Legal Lexikon

Angeklagter


Begriff und Rechtsstellung des Angeklagten

Der Begriff Angeklagter bezeichnet im deutschen Strafverfahrensrecht die Person, gegen die sich eine zugelassene Anklage richtet und über deren mutmaßliche Straftat ein gerichtliches Hauptverfahren geführt wird. Der Status eines Angeklagten wird mit der Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 157 Strafprozessordnung (StPO) erlangt. Er ist die zentrale Verfahrensbeteiligte im Strafprozess und nimmt besondere prozessuale Rechte und Pflichten wahr.

Abgrenzung zu anderen Verfahrensstellungen

Vor Zulassung der Anklage ist die beschuldigte Person als Beschuldigter zu bezeichnen. Mit der gerichtlichen Entscheidung zur Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus dem Beschuldigten der Angeklagte. Wird eine Rechtsmittelinstanz durchgeführt, spricht man im weiteren Verlauf auch vom Revisionskläger oder Berufungsführer, sobald gegen ein ergangenes Urteil Rechtsmittel eingelegt werden.

Rechte des Angeklagten im Strafverfahren

Grundlegende Verfahrensrechte

Der Angeklagte ist Träger umfangreicher Rechte, die eine faire und rechtsstaatliche Durchführung des Strafverfahrens gewährleisten. Diese Rechte umfassen unter anderem:

  • Recht auf rechtliches Gehör: Nach Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz ist dem Angeklagten während des gesamten Verfahrens Gelegenheit zu geben, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern.
  • Recht auf Verteidigung: Der Angeklagte kann sich selbst verteidigen oder einen Verteidiger seiner Wahl beauftragen (§ 137 StPO). In bestimmten Fällen ist eine Pflichtverteidigung vorgesehen.
  • Schweigerecht: Es besteht keine Verpflichtung zur Aussage; der Angeklagte kann sich zur Sache einlassen oder schweigen, ohne dass dies nachteilig gewertet werden darf (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO).
  • Beweisantragsrecht: Der Angeklagte kann Beweisanträge stellen, also Beweismittel zur Wahrheitsfindung beantragen (§ 244 StPO).
  • Anwesenheitsrecht: Grundsätzlich ist der Angeklagte zu allen Verhandlungsterminen zu laden und hat das Recht, anwesend zu sein (§ 230 StPO). In Ausnahmefällen kann das Gericht die Anwesenheit entbinden oder anordnen.

Weitere Rechte im Prozessverlauf

Weitere bedeutsame Rechte umfassen:

  • Akteneinsichtsrecht: Der Verteidiger des Angeklagten kann wesentliche Aktenteile einsehen (§ 147 StPO).
  • Recht auf Übersetzungen und Dolmetscherleistungen: Der Angeklagte hat Anspruch auf Übersetzung und Dolmetschung, wenn er der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig ist (§§ 187 ff. GVG, § 185 GVG).
  • Recht auf Benachrichtigung und Information: Über jede prozessrelevante Maßnahme und Entscheidung ist der Angeklagte zu informieren.

Pflichten und Mitwirkungspflichten des Angeklagten

Obwohl der Angeklagte zahlreiche Rechte besitzt, bestehen nur wenige Pflichten:

  • Angabepflicht zur Person: Bestimmte Angaben zur Person (Name, Wohnort, Geburtsdatum) müssen gemacht werden (§ 111 OWiG, § 163b StPO).
  • Pflicht zur Anwesenheit: In bestimmten Stadien des Verfahrens (insbesondere bei der Hauptverhandlung) muss der Angeklagte persönlich anwesend sein, außer es liegen Ausnahmen vor (§ 231 StPO).

Eine aktive Mitwirkung bei der Sachaufklärung besteht hingegen nicht; der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare) schützt ihn vor Zwang zur Aussage oder Belastung seiner eigenen Person.

Ablauf des Strafverfahrens aus Sicht des Angeklagten

Erhebung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens

Mit der Anklageschrift übermittelt die Staatsanwaltschaft dem Gericht ihre Anschuldigung gegen den Beschuldigten. Stimmt das Gericht der Eröffnung zu, erhält der Angeklagte den Status als solcher und das Verfahren tritt in die nächste Verfahrensphase (Hauptverfahren).

Hauptverhandlung

In der Hauptverhandlung nimmt der Angeklagte an der Aufklärung des Sachverhalts teil. Er kann Anträge stellen, Fragen an Zeugen richten und sich zu jedem Zeitpunkt verteidigen oder äußern. Seine Rechte zur Beteiligung und Verteidigung werden durch das Gericht und den Ablauf der Verhandlung maßgeblich geprägt.

