Auslandsaufenthalt und Sozialversicherung in Deutschland
Der Begriff Auslandsaufenthalt und Sozialversicherung beschreibt die rechtliche Schnittstelle zwischen einer zeitweiligen oder dauerhaften Tätigkeit beziehungsweise einem Aufenthalt einer Person außerhalb Deutschlands und den daraus resultierenden sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen. Im Folgenden werden die zentralen Aspekte dieses Themenkomplexes umfassend erläutert.
Definition und Anwendungsbereich
Ein Auslandsaufenthalt liegt vor, wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt oder auch nur ihren Beschäftigungsort vorübergehend oder dauerhaft außerhalb Deutschlands wählt. Dabei sind insbesondere folgende Konstellationen relevant:
- Entsendung durch einen deutschen Arbeitgeber
- Aufnahme einer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit im Ausland
- Studium, Praktika oder Weiterbildung außerhalb Deutschlands
- Dauerhafte Auswanderung
Die Frage, nach welchem Recht die Sozialversicherungspflicht und der Sozialschutz während eines Auslandsaufenthalts zu beurteilen ist, ergibt sich aus nationalen Vorschriften, europäischen Regelungen und internationalen Abkommen.
Rechtsgrundlagen der sozialversicherungsrechtlichen Regelungen bei Auslandsaufenthalten
1. Nationale gesetzliche Grundlagen
Die wichtigsten nationalen Regelungen finden sich in den Sozialgesetzbüchern (SGB), insbesondere:
- SGB IV: Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung
- SGB VI: Gesetzliche Rentenversicherung
- SGB V: Gesetzliche Krankenversicherung
- SGB III: Arbeitslosenversicherung
- SGB VII: Gesetzliche Unfallversicherung
Diese Vorschriften beziehen sich grundsätzlich auf Personen, die „beschäftigt“ oder „selbständig tätig“ sind und deren Beschäftigungs- oder Tätigkeitsort sich im Inland befindet. Sobald eine Tätigkeit ins Ausland verlagert wird, greifen Übergangs- und Sonderregelungen.
2. Europäisches Recht
Für Aufenthalte und Tätigkeiten innerhalb der EU, des EWR (Norwegen, Island, Liechtenstein) und der Schweiz gelten die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009. Sie regeln insbesondere:
- Welches Land für die Sozialversicherung zuständig ist (Prinzip: „Ein-Land-Recht“ ‒ nur in einem Staat sozialversicherungspflichtig)
- Regelungen zur Entsendung (Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004)
- Koordination der Sozialleistungssysteme
3. Bilaterale Sozialversicherungsabkommen
Deutschland hat mit zahlreichen Staaten außerhalb der EU/EWR/Schweiz bilaterale Abkommen abgeschlossen, um die Sozialschutzrechte grenzüberschreitend zu sichern. Diese Verträge regeln:
- Anwendbares Recht bezüglich der einzelnen Sozialversicherungszweige
- Leistungsaustausch und -export
- Beitragsabwicklung bei Entsendung oder Wohnortwechsel
Auswirkungen auf die einzelnen Zweige der Sozialversicherung
1. Krankenversicherung
Gesetzliche Krankenversicherung
Für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) gilt grundsätzlich das Territorialitätsprinzip. Das bedeutet, bei Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland oder Tätigkeit im Ausland gilt das Versicherungsrecht des Aufenthaltsstaates, sofern keine Sonderregelung greift. Abweichungen bestehen:
- Bei Entsendung innerhalb der EU/EWR/Schweiz oder ins Abkommensland bleibt der oder die Beschäftigte unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin in Deutschland gesetzlich krankenversichert.
- Bei privaten Reisen oder kurzen Auslandsaufenthalten besteht in der Regel ein Anspruch auf Kostenerstattung beziehungsweise Sachleistungen im Rahmen der EU-Krankenversicherungskarte.
