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Arbeitsgerichtsbarkeit


Begriff und Bedeutung der Arbeitsgerichtsbarkeit

Die Arbeitsgerichtsbarkeit bezeichnet den eigenständigen Zweig der Gerichtsbarkeit, der für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten aus dem Arbeitsleben zuständig ist. Sie stellt in Deutschland und vielen anderen Ländern ein spezialisiertes Gerichtssystem dar, das insbesondere Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie zwischen Tarifvertragsparteien behandelt. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist durch eigene Gerichte mit spezifischen Zuständigkeiten und Verfahrensregeln gekennzeichnet und trägt der Besonderheit des Arbeitsrechts Rechnung.


Rechtsgrundlagen der Arbeitsgerichtsbarkeit

Verfassungsrechtliche Grundlagen

Die unabhängige Existenz der Arbeitsgerichtsbarkeit ist in Deutschland durch Art. 95 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) garantiert, wonach für besondere Sachgebiete besondere Gerichte eingerichtet werden können. Damit genießt die Arbeitsgerichtsbarkeit einen verfassungsrechtlich anerkannten Status als eigenständiger Zweig innerhalb des Gerichtssystems.

Einfachgesetzliche Grundlagen

Die zentrale gesetzliche Grundlage der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit bildet das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Daneben gelten, sofern nicht speziellere Vorschriften einschlägig sind, auch die Zivilprozessordnung (ZPO) und andere prozessuale Nebengesetze.


Aufbau und Organisation der Arbeitsgerichtsbarkeit

Instanzenzug

Das System der Arbeitsgerichtsbarkeit ist dreistufig aufgebaut:

1. Arbeitsgerichte

Die ersten Instanzen sind die Arbeitsgerichte. Sie entscheiden insbesondere über Streitigkeiten einzelner Arbeitnehmer mit ihrem Arbeitgeber (Individualarbeitsrecht) sowie in einigen Fällen über kollektivrechtliche Streitigkeiten.

2. Landesarbeitsgerichte

Die Landesarbeitsgerichte (LAG) bilden die Berufungs- und Beschwerdeinstanzen gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte. Gleichzeitig nehmen sie auch Aufgabenteile eines Revisionsgerichts wahr, insbesondere im Beschlussverfahren zu Fragen des kollektiven Arbeitsrechts.

3. Bundesarbeitsgericht

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Sitz in Erfurt ist die höchste Instanz der Arbeitsgerichtsbarkeit in Deutschland. Das BAG entscheidet grundsätzlich über Revisionen gegen Urteile der Landesarbeitsgerichte und gibt Leitlinien für die Auslegung des Arbeitsrechts vor.

Besetzung der Gerichte

Besonderes Kennzeichen ist die paritätische Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Arbeitnehmer sowie der Arbeitgeber. Daneben sind Berufsrichter als Vorsitzende und Beisitzer tätig. Dieses Modell dient der Akzeptanz und Praxisnähe arbeitsgerichtlicher Entscheidungen.


Zuständigkeiten der Arbeitsgerichtsbarkeit

Sachliche Zuständigkeit

Die Arbeitsgerichte sind zuständig für:

  • Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung (z. B. Kündigungsschutzklagen, Zeugnisstreitigkeiten, Lohnforderungen)
  • Streitigkeiten zwischen Betriebsräten, Personalräten oder anderen Interessenvertretungen und dem Arbeitgeber (z. B. Mitbestimmungsrechte)
  • Tarifvertragliche Konflikte und Schlichtungsverfahren zwischen Tarifvertragsparteien

Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich gemäß § 46 ArbGG in der Regel nach dem Sitz des Betriebs oder dem Ort der Arbeitsleistung. Besondere Regelungen bestehen etwa bei Klagen auf Annahmeverzugslohn oder bei Entfernung von Abmahnungen.


Verfahren vor den Arbeitsgerichten

Verfahrensgrundsätze

Das arbeitsgerichtliche Verfahren ist von besonderen prozessualen Grundsätzen geprägt:

  • Beschleunigungsgrundsatz: Aufgrund der sozialen Auswirkungen arbeitsrechtlicher Konflikte wird das Verfahren insbesondere im Kündigungsrecht zügig geführt.
  • Amtsermittlungsgrundsatz: Insbesondere im Beschlussverfahren sind die Gerichte berechtigt, den Sachverhalt auch eigenständig aufzuklären.
  • Einfachheit und Kostenminimierung: Das Verfahren ist auf Verständlichkeit und Effizienz ausgelegt; die Parteien tragen grundsätzlich keine Kostenerstattung für die jeweils andere Partei in der ersten Instanz.

Schlichtungs- und Güteverfahren

Vor dem eigentlichen Arbeitsgerichtsverfahren steht in der Regel eine Güteverhandlung. Ziel ist ein einvernehmlicher Vergleich. Erst wenn dies scheitert, kommt es zum Kammertermin mit Entscheidungsfindung.

