Begriff und Historie der Angestelltenversicherung
Die Angestelltenversicherung ist ein sozialversicherungsrechtlicher Begriff, der sich historisch und systematisch auf die Absicherung sozialer Risiken speziell von Angestellten bezieht. Sie stellt einen eigenständigen Zweig im deutschen Sozialversicherungssystem dar und grenzt sich insbesondere von der Arbeiterversicherung ab, die bis zur Einführung der einheitlichen gesetzlichen Rentenversicherung explizit für die Gruppe der gewerblichen Arbeiter konzipiert war.
Entstehung und Entwicklung
Die Angestelltenversicherung wurde in Deutschland erstmals durch das Gesetz über die Versicherung der Angestellten vom 20. Dezember 1911 (Angestelltenversicherungsgesetz – AVG, Reichsgesetzblatt 1911, S. 989) eingeführt. Ziel war es, die soziale Absicherung eines stetig wachsenden Standes der Angestellten in Bezug auf Invalidität, Alter und Hinterbliebenenversorgung eigenständig zu regeln. Die Einführung der Angestelltenversicherung wurde mit der Schaffung eigener Versicherungsträger, der Landesversicherungsanstalten der Angestellten, verbunden und war in der Systematik und Beitragsgestaltung von der Arbeiterversicherung abgegrenzt.
1977 erfolgte durch das Siebte Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (Rentenreformgesetz) die Zusammenführung der unterschiedlichen Rentenversicherungszweige zur einheitlichen gesetzlichen Rentenversicherung. Die historische Angestelltenversicherung wurde dabei in das System der Deutschen Rentenversicherung überführt.
Rechtlicher Rahmen der Angestelltenversicherung
Rechtliche Grundlagen
Die Angestelltenversicherung war über Jahrzehnte durch das Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) geregelt. Mit der Rentenreform von 1992 wurden die Regelungen über die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten im Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zusammengeführt. Im heutigen Recht ist die Angestelltenversicherung ein integraler Bestandteil der gesetzlichen Rentenversicherung.
Historische Gesetze
- Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) 1911
- Reichsversicherungsordnung (RVO) für Arbeiter
- Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und Folgegesetze
Versicherungsträger
Historisch existierten eigene Träger der Angestelltenversicherung (z. B. „Reichsversicherungsanstalt für Angestellte – RfA“). Heute erfolgt die Administration der gesetzlichen Rentenversicherung inklusive der früheren Angestelltenversicherung durch die gemeinsame Trägerschaft der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie der regionalen Träger.
Versicherungsberechtigter Personenkreis
Der Begriff Angestellte bezeichnet traditionell Arbeitnehmer mit überwiegend nichtkörperlicher Tätigkeit, regelmäßig mit höherer Qualifikation oder besonderer Vertrauensstellung. Der spezifische Personenkreis wurde durch das AVG näher bestimmt.
Mit der Integration in die allgemeine Rentenversicherung ist der statusrechtliche Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten praktisch entfallen. Beide Gruppen unterliegen seitdem den gleichen versicherungsrechtlichen Vorschriften nach dem SGB VI.
Besonderer Personenkreis (Historisch):
- Angestellte in kaufmännischen, technischen, administrativen Berufen
- Leitende Angestellte, Beamtenähnliche Angestellte (soweit nicht beamtenrechtlich abgesichert)
Versicherungsumfang und Leistungen
Die Angestelltenversicherung beinhaltete folgende Hauptleistungen:
- Invaliditätsrente
- Altersrente
- Hinterbliebenenrente (Witwen, Waisen)
- Kranken- und Unfallversicherung (teilweise Sonderregelungen)
- Weitere soziale Leistungen wie Rehabilitationsmaßnahmen
Heute sind diese Leistungen in das allgemeine System der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI) eingeflossen.
Abgrenzungen und systematische Einordnung
Unterschied zur Arbeiterversicherung
Im damaligen System wurden Arbeiter und Angestellte unterschiedlich rechtlich behandelt. Angestellte galten in vielen Aspekten als besonders schutzbedürftig und erhielten dadurch teilweise günstigere Zugangsregelungen, wie beispielsweise niedrigere Wartezeiten für bestimmte Rentenleistungen.
Übergang zur einheitlichen Rentenversicherung
Mit der Rentenreform und Schaffung der Deutschen Rentenversicherung wurde die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten aufgehoben. Die Angestelltenversicherung ist seither als ein Teilbereich der Rentenversicherung verstanden, Erfahrungswerte, Beiträge und Anwartschaften aus der früheren Angestelltenversicherung wurden für die Betroffenen angerechnet.
Beitragsrechtliche Aspekte
Höhe und Bemessung der Beiträge
Die Beiträge zur Angestelltenversicherung richteten sich ursprünglich nach dem Bruttoverdienst des Versicherten, bis zur festgelegten Beitragsbemessungsgrenze. Arbeitgeber und Angestellte teilten sich die Beitragslast jeweils hälftig – ein Designelement, das auch in der heutigen Rentenversicherung fortbesteht.
