Begriff und Rechtsgrundlage der Arbeitsstättenverordnung
Die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) ist eine zentrale Rechtsverordnung des deutschen Arbeitsschutzrechts. Sie konkretisiert im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes die Anforderungen an das Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten, um Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten. Die Arbeitsstättenverordnung enthält Mindestanforderungen und verweist ergänzend auf Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR), die als Auslegungshilfe dienen.
Die Rechtsgrundlage der Verordnung bildet § 18 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) in Verbindung mit der Verordnungsermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).
Zielsetzung und Anwendungsbereich
Ziel und Zweck der Verordnung
Ziel der Arbeitsstättenverordnung ist es, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz aller in Arbeitsstätten beschäftigten Personen zu erhalten und zu verbessern. Hierzu regelt die Verordnung grundlegende Anforderungen an die Gestaltung, Ausstattung und den Betrieb von Arbeitsstätten, einschließlich besonderer Regelungen für Sanitär-, Pausen- sowie Erste-Hilfe-Räume.
Räumlicher und persönlicher Anwendungsbereich
Die ArbStättV gilt für nahezu alle Arbeitsstätten, in denen mindestens eine beschäftigte Person tätig ist, einschließlich Büro- und Fabrikgebäuden, Schulen und Verwaltungsgebäuden. Ausgenommen sind Arbeitsstätten im Bergbau, auf Seeschiffen und in privaten Haushalten, soweit dort ausschließlich Hausangestellte tätig sind.
Die Verordnung gilt für Arbeitgeber als Pflichtenadressaten, die zur Einhaltung und Umsetzung sämtlicher Vorgaben verpflichtet sind.
Wichtige Begriffsdefinitionen
Innerhalb der Verordnung werden zentrale Begriffe wie „Arbeitsstätte“, „Beschäftigte“ und „Arbeitsräume“ definiert:
- Arbeitsstätte: Stetig benutzte ortsfeste oder nicht ortsfeste bauliche Anlagen, in denen Beschäftigte tätig sind, einschließlich zugehöriger Verkehrswege, Flucht- und Rettungswege, Lager- und Technikräume.
- Beschäftigte: Personen, die als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer, Beamtinnen oder Beamte, Auszubildende, Schülerinnen und Schüler, Praktikantinnen und Praktikanten oder in vergleichbaren Rechtsverhältnissen tätig sind.
Wesentliche Regelungsinhalte
Anforderungen an das Einrichten von Arbeitsstätten
Gestaltung der Arbeitsstätten
Die Verordnung normiert Anforderungen an Größe und Höhe von Räumen, Luftraum, Maßnahmen zur Verhinderung besonderer Gefahren (z.B. durch Lärm, Strahlung oder Gefahrstoffe), ausreichende Belüftung, Belichtung und Beleuchtung sowie die Bereitstellung und Wartung von Fenstern und Oberlichtern.
Arbeits- und Pausenräume
Zu den Mindestvoraussetzungen zählen
- gesonderte Pausenräume, sofern Sicherheits- oder Gesundheitsaspekte dies erfordern,
- ausreichende Sozialräume wie Waschräume, Toiletten, Umkleideräume und Duschen für die Beschäftigten.
Erste-Hilfe-Einrichtungen, Flucht- und Rettungswege
Vorgeschrieben ist das Vorhalten von ausreichend dimensionierten und gekennzeichneten Flucht- und Rettungswegen, die jederzeit frei zugänglich sind. Gleiches gilt für Erste-Hilfe-Einrichtungen wie Verbandskästen, Notrufmöglichkeiten und betrieblich organisierte Erste-Hilfe-Maßnahmen.
Anforderungen an das Betreiben von Arbeitsstätten
Wiederkehrende Kontroll- und Wartungspflichten bestehen für bauliche, technische und organisatorische Maßnahmen, u.a. bei Türschließern, Notbeleuchtung, Brandschutzeinrichtungen und Fluchtwegkennzeichnung. Der Betreiber hat dafür Sorge zu tragen, dass arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen jederzeit eingehalten werden.
