Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Familienrecht»Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren

Außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren


Begriff und Wesen des Außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens

Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ist ein maßgebliches Instrument des deutschen Verwaltungsrechts sowie einzelner anderer Rechtsgebiete. Es dient dazu, behördliche Entscheidungen zu überprüfen, Fehler zu korrigieren und den Rechtsweg zu entlasten, bevor ein gerichtliches Verfahren angestrengt wird. Ziel dieses Verfahrens ist es, eine verbindliche, außergerichtliche Einigung oder Klärung herbeizuführen, die eine gerichtliche Auseinandersetzung im Idealfall entbehrlich macht.

Rechtsgrundlagen und Systematik des Außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens

Gesetzliche Regelungen

Die gesetzlichen Vorgaben für das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren finden sich vor allem im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) sowie im Sozialgesetzbuch (SGB) und der Abgabenordnung (AO). Mit unterschiedlichen Ausgestaltungen sind diese Verfahren auch in anderen Bereichen wie dem Steuerrecht, dem Sozialrecht sowie im Beamtenrecht etabliert.

Verwaltungsverfahren (§§ 68 ff. VwGO)

Im Verwaltungsrecht wird das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren traditionell als Vorverfahren oder Widerspruchsverfahren bezeichnet. Die einschlägigen Regelungen finden sich in den §§ 68 bis 73 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Vorverfahren ist in bestimmten Fällen Voraussetzung für die Zulässigkeit einer anschließenden Klage (sog. „obligatorisches Vorverfahren“).

Sozialrecht (§§ 78 ff. SGG)

Im Sozialrecht regeln §§ 78 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Widerspruchsverfahren als verpflichtenden Rechtsbehelf gegen Verwaltungsakte der Sozialleistungsträger.

Steuerrecht (§§ 347 ff. AO)

Im Steuerrecht ist der Rechtsbehelf gegen Verwaltungsakte der Finanzbehörden der sogenannte „Einspruch“, geregelt in §§ 347 ff. Abgabenordnung (AO).

Ablauf und Ausgestaltung des Außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens

Einleitung des Verfahrens

Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren beginnt mit der Einlegung eines förmlichen Rechtsbehelfs, der je nach Rechtsgebiet als Widerspruch, Einspruch oder in Ausnahmefällen als Beschwerde bezeichnet wird. Dieser Rechtsbehelf ist regelmäßig schriftlich innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist gegenüber der Ausgangsbehörde einzulegen.

Prüfungsumfang und Verfahren

Die Behörde prüft im außergerichtlichen Verfahren sowohl die Rechtmäßigkeit als auch die Zweckmäßigkeit ihrer Entscheidung. Dabei werden neue Tatsachen und Beweismittel berücksichtigt, die dem ursprünglichen Verwaltungsverfahren noch nicht zugrunde lagen. Die Behörde kann den angegriffenen Verwaltungsakt vollständig, teilweise oder gar nicht abändern.

Beteiligte und Zuständigkeit

Im Regelfall entscheidet die Ausgangsbehörde selbst über den Rechtsbehelf („Selbstkontrolle“). In besonderen Konstellationen erfolgt die Überprüfung durch eine Widerspruchsbehörde, die einer anderen Behörde desselben Verwaltungsträgers zugeordnet sein kann. Im Steuerrecht prüft eine gesonderte Einspruchsstelle den verfahrensgegenständlichen Verwaltungsakt.

Abschluss des Verfahrens

Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren endet mit einem Widerspruchs- oder Einspruchsbescheid, welcher den Beteiligten förmlich bekanntzugeben ist. Wird dem Rechtsbehelf (teilweise) stattgegeben, wird der Verwaltungsakt aufgehoben oder abgeändert. Bei vollständiger Zurückweisung bleibt der ursprüngliche Verwaltungsakt wirksam; der Weg zu einer gerichtlichen Überprüfung steht im Anschluss offen.

Funktionen und Bedeutung des Außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens

Entlastung der Justiz

Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren kann die Zahl der gerichtlichen Verfahren erheblich reduzieren, da Streitfragen auf Verwaltungsebene geklärt werden. Insbesondere in hoch frequentierten Sachgebieten – wie Steuerrecht oder Sozialrecht – trägt das Verfahren maßgeblich zur Entlastung der Justiz bei.

Rechtskontrolle und Fehlerkorrektur

Behördliche Entscheidungen unterliegen einer umfassenden Kontrolle durch das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren. Dies verbessert die Qualität und Akzeptanz verwaltungsbehördlicher Entscheidungen und ermöglicht eine schnelle Beseitigung von Fehlern oder Missverständnissen.

Verfahrensbeschleunigung und Rechtsfrieden

Das Verfahren zielt auf eine rasche und sachgerechte Klärung, mit dem Ziel, den Rechtsfrieden zwischen Verwaltung und Bürger wiederherzustellen.