Private Krankenversicherung
Die private Krankenversicherung berechtigt im Ausland meist zu Leistungen, sofern dies im Tarif vorgesehen ist. Laufende Policen sollten im Hinblick auf Auslandsaufenthalte geprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
2. Rentenversicherung
Der Verbleib in der deutschen Rentenversicherungspflicht bei Entsendungen wird nach nationalem, europäischem oder abkommensrechtlichem Recht beurteilt. Bei dauerhafter Auswanderung und fehlendem Anknüpfungspunkt zum nationalen Recht kann die Versicherungspflicht entfallen. Bei Rückkehr ist eine Nachversicherung unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Export von Leistungen: Renten können in der Regel auch bei Wohnsitz im Ausland gezahlt werden (Ausnahme: bestimmte Sonderrenten und gekürzte Beträge bei Wohnsitznahme außerhalb der EU/EWR).
3. Arbeitslosenversicherung
Für die Arbeitslosenversicherung gelten beim Auslandsaufenthalt vergleichbare Regelungen wie in der Rentenversicherung. Während einer Entsendung bleibt die Versicherungspflicht grundsätzlich bestehen. Nach Ablauf einer Entsendung oder bei Aufnahme einer Tätigkeit im Ausland richten sich Anspruch und Leistungsbezug nach den Vorschriften des jeweiligen Aufenthaltslandes beziehungsweise nach ggf. anwendbaren Abkommen.
4. Unfallversicherung
Der Schutz in der gesetzlichen Unfallversicherung erstreckt sich im Regelfall ebenfalls nur auf Tätigkeiten im Inland. Im Falle einer Auslandsentsendung besteht jedoch Versicherungsschutz, sofern das Beschäftigungsverhältnis formal weiter zu einem Unternehmen in Deutschland besteht und die Tätigkeit im Interesse des deutschen Unternehmens erfolgt.
5. Pflegeversicherung
Die Pflegeversicherung ist an die gesetzliche Krankenversicherung gekoppelt. Somit gelten die gleichen Grundsätze hinsichtlich der Versicherungspflicht bei Auslandsaufenthalten.
Entsendung ins Ausland – Voraussetzungen und Rechtsfolgen
1. Grundfall der Entsendung
Eine Entsendung liegt vor, wenn ein Unternehmen eine im Inland beschäftigte Person vorübergehend zur Arbeitsleistung ins Ausland schickt, ohne dass das Arbeitsverhältnis zum deutschen Unternehmen beendet wird.
Voraussetzungen für die Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts:
- Fortbestehende Anbindung an das entsendende Unternehmen
- Geplanter vorübergehender (nicht dauerhafter) Aufenthalt im Ausland
- Maximaldauer je nach Rechtskreis unterschiedlich (EU: i.d.R. bis 24 Monate)
2. Nachweis durch A1-Bescheinigung
Als Nachweis für die fortbestehende Verpflichtung zur deutschen Sozialversicherung dient innerhalb der EU, des EWR, der Schweiz sowie in vielen Abkommensstaaten die sogenannte A1-Bescheinigung. Sie muss vom Arbeitgeber beantragt und dem Beschäftigten ausgehändigt werden.
Versicherungslücke und Vorsorgemaßnahmen
1. Freiwillige Weiterversicherung
Liegen die Voraussetzungen für die Fortdauer der Pflichtversicherung nicht vor, besteht oftmals die Möglichkeit zur freiwilligen Versicherung, insbesondere in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung.
2. Abschluss privater Zusatzversicherungen
Um Versicherungslücken während eines Auslandsaufenthaltes zu vermeiden, empfiehlt sich der ergänzende Abschluss privater Kranken- oder Unfallversicherungen, eventuell auch Pflege- und Berufsunfähigkeitsversicherungen. Dabei ist auf den Leistungsumfang und die weltweite Gültigkeit zu achten.
Melde- und Nachweispflichten
1. Arbeitgeberpflichten
Bei Entsendung ins Ausland obliegt es dem Arbeitgeber, die nötigen Meldungen bei der Einzugsstelle oder den zuständigen Trägern zu veranlassen und ggf. den Nachweis (A1-Bescheinigung) einzuholen.
2. Mitwirkungspflichten der Beschäftigten
Beschäftigte müssen dem Arbeitgeber relevante Änderungen melden, etwa beim Wechsel ins Ausland, Änderung des Aufenthaltsortes oder Rückkehr nach Deutschland.
