Begriff und Grundprinzip der Anrechnung von Steuern
Die Anrechnung von Steuern bezeichnet das rechtliche Verfahren, bereits gezahlte oder einbehaltene Steuerbeträge auf eine später festgesetzte Steuer anzurechnen. Ziel ist, Mehrfachbelastungen zu vermeiden und die endgültige Steuerlast sachgerecht zu ermitteln. Bei der Anrechnung wird ein zuvor entstandener Steuerbetrag (zum Beispiel durch Steuerabzug an der Quelle oder durch Vorauszahlungen) auf die festzusetzende Steuer derselben Person und desselben Veranlagungszeitraums verrechnet.
Wesentliche Abgrenzung: Bei der Anrechnung mindert ein bereits geleisteter Steuerbetrag die festgesetzte Steuer unmittelbar. Demgegenüber führt ein Abzug (etwa als Betriebsausgabe oder Sonderausgabe) zuerst zu einer Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage; die Steuer wird danach auf dieser niedrigeren Grundlage berechnet.
Rechtsnatur und Systematik
Zweck und Einordnung
Die Anrechnung ist ein Element der Steuererhebung und -festsetzung. Sie verknüpft Erhebungsformen wie den Steuerabzug an der Quelle oder Vorauszahlungen mit der späteren Festsetzung im Veranlagungsverfahren. Dadurch wird sichergestellt, dass Steuerzahlungen exakt demjenigen Steuerpflichtigen und Zeitraum zugeordnet werden, für den sie bestimmt sind.
Abgrenzung zu Erstattung, Stundung und Erlass
Die Anrechnung unterscheidet sich von verwandten Instrumenten: Eine Erstattung erfolgt, wenn nach der Anrechnung ein Überschuss verbleibt. Eine Stundung verschiebt nur die Fälligkeit, ändert aber nichts am Entstehen der Steuer. Ein Erlass reduziert ausnahmsweise die Steuer, ohne dass dem eine Anrechnung bereits gezahlter Beträge zugrunde liegt.
Typische Voraussetzungen
Regelmäßig setzt die Anrechnung voraus:
- Entstehung eines anrechenbaren Steuerbetrags (zum Beispiel mittels Steuerabzug oder Vorauszahlung),
- Zuordnung dieses Betrags zu der steuerpflichtigen Person und zum zutreffenden Veranlagungszeitraum,
- Nachweis durch geeignete Bescheinigungen oder Abrechnungen,
- Identität der Steuerart oder eine gesetzlich vorgesehene Verknüpfung zwischen unterschiedlichen Steuerarten (etwa bei der Anrechnung bestimmter Realsteuern auf die Einkommensteuer).
Typische Anrechnungsfälle
Lohnsteuer auf die Einkommensteuer
Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit wird die Lohnsteuer durch den Arbeitgeber einbehalten und abgeführt. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung wird die einbehaltene Lohnsteuer auf die festgesetzte Einkommensteuer angerechnet. Ergibt sich ein Überschuss, kommt es zur Erstattung; andernfalls verbleibt eine Restzahlung.
Kapitalertragsteuer und Steuerabzug auf Kapitaleinkünfte
Auf Kapitalerträge wird regelmäßig ein Steuerabzug vorgenommen. Dieser Abzug wird – abhängig von der Art der Veranlagung und den persönlichen Verhältnissen – ganz oder teilweise auf die festzusetzende Einkommensteuer angerechnet. Für die Anrechnung sind in der Praxis Steuerbescheinigungen der auszahlenden Stelle maßgeblich.
Weitere Abzugssteuern
Auch andere Einbehalte, etwa bestimmte Quellensteuern bei Zahlungen an Personen ohne inländischen Wohnsitz oder besondere Abzugssteuern in einzelnen Branchen, können – soweit vorgesehen – auf die später festzusetzende Steuer angerechnet werden. Maßgeblich ist die korrekte Zuordnung zum Steuerpflichtigen und Zeitraum.
Vorauszahlungen und Zuschläge
Vorauszahlungen dienen der laufenden Entrichtung der voraussichtlichen Jahressteuerschuld und werden bei der Jahresfestsetzung angerechnet. Entsprechendes gilt für einbehaltene Zuschläge, soweit diese als eigene Abgaben festgesetzt und mit vorausgezahlten oder einbehaltenen Beträgen verrechnet werden.
