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Arbeitsstreitigkeiten


Begriff und Definition von Arbeitsstreitigkeiten

Arbeitsstreitigkeiten bezeichnen rechtliche Auseinandersetzungen, die aus dem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern entstehen. Dabei kann es sich sowohl um Individualarbeitsstreitigkeiten als auch um Kollektivarbeitsstreitigkeiten handeln. Die Regelungsgrundlagen finden sich im Arbeitsrecht, insbesondere im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) sowie in einschlägigen Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und weiteren arbeitsrechtlichen Vorschriften.

Arbeitsstreitigkeiten umfassen sowohl Meinungsverschiedenheiten über den Bestand, die Ausgestaltung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen als auch kollektive Interessenkonflikte zwischen Arbeitgebern und Belegschaften bzw. Gewerkschaften.


Individualarbeitsstreitigkeiten

Definition und Gegenstand

Individualarbeitsstreitigkeiten sind Streitfälle, bei denen einzelne Arbeitnehmer ihre Ansprüche oder Rechte gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen oder sich gegen Maßnahmen des Arbeitgebers zur Wehr setzen. Typische Beispiele sind Streitigkeiten über Lohnansprüche, Urlaubsansprüche, Abmahnungen und Kündigungen.

Häufige Streitgegenstände

1. Kündigungsschutz

Einer der häufigsten Gründe für Individualarbeitsstreitigkeiten ist die Anfechtung von Kündigungen durch Arbeitnehmer. Hierzu gehören sowohl ordentliche Kündigungen als auch außerordentliche (fristlose) Kündigungen. Im Zentrum steht häufig die Wirksamkeit einer Kündigung unter Berücksichtigung des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) sowie besonderer Kündigungsschutzvorschriften (etwa Mutterschutz, Schwerbehinderung).

2. Vergütungs- und Lohnstreitigkeiten

Streitigkeiten um Arbeitsvergütung, Überstundenvergütung, Zuschläge, Sonderzahlungen (wie Weihnachtsgeld oder Urlaubsgeld) sowie Sachleistungen sind Gegenstand zahlreicher arbeitsgerichtlicher Verfahren.

3. Arbeitszeit und Urlaub

Auseinandersetzungen über Ansprüche auf bezahlten oder unbezahlten Urlaub, die Berechnung von Urlaubsentgelt sowie Fragen zur Arbeitszeiterfassung und Vergütung von Mehrarbeit sind häufige Streitpunkte.

4. Zeugnisstreitigkeiten

Arbeitnehmer haben nach § 109 GewO einen Anspruch auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis. Die inhaltliche Ausgestaltung eines Zeugnisses führt häufig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, insbesondere wenn Bewertungen und Formulierungen angefochten werden.


Kollektivarbeitsstreitigkeiten

Definition und Gegenstand

Kollektivarbeitsstreitigkeiten sind Konflikte, die sich nicht auf individuelle Rechte und Pflichten konzentrieren, sondern die kollektiven Interessen der Belegschaft oder von Beschäftigtengruppen gegenüber dem Arbeitgeber betreffen. Hierzu zählen insbesondere Auseinandersetzungen über Tarifverträge, betriebliche Mitbestimmungsrechte und Arbeitskampfmaßnahmen wie Streik und Aussperrung.

Formen kollektiver Streitigkeiten

1. Tarifstreitigkeiten

Hierbei handelt es sich um Meinungsverschiedenheiten zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Arbeitgebern hinsichtlich des Abschlusses, des Inhaltes oder der Auslegung von Tarifverträgen. Zentral sind Fragen nach Lohnhöhe, Arbeitszeit, Urlaubsanspruch und weiteren Arbeitsbedingungen.

2. Betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten

Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat – etwa bei der Anwendung von Betriebsvereinbarungen, Mitbestimmungsrechten oder Unterlassungsansprüchen – gelten als betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheiten. Diese werden im Rahmen von Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht geklärt.

3. Arbeitskampf

Ein bedeutsamer Bereich kollektiver Arbeitsstreitigkeiten ist der Arbeitskampf. Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Streikmaßnahmen, Aussperrungen sowie Notdienstverpflichtungen werden von den Arbeitsgerichten entschieden. Hierbei spielt das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz und die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Tarifeinheit eine zentrale Rolle.


Verfahren bei Arbeitsstreitigkeiten

Zuständigkeit der Arbeitsgerichte

Arbeitsstreitigkeiten werden durch die Arbeitsgerichtsbarkeit entschieden. Diese umfasst drei Instanzen:

  • Arbeitsgericht (erste Instanz)
  • Landesarbeitsgericht (Berufungsinstanz)
  • Bundesarbeitsgericht (Revisionsinstanz)

Die sachliche und örtliche Zuständigkeit ist im Arbeitsgerichtsgesetz geregelt (§§ 2, 3 ArbGG). Für Individualarbeitsstreitigkeiten ist regelmäßig das Arbeitsgericht am Sitz des Arbeitgebers zuständig.

