Legal Lexikon

Antragsdelikte


Begriff und Definition der Antragsdelikte

Antragsdelikte sind eine besondere Kategorie von Straftaten im deutschen Strafrecht, deren strafrechtliche Verfolgung nicht von Amts wegen, sondern erst nach einem wirksamen Strafantrag einer antragsberechtigten Person erfolgt. Im Unterschied zu Offizialdelikten, bei denen „das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung“ grundsätzlich ohne weiteres angenommen wird, ist bei Antragsdelikten ein gesonderter Wille der durch die Tat betroffenen Person oder einer sonstigen berechtigten Stelle erforderlich.

Beispiele für Antragsdelikte sind etwa Beleidigung (§ 185 StGB), Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) oder einfache Körperverletzung (§ 223 StGB), sofern kein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.

Rechtsgrundlagen der Antragsdelikte

Gesetzliche Regelungen

Die maßgeblichen Vorschriften über Antragsdelikte sind im Strafgesetzbuch (StGB), in der Strafprozessordnung (StPO) sowie in einigen Nebenstrafgesetzen enthalten. Die §§ 77 ff. StGB konkretisieren Austausch, Fristen und Wirkung eines Strafantrags. Die Strafprozessordnung regelt weiteres zum Verfahren.

Abgrenzung zu Offizialdelikten und Ermächtigungsdelikten

Während Offizialdelikte stets durch die Staatsanwaltschaft auch ohne Antrag verfolgt werden, unterscheiden sich Antragsdelikte durch ihr Erfordernis eines wirksamen Strafantrags. Ermächtigungsdelikte wie etwa der Haus- und Familiendiebstahl (§ 247 StGB) bedürfen einer ausdrücklichen Ermächtigung zur Strafverfolgung durch bestimmte Personen oder Institutionen; sie bilden eine Mischform.

Voraussetzungen des Strafantrags

Antragsberechtigte

Zur Stellung eines Strafantrags berechtigt ist in der Regel der Verletzte (§ 77 Abs. 1 StGB). Bei minderjährigen oder geschäftsunfähigen Personen geht das Antragsrecht auf die gesetzlichen Vertreter über. In Ausnahmefällen kann auch ein gesetzlicher Stellvertreter oder eine eigens benannte Stelle (z. B. bei Delikten gegen Amtsträger) antragsberechtigt sein.

Form und Frist des Strafantrags

Der Strafantrag ist schriftlich zur Anzeige zu bringen oder zur Protokoll der Strafverfolgungsbehörde zu erklären (§ 158 StPO). Die Frist zur Stellung eines Strafantrags beträgt gemäß § 77b Abs. 1 StGB grundsätzlich drei Monate ab Kenntnis von Tat und Täter. Nach Ablauf dieser Frist ist eine Strafverfolgung grundsätzlich ausgeschlossen.

Inhaltliche Anforderungen

Im Antrag ist das strafbare Verhalten möglichst konkret zu bezeichnen. Ein Strafantrag kann auf bestimmte Personen oder sachlich auf bestimmte Taten beschränkt werden. Ein gestellter Strafantrag ist grundsätzlich unwiderruflich, kann allerdings bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens zurückgenommen werden. Die Rücknahme des Antrags (§ 77d StGB) beendet in der Regel die Strafverfolgung, es sei denn, mehrere Antragsberechtigte haben einen Antrag gestellt und nicht alle nehmen ihn zurück.

Öffentliches Interesse und Ermessensspielraum der Staatsanwaltschaft

Bei bestimmten Antragsdelikten kann die Staatsanwaltschaft, trotz fehlenden Antrags, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung geltend machen und so die Strafverfolgung im Einzelfall einleiten oder fortführen (§ 230 Abs. 1 StGB etwa bei Körperverletzung). Ob das öffentliche Interesse vorliegt, beurteilt die Staatsanwaltschaft anhand der Umstände des Einzelfalls (beispielsweise Wiederholungsgefahr, besonderes Gewicht der Tat, Vorstrafen).

