Definition und Rechtsgrundlagen der Aussetzungszinsen
Aussetzungszinsen sind im deutschen Steuerrecht ein zentraler Begriff, der vorrangig im Zusammenhang mit der Aussetzung der Vollziehung von Verwaltungsakten, insbesondere Steuerbescheiden, anzutreffen ist. Der Begriff bezeichnet die Zinsen, die von Steuerpflichtigen auf Rückstände zu entrichten sind, wenn ein Steuerbetrag aufgrund einer gerichtlich oder behördlich gewährten Aussetzung der Vollziehung nicht fristgerecht gezahlt wurde und sich im Nachhinein die Rechtmäßigkeit dieses Steuerbescheids bestätigt.
Gesetzliche Grundlage
Die rechtliche Grundlage für Aussetzungszinsen findet sich in § 237 der Abgabenordnung (AO). Diese Vorschrift normiert sowohl die Entstehung als auch die Berechnung und die Grundsätze zur Erhebung der Zinsen bei der Aussetzung der Vollziehung sowie für den Zeitraum, in dem die Steuer nicht entrichtet wurde.
Voraussetzungen und Anwendungsbereich der Aussetzungszinsen
Anlass der Aussetzung der Vollziehung
Steuerpflichtige können gemäß § 361 AO oder § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beantragen, dass die Vollziehung eines Steuerbescheids bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheids ausgesetzt wird. Dies geschieht insbesondere bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheids oder bei unbilliger Härte. Im Falle der Aussetzung kann die streitige Steuerforderung vorübergehend nicht durchgesetzt werden.
Entstehung der Aussetzungszinsen
Werden nach Abschluss des Rechtsmittels die Beträge, deren Zahlung aufgeschoben wurde, ganz oder teilweise bestandskräftig, so entsteht für den ausgesetzten Betrag rückwirkend eine Zinsverpflichtung. § 237 Abs. 1 AO regelt, dass der Steuerpflichtige für den Zeitraum, in dem die Zahlung aufgrund der Aussetzung gestundet wurde, Aussetzungszinsen in Höhe von 0,5 % für jeden vollen Monat des ausgesetzten Betrags zu zahlen hat.
Umfang der Zinsbelastung
Aussetzungszinsen fallen auf folgende Beträge an:
- auf festgesetzte Steuern
- auf Steuererstattungen, die infolge einer Aussetzung zu Unrecht erhalten wurden
Die Zinspflicht besteht grundsätzlich nur insoweit, als sich nach Abschluss des Rechtsbehelfs herausstellt, dass die angefochtene Steuerforderung materiell-rechtlich zu Recht bestand.
Berechnung und Erhebung der Aussetzungszinsen
Zinslauf und Zinsberechnung
Der Zinslauf beginnt am Tag, der auf den Zahlungstag folgt, ab dem die Steuer ohne Aussetzung hätte bezahlt werden müssen (in der Regel der Tag nach dem Fälligkeitstermin). Das Ende der Verzinsung ist der Tag der Zahlung der Steuer oder – falls die Steuer durch Aufrechnung oder andere Erfüllungsweisen beglichen wird – der Tag der Erfüllung.
Beispielhafte Berechnung:
Wird ein Steuerbetrag von 10.000 € für sechs Monate ausgesetzter Vollziehung verzinst, fallen Aussetzungszinsen in Höhe von (10.000 € x 0,5 % x 6 Monate =) 300 € an.
Abweichende Regelungen
Im Gegensatz zu Nachzahlungszinsen nach § 233a AO werden Aussetzungszinsen nicht angerechnet, sondern vollständig zusätzlich erhoben. Das bedeutet, dass eine doppelte Zinsbelastung möglich ist, falls beispielsweise Vor- und Nachzahlungszinsen für den gleichen Zeitraum entstehen.
Festsetzungsfrist
Die Festsetzung der Aussetzungszinsen unterliegt generell der vierjährigen Festsetzungsverjährungsfrist gemäß § 239 AO, beginnend mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die angefochtene Steuer bestandskräftig geworden ist.
Verfahrensrechtliche Aspekte der Aussetzungszinsen
Rechtsbehelf gegen Zinsfestsetzung
Gegen die Festsetzung von Aussetzungszinsen kann der Steuerpflichtige nach allgemeinen Grundsätzen Einspruch einlegen. Die sachliche Prüfung des Einspruchs erfolgt im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Hauptforderung sowie die korrekte Anwendung des § 237 AO.
Rechtsschutzmöglichkeiten
Ergeben sich Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit der Berechnung, dem Zinslauf oder der zugrunde liegenden Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung, besteht die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung durch das Finanzgericht.
