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Anfechtung letztwilliger Verfügungen


Begriff und rechtliche Einordnung der Anfechtung letztwilliger Verfügungen

Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen stellt ein zentrales Instrument im deutschen Erbrecht dar, das es bestimmten Personen erlaubt, sich gegen den Eintritt der in einem Testament oder Erbvertrag enthaltenen Anordnungen zu wehren. Sie bietet eine rechtsstaatliche Korrekturmöglichkeit, wenn eine letztwillige Verfügung fehlerhaft zustande gekommen ist oder unberücksichtigt gebliebene Rechte Dritter beeinträchtigt werden. Die wichtigsten gesetzlichen Regelungen finden sich in den §§ 2078 bis 2085 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).

Letztwillige Verfügungen sind insbesondere Testamente (§§ 1937 ff. BGB) und Erbverträge (§§ 1941 ff. BGB), durch die eine Person über ihr Vermögen von Todes wegen verfügt.


Voraussetzungen der Anfechtung

Fehlerhafte Willensbildung

Gemäß § 2078 BGB kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser bei Errichtung der Verfügung einem Irrtum unterlag oder zur Verfügung durch Drohung bestimmt wurde. Es werden folgende Irrtumsarten unterschieden:

  • Inhaltsirrtum: Der Erblasser irrt sich über die Bedeutung oder die rechtlichen Folgen seiner Verfügung.
  • Erklärungsirrtum: Eine vom Erblasser abgegebene Erklärung wird nicht gewollt (z. B. versehentliche Falschangabe).
  • Motivirrtum: Der Erblasser irrt über einen bei Abgabe der Verfügung vorliegenden Umstand, soweit dieser wesentlich war.

Nicht jeder beliebige Fehler begründet ein Anfechtungsrecht; erforderlich ist, dass der Erblasser die letztwillige Verfügung ohne diesen Irrtum oder ohne die Drohung so nicht getroffen hätte.

Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten

Ein besonderer Anfechtungsgrund ist in § 2079 BGB geregelt. Danach kommt die Anfechtung in Betracht, wenn der Erblasser einen Pflichtteilsberechtigten irrtümlich übergangen oder im unrichtigen Glauben gelassen hat, bei Aufstellung seiner letztwilligen Verfügung keinen pflichtteilsberechtigten Angehörigen zu haben. Die Anfechtung ist in diesem Fall auf die Beseitigung dieser Fehlerfolge gerichtet.


Anfechtungsberechtigte und Anfechtungsgegner

Zur Anfechtung berechtigt ist in der Regel jeder, dem die Aufhebung oder Änderung der Verfügung unmittelbar zum Vorteil gereichen würde (z. B. enterbte Abkömmlinge, Ehegatten oder Lebenspartner). Die Anfechtung wirkt zugunsten aller Teilnehmer an der Erbfolge und nicht lediglich zugunsten des Anfechtenden.

Angefochten werden kann gegenüber demjenigen, der aus der Verfügung begünstigt wird. Nach dem Tod des Erblassers ist die Anfechtung regelmäßig gegenüber dem Nachlassgericht zu erklären (§ 2081 BGB).


Anfechtungsfrist

Nach § 2082 BGB muss die Anfechtung innerhalb eines Jahres erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund und der letztwilligen Verfügung Kenntnis erlangt hat. Ist seit dem Erbfall jedoch mehr als 30 Jahre vergangen, ist die Anfechtung ausgeschlossen.


Form und Wirksamkeit der Anfechtungserklärung

Die Anfechtung ist formfrei möglich, bedarf aber einer ausdrücklichen Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht, sodass sie eindeutig das Ziel verfolgen muss, eine bestimmte Verfügung des Erblassers aufzuheben.

Die Anfechtung führt zur Unwirksamkeit der betroffenen letztwilligen Verfügung (vgl. § 142 BGB analog). Im Fall eines Irrtums wird die Verfügung als von Anfang an unwirksam betrachtet; im Falle einer Drohung gilt dies nur, sofern der Erblasser die Verfügung ohne die Drohung überhaupt nicht getroffen hätte.


