Arbeitsgerichtsbarkeit: Begriff, Struktur und Aufgaben
Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist der speziell für Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnissen geschaffene Gerichtsweg. Sie entscheidet über Konflikte zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern sowie über Auseinandersetzungen aus dem kollektiven Arbeitsleben, etwa zwischen Betriebsräten, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Ziel ist eine zügige, praxistaugliche und rechtssichere Klärung arbeitsbezogener Rechtsfragen.
Was umfasst die Arbeitsgerichtsbarkeit?
Sie erfasst das gesamte Spektrum des Arbeitslebens: vom Beginn eines Arbeitsverhältnisses über seine Durchführung bis zu dessen Beendigung. Dazu gehören etwa Streitigkeiten über Einstellungen, Vergütung, Arbeitszeit, Urlaub, Zeugnisse, Versetzungen, Abmahnungen, Kündigungen und Aufhebungsvereinbarungen. Ebenso verhandelt sie kollektive Themen wie betriebliche Mitbestimmung, Tarifverträge, Arbeitskämpfe und Fragen der Tarifbindung. Auch Ausbildungsverhältnisse und arbeitnehmerähnliche Personen können erfasst sein.
Abgrenzung zu anderen Gerichten
Nicht jede Auseinandersetzung mit Bezug zur Arbeit gehört vor die Arbeitsgerichte. So sind zivilrechtliche Gerichte zuständig, wenn es sich um Organmitglieder von Kapitalgesellschaften ohne Arbeitnehmereigenschaft handelt oder rein unternehmensrechtliche Streitigkeiten vorliegen. Sozialgerichte sind zuständig für Fragen der gesetzlichen Sozialversicherung. Öffentliche Arbeitgeber können je nach Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses besonderen Regelungen unterliegen.
Aufbau und Organisation
Instanzenzug
Arbeitsgerichte (erste Instanz)
Hier beginnt das Verfahren in der Regel. Die Kammer ist typischerweise mit einer vorsitzenden Berufsrichterin oder einem vorsitzenden Berufsrichter sowie zwei ehrenamtlichen Richterinnen oder Richtern besetzt, die je zur Hälfte aus dem Kreis der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite stammen.
Landesarbeitsgerichte (zweite Instanz)
Sie entscheiden über Rechtsmittel gegen Urteile der ersten Instanz. Auch hier wirken ehrenamtliche Richterinnen und Richter aus beiden Lagern mit, üblicherweise in gleicher Besetzung wie in der ersten Instanz.
Bundesarbeitsgericht (höchste Instanz)
Das Bundesarbeitsgericht sichert die Einheit der Rechtsprechung. Die Senate sind mit mehreren Berufsrichterinnen und Berufsrichtern sowie ehrenamtlichen Mitgliedern aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkreisen besetzt.
Ehrenamtliche Richterinnen und Richter
Ein Kennzeichen der Arbeitsgerichtsbarkeit ist die Mitwirkung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter. Sie bringen praktische Erfahrung aus der Arbeitswelt ein und vertreten in ausgewogener Besetzung die Perspektiven von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Sie haben die gleichen Stimmrechte wie die Vorsitzenden und prägen damit die Entscheidung wesentlich.
Zuständigkeiten im Einzelnen
Individuelles Arbeitsrecht
Typische Verfahren betreffen Vergütung und Entgeltbestandteile, variable Bezahlung, Eingruppierung, Urlaub und Urlaubsabgeltung, Arbeitszeit, Überstunden, Versetzungen, Abmahnungen, Zwischen- und Endzeugnisse, Haftungsfragen, Wettbewerbsabreden sowie die Wirksamkeit von Kündigungen und die Folgen einer Beendigung.
Kollektives Arbeitsrecht
Hierzu zählen Auseinandersetzungen zwischen Betriebs- oder Personalvertretungen und Arbeitgebern, Fragen der Mitbestimmung, betriebliche Regelungen, tarifliche Rechte und Pflichten, Verbandszugehörigkeit, sowie Rechtsfragen im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen. Auch die Auslegung und Anwendung tariflicher Normen gehört dazu.
Zuständigkeit nach Ort und Streitwert
Die örtliche Zuständigkeit knüpft typischerweise an den Sitz des Betriebs oder an den Ort der Arbeitsleistung an. Der wirtschaftliche Wert des Streits beeinflusst unter anderem Gebühren, nicht jedoch die sachliche Zuständigkeit innerhalb der Arbeitsgerichtsbarkeit.
Verfahren und Entscheidungsfindung
Verfahrensablauf
Früher Einigungsversuch
Zu Beginn steht regelmäßig eine auf gütliche Einigung ausgerichtete Verhandlung. Ziel ist es, einen Vergleich zu finden, der den Konflikt schnell und verbindlich beendet.
Kammertermin
Kommt eine Einigung nicht zustande, folgt die mündliche Verhandlung vor der Kammer mit Beweisaufnahme. Hier werden Zeuginnen und Zeugen vernommen, Urkunden gewürdigt und Sachverhalte umfassend erörtert. Am Ende steht ein Urteil oder erneut ein Vergleich.
Beweis und Verfahrensgrundsätze
Geltend sind die Grundsätze der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit. Tatsachen werden aufgrund freier richterlicher Überzeugung gewürdigt. Die Parteien stellen die relevanten Tatsachen dar und bieten Beweise an; das Gericht leitet das Verfahren und achtet auf zügige Förderung.
Einstweiliger Rechtsschutz
In zeitkritischen Situationen kann vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden. Er dient dazu, wesentliche Positionen vorläufig zu sichern, bis eine Entscheidung in der Hauptsache vorliegt. Die Hürden sind erhöht; es sind Dringlichkeit und ein schlüssiger Anspruch darzulegen.
