Anonyme Geburt: Rechtliche Grundlagen, Ablauf und Folgen
Einführung
Die anonyme Geburt bezeichnet die Möglichkeit, ein Kind in einer medizinischen Einrichtung zur Welt zu bringen, ohne die eigene Identität gegenüber dem Kind, dem medizinischen Personal sowie den Behörden preiszugeben. Ziel dieses Angebots ist es zum einen, die Gesundheit von Mutter und Kind zu schützen und zum anderen Aussetzungen oder heimliche, riskante Geburten zu vermeiden. Die Regelungen zur anonymen Geburt unterscheiden sich je nach Land und Rechtsordnung, wobei vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterschiedliche Modelle etabliert sind.
Rechtliche Grundlagen der anonymen Geburt
Gesetzliche Regelungen in Deutschland
In Deutschland wurde die anonyme Geburt seit dem 1. Mai 2014 durch das Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (Schwangerschaftskonfliktgesetz, SchKG) reformiert. Seitdem gibt es die Möglichkeit einer sogenannten vertraulichen Geburt. Eine vollständig namenlose Geburt gemäß alter Praxis ist aus rechtlichen Gründen nicht mehr zulässig.
Vertrauliche Geburt nach § 25 SchKG
Die vertrauliche Geburt ermöglicht es schwangeren Frauen, das Kind unter einem Pseudonym und unter Wahrung der Vertraulichkeit der eigenen Identität zur Welt zu bringen. Die Identität der Mutter wird dabei nur in einem verschlossenen Umschlag („Hinterlegung der Identität“) beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) hinterlegt. Dieser Umschlag wird spätestens ab dem 16. Lebensjahr des Kindes geöffnet, sofern das Kind Auskunft über seine Abstammung verlangt.
Abgrenzung zur vollständigen Anonymität
Eine vollständig anonyme Geburt ist im deutschen Recht nicht vorgesehen. Ziel ist es, die Rechte des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung (vgl. Art. 7 UN-Kinderrechtskonvention; Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) mit dem Schutzinteresse der Mutter in Einklang zu bringen.
Regelungen in Österreich
In Österreich ist die anonyme Geburt seit 2001 rechtlich explizit zulässig und im Bundesgesetz über die anonyme Geburt (BGBl. Nr. 60/2001) geregelt. Demnach kann jede Frau in öffentlichen Krankenanstalten ein Kind zur Welt bringen, ohne ihre Identität offenlegen zu müssen. Die Mutter bleibt dabei vollständig anonym, eine Identitätshinterlegung besteht nicht.
Rechtliche Bedeutung
Während die Rechte des Kindes auf Abstammung eingeschränkt werden, wird eine Ausnahme vom Allgemeinen Personenstandsgesetz geschaffen. Das Kind kann in der Regel keine Auskunft über die Identität der Mutter erhalten. Ziel ist auch hier die Prävention von Kindsaussetzungen und die Reduzierung von Kindstötungen im sogenannten neonatologischen Deliktfeld.
Regelungen in der Schweiz
Die Schweiz kennt keine mit Österreich oder Deutschland vergleichbare bundesrechtliche Regelung zur anonymen Geburt. Hier existiert jedoch als Hilfsmittel die Möglichkeit der vertraulichen Beratung sowie Babyklappen, aber eine rechtliche Absicherung einer anonymen Krankenhausgeburt existiert nicht.
Ablauf und Praxis der anonymen Geburt
Beratungsangebote und Zugang
Schwangere in Not können verschiedene Beratungsdienste aufsuchen, um sich über Möglichkeiten einer anonymen oder vertraulichen Geburt zu informieren. In Deutschland sind insbesondere die Schwangerschaftsberatungsstellen nach § 3 und § 7 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes erste Anlaufstellen.
Krankenhäuser und Hebammen
Kliniken sind verpflichtet, den Schutz der Anonymität nach Maßgabe der jeweiligen gesetzlichen Vorschriften zu gewährleisten. Das medizinische Personal unterliegt der beruflichen Schweigepflicht und darf Daten der Betroffenen nur im gesetzlich geregelten Umfang weitergeben.
Rechte und Pflichten der Beteiligten
Rechte der Mutter
Schutz der Identität
Bei der vertraulichen Geburt bleibt die Identität bis zur Volljährigkeit des Kindes geheim. Erst mit Vollendung des 16. Lebensjahres kann das Kind Auskunft verlangen.
Nachbetreuung
Die Mutter hat nach der Geburt Anspruch auf medizinische Betreuung und Sozialberatung, ohne dabei ihre weitere Anonymität zu gefährden.
