Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Arbeitsrecht»Ausnahmezustand (nur soweit arbeitsrechtlich relevant, z.B. im Arbeitskampfrecht)

Ausnahmezustand (nur soweit arbeitsrechtlich relevant, z.B. im Arbeitskampfrecht)


Ausnahmezustand im Arbeitsrecht – Definition und Bedeutung

Der Begriff Ausnahmezustand kommt im allgemeinen Recht in unterschiedlichen Kontexten vor. Im Arbeitsrecht, insbesondere im Bereich des Arbeitskampfrechts, erhält der Ausnahmezustand eine eigenständige arbeitsrechtliche Bedeutung. Dort beschreibt er im Wesentlichen Situationen, in denen durch außergewöhnliche Umstände die regulären arbeitsrechtlichen Regelungen ganz oder teilweise modifiziert, ausgesetzt oder besonderen Anforderungen unterstellt werden. Aus arbeitsrechtlicher Sicht tritt ein Ausnahmezustand insbesondere bei bestimmten Arbeitskampfmaßnahmen sowie bei übergeordneten Ereignissen mit erheblichem Einfluss auf Arbeitsverhältnisse in Erscheinung.


Rechtslage: Ausnahmezustand und Arbeitsverhältnisse

Auswirkungen des Ausnahmezustands auf das Arbeitsverhältnis

Im Fall eines Ausnahmezustands – etwa bei Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien oder schweren Störungen des öffentlichen Lebens – kann es notwendig werden, herkömmliche arbeitsrechtliche Regelungen anzupassen. In der Bundesrepublik Deutschland sind jedoch die Voraussetzungen für einen allumfassenden Ausnahmezustand eng definiert. Im arbeitsrechtlichen Kontext wird der Begriff daher häufig im Zusammenhang mit vorübergehenden Störungen des Betriebsablaufs oder außergewöhnlichen kollektiven Maßnahmen verwendet.

Arbeitskampfrecht: Ausnahmezustand während Streiks und Aussperrungen

Im Arbeitskampfrecht bezeichnet der Ausnahmezustand eine Situation, in der die üblichen Abläufe im Betrieb durch rechtmäßige kollektive Maßnahmen wie Streiks oder Aussperrungen erheblich gestört oder unterbrochen werden. Dieser Zustand hat folgende arbeitsrechtliche Folgen:

  • Ruhen der Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag: Während eines rechtmäßigen Arbeitskampfs ruhen grundsätzlich die Hauptleistungspflichten der betroffenen Arbeitsverhältnisse, insbesondere die Arbeits- und Vergütungspflicht.
  • Betriebsrisikolehre: Wird der Betrieb im Rahmen eines Ausnahmezustands stillgelegt, etwa infolge eines umfassenden Streiks, kann das sogenannte Betriebsrisiko einschlägig werden. Maßgeblich ist dabei, ob die Gründe für den Arbeitsausfall im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers oder der Belegschaft liegen.
  • Vergütungsanspruch und Annahmeverzug: Während eines Arbeitskampfs entfällt in der Regel der Anspruch auf Arbeitslohn für die streikenden oder ausgesperrten Beschäftigten. Dabei können Ausnahmen bestehen, sofern eine Betriebsstörung nicht unmittelbar auf dem Streik selbst, sondern auf anderen, dem Arbeitgeber zurechenbaren Umständen beruht.

Gesetzliche Grundlagen und Rechtsquellen

Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen

Das deutsche Grundgesetz kennt den Begriff des „inneren Notstands“, welcher im Verteidigungsfall weitreichende Auswirkungen auf viele Rechtsgebiete, auch das Arbeitsrecht, haben kann. Die praktische Relevanz liegt jedoch vor allem im Arbeitskampfrecht und weniger im förmlichen Notstandsrecht.

  • Art. 9 Abs. 3 GG: Gewährleistet die Koalitionsfreiheit, woraus das Recht zu Arbeitskämpfen folgt. Der so bedingte Ausnahmezustand im Betrieb wird durch arbeitsrechtliche Regelungen flankiert und begrenzt.
  • § 615 S. 3 BGB: Regelt, inwiefern Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit infolge eines Streiks keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn haben.

