Begriff und Bedeutung: Ausfahren aus Grundstücken
Das „Ausfahren aus Grundstücken“ beschreibt im verkehrsrechtlichen Kontext das Verlassen eines privaten oder öffentlichen Grundstücks über einen direkten Zugang auf eine öffentliche Straße oder einen Verkehrsraum. Dies umfasst unter anderem das Befahren von Geh- und Radwegen, Seitenstreifen und Fahrbahnen des öffentlichen Straßenraums vom Grundstück aus. Das Thema hat besondere Relevanz für Eigentümer, Mieter, Pächter sowie alle Fahrzeugführer, die mit ihren Fahrzeugen, Fahrrädern oder anderen fahrbaren Untersätzen vom Grundstück auf die öffentliche Straße ein- und ausfahren.
Rechtliche Grundlagen
Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
Die maßgeblichen Regelungen zum Ausfahren aus Grundstücken ergeben sich primär aus der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Gemäß § 10 StVO hat, „wer aus einem Grundstück, einem Fußgängerbereich, einem verkehrsberuhigten Bereich oder einem anderen nicht dem öffentlichen Verkehr dienenden Bereich auf eine Straße einfahren will, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.“ Vorrang genießt mithin grundsätzlich der fließende Verkehr.
Definition des Grundstücks im Verkehrsrecht
Unter einem Grundstück versteht man im verkehrsrechtlichen Zusammenhang neben privaten Wohngrundstücken auch Gewerbegrundstücke, Zufahrten zu Parkplätzen, Garagenhöfen, Tankstellen sowie die Aus- und Zufahrten von Supermärkten oder anderen Anlagen. Entscheidend ist, dass das Grundstück nicht Teil der dem öffentlichen Straßenverkehr gewidmeten Fläche ist.
Verkehrspflichten beim Ausfahren
Sorgfaltspflichten
Wer aus einem Grundstück ausfährt, unterliegt erhöhten Sorgfaltspflichten. Die Verpflichtung erstreckt sich insbesondere darauf, den bevorrechtigten fließenden Verkehr auf der Straße weder zu gefährden noch zu behindern. Eine Mitverantwortung Dritter, wie des von rechts kommenden Verkehrs (Rechts-vor-Links-Regel), besteht im Rahmen des Ausfahrens aus Grundstücken nicht. Die StVO schreibt explizit vor, dass Fahrzeuge beim Ausfahren die Fahrbahn nur dann betreten dürfen, wenn sie sich vergewissert haben, dass sie andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährden.
Blickpunkt und Sichtbeziehungen
Fahrzeugführer müssen beim Ausfahren ausreichend Sicht auf die Fahrbahn und den Gehweg haben. Bei schlechten Sichtverhältnissen besteht gegebenenfalls die Pflicht, einen Einweiser zu benutzen oder äußerst vorsichtig und notfalls langsam (mit Schrittgeschwindigkeit) auszufahren.
Vorrangregelungen
Fließender Verkehr und schwächere Verkehrsteilnehmer
Der gesamte fließende Verkehr, einschließlich Fahrzeuge, Radfahrer und zu Fuß Gehende, besitzt Vorrang gegenüber den ausfahrenden Fahrzeugen. Besonders zu beachten ist dabei die mögliche Gefährdung schwächerer Verkehrsteilnehmer, wie Radfahrer, Kinder oder mobilitätseingeschränkte Personen auf Gehwegen oder Radwegen.
Keine Vorfahrtregelung
Das Ausfahren aus Grundstücken ist grundsätzlich nicht mit einer klassischen Vorfahrtsituation gleichzusetzen, bei der Verkehrszeichen oder Richtungsanweisungen ein gegenseitiges Vorrecht regeln. Vielmehr ist das Ausfahren aus Grundstücken stets mit Wartepflicht verbunden.
Haftungs- und Bußgeldvorschriften
Haftung bei Verkehrsunfällen
Kommt es beim Ausfahren aus einem Grundstück zu einem Unfall, trifft den Ausfahrenden grundsätzlich die volle Haftung, sofern nicht ein Fehlverhalten des bevorrechtigten Verkehrsteilnehmers nachgewiesen werden kann. In der Regel spricht bereits der sogenannte Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Ausfahrenden.
Bußgelder und Ordnungswidrigkeiten
Das Missachten der Sorgfaltspflichten beim Ausfahren kann als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldern und Punkten im Fahreignungsregister (Flensburg) geahndet werden. Kommt es dabei zu einer Gefährdung oder Beschädigung von Personen oder Sachen, drohen weitere Sanktionen, unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen.