Verfahrensarten

1. Urteilsverfahren

Das Urteilsverfahren betrifft vor allem Individualstreitigkeiten, etwa über Zahlungsklagen, Kündigungsschutzklagen oder Zeugniserteilung. Auch Schadensersatzforderungen werden hier behandelt.

2. Beschlussverfahren

Kollektive Streitigkeiten, insbesondere aus dem Betriebsverfassungsrecht (z. B. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats), werden im Beschlussverfahren verhandelt.

Gütetermin und Kammertermin

Im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren ist zunächst ein Gütetermin vorgeschrieben (§ 54 ArbGG), der eine einvernehmliche Lösung fördern soll. Für den Fall, dass keine Einigung erzielt wird, folgt der Kammertermin zur streitigen Verhandlung.

Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens

Zu den prägenden Merkmalen zählt der Grundsatz der Mündlichkeit, die Pflicht zur persönlichen Anhörung der Streitparteien sowie der eingeschränkte Anwaltszwang. In erster Instanz können die Parteien selbst oder durch Bevollmächtigte auftreten.


Rechtliche Besonderheiten

Kostenregelung

Im Arbeitsgerichtsverfahren trägt jede Partei in der ersten Instanz ihre Kosten selbst, unabhängig vom Obsiegen oder Unterliegen, soweit es die Anwaltskosten betrifft (§ 12a ArbGG). Gerichtskosten fallen nur bei bestimmten Verfahren und im Falle einer Einigung an.

Einstweiliger Rechtsschutz

Um bei drohenden, nicht wiedergutzumachenden Nachteilen vorläufigen Rechtsschutz zu gewährleisten, können einstweilige Verfügungen beantragt werden. Dies ist insbesondere bei drohendem Arbeitsplatzverlust oder bei Arbeitskampfmaßnahmen von Bedeutung.

Verjährungs- und Ausschlussfristen

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis unterliegen regelmäßig kurzen Ausschlussfristen, wie sie in Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen geregelt sind. Gesetzlich gelten die allgemeinen Verjährungsvorschriften des BGB, sofern keine anderen Bestimmungen maßgeblich sind. Unterschieden wird zwischen tariflichen Ausschlussfristen und der gesetzlichen Verjährung nach dem BGB.


Bedeutung und Funktion von Arbeitsstreitigkeiten im Arbeitsrecht

Arbeitsstreitigkeiten haben eine große praktische Bedeutung, da sie den Schutz der Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Rahmen eines geordneten Verfahrens ermöglichen. Sie dienen der Rechtsklärung und -durchsetzung, sichern Mindeststandards und fördern den sozialen Frieden im Arbeitsleben. Die institutionalisierte Streitschlichtung durch Arbeitsgerichte ist integraler Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts und trägt wesentlich zur Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarkts bei. Arbeitsstreitigkeiten bilden somit ein zentrales Element im System der Arbeitsbeziehungen.


Literatur und Quellen

  • Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
  • Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
  • Tarifvertragsgesetz (TVG)
  • Bundesarbeitsgericht (www.bundesarbeitsgericht.de)
  • Diverse Kommentarliteratur und Fachpublikationen zum Arbeitsrecht

Dieser Artikel liefert einen umfassenden Überblick über das Thema Arbeitsstreitigkeiten, ihre rechtlichen Grundlagen, die relevanten Verfahrensarten sowie die besondere Bedeutung für alle Beteiligten im Arbeitsverhältnis und Arbeitsrecht.

Häufig gestellte Fragen

Welche Fristen gelten für die Erhebung einer Kündigungsschutzklage?

Wer sich gegen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Wehr setzen möchte, muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung eine Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht einreichen (§ 4 KSchG – Kündigungsschutzgesetz). Wird diese Frist versäumt, gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, auch wenn sie möglicherweise unwirksam wäre. Eine nachträgliche Klagezulassung ist nur unter sehr engen Voraussetzungen möglich, beispielsweise wenn der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten (z.B. bei längerer Erkrankung und fehlender Kenntnis von der Kündigung). Die Einhaltung der Frist ist entscheidend und kann nicht durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber verlängert werden. Das Gericht prüft die Rechtzeitigkeit von Amts wegen.

Welche Rolle spielt der Betriebsrat bei einer Kündigung?