Vergleiche
Vergleiche sind in der Arbeitsgerichtsbarkeit häufig. Sie beenden den Rechtsstreit mit beiderseitigen Zugeständnissen und sind vollstreckbar. Das Gericht wirkt auf sachgerechte Lösungen hin.
Rechtsmittel und Überprüfung
Rechtsmittelzug
Gegen Entscheidungen der ersten Instanz sind unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsmittel zur zweiten Instanz möglich. Gegen Urteile der zweiten Instanz kann die Überprüfung durch die höchste Instanz eröffnet sein, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Nicht jede Entscheidung ist anfechtbar; Zulassungsvoraussetzungen und Wertgrenzen spielen eine Rolle.
Rechtskraft und Vollstreckung
Rechtskräftige Urteile und protokollierte Vergleiche sind verbindlich und können vollstreckt werden. Das gilt sowohl für Zahlungsansprüche als auch für Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten, etwa die Erteilung eines Arbeitszeugnisses.
Kosten, Vertretung und Öffentlichkeit
Kostengrundsätze
In der ersten Instanz trägt jede Partei grundsätzlich ihre außergerichtlichen Kosten selbst, unabhängig vom Ausgang. Gerichtsgebühren richten sich nach dem Streitwert und dem Verfahrensverlauf. In späteren Instanzen gelten abweichende Kostenerstattungsregeln. Eine Unterstützung bei fehlenden finanziellen Mitteln ist nach den allgemeinen gesetzlichen Vorgaben möglich.
Vertretung
In erster Instanz ist eine persönliche Wahrnehmung des Termins möglich. Bevollmächtigte, darunter Verbände der Arbeitswelt oder Rechtsbeistände, können auftreten. In höheren Instanzen bestehen strengere Vertretungserfordernisse.
Öffentlichkeit und Verhandlungssprache
Verhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Verhandlungssprache ist Deutsch; Dolmetschung kann notwendig sein, wenn Beteiligte die Sprache nicht beherrschen. In besonderen Konstellationen kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, etwa zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.
Besondere Themen
Fristen
Im Arbeitsrecht bestehen teils sehr kurze Fristen, insbesondere im Zusammenhang mit der Überprüfung von Kündigungen oder der Geltendmachung bestimmter Ansprüche. Wer Rechte sichern will, muss diese Fristen beachten; sie beginnen häufig mit Zugang einer Erklärung oder Fälligkeit eines Anspruchs.
Digitalisierung
Die Einreichung von Schriftsätzen erfolgt zunehmend auf elektronischem Wege nach vorgegebenen Formstandards. Schriftform und Übermittlungswege sind für die Wirksamkeit prozessualer Erklärungen bedeutsam.
Internationales Arbeitsrecht
Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten stellen sich Fragen nach dem zuständigen Gericht und dem anwendbaren Recht. Maßgeblich sind unter anderem der Arbeitsort, der gewöhnliche Arbeitsort und Vereinbarungen der Parteien. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist auch in internationalen Konstellationen zuständig, wenn ein ausreichender Bezug vorliegt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Streitigkeiten gehören vor die Arbeitsgerichte?
Hierzu zählen vor allem Konflikte aus Arbeitsverhältnissen wie Vergütung, Arbeitszeit, Urlaub, Versetzungen, Abmahnungen, Zeugnisse und Kündigungen. Ebenfalls verhandelt werden kollektive Themen wie betriebliche Mitbestimmung, tarifliche Fragen und Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen.
Wie sind die Spruchkörper besetzt?
In erster und zweiter Instanz entscheiden Kammern mit einer vorsitzenden Berufsrichterin oder einem -richter sowie zwei ehrenamtlichen Mitgliedern, je eines aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkreisen. In der höchsten Instanz entscheiden Senate mit mehreren Berufsrichterinnen und -richtern sowie zwei ehrenamtlichen Mitgliedern.
Gibt es besondere Fristen, etwa bei Kündigungen?
Ja. Gerade bei der Überprüfung von Kündigungen gelten sehr kurze Fristen. Sie beginnen regelmäßig mit dem Zugang der Kündigung. Werden sie versäumt, kann eine inhaltliche Überprüfung erschwert oder ausgeschlossen sein.
Muss man sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren vertreten lassen?
In der ersten Instanz ist das persönliche Erscheinen möglich. Vertretung durch Bevollmächtigte ist zulässig. In höheren Instanzen bestehen strengere Anforderungen an die Vertretung.
Wer trägt die Kosten des Verfahrens?
In der ersten Instanz trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten grundsätzlich selbst. Gerichtsgebühren richten sich nach dem Streitwert und dem Verfahrensausgang. In höheren Instanzen gelten abweichende Erstattungsregeln.
Wie läuft ein typisches Verfahren ab?
Üblich ist zunächst ein auf Einigung ausgerichteter Termin. Kommt kein Vergleich zustande, folgt eine mündliche Verhandlung mit Beweisaufnahme. Am Ende steht ein Urteil oder ein Vergleich, der den Rechtsstreit abschließt.
Behandeln die Arbeitsgerichte auch kollektive Konflikte?
Ja. Dazu zählen insbesondere Fragen der betrieblichen Mitbestimmung, die Auslegung und Anwendung von Tarifverträgen sowie Rechtsfragen rund um Arbeitskämpfe.
Sind die Verhandlungen öffentlich?
Grundsätzlich ja. Ausnahmen sind möglich, etwa zum Schutz von Persönlichkeitsrechten oder von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.