Besondere Ausgestaltungen und Ausnahmen

Obligatorisches und fakultatives Vorverfahren

Nicht für jedes behördliche Verfahren ist ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren zwingend vorgeschrieben. Die Zulässigkeit und Erforderlichkeit ergeben sich aus den einschlägigen Gesetzen. In bestimmten Fällen ist das Vorverfahren entbehrlich; etwa bei behördlichen Maßnahmen mit Sofortvollzug oder in Angelegenheiten, in denen das Gesetz das Vorverfahren ausdrücklich ausschließt.

Rechtsbehelfsbelehrung

Die korrekte Belehrung über die verfügbaren außergerichtlichen Rechtsbehelfe ist Voraussetzung für einen effektiven Rechtsschutz. Fehlerhafte oder unterbliebene Rechtsbehelfsbelehrungen können zu verlängerten Fristen und abweichenden Verfahren führen.

Rechtsfolgen und Bedeutung im Instanzenzug

Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ist regelmäßig vorgeschaltete Instanz im Verwaltungs- und Sozialverfahren. Erst nach dessen Durchführung steht der Weg zu den Verwaltungs- oder Sozialgerichten offen. Die Ergebnisse des außergerichtlichen Verfahrens sind für das weitere gerichtliche Verfahren insofern bedeutsam, als sie den Streitgegenstand und das Vertretungspotenzial der Positionen prägen.

Literatur und weiterführende Quellen

  • Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
  • Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
  • Sozialgesetzbuch (SGB) / Sozialgerichtsgesetz (SGG)
  • Abgabenordnung (AO)

Fazit

Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ist ein zentrales Instrument zur Fehlerkorrektur, Rechtskontrolle und Verfahrensbeschleunigung in der Verwaltung. Es schützt die Rechte der Bürger, entlastet die Gerichte und trägt zur Akzeptanz behördlicher Entscheidungen bei. Durch seine verschiedenen Ausprägungen in unterschiedlichen Rechtsgebieten ist es ein wesentlicher Pfeiler des deutschen Rechtsschutzsystems.

Häufig gestellte Fragen

Welche Fristen sind im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren zu beachten?

Im Rahmen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens gelten je nach Rechtsgebiet unterschiedliche Fristen, die zwingend einzuhalten sind. Besonders im Steuerrecht ist nach § 355 Abs. 1 AO die Frist für die Einlegung eines Einspruchs gegen einen Verwaltungsakt in der Regel auf einen Monat nach Bekanntgabe des Bescheids festgelegt. Bei Zustellung im Ausland verlängert sich diese Frist gemäß § 355 Abs. 2 AO auf zwei Monate. Im Sozialrecht beträgt die Widerspruchsfrist gemäß § 84 SGG ebenfalls einen Monat ab Bekanntgabe des Verwaltungsakts. Versäumt der Betroffene diese Fristen, so wird der Rechtsbehelf in der Regel als unzulässig verworfen, es sei denn, die Fristversäumnis ist durch Gründe gerechtfertigt, die nicht vom Betroffenen zu vertreten sind (z. B. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO bzw. § 67 SGG). Darüber hinaus ist zu beachten, dass es bei der Berechnung der Frist regelmäßig auf das Datum des Poststempels bzw. das Datum der elektronischen Übermittlung ankommt. Während der Laufzeit des Rechtsbehelfsverfahrens ruht die Rechtskraft des angefochtenen Verwaltungsakts, soweit kein Sofortvollzug angeordnet wurde.

Auf welche Weise kann ein außergerichtlicher Rechtsbehelf eingelegt werden?

Die Einlegung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfs hat grundsätzlich schriftlich oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde zu erfolgen. Im Steuerrecht ist es gem. § 357 Abs. 1 AO möglich, den Einspruch schriftlich, elektronisch – etwa per Elster-Portal – oder mündlich zur Niederschrift bei der zuständigen Finanzbehörde einzulegen. Im Sozialrecht kann der Widerspruch gemäß § 84 Abs. 1 SGG schriftlich, zur Niederschrift oder per elektronischen Dokumenten eingereicht werden. Es ist darauf zu achten, dass die Identität des Widerspruchsführers eindeutig erkennbar ist und das Rechtsbegehren unmissverständlich formuliert wird. An eine besondere Form, wie die eigenhändige Unterschrift, ist die Einlegung grundsätzlich nicht gebunden, sofern die Urheberschaft und der Wille zur Einlegung eines Rechtsbehelfs klar hervorgehen.

Welche Behörde ist für die Bearbeitung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs zuständig?

