Begriff und Wesen der Aufrechnung
Die Aufrechnung ist ein zentrales Rechtsinstitut im Schuldrecht, das die Möglichkeit bietet, wechselseitige Forderungen zweier Personen miteinander zu verrechnen. Dadurch kann eine Verpflichtung ganz oder teilweise durch eine Gegenforderung erlöschen, ohne dass eine gesonderte Tilgungsleistung erbracht werden muss. Die Aufrechnung dient der Vereinfachung und Beschleunigung des Forderungsausgleichs und hat einen bedeutenden Stellenwert im täglichen Geschäftsverkehr wie auch im privaten Rechtsverkehr.
Rechtsgrundlagen der Aufrechnung
Aufrechnung im BGB
Die gesetzlichen Vorschriften zur Aufrechnung finden sich in den §§ 387 bis 396 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Das BGB unterscheidet hierbei zwischen dem materiellen Recht der Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) und besonderen Aufrechnungsregelungen in anderen Gesetzen, beispielsweise im Handelsgesetzbuch (HGB), der Insolvenzordnung (InsO) und weiteren Spezialgesetzen.
Voraussetzungen der Aufrechnung
Für eine wirksame Aufrechnung sind im Wesentlichen die folgenden Voraussetzungen erforderlich:
Gegenseitigkeit der Forderungen
Die Aufrechnung setzt voraus, dass zwei Personen einander Leistungen schulden (Gegenseitigkeit der Forderungen). Schuldner und Gläubiger müssen identisch sein; eine wechselseitige Verrechnung mehrerer Beteiligter ist ohne zusätzliche Vereinbarung nicht möglich.
Gleichartigkeit der Forderungen
Gemäß § 387 BGB müssen die Forderungen gleichartig sein. In der Regel bezieht sich dies auf Geldforderungen. Unter bestimmten Umständen können auch andere vertretbare Sachen aufgerechnet werden.
Erfüllbarkeit und Fälligkeit
Die Hauptforderung, gegen die aufgerechnet werden soll, muss fällig sein; die Gegenforderung (Aufrechnungsforderung) muss zumindest erfüllbar sein (§ 387 BGB).
Klagbarkeit der Forderung
Die Gegenforderung darf nicht mit einer Einrede behaftet sein, die ihre Durchsetzbarkeit verhindert (§ 390 BGB). Sie muss also klagbar sein.
Kein Ausschluss der Aufrechnung
Die Aufrechnung darf nicht durch Gesetz, rechtsgeschäftliche Vereinbarung oder den Charakter der Forderung ausgeschlossen sein. Typische gesetzliche Aufrechnungsverbote finden sich in den §§ 393 und 394 BGB.
Rechtswirkungen der Aufrechnung
Erlöschen der Forderung
Mit der Erklärung der Aufrechnung erlöschen die wechselseitigen Forderungen, soweit sie sich decken, rückwirkend bis zum Zeitpunkt, an dem sich die Forderungen erstmals aufrechenbar gegenüberstanden (§ 389 BGB).
Teilaufrechnung
Besteht eine der Forderungen in geringerer Höhe, so erlischt sie nur insoweit; der überschießende Teil der Haupt- oder Gegenforderung bleibt bestehen.
Wirkung gegenüber Dritten
Die Aufrechnung wirkt nur zwischen den Parteien, nicht gegenüber Dritten, sofern keine abweichenden besonderen Regelungen bestehen (etwa im Insolvenzverfahren).
Beschränkungen und Ausschluss der Aufrechnung
Gesetzliche Aufrechnungsverbote
Ein Aufrechnungsverbot greift insbesondere bei Forderungen aus unerlaubter Handlung (§ 393 BGB) und bei bestimmten öffentlich-rechtlichen Forderungen. Auch gegen unpfändbare Forderungen (etwa Lohn oder Unterhalt) ist die Aufrechnung nur eingeschränkt zulässig.
Vertraglicher Ausschluss der Aufrechnung
Durch Vereinbarung zwischen den Parteien kann das Recht zur Aufrechnung beschränkt oder ausgeschlossen werden. Eine solche Regelung ist allerdings gemäß § 309 Nr. 3 BGB im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) gegenüber Verbrauchern nur eingeschränkt zulässig.
Persönliche Haftung
Bei Forderungen, die wegen der persönlichen Haftung oder des besonderen Vertrauens entstehen (z.B. Forderungen des Vormunds gegen den Mündel), ist die Aufrechnung gemäß § 394 BGB ebenfalls ausgeschlossen.
Die Aufrechnung im Insolvenzverfahren
Die Möglichkeit der Aufrechnung bleibt auch im Insolvenzverfahren grundsätzlich erhalten (§ 94 InsO). Die Voraussetzungen der insolvenzrechtlichen Aufrechnung regeln jedoch die §§ 94 ff. InsO und unterscheiden sich teilweise erheblich vom allgemeinen Schuldrecht. Insbesondere sind nach Insolvenzeröffnung entstandene Forderungen von der Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Gegenseite die Forderung nicht bereits vor diesem Zeitpunkt hätte aufrechnen dürfen (§ 96 InsO).