Tarifrechtliche Vereinbarungen

Tarifverträge können spezielle Regelungen für Ausnahmezustände enthalten, etwa zu Notdiensten, besonderen Meldepflichten oder finanziellen Leistungen für betroffene Beschäftigte während eines Arbeitskampfs.


Pflichten und Rechte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern

Notdienste und Aufrechterhaltung betrieblicher Mindestfunktionen

Im Falle eines tariflich geregelten Arbeitskampfes kann die Verpflichtung zur Leistung von Notdiensten bestehen, um lebenswichtige oder eminent wichtige Betriebsabläufe aufrechtzuerhalten. Hierbei handelt es sich um einen arbeitsrechtlich besonders geregelten Ausnahmezustand, der sowohl individuelle Pflichten als auch betriebliche Abläufe tangiert.

Informations- und Meldepflichten

Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer können im Ausnahmezustand besonderen Informations- und Meldepflichten unterliegen, beispielsweise gegenüber Betriebsräten oder Aufsichtsbehörden. Diese dienen der Transparenz und dem Schutz aller Beteiligten während der Ausnahmesituation.


Besonderheiten in Sonderfällen

Katastrophenfall und Pandemiesituationen

In seltenen Fällen kann auch außerhalb kollektiver Arbeitskämpfe ein arbeitsrechtlicher Ausnahmezustand vorliegen, etwa bei Naturkatastrophen oder während einer Pandemie. Hierbei stehen Aspekte des Arbeitsschutzes, etwa die Verpflichtung zur Gefahrenabwehr sowie besondere Mitwirkungs- und Informationspflichten im Vordergrund. Auch die Möglichkeit behördlicher Betriebsuntersagungen kann arbeitsrechtliche Ausnahmezustände erzeugen.

Kurzarbeit, Freistellung und Lohnfortzahlung

Während eines Ausnahmezustands infolge externer Ereignisse können Regelungen zur Kurzarbeit, zur einseitigen Freistellung von Arbeitnehmern oder zur Fortzahlung des Entgelts vorübergehend bedeutsam werden. Gesetzliche Grundlagen bilden hierbei das Arbeitsrecht sowie spezielle Regelungen, wie sie beispielsweise im Infektionsschutzgesetz vorgesehen sind.


Abgrenzung zu anderen Rechtsbegriffen

Der arbeitsrechtliche Ausnahmezustand ist vom Staatsnotstand, vom Verteidigungsfall und anderen staatlich ausgerufenen Krisenlagen zu unterscheiden. Während der staatsrechtliche Ausnahmezustand umfassende Einschränkungen elementarer Grundrechte erlauben kann, bezieht sich der arbeitsrechtlich relevante Ausnahmezustand in der Regel auf betriebliche oder tarifliche Sonderlagen, die temporär geltende Modifizierungen arbeitsrechtlicher Pflichten und Rechte bewirken.


Fazit: Zusammenfassung der arbeitsrechtlichen Bedeutung des Ausnahmezustands

Im Arbeitsrecht ist der Ausnahmezustand vor allem während Arbeitskämpfen, bei Katastrophenfällen oder ähnlichen betrieblichen Ausnahmelagen von Bedeutung. Er kennzeichnet Situationen, in denen gewohnte Pflichten und Rechte innerhalb des Arbeitsverhältnisses temporär angepasst werden. Gesetzliche, tarifliche und vertragliche Regelungen stecken den Rahmen ab. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten sich bei Vorliegen eines Ausnahmezustandes stets am maßgeblichen Normenwerk sowie an aktuellen betrieblichen Mitteilungen orientieren, um rechtliche Nachteile zu vermeiden.

Häufig gestellte Fragen

Welche Auswirkungen hat der Ausnahmezustand auf bestehende Arbeitsverhältnisse?