Unterrichtung und Beteiligung der Beschäftigten
Arbeitgebende sind verpflichtet, Beschäftigte entsprechend zu unterweisen, sowohl über Risiken als auch über Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln in der jeweiligen Arbeitsstätte. Betriebsräte oder Personalvertretungen werden bei der Umsetzung der Vorgaben mit einbezogen, insbesondere im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen.
Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR)
Die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) konkretisieren die in der Verordnung formulierten Anforderungen und werden vom Ausschuss für Arbeitsstätten (ASTA) erarbeitet. Sie gelten nicht unmittelbar rechtsverbindlich, besitzen jedoch eine hohe normative Bedeutung unter dem Gesichtspunkt des Standes der Technik. Die Einhaltung der ASR wird als vermutete Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen bewertet (§ 3a Abs. 1 ArbStättV).
Wichtige ASR betreffen beispielsweise
- Raumabmessungen und Flächen (ASR A1.2),
- Sichtverbindungen (ASR A1.6),
- Notausgänge und Fluchtwege (ASR A2.3) sowie
- Maßnahmen gegen besondere Gefährdungen (ASR A1.3, ASR A3.4/3).
Verhältnis zu anderen Vorschriften
Die ArbStättV steht in engem Zusammenhang mit weiteren Arbeitsschutzverordnungen wie der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) sowie der Baustellenverordnung (BaustellV). Sie übernimmt als zentrale Querschnittsverordnung vielfach verbindliche Vorgaben aus europäischen Richtlinien (z.B. 89/654/EWG über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten).
Pflichten des Arbeitgebers
Gefährdungsbeurteilung (§ 3 ArbStättV)
Zentrale Arbeitgeberpflicht bildet die Durchführung einer sogenannten Gefährdungsbeurteilung. Dabei sind alle relevanten Gefahrenquellen in der jeweiligen Arbeitsstätte zu ermitteln und geeignete Schutzmaßnahmen festzulegen und fortlaufend zu kontrollieren.
Dokumentationspflichten
Alle durchgeführten Maßnahmen, ergriffenen Schutzvorkehrungen und Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung sind nachvollziehbar zu dokumentieren und auf dem aktuellen Stand zu halten.
Konsequenzen bei Nichtbeachtung
Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung können im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts nach § 9 ArbStättV mit empfindlichen Bußgeldern geahndet werden. Bei Eintritt eines Arbeitsunfalls oder Gesundheitsschadens in Folge der Nichteinhaltung drohen weitere haftungsrechtliche und ggf. strafrechtliche Konsequenzen.
Systematische Einordnung und Bedeutung
Die Arbeitsstättenverordnung ist Teil der nationalen Umsetzung zahlreicher europarechtlicher Vorgaben und ein zentrales Instrument zur Prävention von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Sie gewährleistet ein fortlaufend hohes Niveau des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für sämtliche betroffene Beschäftigte in Deutschland.
Literatur und weiterführende Quellen
- Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) in der jeweils geltenden Fassung
- Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)
- Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR) beim Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
- Ausschuss für Arbeitsstätten (ASTA) – Veröffentlichungen und Empfehlungen
Hinweis: Diese Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Aktualität der rechtlichen Entwicklung. Für spezielle Fragestellungen empfiehlt sich die Konsultation der geltenden Gesetzestexte und amtlichen Veröffentlichungen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Folgen hat ein Verstoß gegen die Arbeitsstättenverordnung für Arbeitgeber?
Ein Verstoß gegen die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) kann für Arbeitgeber weitreichende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Zunächst ist zu beachten, dass die ArbStättV als verbindliche Rechtsvorschrift gilt und Arbeitgeber zur Einhaltung sämtlicher Anforderungen verpflichtet. Werden diese Vorschriften nicht beachtet, können Aufsichtsbehörden wie die Gewerbeaufsicht oder das Amt für Arbeitsschutz im Rahmen ihrer Kontrollbefugnisse Maßnahmen ergreifen. Zu den möglichen Folgen zählen die Anordnung zur sofortigen Beseitigung von Mängeln, Bau- oder Nutzungsuntersagungen sowie Bußgelder gemäß § 25 ArbSchG in Verbindung mit § 9 ArbStättV. In besonders schweren Fällen mit Gefährdung der Beschäftigten, kann eine Strafverfolgung wegen Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens der Arbeitnehmer eingeleitet werden. Darüber hinaus haften Arbeitgeber im Falle eines Arbeitsunfalls wegen Missachtung der Verordnung nach zivilrechtlichen Vorschriften auch gegenüber Geschädigten und können Regressforderungen der Unfallversicherung oder Krankenkasse ausgesetzt sein. Arbeitgeber sind darüber hinaus verpflichtet, auf behördliche Anordnung umgehend Maßnahmen zur Gefahrenabwehr einzuleiten; bei fortgesetzter Missachtung sind Zwangsgelder oder sogar Zwangsschließungen denkbar.