Anrechnung von Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer
Bei Einkünften aus Gewerbebetrieb kann die gezahlte Gewerbesteuer in festgelegtem Rahmen auf die Einkommensteuer angerechnet werden. Diese Anrechnung ist der Höhe nach begrenzt und gilt nicht für Körperschaften.
Ausländische Quellensteuern
Auf ausländische Einkünfte einbehaltene Quellensteuern können – je nach innerstaatlicher Regelung und anwendbarem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung – auf die inländische Steuer angerechnet werden. Die Anrechnung ist regelmäßig auf den Teil der inländischen Steuer begrenzt, der auf die entsprechenden ausländischen Einkünfte entfällt.
Verfahren der Anrechnung
Automatische Anrechnung im Abzugsverfahren
Bei standardisierten Abzugsverfahren (zum Beispiel Lohnsteuerabzug) erfolgt die Anrechnung anhand der gemeldeten und bescheinigten Daten. Die übermittelten Beträge werden im Festsetzungsverfahren berücksichtigt.
Anrechnung im Veranlagungsverfahren
Im Rahmen der Veranlagung werden sämtliche anrechenbaren Beträge, die dem jeweiligen Zeitraum zugeordnet sind, auf die festgesetzte Steuer angerechnet. Aus der Summe ergibt sich ein Saldo: verbleibende Zahllast, Ausgleich oder Erstattungsbetrag.
Nachweise und Bescheinigungen
Für die Anrechnung sind in der Regel Nachweise erforderlich, etwa Lohnsteuerbescheinigungen, Steuerbescheinigungen von Kreditinstituten oder Abrechnungen ausländischer Quellensteuer. Diese Dokumente belegen Einbehalt, Zahlung und Zuordnung.
Bescheid und Festsetzung des Anrechnungsbetrags
Der Steuerbescheid weist die festgesetzte Steuer, die angerechneten Beträge und den sich daraus ergebenden Zahlungs- oder Erstattungsbetrag aus. Anrechnungen sind Teil der steuerlichen Festsetzung und damit auch Gegenstand der bekanntgegebenen Entscheidung.
Berichtigung und Korrektur
Stellt sich nachträglich heraus, dass ein anrechenbarer Betrag unzutreffend erfasst wurde, kann der Festsetzungsakt unter den allgemeinen Voraussetzungen geändert werden. Grundlage sind dann korrigierte Bescheinigungen oder geänderte Feststellungen.
Grenzen und Konfliktfälle
Höchstbeträge und Begrenzungen
Die Anrechnung kann gesetzlich begrenzt sein. Typisch sind Höchstbetragsregelungen, nach denen die Anrechnung den Teil der inländischen Steuer nicht überschreiten darf, der auf die betreffenden Einkünfte entfällt. Dies betrifft insbesondere ausländische Quellensteuern und bestimmte Anrechnungen bei betrieblichen Einkünften.
Verlustverrechnung versus Anrechnung
Anrechnung und Verlustverrechnung sind voneinander zu trennen. Verluste mindern die Bemessungsgrundlage oder werden in andere Zeiträume vor- oder zurückgetragen. Die Anrechnung betrifft demgegenüber die Verrechnung bereits gezahlter Steuerbeträge mit einer festgesetzten Steuer.
Doppelanrechnung und zeitliche Zuordnung
Eine Doppelanrechnung ist ausgeschlossen. Anrechenbare Beträge sind dem richtigen Zeitraum und der richtigen Person zuzuordnen. Fehlt die zeitliche oder persönliche Zuordnung, kann die Anrechnung versagt oder korrigiert werden.
Erstattungsüberhänge
Übersteigen angerechnete Beträge die festgesetzte Steuer, entsteht ein Erstattungsüberhang. Dieser wird grundsätzlich ausgezahlt, soweit keine Verrechnung mit anderen fälligen Abgaben erfolgt.
Besonderheiten bei Zusammenveranlagung
Bei zusammen veranlagten Personen werden anrechenbare Beträge beider Personen zusammengerechnet, sofern die Beträge dem gemeinsamen Veranlagungszeitraum zugeordnet sind. Bei getrennten Veranlagungen ist eine getrennte Zuordnung maßgeblich.