Steuerrechtliche Aspekte und Wechselwirkungen mit der Sozialversicherung
Sozialversicherungs- und Steuerrecht sind voneinander unabhängige Rechtsbereiche. Dennoch kann der Wechsel des Wohnsitzes ins Ausland auch steuerrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, insbesondere hinsichtlich des steuerlichen Wohnsitzes, der Ansässigkeit und der Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen im Ausland.
Zusammenfassung
Der Zusammenhang von Auslandsaufenthalt und Sozialversicherung stellt ein vielschichtiges Rechtsgebiet dar, das von nationalen Gesetzen, europäischen Regelungen sowie bilateralen Abkommen geprägt ist. Jede Auslandsaktivität sollte sorgfältig hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Versicherungspflicht, Leistungsansprüche und Beitragszahlungen überprüft werden. Gründliche Recherche und gegebenenfalls eine individuelle Beratung durch die Träger der Sozialversicherung sind im Einzelfall unerlässlich, damit während oder nach einem Auslandsaufenthalt keine Nachteile im sozialen Schutz entstehen.
Siehe auch:
- Deutsche Rentenversicherung: Entsendung und Ausland
- GKV-Spitzenverband: Krankenversicherung im Ausland
- Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung-Ausland
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Sozialversicherungsabkommen
Häufig gestellte Fragen
Muss ich während eines Auslandsaufenthaltes weiterhin Beiträge zur deutschen Sozialversicherung zahlen?
Ob während eines Auslandsaufenthaltes weiterhin Beiträge zur deutschen Sozialversicherung gezahlt werden müssen, hängt im Wesentlichen vom Status des Arbeitnehmers oder Selbständigen sowie vom Beschäftigungsort und den zwischenstaatlichen Abkommen ab. Bei einer Entsendung innerhalb der EU, des EWR oder in die Schweiz greift grundsätzlich die sogenannte „Entsendebescheinigung“ (A1-Bescheinigung nach EU-Verordnung 883/2004), wodurch weiterhin deutsches Sozialversicherungsrecht gilt, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Bei Entsendungen in Staaten mit einem Sozialversicherungsabkommen (z. B. USA, Australien), gelten meist ähnliche Regelungen, wobei Details je nach Abkommen differieren können. In allen anderen Fällen unterliegt die Person in der Regel den Sozialversicherungsvorschriften des Gastlandes. Es ist ratsam, vor dem Auslandsaufenthalt den Versicherungsstatus zu klären, um Doppelversicherungen oder Versorgungslücken zu vermeiden und Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer sollten gegebenenfalls Anträge auf Ausnahmevereinbarungen oder Entsendebescheinigungen rechtzeitig stellen.
Was passiert mit meiner deutschen Rentenversicherung, wenn ich im Ausland arbeite?
Wer als Deutscher im Ausland arbeitet, kann unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin in der deutschen Rentenversicherung versichert bleiben. Bei einer Entsendung innerhalb der EU/EWR/Schweiz bleibt in der Regel die Versicherungspflicht in der deutschen Rentenversicherung bestehen, solange die Entsendung vorübergehend ist und die Verbindung zum deutschen Arbeitgeber aufrechterhalten bleibt. In Ländern mit Sozialversicherungsabkommen wird meist eine Zusammenrechnung der Versicherungszeiten ermöglicht, sodass erworbene Ansprüche aus beiden Systemen bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden. Ohne ein solches Abkommen besteht die Möglichkeit, freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu leisten, sofern bestimmte Anforderungen, wie ein vorhergehendes verpflichtendes Versicherungsverhältnis in Deutschland, erfüllt sind. Hierbei sind Fristen und formale Vorgaben streng zu beachten.
Wie ist mein Krankenversicherungsschutz im Ausland geregelt?
Der Krankenversicherungsschutz hängt davon ab, ob Sie als Arbeitnehmer entsandt werden oder eigenständig im Ausland tätig sind sowie vom Aufenthaltsziel. Innerhalb der EU/EWR-Staaten und der Schweiz ist durch die europäische Krankenversicherungskarte (EHIC) oder eine Entsendebescheinigung die medizinische Versorgung im Rahmen der landestypischen Leistungen gedeckt. Bei Entsendungen in Staaten mit Sozialversicherungsabkommen sind Umfang und Zugang der Leistungen abkommensabhängig geregelt. In anderen Fällen erlischt der Anspruch auf die Leistungen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung meist innerhalb von 6 Wochen nach Beginn des Auslandsaufenthalts. Hier sollte frühzeitig eine Auslands- oder Reisekrankenversicherung abgeschlossen werden. Privat Versicherte müssen in der Regel zusätzlich prüfen, ob und in welchem Umfang Auslandsaufenthalte im Versicherungsschutz inkludiert sind.
