Begriff und rechtliche Einordnung der Antragsdelikte
Antragsdelikte sind Straftaten, die von den Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich nur verfolgt werden, wenn eine dazu berechtigte Person ausdrücklich die Strafverfolgung verlangt. Diese Erklärung heißt Strafantrag. Ohne einen wirksamen Strafantrag bleibt das Verfahren in aller Regel aus oder wird nicht fortgeführt. Demgegenüber stehen Offizialdelikte, bei denen Polizei und Staatsanwaltschaft unabhängig von einem Antrag tätig werden.
Wichtig ist die Abgrenzung zur Strafanzeige: Eine Strafanzeige teilt lediglich mit, dass ein möglicher Rechtsverstoß vorliegt. Sie sagt nichts darüber aus, ob die Verletzte oder ein sonst Berechtigter die Verfolgung auch wünscht. Der Strafantrag enthält demgegenüber die klare Willenserklärung, dass die Tat strafrechtlich verfolgt werden soll.
Zweck und kriminalpolitischer Hintergrund
Der Antragserfordernis liegt der Gedanke zugrunde, die Entscheidung über die strafrechtliche Aufarbeitung bestimmter, häufig persönlich geprägter Konflikte maßgeblich den Betroffenen zu überlassen. Dies soll private und familiäre Autonomie schützen, unverhältnismäßige Eskalationen vermeiden und die Ressourcen der Strafverfolgung auf Fälle mit besonderem Allgemeininteresse konzentrieren. Zugleich wird die Möglichkeit eröffnet, Konflikte außerhalb des Strafverfahrens zu klären.
Arten von Antragsdelikten und Abgrenzungen
Absolute Antragsdelikte
Bei absoluten Antragsdelikten ist der Strafantrag unverzichtbare Voraussetzung der Strafverfolgung. Ohne frist- und formgerechten Antrag fehlt es an einer prozessualen Grundlage; ein Einschreiten der Behörden erfolgt dann nicht.
Relative Antragsdelikte
Relative Antragsdelikte erfordern ebenfalls grundsätzlich einen Strafantrag. Ausnahmsweise kann jedoch trotz fehlenden Antrags verfolgt werden, wenn ein besonders gewichtiges öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Ob ein solches Interesse gegeben ist, beurteilen die Strafverfolgungsbehörden nach den Umständen des Einzelfalls.
Ermächtigungsdelikte
Von Antragsdelikten zu unterscheiden sind Ermächtigungsdelikte. Hier ist nicht der Strafantrag einer verletzten Person maßgeblich, sondern eine besondere Zustimmung oder Ermächtigung einer dazu befugten Stelle, etwa einer Behörde. Erst diese Ermächtigung erlaubt die Verfolgung.
Privatklagedelikte
Bei Privatklagedelikten kann die verletzte Person unter bestimmten Voraussetzungen das Verfahren eigenständig betreiben, wenn die Staatsanwaltschaft kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung sieht. Die Privatklage ist ein eigener Verfahrensweg und nicht mit dem Strafantrag gleichzusetzen, obgleich sich die Deliktsgruppen teilweise überschneiden können.
Antragsberechtigung
Zur Stellung eines Strafantrags berechtigt ist in erster Linie die durch die Tat verletzte Person. Ist diese minderjährig oder geschäftsunfähig, handeln in der Regel die gesetzlichen Vertreter. Bei juristischen Personen und sonstigen Organisationen handeln die vertretungsberechtigten Organe. In bestimmten Fallkonstellationen können auch andere von der Tat unmittelbar Betroffene oder zuständige Stellen antragsberechtigt sein, wenn ein eigenes Schutzinteresse besteht.
Sind mehrere Personen verletzt, kann jeder eigenständig einen Antrag stellen. Der Antrag wirkt typischerweise zugunsten beziehungsweise zulasten aller Tatbeteiligten einheitlich; die Rücknahme erstreckt sich regelmäßig auf alle Beschuldigten, soweit sie denselben Lebenssachverhalt betrifft.
Frist und Form des Strafantrags
Frist
Für den Strafantrag gilt eine gesetzliche Frist. Sie beginnt in der Regel zu laufen, sobald die antragsberechtigte Person von der Tat und – soweit erforderlich – von der Person des mutmaßlichen Täters Kenntnis erlangt. Nach Ablauf der Frist ist ein wirksamer Antrag regelmäßig nicht mehr möglich; das Verfahren kann dann nicht auf dieser Grundlage geführt werden.
Form und Inhalt
Der Strafantrag muss gegenüber einer zuständigen Stelle erklärt werden. Er kann schriftlich oder zu Protokoll abgegeben werden. Erforderlich ist eine eindeutige Willenserklärung, dass die Strafverfolgung gewünscht ist, sowie eine hinreichende Bezeichnung des Vorfalls und – soweit bekannt – der verdächtigen Person. Ein Strafantrag kann sich auch gegen Unbekannt richten, wenn die verletzte Person den Täter nicht kennt.