Internationale Aspekte
Doppelbesteuerungsabkommen und Methoden
Zwischenstaatliche Abkommen regeln häufig, ob die sogenannte Anrechnungsmethode oder die Freistellungsmethode gilt. Bei der Anrechnungsmethode wird ausländische Steuer auf die inländische Steuer angerechnet, die auf die entsprechenden Einkünfte entfällt. Bei der Freistellungsmethode bleiben bestimmte ausländische Einkünfte im Inland außer Ansatz, wobei Progressionsvorbehalte möglich sind.
Quellensteuersätze und Nachweise
Für die Anrechnung sind die tatsächlich einbehaltenen ausländischen Beträge maßgeblich, regelmäßig nachgewiesen durch offizielle Abrechnungen. Abkommensrecht kann niedrigere Quellensteuersätze vorsehen; die tatsächliche Anrechnung richtet sich jedoch nach den belegten Einbehalten und den innerstaatlichen Höchstbeträgen.
Abgrenzung zu ähnlichen Instrumenten
Abzug als Aufwand versus Anrechnung
Manche Abgaben können nicht angerechnet, aber als Aufwand berücksichtigt werden. Der Unterschied ist wesentlich: Der Abzug reduziert die Bemessungsgrundlage; die Anrechnung reduziert die festgesetzte Steuer selbst.
Vorsteuerabzug bei der Umsatzsteuer
Der Vorsteuerabzug funktioniert technisch ähnlich wie eine Anrechnung, ist aber ein eigenes System within der Umsatzsteuer. Vorsteuerbeträge werden mit der Umsatzsteuerschuld saldiert; dies ist rechtlich keine Anrechnung im hier dargestellten Sinne der Ertragsteuern.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet Anrechnung von Steuern allgemein?
Anrechnung von Steuern ist die Verrechnung bereits gezahlter oder einbehaltener Steuerbeträge mit der später festgesetzten Steuer für denselben Zeitraum und dieselbe Person, um eine Doppelbelastung zu vermeiden.
Worin liegt der Unterschied zwischen Anrechnung und Abzug?
Die Anrechnung mindert direkt die festgesetzte Steuer. Ein Abzug vermindert zunächst die Bemessungsgrundlage; die Steuer wird erst anschließend auf der reduzierten Grundlage berechnet.
Welche Steuern werden typischerweise angerechnet?
Typisch sind die Anrechnung von Lohnsteuer auf die Einkommensteuer, von Steuerabzügen auf Kapitalerträge, von geleisteten Vorauszahlungen, von bestimmten Abzugssteuern und – in begrenztem Umfang – von Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer. Ausländische Quellensteuern können nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen und Abkommen angerechnet werden.
Gibt es Grenzen bei der Anrechnung?
Ja. Anrechnungen unterliegen regelmäßig Höchstbeträgen. Sie dürfen insbesondere den Teil der inländischen Steuer nicht übersteigen, der auf die betreffenden Einkünfte entfällt. Zudem ist eine Anrechnung nur bei korrekter persönlicher und zeitlicher Zuordnung möglich.
Wie erfolgt die Anrechnung ausländischer Steuern?
Ausländische Quellensteuern werden im Inland angerechnet, soweit innerstaatliche Regeln und zwischenstaatliche Abkommen dies vorsehen. Die Anrechnung ist meist auf die inländische Steuer begrenzt, die auf diese ausländischen Einkünfte entfällt, und erfordert geeignete Nachweise.
Was passiert bei einem Erstattungsüberhang?
Übersteigen anrechenbare Beträge die festgesetzte Steuer, entsteht ein Erstattungsanspruch. Der Überschuss kann mit anderen fälligen Abgaben verrechnet oder ausgezahlt werden.
Kann eine bereits berücksichtigte Anrechnung nachträglich geändert werden?
Ja. Stellt sich nachträglich heraus, dass anrechenbare Beträge unzutreffend erfasst wurden, kann die Festsetzung unter den allgemeinen Voraussetzungen berichtigt werden, etwa bei korrigierten Bescheinigungen oder geänderten Grundlagen.