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Amsterdam (Vertrag von)


Begriff und Gegenstand des Vertrages von Amsterdam

Der Vertrag von Amsterdam ist eine am 2. Oktober 1997 unterzeichnete und am 1. Mai 1999 in Kraft getretene Reform der Europäischen Union. Er änderte den Vertrag über die Europäische Union (EUV), die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EGV, EAGV), das Protokoll sowie die entsprechenden Anhänge und Protokolle. Ziel war die Vorbereitung der Europäischen Union auf die anstehende Erweiterung sowie die Integration und Weiterentwicklung gemeinsamer Politiken der Mitgliedstaaten.

Entstehung und Zielsetzung

Der Vertrag von Amsterdam wurde durch eine zwischenstaatliche Konferenz ausgehandelt, die nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht einberufen wurde. Anlass war die Notwendigkeit, bestehende institutionelle Strukturen zu reformieren, die Grundrechte und -freiheiten zu stärken sowie die Unionsbürgerschaft und Zusammenarbeit in den Bereichen Innen- und Justizpolitik zu vertiefen. Die fünfzehn damaligen Mitgliedstaaten unterzeichneten den Vertrag am 2. Oktober 1997, der nach der Ratifizierung durch die nationalen Parlamente am 1. Mai 1999 wirksam wurde.

Inhaltliche Kernpunkte und Rechtsänderungen

Änderungen institutioneller Bestimmungen

Der Vertrag von Amsterdam regelte wesentliche Fragen der Entscheidungsfindung in der Europäischen Union. Dazu zählten:

  • Reform der Abstimmungsmodalitäten im Rat, unter anderem durch Erweiterung der Fälle qualifizierter Mehrheitsentscheidungen.
  • Stärkung des Europäischen Parlaments durch die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens auf weitere Rechtsgebiete.
  • Erweiterung des Initiativrechts der Kommission und damit Verbesserung der Effizienz der Legislativprozesse.
  • Veränderung der Zusammensetzung der Kommission sowie des Stimmengewichts im Rat als vorbereitende Maßnahme für künftige Erweiterungen.

Grundrechte und Unionsbürgerschaft

Der Vertrag von Amsterdam baute die Rechtsstellung der Unionsbürgerinnen und -bürger aus:

  • Einfügung einer Klausel zum Schutz der Grundrechte (Artikel 6 und 7 EUV), insbesondere zur Achtung der Grundrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten.
  • Einführung des Verfahrens zur Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der Unionsprinzipien durch einen Mitgliedstaat (Artikel 7 EUV).
  • Stärkung der Unionsbürgerschaft insbesondere im Bereich des Pass- und Konsularschutzes sowie des Petitionsrechts beim Europäischen Parlament.

Schengen-Besitzstand und Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Durch den Vertrag von Amsterdam wurde der sogenannte Schengen-Besitzstand in den Rechtsrahmen der Europäischen Union integriert, wodurch die unionsweite Personenfreizügigkeit und der Abbau von Binnengrenzkontrollen vertraglich fixiert wurden. Gleichzeitig schuf der Vertrag neue Politikbereiche:

  • Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Die justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen wurde vertieft und in das Gemeinschaftsrecht überführt.
  • Übertragung von Kompetenzen im Asyl-, Visa- und Einwanderungsrecht auf die supranationale Ebene sowie Harmonisierung von Asylverfahren.

Beschäftigungspolitik und soziale Rechte

Mit dem Vertrag wurde die Beschäftigungsförderung zu einem offiziellen Ziel der Europäischen Union erklärt:

  • Verankerung der Beschäftigungspolitik als gemeinsames Ziel in Artikel 2 und 3 EGV.
  • Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Koordinierung ihrer Beschäftigungspolitik im Europäischen Beschäftigungsprozess.
  • Stärkung der Sozialpolitik, u. a. durch neue Maßnahmen zur Förderung von Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung.

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)

Bestimmungen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) wurden präzisiert und maßgeblich ausgebaut:

  • Schaffung des Amtes des Hohen Vertreters für die GASP, um die Kohärenz der europäischen Außenpolitik zu steigern.
  • Einführung der Möglichkeit für verstärkte Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik.

Einfluss auf die Vertragssystematik der Europäischen Union

Der Vertrag von Amsterdam strukturierte die Gemeinschaftsverträge neu und führte zu einer klareren Unterscheidung zwischen den ersten drei Pfeilern der Europäischen Union:

  1. Europäische Gemeinschaften,
  2. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP),
  3. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen.

Die Kompetenzen und Zuständigkeiten der jeweiligen Organe wurden angepasst, etwa die Rolle des Europäischen Parlaments und die Entscheidungsmechanismen im Rat bei Rechtsakten.