Rechtliche Besonderheiten und Abgrenzungen
Unterschied zu anderen Zinsarten
Es ist rechtlich zu unterscheiden zwischen Aussetzungszinsen (§ 237 AO), Nachzahlungszinsen (§ 233a AO), Säumniszuschlägen (§ 240 AO) sowie Stundungszinsen (§ 234 AO). Aussetzungszinsen sind ausschließlich mit der Aussetzung der Vollziehung verknüpft und haben den Zweck, den Zinsvorteil der verspäteten Steuerzahlung auszugleichen.
Billigkeit und Ermessensentscheidungen
Das Finanzamt kann in Einzelfällen gemäß § 227 AO auf Antrag die Aussetzungszinsen aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise erlassen. Hierfür müssen atypische Sachverhalte oder sonstige unzumutbare Härten vorliegen. Die Billigkeitsregelung wird restriktiv angewendet.
Praxisrelevanz und Bedeutung
Aussetzungszinsen stellen ein bedeutendes Sicherungsinstrument für die Finanzverwaltung dar, um einen Gleichlauf zwischen dem Zinsaufwand für den Fiskus und den Zinsvorteil des Steuerpflichtigen herzustellen. Für Steuerpflichtige ist es im Rahmen von Einspruchs- und Klageverfahren von erheblicher Bedeutung, die möglichen Zinsfolgen bei Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung zu berücksichtigen, da eine spätere Zinslast drohen kann, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestätigt wird.
Literaturhinweise und weiterführende Links
- Abgabenordnung (AO), insbesondere § 237, § 361
- Finanzgerichtsordnung (FGO), insbesondere § 69
- Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 237
- Kommentierungen in einschlägigen Steuerrechtskommentaren (z. B. Tipke/Kruse)
Hinweis: Die Ausführungen zu Aussetzungszinsen basieren auf derzeitiger Rechtslage und fachlicher Literatur bis 2024. Änderungen in der steuerrechtlichen Gesetzgebung können Auswirkungen auf die dargestellten Grundsätze haben.
Häufig gestellte Fragen
In welchen Fällen entstehen Aussetzungszinsen?
Aussetzungszinsen entstehen im steuerrechtlichen Kontext immer dann, wenn die Vollziehung eines Steuerbescheides durch Antrag ausgesetzt wird und sich nach Abschluss des Einspruchs- oder Klageverfahrens herausstellt, dass die ausgesetzte Steuer letztlich doch zu zahlen ist. Die Zinsentstehung ist gesetzlich in § 237 Abgabenordnung (AO) geregelt. Typischerweise beantragen Steuerpflichtige die Aussetzung der Vollziehung (AdV), wenn sie gegen einen Steuerbescheid Einspruch einlegen und gleichzeitig vermeiden möchten, vorerst die festgesetzte Steuer zahlen zu müssen. Nach Abschluss des Verfahrens wird geprüft, ob die ausgesetzte Steuer ganz oder teilweise zu Unrecht nicht gezahlt wurde. Ist dies der Fall, entsteht auf den ausgesetzten Betrag eine Zinsverpflichtung für den Zeitraum der Aussetzung, es sei denn, das Einspruchs- oder Klageverfahren führt zur Aufhebung oder Minderung der Steuer. Aussetzungszinsen dienen somit als Ausgleich dafür, dass das Finanzamt aufgrund der ausgesetzten Zahlung über einen bestimmten Zeitraum nicht über die Steuer verfügen konnte.
Wer ist zur Zahlung von Aussetzungszinsen verpflichtet?
Zur Zahlung von Aussetzungszinsen ist grundsätzlich derjenige verpflichtet, der eine Aussetzung der Vollziehung beantragt hat und bei dem sich im Nachhinein herausstellt, dass der angefochtene Steuerbescheid rechtmäßig war oder zumindest teilweise Bestand hat. Aussetzungszinsen können gleichermaßen gegen natürliche wie juristische Personen festgesetzt werden, sofern sie Verfahrensbeteiligte und Schuldner der ausgesetzten Steuerforderung sind. Zu beachten ist, dass die persönliche Zinsverpflichtung nicht auf Dritte übertragen werden kann. Bei zusammenveranlagten Ehegatten haften beide gesamtschuldnerisch. Die Zahlungspflicht entsteht unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige die tatsächliche Zahlung der ausgesetzten Steuerforderung vorgenommen oder vermieden hat – entscheidend ist allein der rechtliche Ausgang des Verfahrens.
Ab welchem Zeitpunkt werden Aussetzungszinsen berechnet?
