berücksichtigen, dass Kfz-Kennzeichen grundsätzlich als personenbezogene Daten gelten, sofern sie Rückschlüsse auf bestimmte oder bestimmbare Personen zulassen. Nach der DSGVO und dem BDSG dürfen solche Daten nur erhoben, gespeichert und verarbeitet werden, wenn hierfür eine gesetzliche oder vertragliche Grundlage existiert oder eine Einwilligung des Betroffenen vorliegt. Bei der polizeilichen Kennzeichenerfassung bilden spezielle Erlaubnistatbestände die rechtliche Grundlage. Zudem müssen Grundsätze wie Datenminimierung, Zweckbindung, Transparenz und Integrität gewährleistet werden: Es darf nur das zur Zweckerreichung erforderliche Mindestmaß an Daten verarbeitet werden, und nicht mehr benötigte oder nicht passende Daten (z.B. Kennzeichen ohne Fahndungstreffer) sind umgehend und vollständig zu löschen. Zudem schreibt das Datenschutzrecht technische und organisatorische Maßnahmen vor, um unbefugte Zugriffe, Manipulationen oder Weitergaben zu verhindern. Betroffene müssen in der Regel informiert werden, sofern die Information nicht den Zweck der Maßnahme gefährden würde.
Welche Rechte stehen Betroffenen im Zusammenhang mit der automatischen Kennzeichenerfassung zu?
Betroffene Personen haben gemäß DSGVO und Art. 19 ff. BDSG umfassende Rechte hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Angaben aus automatischer Kennzeichenerfassung. Hierzu zählen insbesondere das Recht auf Auskunft (Art. 15 DSGVO), das Recht auf Berichtigung (Art. 16 DSGVO), das Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“ gemäß Art. 17 DSGVO) und das Recht auf Widerspruch gegen die Verarbeitung (Art. 21 DSGVO). Die Auskunftspflicht der Behörde besteht jedoch nur eingeschränkt, wenn durch die Auskunft die öffentliche Sicherheit oder laufende Ermittlungen gefährdet würden. Bei unrechtmäßiger Speicherung besteht ein Anspruch auf Löschung oder Sperrung der Daten. Zudem können Betroffene sich bei vermuteten Datenschutzverletzungen an die zuständige Datenschutzbehörde wenden. Die Behörden sind verpflichtet, entsprechende Anträge zeitnah zu bearbeiten und über die getroffenen Maßnahmen zu informieren.
Wie lange dürfen Daten aus der automatischen Kennzeichenerfassung gespeichert werden?
Nach den polizeirechtlichen und datenschutzrechtlichen Vorgaben ist eine Speicherung von Daten aus der AKE nur so lange zulässig, wie es für die Erfüllung des vorgesehenen Zwecks erforderlich ist. Daten von Fahrzeugen, die keinen Treffer bei der Fahndungsabfrage ergeben, sind in der Regel unverzüglich, spätestens jedoch nach wenigen Sekunden oder Minuten, automatisiert zu löschen. Nur im Fall eines Treffers dürfen die relevanten Daten in einem polizeilichen Informationssystem gespeichert und für die weitere Bearbeitung genutzt werden. Die jeweiligen Löschfristen ergeben sich aus den spezialgesetzlichen Vorschriften der Polizeigesetze der Länder sowie den einschlägigen Regelungen des Datenschutzrechts. Eine darüber hinausgehende Archivierung, Weiterverwendung oder Nutzung für andere Zwecke ist unzulässig und stellt einen Verstoß gegen das Prinzip der Zweckbindung dar.
Kann die automatische Kennzeichenerfassung auch im Rahmen privater Videoüberwachung zulässig sein?
Im privaten Bereich, etwa auf Firmengeländen, Parkplätzen oder in Parkhäusern, gelten auch für die automatische Kennzeichenerfassung strenge datenschutzrechtliche Anforderungen. Hier ist insbesondere auf die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung gemäß Art. 6 DSGVO zu achten. Eine automatisierte Erfassung und Auswertung von Kennzeichen ist in der Regel nur rechtmäßig, wenn ein berechtigtes Interesse des Betreibers besteht und die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der Betroffenen nicht überwiegen. Zudem muss die Videoüberwachung klar erkennbar sein, und Betroffene müssen über die Datenverarbeitung informiert werden. Darüber hinaus sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung alternative, weniger eingriffsintensive Möglichkeiten zu erwägen, bevor zur AKE gegriffen wird. Auch hier gilt: Eine Speicherung darüber hinaus ist nur zulässig, soweit sie für die Erfüllung des jeweiligen Zwecks erforderlich und mit den Betroffenenrechten vereinbar ist.
Welche Sanktionen drohen bei Verstößen gegen die rechtlichen Vorgaben zur automatischen Kennzeichenerfassung?
Verstöße gegen die datenschutzrechtlichen oder spezialgesetzlichen Vorgaben zur automatischen Kennzeichenerfassung können teils erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Behörden oder private Akteure, die Daten unzulässig speichern, verarbeiten oder nicht zeitnah löschen, drohen nach der DSGVO Bußgelder von bis zu 20 Millionen Euro oder bis zu 4 % des gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes eines Unternehmens. Darüber hinaus können geschädigte Betroffene zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz geltend machen. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen durch Behörden kann dies auch disziplinarrechtliche Folgen für die verantwortlichen Personen haben. Nicht zuletzt kann eine rechtswidrige Datenverarbeitung die Unverwertbarkeit der gewonnenen Informationen im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren nach sich ziehen, was die Wirksamkeit polizeilicher Maßnahmen erheblich beeinträchtigen kann.