Welche Pflichten ergeben sich für den Arbeitgeber im Hinblick auf die regelmäßige Überprüfung der Arbeitsstätte gemäß Arbeitsstättenverordnung?
Nach den Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung ist der Arbeitgeber verpflichtet, Arbeitsstätten regelmäßig zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie stets den geltenden Anforderungen entsprechen. Dies beinhaltet die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen gemäß § 3 ArbStättV i.V.m. § 5 ArbSchG, wobei sowohl bauliche Gegebenheiten als auch technische Einrichtungen, wie Lüftung, Beleuchtung und Sanitäranlagen, auf ihre Sicherheit und Funktionalität bewertet werden müssen. Die Überprüfung muss in regelmäßigen Abständen erfolgen, wobei der Turnus anhand der spezifischen Betriebsverhältnisse, Gefährdungspotenziale und der jeweiligen Nutzung der Arbeitsstätte auszurichten ist. Bei Veränderungen des Arbeitssystems, der Nutzung oder nach Unfällen ist eine außerordentliche Überprüfung Pflicht. Ergebnisse und daraus resultierende Maßnahmen sind zu dokumentieren und auf Verlangen der Aufsichtsbehörde vorzulegen. Werden bei der Überprüfung Mängel festgestellt, ist der Arbeitgeber verpflichtet, diese unverzüglich zu beseitigen.
Welche Mitbestimmungsrechte hat der Betriebsrat im Zusammenhang mit Maßnahmen nach der Arbeitsstättenverordnung?
Dem Betriebsrat stehen im Zusammenhang mit Maßnahmen nach der Arbeitsstättenverordnung umfassende Mitbestimmungsrechte zu. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) ist der Betriebsrat bei allen Fragen des Gesundheitsschutzes zu beteiligen, sofern die Umsetzung der unverbindlichen Maßnahmen Gestaltungsspielraum lässt. Dies betrifft insbesondere Maßnahmen zur Ausgestaltung von Arbeitsräumen, Belüftungs- und Beleuchtungsanlagen, Fluchtwegen, Pausen- und Sanitärräumen oder Regelungen zum Nichtraucherschutz. Sofern der Arbeitgeber neue Arbeitsstätten plant, bereits bestehende Arbeitsplätze umgestaltet oder modernisiert, muss er den Betriebsrat frühzeitig informieren und dessen Zustimmung einholen. Weigert sich der Arbeitgeber, die Beteiligung umzusetzen, kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen oder – bei gravierenden Verstößen – die Aufsichtsbehörden einschalten. Auch im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung gemäß § 5 ArbSchG ist der Betriebsrat zu beteiligen.
Können Arbeitnehmer bei Verstößen gegen die Arbeitsstättenverordnung ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich ihrer Arbeitsleistung ausüben?
Arbeitnehmer haben unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, die Arbeitsleistung zurückzubehalten, wenn erhebliche Verstöße gegen die Arbeitsstättenverordnung vorliegen und dadurch eine ernsthafte Gefährdung von Leben oder Gesundheit besteht. Gemäß § 273 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) kann dieses Zurückbehaltungsrecht ausgeübt werden, wenn dem Arbeitnehmer die Ausübung der Tätigkeit unter den gegebenen Bedingungen nicht zumutbar ist. Allerdings muss der Arbeitgeber zuvor in der Regel auf den Missstand hingewiesen und ihm eine angemessene Frist zur Abhilfe eingeräumt worden sein. Erst wenn dies erfolglos bleibt oder Gefahr im Verzug ist, darf der Arbeitnehmer seine Arbeit niederlegen, ohne den Anspruch auf Entgelt zu verlieren. Es empfiehlt sich jedoch, das Zurückbehaltungsrecht nicht vorschnell und ohne rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, da bei nicht gerechtfertigtem Gebrauch arbeitsrechtliche Konsequenzen drohen können.
