Außerordentliche Einkünfte im deutschen Steuerrecht
Begriffserklärung und Einordnung
Unter dem Begriff „außerordentliche Einkünfte“ versteht das deutsche Steuerrecht bestimmte Einkünfte natürlicher Personen, die sich durch ihre Einmaligkeit oder außergewöhnliche Entstehung von den laufenden (regelmäßigen) Einkünften abheben. Ihre rechtliche Relevanz ergibt sich insbesondere im Kontext der Einkommensteuer, da im Rahmen des sogenannten Progressionstarifs eine steuerliche Entlastung auf Seite des Steuerpflichtigen für solche Sondersituationen vorgesehen ist. Ziel ist es, eine übermäßige steuerliche Belastung durch gehäuft anfallende Einkommen in einem einzelnen Veranlagungszeitraum zu vermeiden.
Die gesetzliche Regelung der außerordentlichen Einkünfte findet sich maßgeblich in § 34 Einkommensteuergesetz (EStG). Dort wird festgelegt, unter welchen Voraussetzungen Einkünfte als außerordentlich gelten und wie diese steuerlich begünstigt werden.
Gesetzliche Grundlagen
§ 34 EStG und seine Bedeutung
Nach § 34 Absatz 1 EStG wird für außerordentliche Einkünfte ein ermäßigter Steuersatz angewendet. Die Norm dient vor allem dazu, Progressionsnachteile des Steuertarifs abzufedern, die entstehen können, wenn sich Einkünfte, die sich auf mehrere Jahre beziehen, in einem Kalenderjahr realisieren.
Der sogenannte „Fünftelregelung“ nach § 34 Absatz 1 EStG sieht vor, dass außerordentliche Einkünfte steuerlich so behandelt werden, als wären sie über fünf Jahre verteilt zugeflossen. Daraus folgt eine rechnerische Steuerentlastung.
Begriffsbestimmungen in der Rechtsprechung und Verwaltung
Außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 2 EStG sind insbesondere:
- Einkünfte für mehrjährige Tätigkeiten
- Vergütungen für bestimmte Dienstleistungen oder Funktionen
- Entschädigungen
- Vergütungen aus der Auflösung eines Dienstverhältnisses
- Veräußerungsgewinne
Die gesetzliche Aufzählung ist abschließend, zahlreiche Einzelfälle sind durch finanzgerichtliche Entscheidungen und die Auffassung der Finanzverwaltung präzisiert worden.
Arten außerordentlicher Einkünfte
1. Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten
Eine „mehrjährige Tätigkeit“ liegt vor, wenn sich die Ausführung der Tätigkeit über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Beispiele sind Tantiemen, einmalige Erfolgsbeteiligungen, Abschlussarbeiten oder Honorare für Projekte, die mehrere Jahre andauern.
2. Entschädigungen
Entschädigungen sind Leistungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gezahlt werden. Klassische Fälle sind Abfindungen bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses (§ 24 Nr. 1a EStG) oder Schadensersatzleistungen für den Verlust von fortwährenden Einnahmen.
3. Vergütungen aus der Auflösung von Arbeitsverhältnissen
Dazu gehören insbesondere Abfindungen, die im Zusammenhang mit der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gezahlt werden. Voraussetzung ist, dass die Zahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes oder den Verzicht auf zukünftige Bezüge erfolgt.
4. Veräußerungsgewinne nach § 16 EStG
Außerordentliche Einkünfte umfassen auch Gewinne aus der Veräußerung von Gewerbebetrieben, Teilbetrieben oder wesentlichen Beteiligungen im Sinne der §§ 16 und 17 EStG.
Steuerliche Behandlung
Fünftelregelung
Der zentrale steuerliche Vorteil außerordentlicher Einkünfte ist die Anwendung der Fünftelregelung. Die Berechnung erfolgt in folgenden Schritten:
- Bestimmung des zu versteuernden Einkommens ohne die außerordentlichen Einkünfte,
- Zusatz der außerordentlichen Einkünfte, geteilt durch fünf,
- Ermittlung des Unterschiedsbetrags zwischen diesen beiden Werten,
- Multiplikation des Unterschiedsbetrags mit fünf, um den Steuerbetrag für die außerordentlichen Einkünfte zu berechnen.
Dadurch wird die Progressionswirkung abgemildert, da nicht das gesamte Einkommen auf einen einmaligen Steuerbetrag trifft.
Zusammentreffen mehrerer außerordentlicher Einkünfte
Fallen in einem Jahr mehrere außerordentliche Einkünfte zusammen, so ist für jeden Betrag gesondert zu prüfen, ob die Begünstigungsvoraussetzungen vorliegen. Unter bestimmten Bedingungen erfolgt eine Zusammenrechnung, etwa bei mehreren Abfindungen, die jedoch auf derselben Vertragsbeendigung beruhen.