Bedeutung für den Rechtsrahmen der Europäischen Union

Der Vertrag von Amsterdam legte die Grundlage für zahlreiche Reformen und Initiativen, die spätere Änderungen des europäischen Primärrechts prägen sollten (insbesondere Nizza- und Lissabon-Vertrag). Die Integration des Schengen-Regelwerks und der Ausbau von Grundrechten und Unionsbürgerschaft wirkten sich dauerhaft auf den rechtlichen Status der Bürgerinnen und Bürger der EU sowie auf die justizielle Zusammenarbeit und die Rechtsangleichung zwischen den Mitgliedstaaten aus.

Rechtswirkungen und Umsetzung

Die Bestimmungen des Vertrags von Amsterdam sind unmittelbar durch die Änderung des Primärrechts in Kraft getreten und entfalten als solches Vorrang gegenüber entgegenstehenden nationalen Regelungen, soweit sie aus den Gemeinschaftsverträgen herrühren. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Freizügigkeit, Grundrechte, Beschäftigungspolitik und den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

Zur praktischen Durchführung der neuen Bestimmungen des Vertrags waren zahlreiche Durchführungsrechtsakte und Anpassungen in der sekundären Unionsgesetzgebung notwendig, etwa Richtlinien und Verordnungen im Bereich Asyl und Einwanderung oder im Datenschutzrecht.

Schlussbemerkung und Ausblick

Der Vertrag von Amsterdam ist ein Meilenstein in der Entwicklung des Unionsrechts. Er bereitete die Europäische Union auf die Osterweiterung vor, setzte bindende Regelungen im Bereich der Grundrechte und Unionsbürgerschaft und förderte eine stärkere Integration in den Politikfeldern Justiz und Inneres. Die solcherart geschaffene strukturelle und politische Weichenstellung ist bis heute im Rechtsrahmen der Europäischen Union wirksam und prägt deren Weiterentwicklung bis in die Gegenwart.


Weiterführende Literaturhinweise und amtliche Dokumente zum Vertrag von Amsterdam:

  • Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften und einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (ABl. C 340 vom 10.11.1997)
  • Sammlung einschlägiger Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie konsolidierte Fassung des EUV und EGV nach Amsterdam

Verwandte Begriffe: Vertrag von Maastricht, Vertrag von Nizza, Vertrag von Lissabon, Schengen-Besitzstand, Freizügigkeit, GASP, Gemeinschaftsrecht.


Dieser Artikel bietet eine umfassende rechtliche Darstellung und Einordnung des Begriffs Amsterdam (Vertrag von) für ein Rechtslexikon und beleuchtet alle relevanten rechtlichen Aspekte dieses grundlegenden Vertragswerks der Europäischen Union.

Häufig gestellte Fragen

Welche neuen Kompetenzen wurden durch den Vertrag von Amsterdam auf die Europäische Union übertragen?

Der Vertrag von Amsterdam brachte eine signifikante Ausweitung der Zuständigkeiten der Europäischen Union mit sich. Insbesondere wurden Aspekte der sogenannten „dritten Säule“ näher an das Gemeinschaftsrecht herangeführt. Im Bereich Justiz und Inneres wurde die Union im Rahmen der neuen Titel IV und VI EGV erstmals mit Kompetenzen im Hinblick auf die Bereiche Asyl, Einwanderung und justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen ausgestattet. Zudem wurde das Schengener Abkommen in den EU-Rechtsrahmen integriert, womit grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Außengrenzensicherung und Visa-Politik unter gemeinschaftliche Verantwortung gestellt wurden. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) wurde ebenfalls gestärkt, insbesondere durch die Einführung des Amtes eines Hohen Vertreters für die GASP. Gleichzeitig wurde das Mitentscheidungsverfahren (heute: ordentliches Gesetzgebungsverfahren) ausgeweitet und die Rechte des Europäischen Parlaments gestärkt, wodurch die demokratische Legitimation der EU weiterentwickelt wurde.

Wie wurde das institutionelle Gefüge durch den Vertrag von Amsterdam verändert?

Mit dem Vertrag von Amsterdam wurden mehrere institutionelle Änderungen vorgenommen. Zum einen erhielt das Europäische Parlament deutlich erweiterte Mitentscheidungsbefugnisse, insbesondere im Zusammenhang mit der Gesetzgebung. Der Europäische Rat konnte künftig mit qualifizierter Mehrheit in weiteren Bereichen beschließen. Zudem wurde die Einrichtung eines Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen, um die Kohärenz und Sichtbarkeit der EU-Außenpolitik zu stärken. Der Ministerrat erhielt die Möglichkeit, bestimmte Angelegenheiten aus dem Bereich der Rechtsetzung dem Mitentscheidungsverfahren zwischen Rat und Parlament zu unterwerfen. Weiterhin wurde die Möglichkeit zur verstärkten Zusammenarbeit geschaffen, die es einzelnen Mitgliedstaaten erlaubte, in bestimmten Politikfeldern vertiefte Integration voranzutreiben, sofern nicht alle Mitgliedstaaten teilnehmen wollten oder konnten.