Besondere Fälle und Praxisbeispiele
Ausfahren mit Sichtbehinderung
Befinden sich beispielsweise Hecken, Mauern, Fahrzeuge oder andere Hindernisse auf oder unmittelbar am Grundstück, müssen Ausfahrende besondere Vorsicht walten lassen. Neben der Pflicht zur Schrittgeschwindigkeit ist auch das Hinzuziehen einer Hilfsperson (Einweiser) erforderlich, wenn die Sicht nicht ausreichend gewährleistet werden kann.
Winterliche und witterungsbedingte Besonderheiten
Bei Schneematsch, Eis, Nebel oder anderen Witterungsbedingungen gelten gesteigerte Vorsichtspflichten. Dazu zählt insbesondere die rechtzeitige Beseitigung von Sichtbehinderungen durch Schnee oder vereiste Scheiben und Spiegel.
Gerichtliche Auslegung und Urteile
Rechtsprechung zum Ausfahren aus Grundstücken
Diverse Gerichte haben in Urteilen und Entscheidungen die erhöhte Sorgfaltspflicht und Haftungslage der Ausfahrenden bestätigt. Dabei wird regelmäßig betont, dass eine Mitverschuldensfrage des fließenden Verkehrs regelmäßig erst dann entsteht, wenn diesem ein gravierendes Fehlverhalten nachgewiesen werden kann (z. B. erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen).
Zusammenfassung
Das Ausfahren aus Grundstücken stellt einen verkehrsrechtlich sensiblen Vorgang dar, der von den Ausfahrenden höchste Sorgfalt und Rücksichtnahme verlangt. Die Regelungen der StVO verpflichten Grundstücksnutzer dazu, Gefährdungen und Behinderungen anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Haftungs- und Bußgeldrisiken sind im Falle eines Verstoßes erheblich; Gerichte stützen sich bei der Bewertung regelmäßig auf den gesetzlichen Anscheinsbeweis. Die Kenntnis und Einhaltung der einschlägigen Vorschriften ist daher für alle Verkehrsteilnehmer, die aus Grundstücken in den öffentlichen Straßenraum ein- oder ausfahren, von zentraler Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Wer hat beim Ausfahren aus einem Grundstück immer Vorrang – der Querverkehr oder der Ausfahrende?
Beim Ausfahren aus einem Grundstück hat grundsätzlich immer der Querverkehr Vorrang. Gemäß § 10 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) muss sich derjenige, der aus einem Grundstück auf die Straße fährt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um fließenden Verkehr, Radfahrer auf einem Radweg oder Fußgänger auf dem Gehsteig handelt. Aus Fahrbahnen, Bahnübergängen, Fußgängerzonen, verkehrsberuhigten Bereichen oder auch aus Grundstückseinfahrten darf nur dann eingefahren bzw. herausgefahren werden, wenn der übrige Verkehr eindeutig nicht behindert oder gefährdet wird. Die besondere Sorgfaltspflicht des Ausfahrenden resultiert daraus, dass für den fließenden Verkehr in der Regel nicht ersichtlich ist, dass sich ein Fahrzeug aus einem Grundstück in den Verkehrsraum einfügen möchte. Kommt es zu einem Unfall im Zuge des Ausfahrens, wird die Schuld im Regelfall dem Ausfahrenden zugesprochen, sofern kein grobes Fehlverhalten des anderen Verkehrsteilnehmers nachgewiesen werden kann.
Muss beim Ausfahren aus einem Grundstück geblinkt werden?
Ja, das Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers ist zwingend vorgeschrieben. § 10 StVO verlangt ausdrücklich, sich beim Einfahren in den Straßenverkehr so zu verhalten, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden. Die Pflicht zur Betätigung des Blinkers ergibt sich aus § 9 Abs. 1 StVO, wonach jeder, der die Fahrtrichtung ändern möchte, dies rechtzeitig und deutlich anzeigen muss. Dies gilt also auch beim Ausfahren aus einem Grundstück. Das Blinken muss so rechtzeitig erfolgen, dass andere Verkehrsteilnehmer (auch Fußgänger und Radfahrer) eindeutig erkennen können, in welche Richtung ausgefahren wird. Unterbleibt das Blinken und kommt es dadurch zu einer Gefährdung oder einem Unfall, kann dies haftungsrechtliche und auch ordnungswidrigkeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Welche besonderen Sorgfaltspflichten treffen den Ausfahrenden?