Ausschluss und Einschränkungen
Nicht alle einmaligen Einnahmen gelten als außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 EStG. Überdies werden bestimmte Leistungen, beispielsweise Weihnachtsgeld, Prämien oder ähnliche Gratifikationen, nicht erfasst.
Abgrenzung zu anderen Einkunftsarten
Außerordentliche Einkünfte sind gegenüber wiederkehrenden oder regelmäßig auftretenden Einkünften klar abzugrenzen. Das entscheidende Unterscheidungskriterium ist die Außergewöhnlichkeit der Entstehung und die Zusammenballung der Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum.
Bedeutung in der Steuerpraxis
Die Anwendung der Regelungen zu außerordentlichen Einkünften hat erhebliche steuerliche Bedeutung bei der steueroptimierten Gestaltung von Vertragsauflösungen, der Planung von Unternehmensverkäufen oder im Zusammenhang mit Entschädigungszahlungen. Die genaue Beurteilung aller Umstände ist für die Anwendung der Steuervergünstigung maßgeblich.
Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen
Die deutschen Finanzgerichte, insbesondere der Bundesfinanzhof (BFH), sowie die Finanzverwaltung (z.B. durch die Einkommensteuerrichtlinien, EStR) konkretisieren regelmäßig die Voraussetzungen, unter denen Einkünfte als außerordentlich gelten. Dies betrifft etwa die Abgrenzung der mehrjährigen Tätigkeit oder die Behandlung mehrfacher Zahlungen innerhalb eines Zeitraums.
Internationale Aspekte
Im internationalen Kontext sind für in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen außerhalb Deutschlands erzielte außerordentliche Einkünfte ebenfalls relevant, sofern sie nach dem deutschen EStG steuerpflichtig sind. Doppelbesteuerungsabkommen können besondere Regelungen für die Zuweisung des Besteuerungsrechts enthalten.
Zusammenfassung
Außerordentliche Einkünfte im Sinne des deutschen Einkommensteuerrechts stellen einen steuerlich begünstigten Einkunftstatbestand dar, der Einkünfte betrifft, die aufgrund ihrer Einmaligkeit oder Zusammenballung in einem Jahr zu einer übermäßigen Steuerprogression führen könnten. Die gesetzliche Grundlage bildet insbesondere § 34 EStG. Zu den außerordentlichen Einkünften zählen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten, Abfindungen, Entschädigungen und Veräußerungsgewinne. Im Rahmen der Steuerveranlagung sind sie durch die Fünftelregelung steuerlich privilegiert. Die Anwendung im Einzelfall erfordert eine genaue Prüfung der gesetzlichen und verwaltungsseitigen Vorgaben.
Häufig gestellte Fragen
Welche steuerlichen Vorschriften gelten für die Besteuerung außerordentlicher Einkünfte?
Außerordentliche Einkünfte werden nach §§ 34 und 24 des Einkommensteuergesetzes (EStG) besonders behandelt. Zu diesen Einkünften zählen beispielsweise Veräußerungsgewinne, Entschädigungen oder Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten. Im Gegensatz zu den regulären Einkünften, die dem progressiven Einkommensteuertarif unterliegen, sieht das Gesetz für außerordentliche Einkünfte eine sogenannte „Fünftelregelung“ vor. Ziel ist es, die Progressionswirkung abzumildern, indem die Einkünfte auf fünf Jahre rechnerisch verteilt werden. Dadurch ergibt sich eine geringere Steuerbelastung als bei einmaliger, voller Versteuerung im Jahr des Zuflusses. Die Anwendung der Vorschriften ist zwingend und nicht optional, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Zusätzlich sind die jeweils notwendigen Nachweise und Unterlagen vorzulegen, damit das Finanzamt die Qualifikation als außerordentliche Einkünfte anerkennt.
Müssen außerordentliche Einkünfte immer im Jahr des Zuflusses versteuert werden?
Grundsätzlich gilt das Zuflussprinzip gemäß § 11 EStG, wonach Einkünfte in dem Kalenderjahr besteuert werden, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Dies trifft auch auf außerordentliche Einkünfte zu. Das bedeutet, solche Einnahmen werden in dem Jahr relevant, in dem der Steuerpflichtige tatsächlich wirtschaftlich darüber verfügen kann. Eine Ausnahme besteht im Fall von Rückbehalten oder Stundungen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (beispielsweise uneingeschränkte Fälligkeit und Verfügbarkeit). Gemäß steuerlicher Regelungen ist eine abweichende zeitliche Zuordnung nur im Rahmen explizit geregelter Tatbestände möglich, zum Beispiel bei wiederkehrenden Bezügen nach § 11 Abs. 2 EStG, sofern sie kurze Zeit vor oder nach dem Jahreswechsel zugeflossen sind und deshalb einem bestimmten Zeitraum wirtschaftlich zugeordnet werden müssen.
Erfordert die Inanspruchnahme der Fünftelregelung einen gesonderten Antrag?