Rechtsfolgen der Anfechtung und Grenzen

Durch die wirksame Anfechtung tritt die gesetzliche Erbfolge oder, sofern mehrere letztwillige Verfügungen vorliegen, die nächstrangige Verfügung in Kraft. Sind nur einzelne Regelungen betroffen, bleibt die letztwillige Verfügung im Übrigen bestehen, soweit sie davon unabhängig Bestand haben kann (§ 2085 BGB).

Die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung kann nicht zum Nachteil eines Dritten erklärt werden, der inzwischen in gutem Glauben Leistungen erbracht oder Rechte erworben hat (§ 883 Abs. 2 BGB entsprechend).


Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten

Die Anfechtung ist von der Testamentsauslegung zu unterscheiden, die darauf abzielt, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen und seiner Verfügung zum Durchbruch zu verhelfen. Ebenso ist die vollständige Nichtigkeit eines Testaments (z. B. bei Formmängeln) nicht Gegenstand des Verfahrens der Anfechtung, sondern hat kraft Gesetzes Wirkung.


Zusammenfassung und Praxishinweise

Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen ist ein zentrales Rechtsinstrument, um Erbfolgeregelungen zu korrigieren, die unter irrtümlichen, beeinflussten oder unvollständig berücksichtigten Voraussetzungen getroffen wurden. Das Anfechtungsrecht unterliegt engen zeitlichen sowie inhaltlichen Voraussetzungen und schützt insbesondere pflichtteilsberechtigte Angehörige. Die Kenntnis der Rechtslage ist für die Wahrung eigener Ansprüche bedeutsam und dient der Herstellung einer möglichst gerechten Erbfolge im Sinne des Erblasserwillens.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist zur Anfechtung einer letztwilligen Verfügung berechtigt?

Zur Anfechtung einer letztwilligen Verfügung – etwa eines Testaments oder eines Erbvertrags – sind nach deutschem Erbrecht grundsätzlich nur diejenigen Personen berechtigt, denen aus der Aufhebung oder Veränderung der angefochtenen Verfügung unmittelbar ein rechtlicher Vorteil entstehen würde. Dies sind in der Regel die gesetzlichen Erben sowie diejenigen, die durch die Anfechtung einen größeren Anteil am Nachlass erhalten würden. Hierzu zählen auch enterbte gesetzliche Erben, sofern durch die erfolgreiche Anfechtung ihre Erbenstellung (wieder) auflebt. Dritte, außenstehende Personen oder Personen, die durch die Anfechtung keinen eigenen Vorteil erlangen würden, sind nicht anfechtungsberechtigt. Voraussetzung ist ferner, dass zwischen der letztwilligen Verfügung und dem Nachlass ein rechtliches Interesse besteht; rein wirtschaftliche oder moralische Interessen genügen nicht.

Welche Fristen sind bei der Anfechtung einer letztwilligen Verfügung zu beachten?

Die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung muss gemäß § 2082 BGB innerhalb eines Jahres erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund und von seiner eigenen Betroffenheit Kenntnis erlangt. Zu beachten ist, dass die Frist nicht bereits mit dem Erbfall, sondern erst mit der Kenntnisnahme läuft. Bei einer Täuschung oder Drohung kann sich dies auf den Zeitpunkt der Entdeckung beziehungsweise des Wegfalls der Zwangslage beziehen. Ferner gilt eine absolute Höchstfrist von 30 Jahren ab dem Erbfall, nach deren Ablauf keine Anfechtung mehr möglich ist. Die Fristwahrung ist entscheidend; eine verspätete Anfechtung führt zur Unwirksamkeit selbst bei Vorliegen eines triftigen Grundes.

Welche gesetzlichen Anfechtungsgründe gibt es?