Rechte des Kindes
Kenntnis der Abstammung
Das Kind hat nach UN-Kinderrechtskonvention und Grundgesetz das Recht auf Kenntnis seiner Herkunft. Diesem Recht wird je nach Land unterschiedlich Rechnung getragen: In Deutschland ist die Offenlegung ab 16 möglich, in Österreich bleibt die Anonymität der Mutter dauerhaft gewahrt.
Abstammungsrecht und Sorgerecht
Das Kind wird bei anonymer Geburt im Regelfall als Kind unbekannter Eltern registriert. Das Sorgerecht geht nach Geburtsanzeige zunächst auf das Jugendamt über, bis eine Adoptionspflegschaft erfolgt. Die Mutter muss bei späterem Identitätswunsch des Kindes keine elterlichen Pflichten übernehmen, außer sie offenbart freiwillig ihre Identität.
Strafrechtliche Aspekte und staatliche Schutzinteressen
Vermeidung von Straftaten
Die Möglichkeit zur anonymen Geburt soll vor allem verhindern, dass Schwangere in Notlagen auf gefährliche Alternativen wie Kindsaussetzung oder Kindstötung zurückgreifen. In diesem Zusammenhang stehen auch Initiativen wie die Babyklappe, welche in Deutschland jedoch rechtlich umstritten sind.
Missbrauchs- und Täuschungsschutz
Um Missbrauch zu verhindern, bestehen in Deutschland umfangreiche Melde- und Beratungsverfahren. Die Weitergabe der Identität wird streng kontrolliert und ist ausschließlich dem Kind nach Erreichen der Altersgrenze möglich.
Praktische Auswirkungen und gesellschaftlicher Kontext
Häufigkeit und Akzeptanz
Seit Inkrafttreten der gesetzlichen Regelungen stieg die Anzahl der vertraulichen Geburten leicht, während Kindsaussetzungen und neonatale Tötungsdelikte rückläufig sind.
Ethische und gesellschaftliche Bewertung
Die anonyme Geburt steht im Spannungsfeld zwischen dem persönlichen Schutz der Mutter und dem kindlichen Bedürfnis nach Identität. Gesellschaftlich umstritten ist vor allem das dauerhafte Abschneiden vom Abstammungsrecht.
Fazit
Die anonyme Geburt sowie die vertrauliche Geburt stellen in mehreren europäischen Rechtsordnungen Möglichkeiten dar, den Schutz von Mutter und Kind bei einer nicht gewollten Schwangerschaft zu gewährleisten. Dabei wird ein rechtlicher Ausgleich zwischen dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung und dem Schutzinteresse der Mutter vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und persönlichen Gefahren gesucht. Umfangreiche Beratungs- und Unterstützungsangebote begleiten betroffene Schwangere, während staatliche Stellen den rechtlichen Rahmen für medizinische Versorgung, Datenschutz und Kindeswohl vorgeben.
Literatur und weiterführende Quellen
- Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG)
- Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA)
- BGBl. Nr. 60/2001 (Österreich)
- UN-Kinderrechtskonvention
- Art. 2 und Art. 7 GG
Stichworte: Anonyme Geburt, vertrauliche Geburt, Abstammungsrecht, Kinderschutz, Mutterrechte, Schwangerschaftskonflikt, Recht auf Herkunft, Kindsaussetzung, Babyklappe.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist rechtlich für das Kind nach einer anonymen Geburt verantwortlich?
Nach einer anonymen Geburt bleibt die leibliche Mutter rechtlich anonym, während das Neugeborene zunächst vom Jugendamt in Obhut genommen wird. Das Jugendamt agiert in der ersten Phase als gesetzlicher Vertreter des Kindes, übernimmt alle notwendigen Entscheidungen und leitet das Verfahren zur Klärung der weiteren Sorge und des Aufenthalts des Kindes ein. Die elterliche Sorge der leiblichen Mutter ruht, solange ihre Identität nicht offenbart wird oder sie keine rechtlichen Schritte zur Wiederaufnahme übernimmt. Grundsätzlich wird das Kind zeitnah in eine Pflegefamilie vermittelt, solange keine Adoption erfolgt oder die Mutter nicht ihre Anonymität aufgibt und rückwirkend die Mutterschaft anerkennt.
Wie wird die Anonymität der Mutter rechtlich gewährleistet?
