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Anklageerzwingung


Anklageerzwingung

Die Anklageerzwingung ist ein besonderes Rechtsinstitut des deutschen Strafprozessrechts, das es Privatpersonen ermöglicht, im Fall einer von der Staatsanwaltschaft abgelehnten Strafverfolgung dennoch eine Anklage durchzusetzen. Sie ist im Wesentlichen im § 172 Strafprozessordnung (StPO) geregelt und dient dem Schutz des Legalitätsprinzips sowie dem Individualinteresse an der strafrechtlichen Verfolgung von Straftaten. Der folgende Artikel bietet eine umfassende, rechtlich fundierte Darstellung des Begriffs Anklageerzwingung, seiner Voraussetzungen, des Verfahrensablaufs sowie seiner praktischen Bedeutung.


Gesetzliche Grundlagen

Die Rechtsgrundlage für die Anklageerzwingung bildet § 172 StPO. Der Gesetzestext regelt, dass der durch eine Straftat Verletzte, dessen Strafantrag oder Klageerzwingungsantrag ganz oder teilweise abgelehnt wurde, die gerichtliche Entscheidung anrufen kann. Die Anklageerzwingung steht dabei im Zusammenhang mit der sogenannten Privatklage, ist jedoch von dieser abzugrenzen.


Voraussetzungen der Anklageerzwingung

Ablehnung durch die Staatsanwaltschaft

Damit ein Antrag auf Anklageerzwingung zulässig ist, muss die Staatsanwaltschaft zuvor das Strafverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt oder die Erhebung der öffentlichen Klage abgelehnt haben. Die bloße Untätigkeit der Behörde berechtigt nicht zur Anklageerzwingung.

Antragsberechtigung

Antragsberechtigt ist in erster Linie der Verletzte der Straftat, sofern dadurch ein individuelles Rechtsgut betroffen ist. Im Regelfall handelt es sich um das Opfer der Straftat oder eine gegebenenfalls rechtsnachfolgeberechtigte Person. Nicht jeder beliebige Dritte kann das Anklageerzwingungsverfahren anstoßen.

Beschwerdeverfahren (Erinnerung)

Vor Stellung eines Antrags auf Anklageerzwingung muss eine sogenannte „Beschwerde“ (auch als „Erinnerung“ bezeichnet) bei der Staatsanwaltschaft eingelegt werden. Die Staatsanwaltschaft prüft daraufhin erneut, ob eine Anklage zu erheben ist. Erst nach abschlägiger Bescheidung oder ausbleibender Entscheidung innerhalb von drei Monaten ist das Anklageerzwingungsverfahren eröffnet.

Schriftform und Begründung

Der Antrag auf Anklageerzwingung muss schriftlich beim zuständigen Oberlandesgericht (§ 172 Abs. 1 Satz 1 StPO) eingereicht werden. Er muss ausführlich begründet werden, insbesondere hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, die für die Verfolgung des mutmaßlichen Täters sprechen. Jede Begründung sollte sich auf konkrete Tatsachen und Beweismittel stützen.


Das Verfahren der Anklageerzwingung

Zuständigkeit des Gerichts

Für die Entscheidung über den Antrag auf Anklageerzwingung ist das Oberlandesgericht (OLG) zuständig, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat, die die Erhebung der öffentlichen Klage abgelehnt hat. Das OLG entscheidet im Beschwerdeverfahren durch einen Spruchkörper (Senat).

Beschlussverfahren

Das OLG prüft zunächst die Zulässigkeit des Antrags, insbesondere ob die vorgenannten Verfahrensvoraussetzungen erfüllt sind. In der Hauptsache wird sodann geprüft, ob ein hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 170 Abs. 1 StPO besteht, also ob es genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat gibt, die eine öffentliche Anklage rechtfertigen würden.

Entscheidung des Oberlandesgerichts

Kommt das OLG zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Anklageerhebung vorliegen, ordnet es die Erhebung der öffentlichen Klage an und bestimmt zugleich, dass ein anderes Gericht als das Amtsgericht für die Durchführung des Hauptverfahrens zuständig ist (§ 174 Abs. 1 StPO). Lehnt das OLG den Antrag ab, ist dieser endgültig ausgeschlossen; eine weitere Anrufung ist nicht möglich.

Rechtswirkung der Entscheidung

Die dem Antrag stattgebende Entscheidung des OLG entfaltet Bindungswirkung gegenüber der Staatsanwaltschaft, die sodann verpflichtet ist, die öffentliche Klage zu erheben. Dennoch bleibt die spätere Entscheidung darüber, ob es zu einer Verurteilung kommt, die Aufgabe des mit der Sache befassten Strafgerichts.