Rücknahme und ihre Folgen
Die antragsberechtigte Person kann einen einmal gestellten Strafantrag grundsätzlich zurücknehmen, solange das Verfahren nicht einen fortgeschrittenen Abschluss erreicht hat. Die Rücknahme ist rechtlich bedeutsam: Sie führt in der Regel zur Beendigung der Verfolgung und ist normalerweise unwiderruflich. Sie wirkt im Regelfall gegenüber allen Tatbeteiligten und bewirkt, dass ein erneuter Antrag wegen desselben Sachverhalts grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Rolle von Polizei und Staatsanwaltschaft
Bei Antragsdelikten prüfen die Behörden zunächst, ob ein wirksamer Strafantrag vorliegt. Fehlt er, wird nicht ermittelt oder ein Verfahren eingestellt, sofern nicht die besonderen Voraussetzungen für ein Einschreiten bei relativem Antragsdelikt vorliegen. Liegt ein wirksamer Antrag vor, gelten die allgemeinen Regeln der Strafverfolgung. Das Vorliegen oder die Rücknahme eines Strafantrags beeinflusst die Verfahrensführung, nicht jedoch die materiellrechtliche Beurteilung der Tat.
Bei relativen Antragsdelikten kann trotz fehlenden Antrags ermittelt werden, wenn ein besonderes öffentliches Interesse anzunehmen ist, etwa bei erheblicher Tatintensität, Wiederholungsgefahr oder bedeutsamen Auswirkungen über den Einzelfall hinaus. Diese Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsbehörden.
Verhältnis zu zivilrechtlichen Ansprüchen
Der Strafantrag betrifft ausschließlich die strafrechtliche Verfolgung. Zivilrechtliche Ansprüche, etwa auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld, bestehen unabhängig davon. Ob ein Strafantrag gestellt, aufrechterhalten oder zurückgenommen wird, berührt diese zivilrechtlichen Fragen grundsätzlich nicht.
Typische Fallgruppen
Antragsdelikte finden sich häufig in Bereichen, in denen persönliche Ehre, Privatsphäre, Hausrecht oder geringere Vermögens- und Integritätsverletzungen betroffen sind. Dazu zählen typischerweise Beleidigung und ähnliche Ehrverletzungen, Eingriffe in das Hausrecht, bestimmte Formen der Körperverletzung mit geringer Intensität sowie Beschädigungen oder geringwertige Vermögensdelikte in einfachen Fallkonstellationen. Ob im Einzelnen ein Antrag erforderlich ist oder ein besonderes öffentliches Interesse eine Verfolgung ohne Antrag erlaubt, hängt von der konkreten gesetzgeberischen Ausgestaltung und den Umständen des Einzelfalls ab.
Prozessuale Bedeutung und Rechtsfolgen
Der Strafantrag ist eine prozessuale Voraussetzung. Fehlt er, besteht ein Verfahrenshindernis; ein Urteil in der Sache kommt dann nicht zustande. Ein wirksamer Antrag kann innerhalb der gesetzlichen Frist nachgeholt werden, solange über die Tat noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Der Strafantrag beeinflusst nicht die Frage der Schuld, sondern nur, ob die Strafverfolgung überhaupt eröffnet wird.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu Antragsdelikten
Was unterscheidet den Strafantrag von der Strafanzeige?
Die Strafanzeige teilt lediglich einen Verdacht mit. Der Strafantrag erklärt zusätzlich den Willen der berechtigten Person, dass die Tat strafrechtlich verfolgt wird. Bei Antragsdelikten ist diese Willenserklärung Voraussetzung für die Verfolgung, sofern nicht besondere Ausnahmen greifen.
Wer darf bei Antragsdelikten einen Strafantrag stellen?
Antragsberechtigt ist grundsätzlich die verletzte Person. Bei Minderjährigen oder nicht geschäftsfähigen Personen handeln die gesetzlichen Vertreter. Für juristische Personen erklären vertretungsberechtigte Organe den Antrag. In besonderen Konstellationen können auch andere unmittelbar Betroffene oder zuständige Stellen berechtigt sein.
Gibt es eine Frist für den Strafantrag?
Ja. Der Strafantrag muss innerhalb einer gesetzlichen Frist gestellt werden, die in der Regel mit der Kenntnis von Tat und Täter beginnt. Wird die Frist versäumt, ist eine Strafverfolgung wegen des Antragsdelikts normalerweise nicht mehr möglich.
Kann ein Strafantrag zurückgenommen werden?
Die Rücknahme ist grundsätzlich möglich, solange das Verfahren nicht weit fortgeschritten ist. Sie führt regelmäßig zur Beendigung der Strafverfolgung hinsichtlich des betroffenen Sachverhalts und ist in der Regel endgültig. Die Wirkung erstreckt sich üblicherweise auf alle Beteiligten.
Was geschieht, wenn kein Strafantrag gestellt wird?
Ohne Strafantrag wird ein Antragsdelikt in der Regel nicht verfolgt. Bei relativen Antragsdelikten kann die Staatsanwaltschaft ausnahmsweise dennoch tätig werden, wenn ein besonderes öffentliches Interesse bejaht wird.
Ist ein Strafantrag gegen Unbekannt möglich?
Ja. Ein Strafantrag kann wirksam gestellt werden, auch wenn die Identität des Täters unbekannt ist. Er bezieht sich dann auf den geschilderten Sachverhalt; die Person des Täters wird im Ermittlungsverfahren geklärt.
Welche Bedeutung hat das öffentliche Interesse bei Antragsdelikten?
Bei relativen Antragsdelikten kann ein besonderes öffentliches Interesse die Verfolgung auch ohne Antrag rechtfertigen. Maßgeblich sind unter anderem die Schwere der Tat, Wiederholungsgefahren und Auswirkungen über den Einzelfall hinaus. Die Beurteilung obliegt den Strafverfolgungsbehörden.