Mit Überführung der Angestelltenversicherung in die allgemeine deutsche Rentenversicherung erfolgt die Beitragsbemessung einheitlich nach den Grundsätzen des SGB VI.
Beitragssätze und Beitragsbemessungsgrenzen
Die aktuellen Beitragssätze und Beitragsbemessungsgrenzen der gesetzlichen Rentenversicherung gelten analog auch für ehemalige Angestellte. Historische Unterschiede zwischen den Gruppen entfallen somit.
Leistungen im Kontext der Angestelltenversicherung
Rentenleistungen
- Altersrente: Eintritt ab erreichter Altersgrenze nach Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (§ 35 SGB VI)
- Erwerbsminderungsrente: bei teilweiser oder vollständiger Erwerbsunfähigkeit (§ 43 SGB VI)
- Hinterbliebenenrenten: Witwen-, Witwer-, Waisenrente (§§ 46 ff. SGB VI)
Übergangsregelungen
Für ältere Versicherte gab und gibt es zahlreiche Regelungen zur Wahrung des Bestandsschutzes, beispielsweise durch Vertrauensschutzklauseln, die sicherstellen sollten, dass die Ansprüche aus der historischen Angestelltenversicherung nicht verloren gehen.
Rechtsstellung und gerichtliche Kontrolle
Die Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis unterliegen der Kontrolle der Sozialgerichtsbarkeit, insbesondere der Sozialgerichte, Landessozialgerichte und des Bundessozialgerichts. Die Auslegung und Anwendung der einschlägigen Rechtsgrundlagen, einschließlich der Übergangsvorschriften für ehemalige Angestellte, obliegt der gerichtlichen Überprüfung.
Bedeutung und heutiger Stellenwert
Die spezielle Angestelltenversicherung existiert als eigenständiger Rechtsbereich nicht mehr im aktiven Recht. Ihre historischen Regelungen entfalten aber weiterhin Bedeutung für Bestandsrenten, die vor der Rentenreform 1992 aufgrund der alten Rechtslage bewilligt wurden. Die Begrifflichkeit „Angestelltenversicherung“ wird heute primär im historischen, aber auch im versicherungsrechtlichen Kontext verwendet, insbesondere im Rahmen der Rentenbiografien älterer Versicherter.
Literaturhinweise und weiterführende Links
- Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)
- Angestelltenversicherungsgesetz (AVG, außer Kraft)
- Deutsche Rentenversicherung: www.deutsche-rentenversicherung.de
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales: www.bmas.de
Hinweis: Dieser Artikel behandelt die Angestelltenversicherung im Kontext des deutschen Sozialrechts. In anderen Staaten kann der Begriff abweichend verwendet werden.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Verpflichtungen bestehen für Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Angestelltenversicherung?
Arbeitgeber sind nach dem deutschen Sozialgesetzbuch (SGB) verpflichtet, für alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten eine Angestelltenversicherung (in der Regel im Rahmen der gesetzlichen Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) abzuschließen. Sie müssen neue Arbeitsverhältnisse bei der jeweils zuständigen Einzugsstelle anmelden, die Beiträge ordnungsgemäß abführen und die Lohnabrechnung so gestalten, dass dem Arbeitnehmer immer ersichtlich ist, welche Beiträge für ihn einbehalten und abgeführt werden. Zudem haben Arbeitgeber Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern, etwa bei Beginn und Ende der Beschäftigung oder bei Entgeltänderungen. Ein Verstoß gegen diese Pflichten, z. B. in Form von verspäteter Anmeldung oder Nichtabführung der Beiträge, kann als Ordnungswidrigkeit oder sogar als Straftat (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt, § 266a StGB) geahndet werden.
Welche Rechte und Informationspflichten haben Angestellte hinsichtlich ihrer Versicherung?
Angestellte haben ein Auskunftsrecht gegenüber ihrem Arbeitgeber und den Versicherungsträgern bezüglich der für sie abgeschlossenen oder angemeldeten Versicherungen. Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Angestellten über die Anmeldung zur Versicherung, die abgeführten Beiträge sowie über Veränderungen im Versicherungsverhältnis (z. B. Statuswechsel) schriftlich zu informieren. Außerdem erhalten Angestellte regelmäßig von den Versicherungsträgern, wie etwa der Deutschen Rentenversicherung, Meldebescheinigungen oder Jahresmeldungen. Wenn der Angestellte die Meinung vertritt, dass keine oder eine fehlerhafte Meldung erfolgt ist, kann er die Klärung seines Versicherungsverhältnisses beantragen. Ein Verstoß gegen die Informationspflicht kann Haftungsfolgen für den Arbeitgeber nach sich ziehen.
Wie wird die Beitragspflicht rechtlich abgegrenzt und was passiert bei Mehrfachbeschäftigungen?