Beispiele und Katalog typischer Antragsdelikte

Zu den bekanntesten Antragsdelikten zählen unter anderem:

  • Beleidigung (§ 185 StGB)
  • Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)
  • Körperverletzung (§ 223 StGB), soweit kein öffentliches Interesse vorliegt
  • Einfache Sachbeschädigung (§ 303 StGB)
  • Diebstahl und Unterschlagung im Haus- und Familienkreis (§§ 247, 248a StGB)
  • Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB)

Zahlreiche weitere Straftatbestände erleben durch die entsprechende Formulierung innerhalb des Gesetzestextes und den ausdrücklichen Verweis auf das Antragsprinzip eine Zuordnung zu den Antragsdelikten.

Wirkungen, Rechtsfolgen und Verfahrensablauf

Beginn der Strafverfolgung

Bei Antragsdelikten wird die Strafverfolgung erst nach wirksamer Antragstellung aufgenommen. Ohne einen solchen Antrag unterbleibt die Einleitung von Ermittlungsmaßnahmen und eine etwaige Hauptverhandlung findet nicht statt.

Rücknahme und Verzicht

Ein gestellter Strafantrag kann bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung zurückgenommen werden (§ 77d StGB). Die Rücknahme muss der zuständigen Strafverfolgungsbehörde erklärt werden. Der Antragsteller kann zudem vor der Antragstellung ausdrücklich auf die Antragstellung verzichten, wodurch eine spätere Antragstellung ausgeschlossen ist.

Besonderheiten im Strafverfahren

Die Einstellung des Verfahrens wegen fehlenden Strafantrags ist eine gängige Verfahrensform, wenn das Antragsdelikt ohne Antrag zur Anzeige kommt oder die Antragsfrist verstrichen ist. Das Strafverfahren ist dann einzustellen (§ 170 Abs. 2 StPO). Ein nachträglicher Antrag kann unter Wahrung der Frist das Verfahren erneut eröffnen.

Internationale Bezüge und vergleichendes Recht

Im internationalen Vergleich kennt auch das österreichische und das schweizerische Strafrecht das System der Antragsdelikte, wenngleich im jeweiligen Rechtssystem teilweise konkrete Unterschiede hinsichtlich der Antragserfordernisse, der Fristen und der Verfahrensweisen bestehen.

Literatur und weiterführende Vorschriften

  • Strafgesetzbuch (StGB), insbesondere §§ 77 ff. StGB
  • Strafprozessordnung (StPO), § 158, § 170 StPO
  • Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)

Zusammenfassung

Antragsdelikte stellen im deutschen Strafrecht eine eigenständige Gruppe von Straftaten dar, bei denen die Strafverfolgung nicht automatisch, sondern nur bei Vorliegen eines Antrags der antragsberechtigten Person erfolgt. Mit komplexen Regelungen zu Fristen, Rechtswirkungen und dem Erfordernis der Antragstellung besitzen sie eine bedeutsame Rolle im System der Strafverfolgung. Das Verständnis der wesentlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Antragsdelikte ist für die praktische Handhabung und die theoretische Einordnung zentral.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist grundsätzlich berechtigt, einen Strafantrag bei Antragsdelikten zu stellen?

Bei Antragsdelikten ist grundsätzlich die sogenannte antragsberechtigte Person zur Stellung eines Strafantrags legitimiert. Die Antragsberechtigung ergibt sich gemäß § 77 StGB in erster Linie für den unmittelbar Verletzten, also diejenige Person, deren Rechtsgut durch die Straftat beeinträchtigt wurde. In gewissen Konstellationen kann das Antragsrecht auch auf andere übergehen: Etwa bei Geschäftsunfähigkeit, bei Minderjährigen oder bei Tod des Verletzten, können gesetzliche Vertreter oder nahe Angehörige (wie Ehegatten, Eltern oder Kinder) den Strafantrag stellen. Im Fall juristischer Personen findet das Antragsrecht regelmäßig durch den gesetzlichen Vertreter Anwendung. Wichtig ist stets, dass nur die durch Gesetz berechtigte Person zur Stellung eines wirksamen Antrags befugt ist, da ein unberechtigt gestellter Antrag grundsätzlich keine strafprozessuale Wirkung entfaltet.

Gibt es eine Frist zur Stellung des Strafantrags bei Antragsdelikten und wie wird diese berechnet?