Urteilsverkündung und Rechtsmittel

Am Ende der Hauptverhandlung steht das Urteil, das in Anwesenheit des Angeklagten verkündet werden muss. Gegen ein ergangenes Urteil kann der Angeklagte Rechtsmittel wie Berufung oder Revision ergreifen, um eine Überprüfung des Verfahrens oder der Entscheidung zu erreichen.

Der Angeklagte im Jugendstrafrecht

Im Jugendstrafrecht gelten besondere Vorschriften, die die Persönlichkeitsentwicklung und erzieherischen Aspekte stärker in den Vordergrund stellen (§ 61 JGG). Auch im Jugendstrafverfahren wird die Person mit Eröffnung des Hauptverfahrens als Angeklagter bezeichnet. Das Jugendgerichtsgesetz sieht erweiterte Fürsorgemaßnahmen und unterschiedliche Prozessregeln vor.

Besondere Situationen: Abwesenheit und Vertretung des Angeklagten

Abwesenheit während der Hauptverhandlung

In bestimmten Ausnahmefällen, etwa leichteren Straftaten oder auf ausdrücklichen Antrag, kann das Gericht den Angeklagten von der Pflicht zur Anwesenheit entbinden (§ 231 Abs. 2-4 StPO). Bei schwereren Delikten ist die persönliche Anwesenheit regelmäßig zwingend vorgeschrieben.

Stellvertretung durch einen Bevollmächtigten

Bei bestimmten Ordnungswidrigkeiten oder Bagatellfällen kann sich der Angeklagte durch einen Vertreter repräsentieren lassen (§ 233 StPO). Der Umfang und die Zulässigkeit einer solchen Vertretung hängen vom jeweiligen Delikt und Gericht ab.

Internationale Aspekte und Vergleich

Auch in anderen Rechtsordnungen existieren vergleichbare Verfahrensfiguren. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis entspricht dem Angeklagten der „defendant“. Die Rechte und Pflichten können sich jedoch je nach Rechtssystem erheblich unterscheiden, insbesondere im Hinblick auf die Rolle im Beweisverfahren sowie den Zugang zu Verteidigungsressourcen.

Fazit

Der Angeklagte ist eine zentrale Verfahrensfigur im deutschen Strafprozess. Mit der Eröffnung des Hauptverfahrens erhält die Person diesen Status und nimmt umfassende Teilhaberechte am Verfahren wahr. Der Gesetzgeber misst dem Schutz und der fairen Behandlung des Angeklagten große Bedeutung bei, um die Unschuldsvermutung zu gewährleisten und ein rechtsstaatliches Verfahren sicherzustellen. Die Rechte und Pflichten des Angeklagten sind grundlegend für die Ausgestaltung eines fairen Strafverfahrens und bilden einen wesentlichen Bestandteil des deutschen Rechtsstaats.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechte hat ein Angeklagter im Strafverfahren?

Ein Angeklagter im Strafverfahren verfügt im deutschen Recht über zahlreiche, zum Teil grundgesetzlich garantierte Rechte. Hierzu zählen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG), das Recht auf rechtliches Gehör (§ 33 StPO), das Aussageverweigerungsrecht (§ 136 StPO), das Recht auf Verteidigung und auf einen Verteidiger eigener Wahl (§ 137 StPO) sowie das Recht, Beweisanträge zu stellen und entlastende Beweismittel vorzubringen (§ 244 Abs. 3 StPO). Daneben besteht das Recht, gegen belastende Entscheidungen Rechtsmittel einzulegen (§§ 296 ff. StPO) und die Akten einzusehen (§ 147 StPO). Während des gesamten Verfahrens ist die Unschuldsvermutung bis zum rechtskräftigen Nachweis der Schuld zu beachten. Ferner hat der Angeklagte das Recht, Dolmetscher zu beanspruchen, falls er der deutschen Sprache nicht mächtig ist (§ 187 GVG), und darf nicht gezwungen werden, sich selbst zu belasten (nemo tenetur).

Wann gilt eine Person im Strafverfahren als Angeklagter?

Der Status als Angeklagter wird einer Person dann zuerkannt, wenn gegen sie nach Abschluss der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben und das Hauptverfahren eröffnet wird (§ 157 StPO). Zuvor ist die betroffene Person Beschuldigter; die förmliche Erhebung der öffentlichen Klage beziehungsweise Annahme der Anklage durch das Gericht markiert den Übergang zum Status des Angeklagten. Erst ab diesem Zeitpunkt gelten spezifische prozessuale Vorschriften, die allein für Angeklagte Anwendung finden, etwa im Hinblick auf das Einspruchsrecht gegen bestimmte gerichtliche Entscheidungen oder das Fragerecht im Rahmen der Hauptverhandlung.