Abgrenzung zu anderen Rechtsbehelfen

Unterschied zur Privatklage

Die Anklageerzwingung ist von der Privatklage (§§ 374 ff. StPO) zu unterscheiden. Die Privatklage dient der Verfolgung bestimmter Straftaten ohne Mitwirkung der Staatsanwaltschaft, während die Anklageerzwingung darauf abzielt, eine durch die Staatsanwaltschaft zunächst abgelehnte öffentliche Klage durchzusetzen.

Verhältnis zur Dienstaufsichtsbeschwerde

Neben der Anklageerzwingung besteht die Möglichkeit der Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Sachbearbeitung der Staatsanwaltschaft. Diese stellt jedoch kein förmliches Rechtsmittel dar und hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Verhalten der Anklagebehörde.


Bedeutung und praktische Relevanz

Die Anklageerzwingung hat im deutschen Strafprozess eine wichtige Kontrollfunktion hinsichtlich des Legalitätsprinzips. Sie sorgt dafür, dass die Entscheidung über die strafrechtliche Verfolgung nicht ausschließlich im Ermessen der Staatsanwaltschaft verbleibt. Gerade bei Verfahren mit politischer oder gesellschaftlicher Brisanz kann das Anklageerzwingungsverfahren als Korrektiv dienen und den Zugang zu einem gerechten Verfahren sichern. In der Praxis führt die Anklageerzwingung jedoch nur selten zur Anklageerhebung, da die Anforderungen an die Antragsbegründung hoch und die Erfolgsaussichten – vor allem im Hinblick auf die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts – eher gering sind.


Kostenrechtliche Aspekte

Das Anklageerzwingungsverfahren ist mit Kostenrisiken für den Antragsteller verbunden. Wird der Antrag abgelehnt, hat dieser in der Regel für die Verfahrenskosten aufzukommen (§ 177 StPO). Wird dem Antrag stattgegeben, trägt in der Regel die Staatskasse die Kosten. Bei leichtfertiger oder missbräuchlicher Antragstellung kann das OLG dem Antragsteller die Kosten ganz oder teilweise auferlegen.


Zusammenfassung

Die Anklageerzwingung ist ein bedeutendes Rechtsmittel im deutschen Strafprozess, das dem durch eine Straftat Verletzten die Möglichkeit eröffnet, die staatsanwaltschaftliche Ablehnung einer Anklage gerichtlich überprüfen zu lassen. Sie dient dem Schutz des Legalitätsprinzips, stellt hohe Anforderungen an Verfahren und Begründung und spielt vor allem in Konstellationen eine Rolle, in denen der Verdacht besteht, dass Behörden ihren Verfolgungspflichten nicht hinreichend nachkommen. Ihre praktische Bedeutung ist angesichts der hohen Hürden eingeschränkt, sie bleibt jedoch ein wichtiger Bestandteil des deutschen Rechtsschutzsystems.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für einen Antrag auf Anklageerzwingung erfüllt sein?

Ein Antrag auf Anklageerzwingung setzt voraus, dass der verfahrensbeteiligte Antragsteller, in der Regel der Verletzte als sogenannter Antragsberechtigter nach § 172 Abs. 1 StPO, zuvor einen förmlichen Strafantrag oder eine Strafanzeige erstattet hat. Ferner muss die Staatsanwaltschaft die Einleitung der öffentlichen Klage endgültig abgelehnt haben, das heißt, sie darf das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt haben. Des Weiteren ist zunächst ein Klageerzwingungsverfahren beim zuständigen Oberlandesgericht zu beantragen, nachdem ein sogenannter „Beschwerdeweg“ ausgeschöpft wurde: Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist zuerst eine förmliche Beschwerde zulässig, deren abschlägige Bescheidung Voraussetzung für den folgenden Antrag an das Oberlandesgericht ist. Innerhalb eines Monats nach Zugang der abschließenden Mitteilung der Staatsanwaltschaft muss der Antrag schriftlich und mit ausreichend detaillierten Tatsachen sowie einer beschwerdefähigen Begründung eingereicht werden. Der Antragsteller muss seine Beteiligung als Verletzter und sein besonderes Interesse an der Strafverfolgung ebenfalls substantiiert darlegen.

Wer ist berechtigt, einen Antrag auf Anklageerzwingung zu stellen?

Zur Antragstellung berechtigt sind grundsätzlich nur die durch die behauptete Straftat unmittelbar Verletzten, also regelmäßig Tatopfer oder deren gesetzliche Vertreter. Diese Antragsberechtigung ist im Gesetz auf Verletzte im Sinne der §§ 172, 373a StPO beschränkt und steht nicht dem allgemeinen Publikum oder lediglich mittelbar Betroffenen zu. Auch juristische Personen können, sofern sie von einer Straftat in eigenen Rechten betroffen sind, einen Antrag einreichen. Mehrere Verletzte einer Tat können gemeinschaftlich oder einzeln tätig werden. Eine anwaltliche Mitwirkung ist gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben, allerdings erfordert die Komplexität des Verfahrens in der Praxis häufig anwaltliche Unterstützung, insbesondere für die formgerechte Antragstellung und Begründung.