Die Berechnung der Aussetzungszinsen erfolgt gemäß § 237 Abs. 2 AO konkreten gesetzlichen Vorgaben. Der Zinslauf beginnt grundsätzlich mit dem Tag, an dem die ausgesetzte Steuerzahlung fällig gewesen wäre. Das Ende des Zinslaufes ist der Tag, an dem die Aussetzung der Vollziehung entweder durch Zahlung oder durch eine andere Erledigung der Steuerschuld endet, spätestens jedoch mit Ablauf des Tages, an dem über den Rechtsbehelf (Einspruch oder Klage) entschieden wurde und die ausgesetzte Steuer endgültig fällig wird. Die Zinsen werden für jeden vollen Monat des Aussetzungszeitraums berechnet. Teilmonate werden nicht einbezogen, sodass die Zinsberechnung jeweils am ersten Tag eines Monats beginnt und am letzten Tag eines vollen Monats endet.
Wie hoch sind die Aussetzungszinsen und wie werden sie berechnet?
Die Höhe der Aussetzungszinsen richtet sich nach dem gesetzlichen Zinssatz gemäß § 238 AO. Bis zum 31.12.2018 betrug der Zinssatz 0,5 % pro vollem Monat, was einem Jahreszinssatz von 6 % entspricht. Aufgrund gerichtlicher Entscheidungen und gesetzlicher Änderungen wurde der Zinssatz jedoch für Zeiträume ab dem 01.01.2019 deutlich reduziert und im Jahr 2022 erneut angepasst, sodass für Zeiträume ab dem 01.01.2019 bis zum 31.12.2023 ein Jahreszinssatz von 1,8 % und ab 01.01.2024 ein Jahreszinssatz von 1,2 % gilt. Die Berechnung erfolgt monatsgenau auf den ausgesetzten Betrag, wobei für jeden vollständigen Monat Zinsen anfallen. Die Berechnungsgrundlage ist der ausgesetzte Steuerbetrag, der tatsächlich noch geschuldet ist. Teilzahlungen oder Teilerledigungen während des Aussetzungszeitraums wirken sich entsprechend mindernd auf die Zinsberechnung aus.
Können Aussetzungszinsen erlassen oder niedergeschlagen werden?
Ein Erlass oder eine Niederschlagung von Aussetzungszinsen ist nur in besonders eng begrenzten Ausnahmefällen möglich. Gemäß § 227 AO kann das Finanzamt auf Antrag Zinsen aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise erlassen, beispielsweise wenn die Erhebung der Zinsen für den Steuerpflichtigen eine unbillige Härte darstellen würde, die über die bloße Belastung hinausgeht, die den Regelfall darstellt. Allerdings ist der Gesetzgeber und die Verwaltung grundsätzlich sehr zurückhaltend mit der Anwendung solcher Vorschriften auf Aussetzungszinsen, da gerade mit diesen Zinsen das Aussetzungsrisiko incentiviert und der Gleichlauf zu anderen Steuerpflichtigen hergestellt werden soll. Die Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass sind daher streng und die Erfolgsaussichten für einen solchen Antrag erfahrungsgemäß sehr gering. Eine Niederschlagung kommt nur bei Uneinbringlichkeit in Betracht.
Werden Aussetzungszinsen steuerlich als Betriebsausgaben anerkannt?
Aussetzungszinsen stellen steuerrechtlich gesehen Nachzahlungszinsen dar und sind daher – nach aktueller Rechtslage – nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar (§ 4 Abs. 5b EStG). Das Abzugsverbot wurde durch das Jahressteuergesetz 2019 eingeführt und betrifft sowohl Nachzahlungs- als auch Aussetzungszinsen, um eine Gleichbehandlung mit Straf- und Versäumniszinsen zu gewährleisten. Die Zinsen erhöhen dadurch zwar die steuerliche Belastung, wirken sich aber nicht mindernd auf das zu versteuernde Einkommen aus. Auch in der Bilanz sind diese Zinsen nicht als Aufwand geltend zu machen, was für bilanzierende Unternehmen besondere Bedeutung hat.
Gibt es eine Verzinsung, wenn die Aussetzung zugunsten des Steuerpflichtigen ausgeht?
Wenn die Aussetzung der Vollziehung dazu führt, dass nach Abschluss des Rechtsbehelfs- oder Klageverfahrens eine Steuerfestsetzung aufgehoben oder reduziert wird, entstehen für den ausgesetzten Betrag aus rechtlichen Gründen keine Aussetzungszinsen. Vielmehr kann der Steuerpflichtige unter bestimmten Umständen Ansprüche auf Erstattungszinsen gemäß § 236 AO geltend machen, sofern er im Laufe des Verfahrens zu viel gezahlt hat. Die Zinsberechnung und -höhe unterliegen hierbei den gleichen gesetzlichen Vorgaben wie die Nachzahlungs- und Aussetzungszinsen. Voraussetzung ist jedoch, dass tatsächlich ein überzahlter Betrag rückerstattet wird, der auch verzinst werden kann; reine Aussetzungsbeträge ohne tatsächliche Zahlung führen grundsätzlich nicht zu Erstattungszinsen.