Rechtsmittel

  • Berufung: Gegen Urteile der Arbeitsgerichte ist unter bestimmten Voraussetzungen die Berufung an das Landesarbeitsgericht möglich.
  • Revision: In bestimmten Fällen ist die Revision an das Bundesarbeitsgericht zulässig, insbesondere wenn grundsätzliche Rechtsfragen betroffen sind.

Besonderheiten der Arbeitsgerichtsbarkeit

Paritätische Besetzung

Die Mitsprache der ehrenamtlichen Richter aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkreisen gewährleistet eine praxisnahe, ausgewogene Rechtsfindung.

Kollektivarbeitsrechtliche Besonderheiten

Im Kollektivarbeitsrecht (z. B. Mitbestimmungsrechte, Tarifrecht) gelten eigene prozessuale Regeln, darunter das Beschlussverfahren, das auf die Besonderheiten kollektiver Konflikte zugeschnitten ist.


Abgrenzung zu anderen Gerichtszweigen

Die Arbeitsgerichtsbarkeit besteht eigenständig neben der ordentlichen (Zivil-)Gerichtsbarkeit, der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Finanzgerichtsbarkeit und der Sozialgerichtsbarkeit. Sie erhält ihre Abgrenzung insbesondere durch die exklusiven Zuständigkeiten in arbeitsrechtlichen Streitfragen.


Internationale Aspekte der Arbeitsgerichtsbarkeit

In vielen europäischen und außereuropäischen Staaten bestehen spezialisierte Arbeitsgerichte. Allerdings variiert der Umfang der Zuständigkeit, die Organisation der Instanzen sowie der Zugang zum Gericht je nach nationalem Recht erheblich. In der Europäischen Union wirken zudem arbeitsrechtliche Vorgaben und unionsrechtlicher Einfluss auf die Verfahrensgestaltung der nationalen Arbeitsgerichtsbarkeiten.


Bedeutung der Arbeitsgerichtsbarkeit in der Praxis

Die Arbeitsgerichtsbarkeit gewährleistet die Durchsetzung des arbeitsrechtlichen Schutzes und trägt zur Befriedung des Arbeitslebens bei. Ihre Entscheidungen prägen maßgeblich die Rechtspraxis, sorgen für Transparenz, Rechtsfrieden und Rechtsfortbildung im Arbeitsrecht.


Literaturhinweise und weiterführende Quellen

  • Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
  • Bundesarbeitsgericht (www.bundesarbeitsgericht.de)
  • Kommentierungen und Lehrbücher zum deutschen Arbeitsrecht

Damit bildet die Arbeitsgerichtsbarkeit einen unverzichtbaren Bestandteil des deutschen Rechtssystems und sichert die rechtsstaatliche Klärung von Arbeitskonflikten im individuellen und kollektiven Arbeitsrecht.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist bei einem arbeitsgerichtlichen Verfahren parteifähig?

Parteifähigkeit beschreibt die Fähigkeit, im eigenen Namen Prozesspartei zu sein, also als Kläger oder Beklagter vor Gericht aufzutreten. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren sind sowohl natürliche Personen (zum Beispiel Arbeitnehmer:innen oder Arbeitgeber:innen) als auch juristische Personen (etwa GmbHs, Aktiengesellschaften oder eingetragene Vereine) parteifähig. Ebenso können nicht rechtsfähige Vereinigungen, wie etwa eine nicht eingetragene Gesellschaft Bürgerlichen Rechts (GbR), als Partei auftreten, wenn sie Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen. Bei minderjährigen Arbeitnehmer:innen ist zu beachten, dass diese im Allgemeinen durch ihre gesetzlichen Vertreter:innen, meist die Eltern, vertreten werden müssen. In bestimmten Fällen sind zudem Organe der betrieblichen Mitbestimmung, wie der Betriebsrat oder Personalrat, parteifähig, wenn sie im Rahmen ihrer Zuständigkeiten etwa bei Streitigkeiten rund um das Mitbestimmungsrecht betroffen sind. Entscheidend ist stets die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten aus Arbeitsverhältnissen bzw. arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zu sein.

Welche Verfahrenstypen sind vor den Arbeitsgerichten zulässig?

Vor den Arbeitsgerichten werden hauptsächlich Verfahren der sogenannten Urteils- sowie Beschlussverfahren durchgeführt. Das Urteilsverfahren betrifft individuelle Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen, beispielsweise Kündigungsschutzklagen, Lohnklagen oder Klagen auf Zeugnis. Das Beschlussverfahren hingegen betrifft meist kollektivrechtliche Streitigkeiten, also solche zwischen Arbeitgeber:innen und betriebsverfassungsrechtlichen Gremien wie dem Betriebsrat, zum Beispiel bei Fragen der Mitbestimmung oder bei Anfechtung von Betriebsratswahlen. Während im Urteilsverfahren Parteien klagen und verteidigen, wird im Beschlussverfahren meist ein abgestuftes Beteiligungsverfahren mit mehreren Beteiligten durchgeführt. Die Einhaltung der jeweils vorgesehenen Verfahrenstypen ist zwingend und bestimmt oft auch den Rechtsweg und die anzuwendenden Verfahrensvorschriften.