Die Anonymität der Mutter wird durch die entsprechenden Vorschriften des § 25 Absatz 1 KKG (Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz) sowie durch das Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt (SchwHiG) abgesichert. Die in der Klinik erhobenen Daten (Identität, medizinische Daten) werden verschlüsselt und getrennt von der Geburtsdokumentation aufbewahrt. Die Daten dürfen nur in eng definierten Ausnahmefällen, z. B. zur Gefahrenabwehr für das Kind oder im Falle strafrechtlicher Ermittlungen, offengelegt werden. Die Personensorgeberechtigten und das Kind selbst erhalten erst nach festen Fristen oder durch Nachweis eines berechtigten Interesses Einsicht.
Welche Rechte hat das Kind bezüglich seiner Herkunft nach einer anonymen Geburt?
Aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aufgrund des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 GG), hat das Kind ab dem 16. Lebensjahr grundsätzlich das Recht, Informationen über seine leibliche Mutter zu erfragen. Hierbei greifen die Schutzmechanismen des SchwHiG: Die Herausgabe der Identität erfolgt ausschließlich über das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA), bei dem die Daten verschlossen und gesichert hinterlegt sind. Vorher kann das Kind in der Regel nur in Ausnahmefällen im Rahmen einer Interessenabwägung Auskunft erhalten.
Hat der leibliche Vater rechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit einer anonymen Geburt?
Der leibliche Vater hat grundsätzlich das Recht, die Vaterschaft zu seinem Kind feststellen zu lassen (§ 1600 BGB). Dazu muss er jedoch Hinweise auf die Identität der leiblichen Mutter erlangen. Da die Mutter anonym bleibt und ihre Daten geschützt sind, ist dieser Schritt erheblich erschwert. Wird dem Jugendamt oder anderen Behörden jedoch die Identität des Vaters oder seine Beziehung zum Kind bekannt, kann er rechtlich initiativ werden und ggf. das Sorgerecht oder den Umgang beantragen. Das Recht auf Kenntnis der Abstammung steht auch dem Vater zu, die praktische Durchsetzung ist jedoch stark limitiert.
Was geschieht, wenn die Mutter nachträglich ihre Anonymität aufgeben möchte?
Sollte die Mutter entscheiden, ihre Anonymität aufzugeben und sich als leibliche Mutter zu offenbaren, kann sie gemäß den gesetzlichen Regelungen die Mutterschaft anerkennen. Innerhalb der ersten acht Wochen nach der Geburt kann sie zudem ihre Entscheidung zur Adoption widerrufen und die Rückführung ihres Kindes beantragen (§ 1747 Abs. 4 BGB). Nach Ablauf dieser Frist ist eine Rücknahme der Entscheidung grundsätzlich nicht mehr möglich; das Kind kann dann adoptiert werden. Für alle weiteren Schritte ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und gegebenenfalls dem Familiengericht erforderlich.
Wie werden die Geburtsurkunde und andere Dokumente rechtlich behandelt?
Bei einer anonymen Geburt wird zunächst keine Geburtsurkunde mit Nennung der Mutter ausgestellt. Das Standesamt erhält vom Krankenhaus nur bekannt, dass ein Kind geboren wurde, ohne die Identität der Mutter offenzulegen. Die Geburtsanzeige enthält neben den Mindestangaben zur Kindsperson keine Rückschlüsse auf die Mutter. Nach einer möglichen Adoption wird eine neue Geburtsurkunde mit den Adoptiveltern als Eltern erstellt. Sollte die Mutter nachträglich ihre Identität offenbaren, kann die Urkunde korrigiert werden.
Kann eine anonyme Geburt zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Mutter führen?
Die anonyme Geburt ist in Deutschland ausdrücklich legal und stellt keine Straftat dar. Vielmehr ist sie als Maßnahme des Kindeswohls und der Schwangerenhilfe gesetzlich geregelt. Im Gegensatz zu einer Kindsaussetzung oder zu anonymen Geburten im Ausland droht der Mutter keine strafrechtliche Verfolgung wegen Verletzung von Melde- oder Auskunftspflichten. Gleichwohl kann die Strafbarkeit nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Handlung im gesetzlichen Rahmen geblieben ist – etwa wenn keine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt.
Wer trägt die Kosten einer anonymen Geburt aus rechtlicher Sicht?
Nach § 19 SchKG und dem Gesetz zur vertraulichen Geburt werden die Kosten einer anonymen Geburt in medizinischer Hinsicht von den gesetzlichen Krankenkassen getragen. Die Inanspruchnahme erfolgt dabei im Rahmen der regulären Schwangerenvorsorge und Geburt, unabhängig davon, ob die Frau namentlich erfasst ist. Kosten für Beratung und psychologische Begleitung werden in der Regel von den Schwangerenberatungsstellen und gegebenenfalls von öffentlichen Mitteln übernommen, damit Schwellen für betroffene Frauen möglichst niedrig gehalten werden.