Unterliegt die Arbeitsstättenverordnung ausschließlich für Arbeitsräume im Sinne eines festen Arbeitsplatzes oder gilt sie auch für mobile Arbeitsformen und Homeoffice?
Die Arbeitsstättenverordnung richtet sich grundsätzlich an alle Arbeitsstätten, bei denen ein Arbeitgeber Arbeitsplätze einrichtet. Nach § 2 Abs. 1 ArbStättV bezieht sich der Anwendungsbereich auf Tätigkeiten in Gebäuden und auf dem Betriebsgelände. Seit der Neufassung von 2016 bezieht die Verordnung auch Telearbeitsplätze ein, sofern der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer entsprechende Vereinbarungen trifft und die Arbeitsplätze dauerhaft im privaten Raum fest eingerichtet sind (Telearbeit im Sinne der ArbStättV). Für mobile Arbeitsformen – wie Arbeiten im Außendienst oder häufig wechselnde Arbeitsorte ohne festen Telearbeitsplatz – gilt die ArbStättV dagegen nicht vollumfänglich. Für Homeoffice-Arbeitsplätze, die sporadisch und nicht dauerhaft mit Beteiligung des Arbeitgebers eingerichtet werden, gelten die Schutzvorschriften nur eingeschränkt. Maßgeblich ist jeweils eine genaue Definition des Arbeitsplatzes und ob ein „fest eingerichteter Bildschirmarbeitsplatz“ gegeben ist. Grundsätzlich bleibt der Arbeitgeber aber verpflichtet, auch für diese Arbeitsformen geeignete Schutzmaßnahmen im Rahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu gewährleisten.
Wer übernimmt die Kosten für die Umsetzung der Maßnahmen zur Einhaltung der Arbeitsstättenverordnung?
Die volle Kostentragung für sämtliche Maßnahmen zur Einhaltung der Arbeitsstättenverordnung obliegt ausschließlich dem Arbeitgeber. Dies umfasst sowohl bauliche Veränderungen, Anpassungen der Arbeitsräume, Anschaffung und Wartung von Einrichtungen, als auch die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen und eventuell erforderlichen Umgestaltungen. Der Arbeitgeber kann Kosten nicht auf die Beschäftigten oder den Betriebsrat abwälzen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Maßnahmen aufgrund gesetzlicher Neuregelungen, veränderter betrieblicher Bedingungen oder behördlicher Anordnungen erforderlich werden. Auch Beschaffungen für Telearbeitsplätze, etwa ergonomische Büromöbel oder technische Geräte, sind vom Arbeitgeber zu finanzieren, sofern der Arbeitsplatz unter die Regelungen der Arbeitsstättenverordnung fällt.
Welche Rolle spielen Aufsichtsbehörden bei der Überwachung der Einhaltung der Arbeitsstättenverordnung?
Die Überwachung der Einhaltung der Arbeitsstättenverordnung obliegt den für Arbeitsschutz zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder, meist Gewerbeaufsichtsämter oder Ämter für Arbeitsschutz. Diese Behörden haben das Recht, Betriebsräume zu jeder Zeit zu betreten, Unterlagen einzusehen, Auskünfte einzuholen und, falls erforderlich, Proben zu entnehmen oder Messungen durchzuführen. Bei festgestellten Verstößen können sie Anordnungen zur Mängelbeseitigung erlassen und deren Umsetzung kontrollieren. Bei gravierenden oder wiederholten Verstößen sind Bußgelder, Zwangsgelder oder Betriebsschließungen möglich. Die Behörden sind zudem Ansprechpartner für Beschäftigte und Betriebsräte, wenn innerbetrieblichen Beschwerden bezüglich Gesundheits- oder Arbeitsschutz nicht nachgegangen wird. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, regelmäßig stichprobenartige Kontrollen durchzuführen und Aufklärung über die Einhaltung des Arbeitsstättenrechts zu leisten.