Im Ausnahmezustand, der durch staatliche Stellen nach den Vorgaben des Grundgesetzes oder besonderer Gesetze (etwa dem Notstandsgesetz) verhängt werden kann, kann das reguläre Arbeitsrecht im Rahmen der jeweiligen Notstandsregelungen eingeschränkt werden. Dies betrifft insbesondere Schutzvorschriften für Arbeitnehmer, etwa bezüglich Arbeitszeit, Pausenregelungen oder Versammlungsfreiheit. Arbeitgeber können unter Umständen per behördlicher Anordnung verpflichtet werden, bestimmte betriebliche Abläufe aufrechtzuerhalten oder Personal für systemrelevante Tätigkeiten bereitzustellen. Zudem kann es zu einer Enteignung von Produktionsmitteln oder zur Heranziehung von Arbeitskräften – etwa durch Arbeitsbeschaffungspflichten im Katastrophenfall – kommen. Der grundrechtliche Schutz (z. B. Streikrecht) kann im Einzelfall eingeschränkt werden. Dennoch ist der Ausnahmezustand kein rechtsfreier Raum: Kernbestimmungen des Individualarbeitsrechts, etwa das Recht auf Lohnzahlung für geleistete Arbeit oder der Bestandschutz des Arbeitsverhältnisses, bleiben grundsätzlich bestehen, können jedoch temporär durch Sonderregelungen überlagert oder begrenzt werden.

Inwiefern ist das Streikrecht im Ausnahmezustand eingeschränkt?

Das Streikrecht, als kollektives Grundrecht nach Art. 9 Abs. 3 GG, kann im Ausnahmezustand erheblich eingeschränkt werden. Während beispielsweise im „normalen“ Arbeitskampfrecht Arbeitsniederlegungen grundsätzlich zulässig sind, kann im Ausnahmezustand durch gesetzliche oder behördliche Anordnung ein Streikverbot für bestimmte Berufsgruppen oder Sektoren (z. B. Polizei, Feuerwehr, medizinisches Personal, Energieversorgung) verhängt werden. Hintergrund ist das übergeordnete Interesse an der Aufrechterhaltung essentieller staatlicher oder gesellschaftlicher Funktionen. Auch „wilde“ bzw. nicht genehmigte Streiks können im Ausnahmezustand schärfer sanktioniert werden, da die Gefährdungslage besondere Maßnahmen rechtfertigen könnte. Die Einschränkung des Streikrechts bedarf stets einer gesetzlichen Grundlage und muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Arbeitnehmervertreter können gegen unverhältnismäßige Eingriffe rechtlich vorgehen, wenngleich im Ausnahmezustand gerichtliche Überprüfungen zum Teil erschwert sein können.

Können Arbeitnehmer im Ausnahmezustand zu Notdiensten oder Arbeitseinsätzen verpflichtet werden?

Ja, im Ausnahmezustand kann durch Gesetz oder behördliche Anordnung eine Verpflichtung zu sogenannten Notdiensten oder besonderen Arbeitseinsätzen bestehen. Dies betrifft insbesondere Arbeitnehmer in kritischen Infrastrukturen (z. B. Krankenhäuser, Energieversorgung, Verkehrsbetriebe). Die gesetzlichen Grundlagen finden sich in verschiedenen deutschen Notstands- oder Katastrophenschutzgesetzen. Widersetzen sich Arbeitnehmer diesen Anordnungen, drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung, sowie – abhängig vom Gesetz – auch ordnungsrechtliche oder strafrechtliche Sanktionen. Die Verpflichtung ist allerdings nur dann zulässig, wenn sie verhältnismäßig ist und auf einer klaren gesetzlichen Grundlage basiert. Es muss sichergestellt sein, dass die Persönlichkeitsrechte und körperliche Unversehrtheit nicht unangemessen beeinträchtigt werden.

Welche Mitbestimmungsrechte haben Betriebsräte im Ausnahmezustand?