Verfahren der Aufrechnung
Aufrechnungserklärung
Die Aufrechnung bedarf grundsätzlich einer Erklärung gegenüber dem anderen Teil (§ 388 Satz 1 BGB). Diese Erklärung kann ausdrücklich oder konkludent, also durch schlüssiges Verhalten, erfolgen.
Wirkung der Erklärung
Mit dem Zugang der Aufrechnungserklärung tritt die schuldbefreiende Wirkung ein (§ 389 BGB). Eine gerichtliche Geltendmachung ist nicht erforderlich.
Aufrechnung im Prozess
Die Aufrechnung kann auch im Prozess, insbesondere im Rahmen eines Zivilverfahrens, erklärt werden. In diesem Fall wird sie als sogenannte „prozessuale“ Aufrechnung behandelt und als Einwendung gegen die Klageforderung geprüft.
Sonderformen der Aufrechnung
Konnexität
In bestimmten Fällen (z.B. im Kontokorrent oder bei einigen öffentlichen Forderungen) wird die gegenseitige Beziehung der Forderungen, sogenannte Konnexität, gefordert. Hierbei müssen die Forderungen aus demselben rechtlichen Verhältnis stammen.
Gesetzliche Aufrechnungen
Bei Kontoüberziehungen, Handelsgeschäften oder Bankleistungen greifen teils besondere gesetzliche Vorschriften, die die Möglichkeit zur Aufrechnung erleichtern oder modifizieren, um einen reibungslosen Geschäftsablauf sicherzustellen.
Internationale Aspekte und Besonderheiten
Im grenzüberschreitenden Verkehr können unterschiedliche nationale Vorschriften zur Aufrechnung Anwendung finden. Insbesondere im europäischen Recht und innerhalb der EU-Mitgliedstaaten bestehen teilweise abweichende Regelungen, etwa im Rahmen des Internationalen Privatrechts, die bei der Geltendmachung von Aufrechnungsrechten zu berücksichtigen sind.
Bedeutung der Aufrechnung
Die Aufrechnung hat eine erhebliche praktische Relevanz, insbesondere im Wirtschaftsleben und im privatrechtlichen Zahlungsverkehr. Sie ermöglicht eine effiziente und schnelle Verrechnung gegenseitiger Forderungen und trägt zur Risikominimierung, Liquiditätssicherung und Vereinfachung von Zahlungsvorgängen bei. Die korrekte Anwendung der Aufrechnungsvorschriften ist daher für das rechtliche Forderungsmanagement und die Unternehmenspraxis von besonderer Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Wann kann eine Aufrechnung rechtlich ausgeschlossen sein?
Eine Aufrechnung ist nach deutschem Recht in bestimmten Fällen ausgeschlossen. Die einschlägigen Ausschlussgründe finden sich vor allem in den §§ 393 bis 395 BGB. Gemäß § 393 BGB ist die Aufrechnung gegen eine Forderung, die sich auf eine unerlaubte Handlung gründet, ausgeschlossen, sofern die Forderung nicht auf Geldersatz gerichtet ist. Dadurch soll verhindert werden, dass der Schuldner eines deliktischen Anspruchs sich durch eine eigene Forderung entlastet. § 394 BGB schließt die Aufrechnung gegen unpfändbare Forderungen aus, etwa bei Unterhaltsansprüchen oder bestimmten Sozialleistungen. Zudem kann die Aufrechnung durch vertragliche Vereinbarung der Parteien ausgeschlossen oder eingeschränkt werden, beispielsweise in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Schließlich ist nach § 395 BGB die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn der Schuldner gegenüber einer öffentlichen Kasse (z.B. Finanzamt) eine Forderung besitzt, soweit die Aufrechnung durch Gesetz ausgeschlossen ist. Auch speziellere gesetzliche Ausschlussgründe, wie im Insolvenzrecht oder bei bestimmten arbeitsrechtlichen Forderungen, können im Einzelfall relevant sein.
Welche Formerfordernisse bestehen für die rechtmäßige Erklärung der Aufrechnung?
Für die Erklärung der Aufrechnung schreibt das Gesetz grundsätzlich keine besondere Form vor. Gemäß § 388 Satz 1 BGB kann die Aufrechnung grundsätzlich formlos, also auch mündlich oder durch schlüssiges Handeln, erfolgen. Es genügt, dass der Aufrechnende eindeutig die Aufrechnungserklärung abgibt und seinen Willen, die Forderungen miteinander zu verrechnen, unzweifelhaft kundtut. In bestimmten Konstellationen, etwa bei Verbraucherverträgen oder bei Vereinbarungen unter Kaufleuten, kann sich jedoch aus anderen Normen oder vertraglichen Vereinbarungen ein Formerfordernis für die Aufrechnung ergeben. Zudem empfiehlt sich aus Beweisgründen in der Praxis häufig die schriftliche Erklärung. Im Fall von Aufrechnungen gegenüber der öffentlichen Hand können im Einzelfall besondere Formerfordernisse oder Verfahrensregeln, etwa nach Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), zu beachten sein.