Ist ein Vertretungszwang vor dem Arbeitsgericht vorgeschrieben?

Nein, vor dem Arbeitsgericht erster Instanz besteht grundsätzlich kein Anwaltszwang. Dies bedeutet, dass Parteien – sowohl Arbeitnehmer:innen als auch Arbeitgeber:innen – ihre Interessen selbst vortragen und vertreten dürfen. Es steht den Parteien jedoch frei, sich anwaltlich vertreten zu lassen. Erst ab der zweiten Instanz, das heißt vor dem Landesarbeitsgericht, gilt bei Berufungen und Beschwerden der sogenannte Vertretungszwang, sodass die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder eine zugelassene Vertretungspflicht besteht. Im Beschlussverfahren können sich Betriebsrats- oder Personalratsgremien auch durch Gewerkschafts- oder Arbeitgeberverbandsvertreter:innen vertreten lassen.

Welche Fristen sind in arbeitsgerichtlichen Verfahren besonders zu beachten?

Das Arbeitsrecht enthält zahlreiche Fristen, die in arbeitsgerichtlichen Verfahren von entscheidender Bedeutung sind. Besonders hervorzuheben ist die dreiwöchige Klagefrist für Kündigungsschutzklagen gemäß § 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Wer sich gegen eine Kündigung wehren will, muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim zuständigen Arbeitsgericht einreichen. Daneben gibt es weitere bedeutsame Fristen, etwa für Zahlungsansprüche (Ausschlussfristen in Tarif- oder Arbeitsverträgen), für die Berufung gegen erstinstanzliche Urteile (einen Monat nach Zustellung des Urteils, §§ 64 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG), sowie Fristen zur Einlegung einer Beschwerde im Beschlussverfahren (zwei Wochen nach Zustellung, § 87 Abs. 2 ArbGG). Eine Versäumung dieser Fristen kann dazu führen, dass der geltend gemachte Anspruch dauerhaft verloren geht.

Wie läuft ein arbeitsgerichtliches Verfahren ab?

Das arbeitsgerichtliche Verfahren beginnt in der Regel mit einer Klageeinreichung (schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle). Nach Prüfung der Zulässigkeit und Zuständigkeit wird ein Gütetermin angesetzt. Dieser dient in erster Linie der einvernehmlichen Streitbeilegung unter Vorsitz eines Berufsrichters. Fällt im Gütetermin keine Einigung, wird ein Kammertermin anberaumt, an dem neben dem Vorsitzenden auch je ein ehrenamtlicher Richter aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite teilnehmen. In diesem Termin erfolgt die vollständige Beweisaufnahme und mündliche Verhandlung. Das Gericht entscheidet dann durch Urteil. Im Beschlussverfahren sind die Abläufe ähnlich, allerdings mit schriftlichem Einleitungsantrag, intensiver Beteiligung der betroffenen Gremien und oftmals mehreren Anhörungen. Entscheidungen im Beschlussverfahren werden durch Beschluss gefällt.

Welche Kosten entstehen vor dem Arbeitsgericht?

Im arbeitsgerichtlichen Verfahren gelten besondere Kostenregelungen nach dem Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Die Gerichtskosten richten sich nach dem Streitwert und sind in Gerichtsgebührenordnung und Kostenverzeichnis geregelt. Ein wichtiger Unterschied zum Zivilprozess ist die Kostenregelung nach § 12a ArbGG: In Verfahren der ersten Instanz besteht kein Anspruch auf Kostenerstattung für die außergerichtlichen Kosten, also insbesondere die Anwaltskosten der obsiegenden Partei. Jede Partei trägt im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht ihre Anwaltskosten selbst, unabhängig davon, wer das Verfahren gewinnt. Ab der zweiten Instanz kann Kostenerstattung angeordnet werden. Hinzu kommen eventuell Kosten für Zeugen, Sachverständige und ggf. Reisekosten.

Welche Instanzen gibt es in der Arbeitsgerichtsbarkeit und wie funktioniert die Rechtsmittelinstanz?

Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist dreistufig aufgebaut: In erster Instanz entscheiden die Arbeitsgerichte. Gegen deren Urteile kann in bestimmten Fällen Berufung (bzw. Beschwerde im Beschlussverfahren) zum Landesarbeitsgericht eingelegt werden. Das Landesarbeitsgericht ist die zweite Instanz auf Landesebene. Gegen Urteile des Landesarbeitsgerichts ist unter bestimmten Voraussetzungen die Revision zum Bundesarbeitsgericht zulässig; dies ist aber meist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden. Die Voraussetzungen für die Berufung oder Revision sind jeweils im Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) geregelt, insbesondere in den §§ 64 ff. ArbGG. Nicht jeder Fall ist berufungs- oder revisionsfähig; vielfach ist ein Streitwert über 600 Euro erforderlich oder die Sache muss grundsätzliche Bedeutung haben. Die höheren Instanzen überprüfen je nach Rechtsmittel den Fall entweder vollständig oder nur hinsichtlich der Rechtsanwendung.