Zuständig für die Bearbeitung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs ist grundsätzlich die Ausgangsbehörde, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat. Dort wird zunächst eine Überprüfung im Rahmen des sogenannten Abhilfeverfahrens durchgeführt. Die Behörde prüft, ob dem Antrag – ganz oder teilweise – abgeholfen werden kann. Kommt die Ausgangsbehörde im Ergebnis zu keinem vollständigen Abhilfe, so wird der Rechtsbehelf von einer Widerspruchsstelle oder einer übergeordneten Stelle weiterbearbeitet. Im Steuerrecht übernimmt die Rechtsbehelfsstelle innerhalb des Finanzamts regelmäßig die weitere Bearbeitung. Im Sozialrecht benennt die Ausgangsbehörde einen Widerspruchsausschuss. Die genaue Organisation der Bearbeitung des Rechtsbehelfs richtet sich nach dem jeweiligen Fachrecht und den dort festgelegten Zuständigkeitsregeln.

Welche Prüfungsbefugnis hat die Behörde im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren?

Im Rahmen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens ist die zuständige Behörde zu einer vollumfänglichen Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts befugt und verpflichtet (Grundsatz der sogenannten „Verböserung“ oder auch „reformatio in peius“). Die Prüfung erstreckt sich auf die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen des Verwaltungsakts. Die Behörde hat zu überprüfen, ob die Entscheidung materiell und formell rechtmäßig ist und kann bei Feststellung von Fehlern den Bescheid zu Gunsten, aber unter Umständen auch zu Ungunsten des Rechtsbehelfsführers ändern. Die Überprüfung erfolgt oftmals umfassender als eine bloße erneute Tatsachen- und Rechtsprüfung („Devolutiveffekt“), weshalb das außergerichtliche Verfahren oftmals dem gerichtlichen Verfahren zuvor geschaltet ist.

Ist das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren kostenlos?

Im deutschen Recht ist das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren in vielen Bereichen grundsätzlich kostenfrei, insbesondere im Steuer- und Sozialrecht. Für den Einspruch gegen Steuerbescheide nach der Abgabenordnung und den Widerspruch nach dem Sozialgesetzbuch entstehen dem Rechtsbehelfsführer regelmäßig keine Gebühren oder Verwaltungskosten. Ausnahmen können bestehen, wenn der Aufwand der Behörde durch das Verfahren erheblich erhöht wird oder die Einlegung des Rechtsbehelfs als rechtsmissbräuchlich eingestuft wird. In anderen Fachgebieten (zum Beispiel im Gewerberecht oder Ausländerrecht) können unter Umständen Kosten bzw. Gebühren nach den jeweiligen Verwaltungskostengesetzen anfallen. Kosten für externe Rechtsberatung oder Vertretung sind jedoch stets vom Betroffenen selbst zu tragen, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens.

Welche Rechtsfolgen hat ein erfolgreiches außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren?

Führt das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren zum Erfolg, hebt die Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt auf, ändert ihn ab oder erlässt den begehrten Verwaltungsakt. Diese Entscheidung wird dem Betroffenen durch einen neuen Bescheid oder einen Abhilfebescheid bekannt gegeben. Die ursprüngliche Entscheidung ist damit rückwirkend unwirksam, soweit ihr widersprochen wurde. Im Steuerrecht kann dies beispielsweise zu einer Festsetzung niedrigerer Steuern oder zu einer Erstattung bereits gezahlter Beträge führen. Im Sozialrecht bewirkt ein stattgebender Widerspruchsbescheid die Gewährung oder Anpassung von Leistungen. Kommt die Behörde zum Ergebnis, dass dem Rechtsbehelf nicht abgeholfen werden kann, wird ein ablehnender Widerspruchsbescheid erlassen. Gegen diesen Bescheid ist dann der Weg zum Verwaltungs-, Finanz- oder Sozialgericht eröffnet.

Wann ist ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren zwingend vorgeschrieben?

Ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren ist in verschiedenen Rechtsgebieten als sogenanntes „obligatorisches Vorverfahren“ zwingende Voraussetzung für die Erhebung einer Klage. Besonders im Verwaltungsrecht (§ 68 VwGO) und Sozialrecht (§ 78 SGG) ist der vorherige Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt grundsätzlich erforderlich, bevor die Angelegenheit vor Gericht gebracht werden kann. Im Steuerrecht hingegen ist das Einspruchsverfahren obligatorisches Vorverfahren für den Klageweg zum Finanzgericht (§ 44 FGO). Ausnahmen bestehen beispielsweise bei Untätigkeitsklagen, bei denen besondere Fristen verstrichen sind, ohne dass die Behörde über den Antrag entschieden hat, oder wenn auf das Vorverfahren ausdrücklich verzichtet wurde. Das Vorverfahren dient dazu, Verwaltungsentscheidungen noch vor Einschaltung der Gerichte auf sachliche und rechtliche Fehler zu überprüfen und eine einvernehmliche Beilegung zu ermöglichen.