Nein, die Anwendung der Fünftelregelung erfolgt von Amts wegen durch das Finanzamt, sobald das Vorliegen außerordentlicher Einkünfte festgestellt wird und deren Voraussetzungen gemäß § 34 EStG erfüllt sind. Ein gesonderter Antrag des Steuerpflichtigen ist grundsätzlich nicht erforderlich. Die Pflicht zur korrekten Angabe und Deklaration dieser Einkünfte in der Steuererklärung liegt allerdings beim Steuerpflichtigen. Sollte das Finanzamt die Fünftelregelung jedoch nicht automatisch anwenden, kann und sollte der Steuerpflichtige auf eine entsprechende Berücksichtigung hinwirken, um die steuerlichen Vorteile nicht zu verlieren. Im Fall von Meinungsverschiedenheiten besteht die Möglichkeit, Rechtsmittel gegen den Steuerbescheid einzulegen.
Gibt es Beschränkungen oder Ausschlussgründe für die Anwendung der Fünftelregelung?
Ja, gewisse Einschränkungen sind gesetzlich geregelt. So ist die Fünftelregelung nur anzuwenden, wenn die außerordentlichen Einkünfte im steuerlichen Sinne als solche qualifizieren und die jeweilige Einkunftsart tatsächlich begünstigt ist. Beispielsweise dürfen die Einkünfte nicht bereits tarifermäßigt besteuert werden oder mehrfach begünstigt sein. Außerdem sind regelmäßige, wiederkehrende Einkünfte, wie laufende Gehaltszahlungen, stets von der Fünftelregelung ausgeschlossen. Die Regelung greift weiterhin nicht bei Einkünften, die bereits mit einem festen Steuersatz oder abgeltend (zum Beispiel bei Kapitalerträgen) besteuert werden. Bei mehreren außerordentlichen Einkünften innerhalb eines Jahres wird die Fünftelregelung auf die Summe angewendet, um Steuerungestaltungen zu verhindern.
Wie wird steuerlich geprüft, ob eine Entschädigung als außerordentliche Einkunft gilt?
Die steuerliche Einstufung einer Entschädigung als außerordentliche Einkunft erfolgt stets anhand der gesetzlichen Vorgaben des § 24 Nr. 1 und 2 EStG sowie einschlägiger Rechtsprechung. Maßgeblich ist, ob die Entschädigung an die Stelle einer entgangenen oder aufgegebenen Einnahme tritt und ob sie aufgrund einer besonderen Situation erfolgt, beispielsweise wegen einer vorzeitigen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, dem Verzicht auf Ansprüche oder der Zerstörung einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage. Zudem muss die Zahlung einen einmaligen Charakter aufweisen und darf keine wiederkehrende, laufende Einkommensquelle ersetzen. Eine vertragliche Vereinbarung reicht nicht aus; es wird stets der tatsächliche wirtschaftliche Hintergrund geprüft, gegebenenfalls unter Einbeziehung von Vertragsunterlagen, Bescheiden oder gerichtlichen Entscheidungen.
Welche Nachweispflichten bestehen bei der Geltendmachung außerordentlicher Einkünfte?
Steuerpflichtige sind verpflichtet, alle für die Einordnung und Ermittlung von außerordentlichen Einkünften relevanten Unterlagen vollständig und wahrheitsgemäß vorzulegen. Hierzu gehören Verträge, Abfindungsvereinbarungen, Bescheide, Nachweise über den Zeitpunkt und Grund der Zahlung sowie gegebenenfalls Arbeitszeugnisse oder gerichtliche Entscheidungen. Das Finanzamt kann zur Überprüfung der steuerlichen Voraussetzungen weitere Nachweise anfordern. Die Mitwirkungspflicht ergibt sich aus den allgemeinen Vorschriften der Abgabenordnung (insbesondere §§ 90 ff. AO), wobei eine fehlende oder unvollständige Vorlage zu einer Versagung der steuerlichen Begünstigung führen kann. Für den Steuerpflichtigen ist die Dokumentation daher entscheidend, um die günstigen steuerlichen Folgen tatsächlich in Anspruch nehmen zu können.
Werden verschiedene außerordentliche Einkünfte im selben Veranlagungszeitraum zusammengefasst?
Ja, wenn im selben Kalenderjahr mehrere Arten außerordentlicher Einkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes anfallen, werden diese grundsätzlich zu einer Bemessungsgrundlage zusammengefasst. Die Fünftelregelung findet dann auf die Summe der außerordentlichen Einkünfte Anwendung, um eine gestaffelte oder gestückelte Vorteilserlangung zu vermeiden (§ 34 Abs. 2 EStG). Sollte beispielsweise sowohl eine Abfindung als auch ein Veräußerungsgewinn erzielt werden, ist für die Steuerberechnung der Gesamtbetrag maßgeblich. Ausnahmen gelten nur in gesetzlich ausdrücklich definierten Sonderfällen, beispielsweise bei unterschiedlichen Einkunftsarten und besonderer Rechtsprechung, die eine getrennte Behandlung erlaubt.