Letztwillige Verfügungen können nach §§ 2078 ff. BGB insbesondere angefochten werden, wenn ein Irrtum des Erblassers über den Inhalt der Erklärung, ein Erklärungsirrtum, ein Motivirrtum (z. B. Fehlvorstellungen über die Person des Erben oder die Höhe des Vermögens) oder eine widerrechtliche Drohung bei der Errichtung der Verfügung vorlag. Ebenso ist eine Anfechtung möglich, wenn der Erblasser sich bei der Verfügungserrichtung in einem sogenannten Motivirrtum über die Gesetzeslage befand und dieser Irrtum für die Verfügung ursächlich war. Besonders bedeutsam ist hierbei, dass § 2078 Abs. 2 BGB auch den Fall erfasst, dass sich der Erblasser über eine verpflichtende Notwendigkeit zur Enterbung irrte oder von einer vorhandenen Person ausging, die tatsächlich nicht mehr lebte.

In welcher Form muss die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung erfolgen?

Die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung muss gemäß § 2081 BGB gegenüber dem Nachlassgericht schriftlich erklärt werden. Die Anfechtung kann nicht bloß mündlich erfolgen und bedarf einer formgerechten Erklärung, die bei oder an das für den Nachlass zuständige Amtsgericht zu richten ist. Diese Erklärung muss erkennen lassen, in welcher Weise und aus welchem Grund die Verfügung angefochten wird, der Anfechtungsgrund muss also angegeben werden. Zudem empfiehlt es sich, alle relevanten Unterlagen, beispielsweise Nachweise zu Irrtümern oder Drohungen, beizufügen, um die Wirksamkeit und Nachvollziehbarkeit der Anfechtung sicherzustellen.

Welche rechtlichen Folgen hat eine erfolgreiche Anfechtung?

Ist die Anfechtung erfolgreich und wird ihr vom Nachlassgericht stattgegeben, so gilt die angefochtene letztwillige Verfügung als von Anfang an (ex tunc) unwirksam, soweit sie von der Anfechtung betroffen ist. Das bedeutet, dass die gesetzlichen Regelungen der Erbfolge oder eine frühere testamentarische Verfügung wieder zur Anwendung kommen. Die Erbschaft fällt dann rückwirkend an die Erben, wie sie sich ohne die unwirksame Verfügung ergeben hätten. Dies kann dazu führen, dass enterbte Personen doch erben oder dass ein Erbe weniger oder keinen Nachlass erhält. Ferner können durch die Anfechtung bedingte Änderungen auch den Pflichtteil oder Vermächtnisse betreffen.

Können einzelne Klauseln oder nur das gesamte Testament angefochten werden?

Grundsätzlich ist eine Anfechtung auf solche Teile einer letztwilligen Verfügung beschränkt, die von dem Irrtum oder Anfechtungsgrund betroffen sind. Es ist also nicht zwingend erforderlich, die gesamte Verfügung anzufechten, sondern auch einzelne Verfügungen (z. B. eine eingesetzte Person oder eine bestimmte Vermächtnisanordnung) können angefochten werden, sofern ein Anfechtungsgrund speziell dafür vorliegt. Sollte die Verfügung im Übrigen bestehen bleiben können, so bleibt sie insoweit wirksam. Ergibt sich aus dem Zusammenhang allerdings, dass der Erblasser die Verfügung ohne den fehlerhaften Teil nicht getroffen hätte, so muss unter Umständen das gesamte Testament als unwirksam angesehen werden.

Was sind die Unterschiede zwischen Anfechtung und Auslegung eines Testaments?

Die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung ist von der Auslegung zu unterscheiden: Die Auslegung dient der Feststellung des tatsächlichen Willens des Erblassers, falls der Wortlaut des Testaments mehrdeutig oder unklar ist. Die Anfechtung hingegen beseitigt eine Verfügung aufgrund eines Willensmangels, zum Beispiel durch einen Irrtum, und macht diese von Anfang an unwirksam. Während die Auslegung also den Inhalt einer gültigen Verfügung erfasst, setzt die Anfechtung eine rechtsfehlerhafte oder mangelhafte Willensbildung voraus und beseitigt deren Wirksamkeit. Die rechtlichen Anforderungen und Folgen beider Instrumente sind somit grundverschieden.