Inwiefern unterscheidet sich die Rolle des Angeklagten von der des Beschuldigten?

Während „Beschuldigter“ ein Begriff ist, der den Status einer Person im Ermittlungsverfahren bis zur Anklageerhebung beschreibt, wird eine Person als „Angeklagter“ bezeichnet, sobald das Gericht die Anklage zur Hauptverhandlung zulässt und das Hauptverfahren eröffnet wurde. Die wesentlichen Unterschiede liegen nicht nur im Stadium des Verfahrens, sondern auch in den prozessualen Rechten und Pflichten, welche sich mit der Anklageerhebung konkretisieren – hierzu zählen insbesondere erweiterte Verteidigungsrechte, die Beteiligung an Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung sowie ein förmliches Fragerecht. Auch die gerichtliche Ansprache und Erwähnung der Person unterscheiden sich ab diesem Zeitpunkt.

Muss ein Angeklagter in der Hauptverhandlung anwesend sein?

Nach deutschem Recht besteht für Angeklagte grundsätzlich eine Pflicht zur persönlichen Anwesenheit in der Hauptverhandlung (§ 230 StPO). Nur in wenigen Ausnahmen – wie bei Strafbefehlsverfahren, Bagatellsachen oder bestimmten Berufungs- und Revisionsverhandlungen – kann das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen die Anwesenheit entbehrlich machen oder einen Ausschluss für begrenzte Zeit zulassen. Fehlt der Angeklagte unentschuldigt, kann das Gericht einen Vorführungsbefehl erlassen oder sogar einen Haftbefehl verhängen (§§ 230, 231 StPO). Lediglich bei Verteidigung durch einen nach § 233 StPO bestellten Wahl- oder Pflichtverteidiger kann in geringfügigen Fällen die Verhandlung ausnahmsweise ohne die Anwesenheit des Angeklagten geführt werden.

Ist ein Angeklagter verpflichtet, Angaben zur Sache zu machen?

Dem Angeklagten steht es jederzeit frei, ob und in welchem Umfang er zur Sache aussagt (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Es besteht keinerlei Verpflichtung zur Selbstbelastung (Selbstbelastungsfreiheit); vielmehr ist er ausdrücklich über sein Schweigerecht zu belehren. Das Schweigen darf dem Angeklagten nicht als Schuldeingeständnis ausgelegt werden. Sollten dennoch Angaben gemacht werden, sind diese stets freiwillig und unterliegen den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung. Der Verzicht auf eine Aussage kann prozessual nicht negativ verwertet werden.

Welche Rolle spielt der Verteidiger für den Angeklagten?

Dem Angeklagten kommt im Strafverfahren eine besondere Beziehung zum Verteidiger zu; dieser übernimmt die Aufgabe, die Rechte und Interessen des Angeklagten sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht zu wahren. Der Verteidiger berät, stellt Anträge, erhebt Einsprüche, achtet auf die Einhaltung strafprozessualer Regeln und sorgt für eine effektive Ausübung des rechtlichen Gehörs. In bestimmten Fällen – etwa bei schweren Delikten oder nach § 140 StPO – ist eine Verteidigung sogar zwingend vorgeschrieben (Pflichtverteidigung). Der Verteidiger übernimmt auch Gespräche mit dem Gericht, koordiniert Beweismittel und unterstützt beim Einlegen von Rechtsmitteln. Ihm obliegt absolute Verschwiegenheit gemäß § 43a BRAO.

Kann ein Angeklagter gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen?

Nach einem Urteil steht dem Angeklagten grundsätzlich das Recht zu, innerhalb einer bestimmten Frist Rechtsmittel einzulegen. Welche Art von Rechtsmittel zulässig ist, hängt von der Instanz und Art des Urteils ab: Im Strafprozess ist typischerweise die Berufung (§ 312 ff. StPO) oder Revision (§ 333 ff. StPO) möglich. Die Einlegung eines Rechtsmittels muss innerhalb einer Woche nach Verkündung des Urteils erfolgen (§ 314 StPO). Durch Einlegung der Berufung oder Revision wird das Urteil nicht rechtskräftig und eine neue Überprüfung des Urteils durch eine höhere Instanz veranlasst. Der Angeklagte kann hierzu sowohl in Form als auch inhaltlich beraten und vertreten werden.