Die Beitragspflicht richtet sich nach den gesetzlichen Regelungen des SGB IV bis SGB VI und ist insbesondere abhängig vom Beschäftigungsstatus, der Höhe des Arbeitsentgelts und eventuellen Mehrfachbeschäftigungen. Bei mehreren versicherungspflichtigen Beschäftigungen ist in der Regel das gesamte sozialversicherungspflichtige Entgelt für die Beitragserhebung maßgeblich, allerdings nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze. In rechtlicher Hinsicht sind Arbeitgeber verpflichtet, alle geltenden Beschäftigungsverhältnisse bei der Sozialversicherung korrekt zu melden und den Gesamtbeitrag entsprechend abzuführen. Verstöße gegen diese Melde- und Beitragspflichten können zu Nachforderungen, Säumniszuschlägen und gegebenenfalls zu strafrechtlicher Verfolgung führen.
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen kann eine Befreiung von der Versicherungspflicht erfolgen?
Eine Befreiung von der gesetzlich vorgeschriebenen Angestelltenversicherung ist nur in engen, gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen möglich, z. B. bei Überschreiten der sogenannten Jahresarbeitsentgeltgrenze (Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung) oder bei Versorgungswerken für bestimmte Berufsgruppen (z. B. Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten). Die Befreiung muss in der Regel schriftlich beantragt werden und wird nur ab dem Zeitpunkt der Entscheidung bzw. Antragstellung wirksam. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Voraussetzungen genau zu prüfen und dem Antrag des Arbeitnehmers ggf. zu entsprechen. Falsche Angaben oder eine fehlerhafte Befreiung können zu Rückforderungen und strafrechtlichen Konsequenzen führen.
Welche rechtlichen Folgen ergeben sich bei nicht oder verspätet gemeldeter Versicherungspflicht?
Wird die Versicherungspflicht für einen Angestellten durch den Arbeitgeber nicht oder verspätet gemeldet, besteht weiterhin eine rückwirkende Beitragspflicht. Die Sozialversicherungsträger können nicht gezahlte Beiträge nachfordern und für jeden Monat der Versäumnis einen Säumniszuschlag von 1 % des rückständigen Beitrags berechnen. Darüber hinaus kann ein solches Verhalten als Ordnungswidrigkeit geahndet werden (§ 111 SGB IV) oder sogar strafbar sein (§ 266a StGB, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt). Dieser Rechtsverstoß kann erheblichen finanziellen und ggf. persönlichen Konsequenzen für die verantwortlichen Personen im Unternehmen nach sich ziehen. Zudem bleibt der Arbeitnehmer für die gesamte Zeit versichert, auch wenn die Meldung unterblieben ist.
Welche rechtlichen Grundlagen regeln die private Angestelltenversicherung im Vergleich zur gesetzlichen Sozialversicherung?
Die private Angestelltenversicherung unterliegt, anders als die gesetzliche Sozialversicherung, im Wesentlichen dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sowie weiteren spezialgesetzlichen Regelungen wie dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) oder der Beitragsverfahrensverordnung (BeitragsV). Während die gesetzliche Versicherungspflicht und deren Modalitäten detailliert im Sozialgesetzbuch (SGB) geregelt sind, unterliegt die private Absicherung weitgehend der Vertragsfreiheit, soweit keine Pflichtversicherung vorliegt. Dies betrifft insbesondere die freie Gestaltung von Versicherungsumfang, Beitragsgestaltung und Leistungsanspruch. Für privat Versicherte gelten zudem spezifische Informations- und Beratungspflichten des Versicherers gemäß §§ 6 – 7 VVG. Das Vertragsverhältnis richtet sich nach den individuell vereinbarten Bedingungen, wobei die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergänzend Anwendung finden.
Welche rechtlichen Schritte stehen Arbeitnehmern zur Verfügung, wenn sie Unregelmäßigkeiten bei ihrer Versicherung feststellen?
Stellt ein Arbeitnehmer fest, dass Unregelmäßigkeiten bezüglich seiner Angestelltenversicherung bestehen (z. B. fehlende Meldung, falsche Beitragsabführung oder nicht erfolgte Befreiungen), kann er sich zunächst an den Arbeitgeber wenden und um Klärung bitten. Bringt dies keinen Erfolg, kann er bei der zuständigen Sozialversicherungsträgern eine Kontenklärung oder eine individuelle Prüfung beantragen. Weiterhin besteht die Möglichkeit, sich an eine Sozialberatungsstelle, den Betriebsrat oder eine Gewerkschaft zu wenden. Rechtlich steht dem Arbeitnehmer außerdem der Beschwerdeweg über das zuständige Sozialgericht offen, falls beispielsweise eine fehlerhafte Einstufung der Versicherungspflicht durch einen Bescheid festgestellt wurde. In Fällen vorsätzlichen Handelns des Arbeitgebers – etwa bei Beitragsunterschlagung oder Meldungsbetrug – besteht zudem die Möglichkeit einer Strafanzeige.