Welche Wirkung hat die Aufrechnung im rechtlichen Sinne?
Die Aufrechnung führt gemäß § 389 BGB dazu, dass beide Forderungen, soweit sie sich decken, rückwirkend als erloschen gelten. Der Forderungsausgleich tritt dabei kraft Gesetzes zum Zeitpunkt des Zusammentreffens der Aufrechnungslage und Abgabe der Aufrechnungserklärung ein. Beide Forderungen werden, soweit sie sich entsprechen, gleichermaßen erloschen, sodass ab diesem Zeitpunkt keine gegenseitigen Ansprüche mehr bestehen. Die Aufrechnung wirkt grundsätzlich wie die Erfüllung einer Forderung. Es bleiben jedoch etwaige Nebenansprüche, Sicherheitsrechte oder Verjährungsfragen zu beachten. Die rückwirkende Kraft der Aufrechnung bewirkt zudem, dass auch Zinsen oder Verzugsschäden lediglich bis zur Aufrechnung berücksichtigt werden und danach entfallen, soweit die Forderungen sich aufheben.
Wer ist zur Aufrechnung berechtigt und wann liegt eine sogenannte Aufrechnungslage vor?
Zur Aufrechnung berechtigt ist gemäß §§ 387 ff. BGB ein Schuldner, der zugleich eine eigene, fällige und durchsetzbare Gegenforderung gegen seinen Gläubiger besitzt. Entscheidende Voraussetzung ist das Vorliegen der sogenannten Aufrechnungslage: Beide Forderungen müssen gleichartig (in der Regel Geldforderungen), gegenseitig, fällig und durchsetzbar sein. Die Hauptforderung (Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll) muss erfüllbar und die Gegenforderung (Forderung, mit der aufgerechnet wird) fällig sein. Liegt beispielsweise ein Leistungszeitpunkt in der Zukunft, fehlt es an der Fälligkeit. Sind Voraussetzungen wie Gleichartigkeit, Gegenseitigkeit, Fälligkeit und Durchsetzbarkeit nicht erfüllt, kann keine wirksame Aufrechnung erklärt werden.
Welche rechtlichen Folgen hat eine unberechtigt erklärte Aufrechnung?
Wird die Aufrechnung erklärt, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen – etwa Gleichartigkeit, Gegenseitigkeit, Fälligkeit oder Durchsetzbarkeit – nicht vorliegen, ist die Aufrechnung unwirksam. Dies hat zur Folge, dass die gegenseitigen Forderungen weiterhin bestehen und die vermeintlich aufgerechnete Schuld nicht als getilgt gilt. Der Gläubiger kann seine Forderung weiterhin gerichtlich geltend machen. Zudem kann die unberechtigte Aufrechnung im Rahmen des Zivilprozesses als Einrede oder Einwendung bewertet werden. Gibt der Schuldner die Aufrechnung im Prozess an und wird sie vom Gericht als unberechtigt zurückgewiesen, bleibt dem Schuldner lediglich der Weg, seine Forderung anderweitig, etwa im Wege der Widerklage, geltend zu machen.
Kann eine bereits verjährte Forderung zur Aufrechnung verwendet werden?
Nach § 215 BGB kann eine verjährte Forderung zur Aufrechnung genutzt werden, wenn sie zu dem Zeitpunkt, zu dem erstmals hätte aufgerechnet werden können (d.h. die Aufrechnungslage bestand), noch nicht verjährt war. Das bedeutet, dass die Verjährung der Gegenforderung der Aufrechnung nicht entgegensteht, sofern die Voraussetzungen für die Aufrechnungslage zu einem früheren Zeitpunkt bereits gegeben waren. Die nachträgliche Verjährung schließt dann nicht mehr aus, dass mit dieser Forderung aufgerechnet wird. Umgekehrt ist eine erstmalig verjährte und erst danach fällig werdende Forderung von der Aufrechnung ausgeschlossen.
Welche Bedeutung hat die Aufrechnung im Insolvenzverfahren?
Im Insolvenzverfahren ist die Aufrechnung grundsätzlich auch weiterhin möglich, unterliegt jedoch erheblichen Einschränkungen nach den §§ 94 bis 96 InsO (Insolvenzordnung). Nach § 94 InsO bleibt das Recht zur Aufrechnung bestehen, wenn die Voraussetzungen für die Aufrechnung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorlagen. Nach § 96 InsO sind gewisse Aufrechnungen unzulässig, insbesondere dann, wenn der Schuldner die Forderung zur Zeit der Verfahrenseröffnung noch gar nicht hatte oder wenn die Forderung durch eine anfechtbare Handlung erlangt wurde. Ziel dieser Regelungen ist es, den Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung im Insolvenzverfahren zu wahren und missbräuchliche Ausnutzung von Aufrechnungsrechten zulasten der Gesamtgläubigerschaft zu verhindern. Aufrechnungen gegen den Insolvenzverwalter sind daher nur unter strengen Voraussetzungen zulässig.