Welchen Inhalt und welche Formvorgaben muss der Antrag auf Anklageerzwingung erfüllen?

Der Antrag auf Anklageerzwingung muss schriftlich erfolgen und eigenhändig unterschrieben sein. Inhaltlich muss der Antrag eine umfassende Darstellung des Sachverhalts enthalten, wobei insbesondere auf die tatsächlichen Umstände, die die Antragsberechtigung und den behaupteten Straftatbestand begründen, einzugehen ist. Es ist zwingend eine Begründung zu liefern, aus der sich ergibt, dass die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft sachlich oder rechtlich unrichtig war, weil nach dem Beweismaterial ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist. Der Antrag sollte sämtliche relevanten Beweismittel sowie deren Fundstellen bezeichnen, um das Gericht in die Lage zu versetzen, die Erfolgsaussichten der Strafverfolgung eigenständig zu beurteilen. Ferner ist das durchlaufene Vorverfahren, insbesondere die einschlägigen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und etwaige Beschwerdebescheide, zwingend zu dokumentieren.

Wie ist das weitere Verfahren nach Eingang des Antrags beim Oberlandesgericht?

Nach Einreichung des Antrags auf Anklageerzwingung prüft das zuständige Oberlandesgericht zunächst die Zulässigkeit des Antrags, insbesondere ob alle formellen Voraussetzungen gegeben sind: Fristwahrung, Antragsberechtigung, ordnungsgemäße Durchführung des Beschwerdeverfahrens und hinreichende Begründung. Ist der Antrag unzulässig, wird er als solches verworfen. Im Falle der Zulässigkeit prüft das Gericht die Begründetheit, wobei keine vollständige Beweisaufnahme, sondern eine Wahrscheinlichkeitsprüfung hinsichtlich eines hinreichenden Tatverdachts erfolgt. Fällt das Gericht die Entscheidung, dass ein hinreichender Tatverdacht besteht und die Voraussetzungen einer Anklage gegeben sind, verpflichtet es die Staatsanwaltschaft, die öffentliche Klage zu erheben und Anklage zum zuständigen Gericht zu erstatten.

Welche Rechtsfolgen hat ein erfolgreiches Anklageerzwingungsverfahren?

Wird dem Antrag auf Anklageerzwingung stattgegeben, verpflichtet das Oberlandesgericht gemäß § 175 StPO die Staatsanwaltschaft zur Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten im beantragten Umfang. Die Staatsanwaltschaft ist dann in ihrer Anklagebefugnis gebunden und kann der Weisung nicht entgegenstehen. Das anschließende Hauptverfahren wird durch das zuständige Gericht geführt, wobei sämtliche Rechte und Pflichten aus dem regulären Strafprozess Anwendung finden. Die tatsächliche Durchführung der Hauptverhandlung ist jedoch weiterhin Sache des Gerichts. Ein erfolgreicher Antrag beendet nicht das Verfahren, sondern überführt es lediglich in den nächsten Abschnitt des regulären Strafprozesses.

Welche Bedeutung hat das Anklageerzwingungsverfahren im deutschen Strafprozessrecht?

Das Anklageerzwingungsverfahren dient als wichtige Kontrollinstanz gegenüber der staatsanwaltlichen Entscheidungshoheit und sichert das Legalitätsprinzip im deutschen Strafprozessrecht ab. Es garantiert, dass die Verfolgung strafbarer Handlungen nicht allein im Ermessen der Anklagebehörde liegt, sondern Opfer bei Ablehnung der Klageerhebung einen gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können. Hierdurch wird gleichermaßen der Rechtsstaatlichkeit wie dem individuellen Recht auf effektive Strafverfolgung Rechnung getragen. Das Verfahren bildet eine spezifische Ausprägung der Gewaltenteilung und steht damit auch im Kontext demokratischer und rechtsstaatlicher Grundprinzipien.

Welche Kosten können im Zusammenhang mit dem Anklageerzwingungsverfahren entstehen?

Grundsätzlich erhebt das Oberlandesgericht für die Durchführung eines Anklageerzwingungsverfahrens Gerichtskosten, die nach den Bestimmungen des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (GKG) zu bemessen sind. Kommt es zu einer Ablehnung, trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens selbst. Bei erfolgreichem Antrag können die dem Antragsteller entstandenen notwendigen Auslagen auf Antrag dem Staat auferlegt werden. Zusätzlich können weitere Kosten für anwaltliche Vertretung entstehen, deren Erstattung sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Strafprozessrechts richtet. Kostenrisiken sollten im Vorfeld beachtet werden, zumal sich dieses Verfahren in der Praxis als komplex und kostenintensiv darstellen kann.