Für Antragsdelikte ordnet § 77b StGB eine feste Frist für die Stellung eines Strafantrages an. Die Antragsfrist beträgt grundsätzlich drei Monate und beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der zur Antragstellung Berechtigte von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt. Hierbei ist die positive Kenntnis entscheidend, das heißt, die betroffene Person muss beide Umstände sicher wissen; bloße Vermutungen oder unvollständige Erkenntnisse reichen für den Beginn der Frist nicht aus. Wird der Antrag nach Ablauf dieser Frist gestellt, ist er unwirksam, eine weitergehende Strafverfolgung von Amts wegen ist dann – abgesehen von möglicher Umwandlung wegen öffentlichen Interesses (§ 77a StGB) – nicht mehr möglich. Die Fristberechnung erfolgt gemäß §§ 187, 188 BGB, sodass der Tag der Kenntnisnahme nicht mitgerechnet wird.

Kann ein einmal gestellter Strafantrag bei Antragsdelikten zurückgenommen werden und mit welchen Konsequenzen?

Ein bereits gestellter Strafantrag kann zurückgenommen werden, solange über die Tat noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. Die Rücknahme ist ausdrücklich in § 77d StGB geregelt. Sie muss ausdrücklich erklärt und gegenüber der zuständigen Strafverfolgungsbehörde oder dem Gericht abgegeben werden. Im Falle der Rücknahme verliert die Strafverfolgungsbehörde das Recht, die Tat weiter zu verfolgen, es sei denn, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung gebietet eine Weiterverfolgung (§ 77a StGB). Die Rücknahme ist grundsätzlich endgültig; ein erneuter Strafantrag ist nur in Ausnahmefällen innerhalb der ursprünglichen Frist möglich, sofern diese noch nicht abgelaufen ist.

In welchen Konstellationen kann auch ohne Strafantrag bei Antragsdelikten eine Strafverfolgung stattfinden?

Obwohl Antragsdelikte grundsätzlich die Stellung eines förmlichen Strafantrags erfordern, kann die Strafverfolgung ausnahmsweise auch ohne diesen durchgeführt werden. Dies ist in § 77a StGB geregelt, wonach die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen und von Amts wegen einschreiten kann. Ein solches öffentliches Interesse wird insbesondere bei besonderer Schwere der Tat, beim Vorliegen von Wiederholungsgefahr, bei erheblichem sozialem Unwertgehalt oder bei besonderem Schutzbedürfnis des Opfers angenommen. In diesen Fällen ist die Strafverfolgung auch dann möglich, wenn kein formeller Antrag vorliegt oder ein gestellter Antrag zurückgenommen wurde.

Welche Formanforderungen muss ein Strafantrag bei Antragsdelikten erfüllen?

Der Strafantrag unterliegt grundsätzlich keinen strengen Formvorschriften und kann sowohl mündlich als auch schriftlich gestellt werden, § 158 StPO. Wird der Antrag mündlich bei einer Strafverfolgungsbehörde angebracht, muss darüber ein Protokoll gefertigt werden. Der Antrag muss eindeutig die Erklärung zum Ausdruck bringen, dass die Strafverfolgung des Täters gewünscht wird, sowie die Tat und den Täter so genau wie möglich bezeichnen. Eine bloße Anzeige, die lediglich auf die Tateröffnung abzielt, genügt grundsätzlich nicht. Weiterhin muss der Antrag von der antragsberechtigten Person selbst oder deren Vertreter gestellt und unterschrieben werden. Fehlen wesentliche Angaben oder liegt keine klare Verfolgungsbitte vor, kann der Antrag unwirksam sein.

Kann bei mehreren Tätern oder Taten der Strafantrag beschränkt werden?

Ein Strafantrag kann – kraft Gesetzes – nach § 77 StGB sowohl auf einzelne Tatbeteiligte als auch auf bestimmte Teile der Tat beschränkt werden. Dies bedeutet, dass der Antragsberechtigte ausdrücklich festlegen kann, gegen wen sich der Antrag richten und auf welche konkrete Handlung er sich beziehen soll. Die Staatsanwaltschaft ist dann auf die Verfolgung dieser Umstände beschränkt. Eine nachträgliche Erweiterung ist nur innerhalb der noch offenen Antragsfrist möglich. Die Beschränkung selbst muss ebenso klar und eindeutig erfolgen wie der Antrag an sich; unklare oder missverständliche Angaben führen im Zweifel dazu, dass die Strafverfolgungsbehörde eine Auslegung vornehmen muss.