Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Bank- und Kapitalmarktrecht»Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht


Begriff und rechtliche Grundlagen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bezeichnet im deutschen Insolvenzrecht eine zeitlich befristete, gesetzlich normierte Ausnahme von der grundsätzlich bestehenden Pflicht eines Unternehmensleiters, im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen. Diese Maßnahme dient dazu, außergewöhnliche, nicht vorhersehbare und meist vorübergehende Krisensituationen – beispielsweise infolge von Naturkatastrophen oder Pandemien – zu berücksichtigen und wirtschaftlich betroffene Unternehmen vor der unmittelbaren Konsequenz eines Insolvenzverfahrens zu bewahren. Die Aussetzung wird durch den Gesetzgeber geregelt und unterliegt strengen Voraussetzungen und klaren Fristen.

Hintergrund der Insolvenzantragspflicht

Grundsatz der Insolvenzantragspflicht

Nach § 15a Insolvenzordnung (InsO) sind Geschäftsleiter in Deutschland verpflichtet, im Falle eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Unternehmens spätestens innerhalb von drei Wochen einen Insolvenzantrag beim zuständigen Insolvenzgericht zu stellen. Diese Verpflichtung dient dem Gläubigerschutz und der geordneten Abwicklung insolventer Unternehmen.

Gründe für die Aussetzung der Antragspflicht

Die temporäre Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wird durch außergewöhnliche Umstände motiviert, in denen die Ursache für die Insolvenzreife nicht auf das unternehmerische Handeln oder strukturelle Mängel zurückzuführen ist, sondern auf äußere, nicht beeinflussbare Faktoren. Beispiele hierfür sind schwere Naturkatastrophen oder die COVID-19-Pandemie. Ziel der Aussetzung ist es, Unternehmen Zeit zu verschaffen, Hilfsmaßnahmen zu ermöglichen und die Sanierungschancen zu verbessern.

Gesetzliche Regelungen zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG)

Die bislang bedeutendste Aussetzung der Insolvenzantragspflicht fand im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie statt. Mit dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) hat der Gesetzgeber die Insolvenzantragspflicht für betroffene Unternehmen befristet ausgesetzt. Die zeitliche Geltung erstreckte sich mit verschiedenen Verlängerungen auf einen Zeitraum von März 2020 bis Mai 2021, wobei die Aussetzung teils nur noch für den Tatbestand der Überschuldung galt.

Voraussetzungen für die Aussetzung nach COVInsAG

  • Die Insolvenzreife muss auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruhen.
  • Es durften keine Aussichten auf die Beseitigung der bestehenden Zahlungsunfähigkeit bestehen.
  • Unternehmen mussten nachweisen, dass sie am 31. Dezember 2019 noch nicht zahlungsunfähig waren.
  • Die Aussetzung galt nicht für Zahlungsunfähigkeit ab Oktober 2020, sondern ausschließlich für den Tatbestand der Überschuldung.

Auswirkungen und Einschränkungen

Während der Aussetzung waren Unternehmen von der Antragspflicht für den maßgeblichen Tatbestand ausgenommen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen. Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsverkehr geleistet wurden, galten als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar (§ 2 COVInsAG). Gläubigeranträge wurden eingeschränkt möglich, sofern glaubhaft gemacht wurde, dass der Insolvenzgrund bereits unabhängig von den Aussetzungsregelungen eingetreten war.

Weitere gesetzliche Regelungen

Auch in anderen Ausnahmefällen kann der Gesetzgeber die Insolvenzantragspflicht aussetzen, etwa im Rahmen von Naturkatastrophen oder kriegerischen Auseinandersetzungen, sofern hierfür politische und rechtliche Maßnahmen vorgesehen werden. Die konkrete Ausgestaltung orientiert sich jeweils am spezifischen Krisenanlass.

Rechtsfolgen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Haftungsrechtliche Konsequenzen

Während der Aussetzung ruhen die zivil- und strafrechtlichen Haftungsregelungen für einen verspäteten Insolvenzantrag (§ 15a Abs. 4 InsO, § 64 GmbHG a.F., § 266a StGB), sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Zahlungsmittelbeschränkungen werden gelockert, sodass Geschäftsleiter berechtigt sind, auch während der Insolvenzreife weitergehende Zahlungen zum Erhalt des Geschäftsbetriebes zu leisten.

Auswirkungen auf Gläubigerrechte

Die temporäre Aussetzung stellt eine erhebliche Einschränkung der Gläubigerrechte dar, da insolvenzreife Unternehmen weiterhin am Markt teilnehmen können, ohne unmittelbar insolvenzrechtlichen Restriktionen zu unterliegen. Zum Schutz der Gläubiger können sie jedoch unter bestimmten Bedingungen Anträge stellen, wenn der Insolvenzgrund unabhängig von der Krise vorlag.

Fortbestehen der Pflichten

Trotz Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sind die Leitungsorgane weiterhin verpflichtet, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens sorgfältig zu prüfen. Missbräuchliche Inanspruchnahme der Ausset-zungsregelungen kann zu nachträglicher Haftung führen. Die allgemeine Pflicht zur Wahrung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 GmbHG, § 93 AktG) bleibt unberührt.

Kritik und Bewertung

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist rechtlich umstritten. Sie wird als notwendige Maßnahme zur Stabilisierung des Wirtschaftslebens in Ausnahmesituationen verteidigt, stößt jedoch hinsichtlich der Wahrung der Gläubigerinteressen und der Gefahr des Missbrauchs auf Kritik. Rechtspolitisch wird diskutiert, wie eine Balance zwischen Interessen der Schuldner und der Gläubiger gewährleistet werden kann.