Der Ausfahrende ist zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit verpflichtet. Das heißt insbesondere, dass er sich langsam und notfalls tastend aus dem Grundstück heraus bewegen muss, um frühzeitig zu erkennen, ob die Straße frei ist. Vor dem Ausfahren ist der Ausfahrende verpflichtet, jeglichen Querverkehr – auch auf dem Gehweg oder Radweg – zu beachten. Wo die Sicht eingeschränkt ist, muss er sich langsam vortasten und gegebenenfalls das Fahrzeug anhalten, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Die Sorgfaltspflicht schließt auch die Pflicht ein, alle Rückspiegel und gegebenenfalls eine zweite Person zur Einweisung zu nutzen, insbesondere bei größeren Fahrzeugen oder unübersichtlichen Ausfahrten.
Kann der Ausfahrende bei einer Kollision immer haftbar gemacht werden?
Im Falle einer Kollision beim Ausfahren aus einem Grundstück trifft den Ausfahrenden nahezu immer eine (Mit-)Haftung, häufig auch die Alleinhaftung. Der Gesetzgeber bringt durch § 10 StVO zum Ausdruck, dass der Ausfahrende als „Wartepflichtiger“ gilt und somit eine übergeordnete Verantwortung für das sichere Einfügen in den Straßenverkehr zu tragen hat. Die Haftung kann nur dann ganz oder teilweise entfallen, wenn der Querverkehr sich grob verkehrswidrig verhält, beispielsweise deutlich zu schnell fährt, bei Rot oder auf der falschen Seite unterwegs ist. Die Beweislast für ein solches Verhalten liegt allerdings beim Ausfahrenden.
Gilt das gleiche Rechtsverständnis für Fußgänger und Radfahrer beim Ausfahren aus einem Grundstück?
Ja, die rechtlichen Vorgaben beim Ausfahren aus einem Grundstück gelten auch gegenüber nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmern. Radfahrer und Fußgänger haben auf Gehwegen oder Radwegen Vorrang und dürfen durch das Ausfahren aus einem Grundstück nicht gefährdet oder behindert werden. Dies bedeutet, dass der Ausfahrende besondere Vorsicht walten lassen muss, da insbesondere auf Geh- und Radwegen mit nicht unerheblicher Geschwindigkeit gerechnet werden muss und hier oft Sichtbehinderungen durch Hecken, Mauern oder parkende Fahrzeuge auftreten.
Gibt es Unterschiede in der Rechtslage bei privaten und gewerblichen Grundstücksausfahrten?
Die Vorschriften des § 10 StVO gelten unabhängig von der Art des Grundstücks. Sowohl bei privaten als auch bei gewerblichen Grundstücken sind die gleichen Sorgfaltspflichten zu beachten. Das bedeutet, dass ein Ausfahren aus einem privaten Garagenhof ebenso behandelt wird wie das Ausfahren von einem Supermarktparkplatz auf eine öffentliche Verkehrsfläche. Unterschiede ergeben sich lediglich aus der Beschaffenheit des Geländes, der Einsicht in den fließenden Verkehr und möglicherweise der Betriebsgröße, jedoch nicht im rechtlichen Grundsatz der Wartepflicht.
Welche Rolle spielt Sichtbehinderung beim Ausfahren aus einem Grundstück?
Sichtbehinderungen – z. B. durch Hecken, Zäune, geparkte Autos – erhöhen die Sorgfaltspflichten des Ausfahrenden erheblich. Maßgeblich ist, dass der Ausfahrende jederzeit anhalten und sich notfalls Schritt für Schritt vortasten muss, bis er den Querverkehr überblicken kann. Kann die Straße oder der Geh-/Radweg nicht ausreichend eingesehen werden, darf nicht ausgefahren werden. Kommt es dennoch zu einem Unfall, gilt die Haftung des Ausfahrenden als umso größer, da ein besonders hohes Maß an Sorgfalt erwartet wird. Gegebenenfalls kann das Hinzuziehen einer Hilfsperson oder bauliche Änderungen zur Verbesserung der Sicht erforderlich sein.
Muss beim Ausfahren aus einem Grundstück immer der gesamte Gehweg überquert werden, auch wenn keine markierte Bordsteinabsenkung vorhanden ist?
Ja, beim Ausfahren aus einem Grundstück ist ausdrücklich darauf zu achten, dass der gesamte Gehweg und gegebenenfalls ein Radweg sicher überquert werden, unabhängig davon, ob eine Bordsteinabsenkung vorhanden ist oder nicht. Die Verpflichtung zur Rücksichtnahme und zum Vorrang des Fuß- und Radverkehrs bleibt bestehen. Das Fehlen einer Bordsteinabsenkung entbindet den Fahrzeugführer nicht von seiner besonderen Sorgfaltspflicht und der Rücksichtnahme gegenüber schwächeren Verkehrsteilnehmern. Auch darf der Gehweg nicht als Wartefläche oder Teil der eigenen Fahrtroute missbraucht werden.