Auch im Ausnahmezustand bestehen die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten grundsätzlich fort. Allerdings können sie durch Sondergesetze oder behördliche Verfügungen eingeschränkt werden. Insbesondere im Hinblick auf Arbeitszeitregelungen, Arbeitsplatzsicherung oder Versetzungen kann das Mitbestimmungsrecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zugunsten schneller behördlicher Maßnahmen oder zum Schutz der Allgemeinheit vorübergehend suspendiert oder eingeschränkt werden. Betriebsräte behalten jedoch in vielen Fällen ein Anhörungs- oder Informationsrecht. Jegliche Einschränkungen der Mitbestimmung müssen gesetzlich angeordnet und begründet werden. Nach Beendigung des Ausnahmezustands leben die Rechte des Betriebsrats in vollem Umfang wieder auf.

Sind Kündigungen während des Ausnahmezustands zulässig?

Die Zulässigkeit von Kündigungen im Ausnahmezustand bleibt grundsätzlich unter den regulären arbeitsrechtlichen Voraussetzungen bestehen. Das bedeutet, dass ordentliche oder außerordentliche Kündigungen gemäß Kündigungsschutzgesetz (KSchG) oder nach Dienstvertragsrecht des BGB weiterhin möglich sind. Allerdings kann es im äußeren Notstand zu vorübergehenden Kündigungsausschlüssen oder Kündigungssperren kommen, insbesondere, wenn der Staat bestimmte Arbeitskräfte für krisenrelevante Bereiche benötigt. Ferner können kündigungsrechtliche Sonderregelungen greifen, wenn der Arbeitsplatz aufgrund staatlicher Maßnahmen entfällt oder der Betrieb zeitweise stillgelegt werden muss. In solchen Fällen ist häufig eine Interessenabwägung unter Einbeziehung des Gemeinwohls vorzunehmen. Arbeitnehmer können sich dennoch gegen unrechtmäßige Kündigungen mit den üblichen Rechtsmitteln wehren, es sei denn, gerichtliche Verfahren sind im Ausnahmezustand ausgesetzt oder eingeschränkt.

Was gilt für die Entgeltzahlung bei vorübergehender Betriebsschließung im Ausnahmezustand?

Muss ein Betrieb im Ausnahmezustand vorübergehend schließen (z. B. wegen behördlicher Anordnung, Ausgangssperre oder Produktionsumstellung), stellt sich die Frage nach der Vergütungspflicht des Arbeitgebers. Grundsätzlich bleibt die Entgeltzahlungspflicht bestehen, wenn der Arbeitnehmer arbeitsbereit ist, aber aufgrund betrieblicher Umstände (sog. Annahmeverzug) nicht beschäftigt werden kann. Wird die Betriebsschließung jedoch durch äußere Umstände höherer Gewalt verursacht, greifen Regelungen wie § 615 Satz 3 BGB („Betriebsrisiko“). Nach vorherrschender Meinung kann in echten Katastrophenfällen oder bei hoheitlichem Eingriff die Lohnzahlungspflicht entfallen, sofern kein spezifischer gesetzlicher Anspruch (wie z. B. auf Kurzarbeitergeld nach SGB III) besteht. In diesen Fällen ist eine genaue Prüfung des Einzelfalls anzuraten, da staatliche Entschädigungsleistungen oder Notfallregelungen greifen können.

Gibt es spezielle Schutzvorschriften für besonders gefährdete Arbeitnehmergruppen im Ausnahmezustand?

Spezielle Schutzvorschriften, etwa für Schwangere, Schwerbehinderte oder Jugendliche, gelten auch im Ausnahmezustand fort, können jedoch – abhängig von den gesetzlichen Notstandsregelungen – eingeschränkt werden. So dürfen beispielsweise Schwangere in systemrelevanten Bereichen nur herangezogen werden, wenn dies mit dem Mutterschutzgesetz vereinbar ist und die Gefährdung nicht über das gewöhnliche Maß hinausgeht. Schutzmaßnahmen zum Gesundheitsschutz und zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit sind auch im Ausnahmezustand einzuhalten. Ausnahmegenehmigungen sind nur bei eindeutiger Gefährdungslage und unter strenger Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zulässig. Rechte auf Schonung und Unterstützung bestehen weiterhin, sofern sie nicht explizit durch Notstandsrecht außer Kraft gesetzt wurden.