Zusammenfassung

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist ein bedeutendes Instrument des deutschen Insolvenzrechts, das in außergewöhnlichen Krisenzeiten zum Erhalt gefährdeter Unternehmen beitragen soll. Sie unterliegt engen gesetzlichen Voraussetzungen, strengen Nachweispflichten und befristeten Geltungszeiträumen. Ihre praktische Bedeutung wurde insbesondere durch die COVID-19-Pandemie deutlich. Gleichzeitig bleibt sie mit Blick auf die Gläubigerrechte und Rechtssicherheit weiterhin Gegenstand rechtspolitischer Diskussionen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vorliegen?

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist streng an gesetzliche Voraussetzungen geknüpft, die zeitlich und inhaltlich begrenzt sind. Maßgeblich geregelt wurde die Aussetzung in der Vergangenheit insbesondere durch das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG). Die Voraussetzung besteht darin, dass die Insolvenzreife – also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – auf besonderen, gesetzlich anerkannten Ausnahmesituationen basiert, insbesondere auf den wirtschaftlichen Auswirkungen einer Pandemie oder vergleichbaren Ausnahmetatbeständen. Zudem muss die Aussicht auf die Beseitigung der Insolvenzreife bestehen, etwa durch staatliche Hilfeleistungen oder Restrukturierungsmaßnahmen. Die Geschäftsleitung muss darlegen und dokumentieren, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten unmittelbar auf das jeweilige Ereignis zurückzuführen sind und dass zuvor keine Zahlungsunfähigkeit vorgelegen hat. Sobald diese Voraussetzungen entfallen, lebt die Insolvenzantragspflicht sofort wieder auf.

Welche Pflichten bestehen für Geschäftsführer während der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht?

Auch während der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gelten für Geschäftsführer weiterhin besondere Sorgfalts- und Überwachungspflichten. Sie müssen die wirtschaftliche Lage ihrer Gesellschaft stetig überwachen und sind verpflichtet, fortlaufend zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Aussetzung noch gegeben sind. Zudem sind sie verpflichtet, alles zu unterlassen, was zu einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage führen könnte; hierzu zählen das Eingehen von Risiken oder das Eingehen neuer Verbindlichkeiten, die bei einer endgültigen Insolvenz nicht mehr bedient werden könnten. Ferner bestehen weiterhin Buchführungs- und Dokumentationspflichten zur Nachweisführung der jeweiligen Umstände. Verstößt ein Geschäftsführer gegen diese Pflichten, drohen persönliche Haftungsrisiken.

Welche rechtlichen Folgen drohen bei einem Fehlgebrauch der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht?

Ein Missbrauch der Aussetzung kann erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die Leitungsorgane einer Gesellschaft können persönlich zur Haftung herangezogen werden, insbesondere für Zahlungen, die nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet wurden und nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar sind. Strafrechtlich kann gegebenenfalls der Tatbestand der Insolvenzverschleppung eröffnet sein, wenn trotz Wegfalls der Voraussetzungen keine Insolvenzanmeldung erfolgt. Zudem kann die Aussetzung nicht von eigenen wirtschaftlichen Gründen, etwa Managementfehlern, Gebrauch gemacht werden, sondern nur im Zusammenhang mit klar definierten externen Ereignissen.

Gilt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht auch rückwirkend?

Eine rückwirkende Anwendung der Aussetzung ist regelmäßig ausgeschlossen. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht tritt nur für den gesetzlich bestimmten Zeitraum in Kraft und gilt nicht für Insolvenzgründe, die bereits vor dem Stichtag eingetreten sind. Dementsprechend müssen Unternehmen, die bereits vor dem gesetzlichen Stichtag zahlungsunfähig oder überschuldet waren, weiterhin unverzüglich einen Insolvenzantrag stellen. Die Anwendung erfolgt ausschließlich prospektiv, anknüpfend an den rechtlichen Rahmen der jeweiligen gesetzlichen Regelung.

Können Gläubiger während der Aussetzung trotzdem Insolvenzanträge stellen?

Unabhängig von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Schuldner bleibt das Recht der Gläubiger, einen Insolvenzantrag zu stellen, erhalten. Allerdings wird der Antrag der Gläubiger in der Regel abgewiesen, wenn der Schuldner nicht bereits vor dem relevanten Stichtag zahlungsunfähig war. Das Gericht prüft, ob die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung tatsächlich erst infolge der außergewöhnlichen Umstände eingetreten ist. Liegt keine solche Kausalität vor, kann das Verfahren dennoch eröffnet und durchgeführt werden.

Was passiert nach Ablauf der gesetzlichen Aussetzung?

Nach dem Ablauf der gesetzlichen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sind Unternehmen verpflichtet, bei eintretender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist, einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Leitungsorgane müssen nach Ablauf prüfen, ob Insolvenzreife besteht und ihre Antragspflichten wieder strikt erfüllen. Unterlassen sie dies, haften sie wie in regulären Insolvenzverfahren persönlich und strafrechtlich.

Welche Bedeutung hat die Aussetzung für laufende Sanierungen und Restrukturierungsverfahren?

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kann betroffenen Unternehmen einen wertvollen Zeitraum verschaffen, um Restrukturierungsmaßnahmen oder Sanierungsbemühungen zu etablieren und staatliche Hilfen zu beantragen. Sie gibt zusätzlichen Handlungsspielraum, ohne Gefahr zu laufen, wegen Insolvenzverschleppung in Haftung genommen zu werden. Dennoch ist dringend zu empfehlen, Sanierungskonzepte fortlaufend anzupassen und sorgfältig zu dokumentieren, da die Zahlungsfähigkeit nach Ende der Aussetzung wieder rechtsverbindlich nachzuweisen ist. Die Aussetzung ersetzt keinesfalls die Notwendigkeit tiefgreifender Umstrukturierungen.