Welche Meldepflichten habe ich gegenüber deutschen Sozialversicherungsträgern bei einem Auslandsaufenthalt?
Sobald ein Arbeitnehmer oder Selbständiger ins Ausland entsandt wird oder dort tätig ist, besteht eine gesetzliche Meldepflicht gegenüber den Sozialversicherungsträgern in Deutschland. Arbeitgeber sind verpflichtet, Entsendungen zu melden und gegebenenfalls eine A1-Bescheinigung zu beantragen. Auch bei einer freiwilligen oder ehrenamtlichen Auslandsbeschäftigung ist eine Mitteilung an die Renten- und Krankenversicherung sinnvoll, um eine korrekte Beitragszuordnung bzw. Absicherung sicherzustellen. Verstöße gegen die Meldepflichten können zu empfindlichen Nachforderungen und Versicherungslücken führen, weshalb alle Auslandsaufenthalte mit potenziellen sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen vorab rechtzeitig anzuzeigen sind.
Wie wird bei einer dauerhaften Verlagerung des Wohnsitzes ins Ausland die Sozialversicherung in Deutschland gehandhabt?
Bei einer dauerhaften Verlagerung des Wohnsitzes ins Ausland erlischt in den meisten Fällen die Sozialversicherungspflicht in Deutschland. Abhängig vom Zielland kann entweder eine Pflichtversicherung im neuen Wohnsitzland greifen oder – falls kein Sozialversicherungsabkommen besteht – ein vollständiger Verlust des Versicherungsschutzes in Deutschland erfolgen. Eine Weiterversicherung, insbesondere in der gesetzlichen Rentenversicherung, ist oft nur durch freiwillige Beiträge möglich, sofern die rechtlichen Voraussetzungen (wie mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge zuvor) erfüllt sind. In Einzelfällen kann über Rahmenabkommen oder Ausnahmegenehmigungen eine anlassbezogene Weitergeltung des deutschen Sozialversicherungsrechts vereinbart werden – dies ist jedoch stets individuell zu prüfen und zu beantragen.
Kann ich Zeiten der Sozialversicherung im Ausland auf die deutsche Rente anrechnen lassen?
Sozialversicherungszeiten, die im Ausland erworben wurden, können – je nach Land – auf die deutsche Rente angerechnet werden. Innerhalb der EU/EWR und mit Ländern, mit denen Deutschland ein bilaterales Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat, werden die Versicherungszeiten häufig addiert, um einen Rentenanspruch zu ermöglichen. Bei Ländern ohne derartige Abkommen ist eine Anerkennung nur selten oder gar nicht möglich; hier kann die Zahlung freiwilliger Beiträge an die deutsche Rentenversicherung sinnvoll sein, um Rentenansprüche in Deutschland nicht zu verlieren. Die Rentenansprüche aus den verschiedenen Ländern werden häufig proportional zur dort verbrachten Versicherungszeit berechnet und ausgezahlt.
Was muss ich als Selbständiger bezüglich der Sozialversicherung während eines Auslandsaufenthaltes beachten?
Auch Selbständige unterliegen komplexen sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben bei einer Tätigkeit im Ausland. Je nach Zielland und Status muss geprüft werden, ob eine Pflichtversicherung – beispielsweise in der deutschen gesetzlichen Renten- oder Krankenversicherung – weiterhin besteht oder ob eine Versicherungspflicht im Ausland eintritt. Im Falle eines Wechsels kann die freiwillige Weiterversicherung in Deutschland möglich sein, sofern die Antragsfristen und andere Bedingungen eingehalten werden. Ferner sind gegebenenfalls die jeweiligen Meldepflichten beim deutschen Sozialversicherungsträger sowie im Ausland zu erfüllen. Die Details hängen stark vom Land des Auslandsaufenthaltes und den nationalen sowie zwischenstaatlichen Regelungen ab – eine individuelle rechtliche Beratung ist daher dringend empfohlen.