Vor jeder ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung muss der Betriebsrat gemäß § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) angehört werden. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Mitteilung an den Betriebsrat muss ausreichend detailliert sein, damit dieser die Hintergründe der Kündigung prüfen kann. Äußert sich der Betriebsrat innerhalb der gesetzlichen Frist (bei außerordentlichen Kündigungen drei Tage, bei ordentlichen Kündigungen eine Woche) nicht, gilt dies als Zustimmung. Die Anhörung ist also ein formaler, aber sehr wichtiger Bestandteil im Kündigungsschutzprozess.

Welche Kosten können bei Arbeitsstreitigkeiten entstehen?

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren trägt jede Partei in der ersten Instanz unabhängig vom Ausgang des Verfahrens ihre eigenen Anwaltskosten selbst (§ 12a ArbGG). Die Gerichtskosten hat grundsätzlich die unterliegende Partei zu tragen. Wird das Verfahren durch einen Vergleich beendet, entfällt in vielen Fällen die Gerichtskostenpflicht. Die Höhe der Kosten richtet sich nach dem Streitwert, der beispielsweise bei Kündigungsschutzklagen regelmäßig drei Monatsgehälter beträgt. Ist eine Rechtschutzversicherung vorhanden, übernimmt diese nach Maßgabe des Vertrags die Kosten. Bei geringem Einkommen kann Prozesskostenhilfe beantragt werden, die nach einer entsprechenden Prüfung gewährt wird und gegebenenfalls als Darlehen zurückzuzahlen ist.

Was passiert, wenn sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber außergerichtlich einigen?

Kommt es vor oder während des Verfahrens zu einer Einigung (z.B. auf eine Abfindung, ein Arbeitszeugnis oder Beendigungsmodalitäten), kann ein schriftlicher Vergleich geschlossen werden. Wird dieser Vergleich vor dem Arbeitsgericht protokolliert, ist er vollstreckbar und hat die Wirkung eines Urteils. Außergerichtliche Vergleiche sollten stets schriftlich fixiert werden, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Im Rahmen der Güteverhandlung strebt das Arbeitsgericht selbst eine gütliche Einigung an, was in der Arbeitsgerichtsbarkeit üblich ist und regelmäßig im Interesse beider Parteien liegt, um Zeit, Kosten und persönliche Belastungen zu reduzieren.

Wie läuft ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht ab?

Das arbeitsgerichtliche Verfahren beginnt mit Einreichung der Klageschrift, auf die hin das Gericht einen Termin zur Güteverhandlung bestimmt. In dieser Verhandlung versucht der Richter, eine gütliche Einigung zwischen den Parteien zu erzielen. Kommt ein Vergleich nicht zustande, folgt ein Kammertermin, in dem das Verfahren mit Beweisaufnahme und abschließenden Erörterungen fortgeführt wird. Die Kammer besteht aus einem Berufsrichter und je einem ehrenamtlichen Richter aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Nach Abschluss der Beweisaufnahme fällt das Gericht ein Urteil, gegen das Berufung zum Landesarbeitsgericht möglich ist. Während des gesamten Verfahrens besteht die Möglichkeit, jederzeit einen Vergleich zu schließen.

Welche Besonderheiten gelten bei einem Aufhebungsvertrag?

Ein Aufhebungsvertrag kann das Arbeitsverhältnis jederzeit einvernehmlich beenden und ist grundsätzlich nicht an eine Frist gebunden. Er muss schriftlich (§ 623 BGB) abgeschlossen werden; eine mündliche Vereinbarung ist unwirksam. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, auf mögliche sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen wie Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld hinzuweisen, doch sollte der Arbeitnehmer hier besonders sorgfältig prüfen. Ein Widerrufs- oder Rücktrittsrecht besteht nicht, es sei denn, dies ist ausdrücklich vereinbart oder es liegen besondere Gründe wie z.B. arglistige Täuschung oder Drohung vor. Die Einigung auf eine Abfindung ist frei verhandelbar, es besteht jedoch kein gesetzlicher Anspruch darauf.

Können auch außerhalb eines Kündigungsschutzverfahrens Ansprüche geltend gemacht werden?

Ja, neben der Kündigungsschutzklage sind weitere Ansprüche im Wege der sogenannten allgemeinen Leistungsklage vor dem Arbeitsgericht durchsetzbar. Dazu zählen z.B. offene Lohnforderungen, Zeugnis- und Urlaubsansprüche, die Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses oder Ansprüche aus Überstunden. Auch insoweit gelten je nach Art des Anspruchs spezielle Ausschluss- oder Verfallfristen, die im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Gesetz geregelt sein können (§ 195 ff. BGB, § 15 ArbZG etc.). Die Einhaltung dieser Fristen ist unbedingt zu beachten, da ansonsten ein Anspruchsverlust droht. Auch für diese Klagen ist das Arbeitsgericht zuständig.