Welche Bedeutung hatte der Vertrag von Amsterdam für den Bereich der Menschenrechte und Grundfreiheiten?

Der Vertrag von Amsterdam stärkte den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Unionsrecht signifikant. Artikel 6 des EU-Vertrags wurde überarbeitet: Zum ersten Mal wurde explizit niedergeschrieben, dass die Union auf den Prinzipien der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit beruht. Darüber hinaus wurden Sanktionsmechanismen eingeführt, mit denen gegen Mitgliedstaaten vorgegangen werden kann, wenn eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung dieser Grundsätze festgestellt wird. Dies war ein zentraler Schritt zur institutionellen Sicherung der Union als Wertegemeinschaft und zur Prävention von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit durch einzelne Mitgliedstaaten.

Wie beeinflusste der Vertrag von Amsterdam das Mitentscheidungsverfahren zwischen Rat und Europäischem Parlament?

Der Vertrag von Amsterdam weitete das Mitentscheidungsverfahren erheblich aus, das später als „ordentliches Gesetzgebungsverfahren“ zur zentralen Methode der Rechtsetzung in der Union wurde. Vor Amsterdam waren viele Politikbereiche noch allein dem Ministerrat vorbehalten oder sahen lediglich das Konsultationsverfahren vor. Mit dem Vertrag wurden zahlreiche neue Politikfelder – insbesondere innerhalb des Binnenmarkts sowie bei Sozialpolitik, Forschung und Umweltschutz – dem Mitentscheidungsverfahren unterstellt. Damit einhergehend erhielt das Europäische Parlament ein Vetorecht und konnte Rechtsvorschriften gemeinsam mit dem Rat annehmen oder ablehnen, wodurch die demokratische Kontrolle und Legitimation der EU-Gesetzgebung wesentlich gestärkt wurde.

Welche Regelungen wurden für eine zukünftige Erweiterung der Europäischen Union getroffen?

Im Vertrag von Amsterdam wurde die Grundlage für eine spätere größere Erweiterung gelegt, auch wenn viele institutionelle Fragen aufgrund mangelnder Einigung vertagt wurden („Amsterdam left-overs“). Es wurden jedoch Verfahren und Prinzipien etabliert, um die Aufnahme weiterer Mitgliedstaaten zu strukturieren – etwa durch die stärkere Betonung der „Kopenhagener Kriterien“, nach denen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechtsschutz und funktionsfähige Marktwirtschaft Voraussetzung für einen Beitritt sind. Für die institutionelle Anpassung, insbesondere hinsichtlich Abstimmungsmodalitäten und Parlamentszusammensetzung, wurde eine spätere Regierungskonferenz angekündigt, aus der schließlich der Vertrag von Nizza hervorging.

In welcher Weise wurde das Schengener Abkommen durch den Vertrag von Amsterdam rechtlich in den EU-Rahmen überführt?

Der Vertrag von Amsterdam regelte die Integration des Schengener Abkommens und der dazugehörigen Bestimmungen (den sogenannten „Schengener Besitzstand“) in den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen der Europäischen Union. Die bis dahin völkerrechtlich eigenständigen Schengen-Bestimmungen wurden als integraler Bestandteil der EU-Richtlinien und Verordnungen übernommen. Eine spezielle Protokollregelung erlaubte es jedoch einzelnen Mitgliedstaaten – Großbritannien und Irland – Ausnahmeregelungen (Opt-outs) hinsichtlich bestimmter Schengen-Vorschriften in Anspruch zu nehmen. Damit wurde die Rechtsnatur des Schengener Raums geändert: Von einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit zur supranationalen Zusammenarbeit, was Auswirkungen auf Zuständigkeiten, Rechtsprechung des EuGH sowie die demokratische Kontrolle hatte.

Welche neuen Möglichkeiten der engeren Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten wurden eingerichtet?

Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde erstmals der Mechanismus der „verstärkten Zusammenarbeit“ (Art. 43 ff. EUV, jetzt Art. 20 EUV) eingeführt. Dadurch können Gruppen von mindestens acht Mitgliedstaaten in bestimmten Politikbereichen engere Integration betreiben, ohne dass alle übrigen Mitgliedstaaten sich beteiligen müssen. Voraussetzungen sind, dass die Zusammenarbeit Zielsetzungen des Vertrags dient, den Binnenmarkt und die Kohärenz der Union wahrt und allen anderen Mitgliedstaaten offensteht, sobald diese die Voraussetzungen erfüllen. Dies sollte eine flexiblere Integration fördern, Innovationsräume schaffen und Blockaden abbauen, insbesondere im Kontext der bevorstehenden Osterweiterung.