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Allgemeines Schuldrecht

Begriff und Systematik des Allgemeinen Schuldrechts

Das Allgemeine Schuldrecht regelt die grundlegenden Regeln für Rechtsbeziehungen, in denen eine Person (Schuldner) einer anderen Person (Gläubiger) etwas schuldet. Es erfasst die Entstehung, den Inhalt, die Änderung und das Erlöschen solcher Beziehungen sowie die Folgen von Pflichtverletzungen. Die Regeln gelten unabhängig davon, ob der Anspruch aus einem Vertrag, aus einer unerlaubten Handlung oder aus anderen gesetzlichen Gründen stammt. Spezielle Vertragsarten (zum Beispiel Kauf, Miete oder Werkvertrag) bauen auf diesen Grundsätzen auf.

Zentrale Begriffe

Ein Schuldverhältnis ist ein rechtlicher Rahmen, aus dem ein Anspruch hervorgeht. Ein Anspruch ist das Recht, von einem anderen ein Tun, Dulden oder Unterlassen zu verlangen. Die geschuldete Leistung kann in Geld, einer Sache, einer Dienstleistung oder einem Verhalten bestehen. Hauptpflichten (Primärpflichten) sind die unmittelbar geschuldeten Leistungen; Nebenpflichten ergänzen diese und dienen insbesondere dem Schutz von Rechtsgütern, der Vorbereitung und der ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptleistung.

Entstehung von Schuldverhältnissen

Vertragliche Schuldverhältnisse

Bei Verträgen treffen zwei oder mehr Parteien eine verbindliche Vereinbarung über Leistungen. Die Entstehung setzt korrespondierende Willenserklärungen voraus. Der Inhalt ergibt sich aus dem, was die Parteien ausdrücklich vereinbaren und aus dem, was nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als mitvereinbart gilt.

Gesetzliche Schuldverhältnisse

Schuldverhältnisse können auch ohne Vertrag entstehen. Typische gesetzliche Entstehungsgründe sind:

Ungerechtfertigte Bereicherung

Wer ohne rechtlichen Grund etwas auf Kosten eines anderen erlangt, kann zur Herausgabe oder zum Wertersatz verpflichtet sein. Ziel ist die Rückführung von Vermögensverschiebungen ohne rechtliche Grundlage.

Unerlaubte Handlung

Wer einem anderen widerrechtlich einen Schaden zufügt, kann zum Schadensersatz verpflichtet sein. Erfasst werden sowohl Personen- und Sachschäden als auch wirtschaftliche Nachteile unter bestimmten Voraussetzungen.

Geschäftsführung ohne Auftrag

Wer ein fremdes Geschäft besorgt, ohne dazu verpflichtet oder ermächtigt zu sein, kann Aufwendungsersatz oder im Gegenteil Schadensersatz schulden, abhängig davon, ob die Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht.

Inhalt und Pflichten im Schuldverhältnis

Primärpflichten und Nebenpflichten

Primärpflichten sind die unmittelbar geschuldeten Leistungen (zum Beispiel Zahlung, Lieferung, Herstellung). Nebenpflichten bestehen etwa in Informations-, Aufklärungs-, Schutz- und Rücksichtnahmepflichten. Sie dienen der Absicherung der Hauptleistung und dem Schutz von Rechtsgütern der anderen Partei.

Schutzpflichten

Schutzpflichten verpflichten dazu, Schäden an Rechtsgütern des Vertragspartners zu vermeiden. Sie wirken bereits vor Leistungserbringung, begleiten die Durchführung und reichen bis zur Rückabwicklung.

Leistungsmodalitäten

Leistungszeit und Leistungsort

Die Fälligkeit bestimmt, wann die Leistung verlangt werden kann. Der Leistungsort legt fest, wo die Leistung zu bewirken ist. Beide können vereinbart sein oder ergeben sich aus der Art der Leistung und den Umständen. Sie beeinflussen Gefahrtragung, Transportpflichten und Annahmepflichten.

Teil-, Mehr- und Teilleistung

Teilleistungen sind grundsätzlich nur geschuldet, wenn sie vereinbart sind oder die Umstände es zulassen. Bei Mehrzahl von Leistungen kann die Reihenfolge (zum Beispiel Zug um Zug) von Bedeutung sein. Teilbarkeit der Leistung bestimmt, ob eine Aufspaltung möglich ist.

Mitwirkung des Gläubigers

Der Gläubiger muss erforderliche Mitwirkungshandlungen vornehmen, damit der Schuldner leisten kann (zum Beispiel Annahme, Bereitstellung von Unterlagen, Zugang ermöglichen). Unterbleibt die Mitwirkung, können Rechte des Gläubigers eingeschränkt sein und Risiken auf ihn übergehen.

Mehrpersonenverhältnisse

Mehrere Schuldner

Bei Teilschuld schuldet jeder einen abgegrenzten Anteil. Bei Gesamtschuld kann der Gläubiger jeden Schuldner vollständig in Anspruch nehmen; im Innenverhältnis erfolgt ein Ausgleich nach der internen Lastenverteilung. Die Gestaltung ist für das Risiko- und Haftungsmanagement bedeutsam.

Mehrere Gläubiger

Bei Teilgläubigerschaft steht jedem Gläubiger nur ein Anteil zu. Bei Gesamtgläubigerschaft kann jeder Gläubiger die gesamte Leistung verlangen, der Schuldner muss jedoch insgesamt nur einmal leisten. Die Rechtsfolgen betreffen Verfügungsbefugnisse und Erfüllungswirkung.

Leistung an Dritte und zugunsten Dritter

Leistungen können an Dritte gerichtet sein. Beim Vertrag zugunsten Dritter erhält der Dritte ein eigenes Forderungsrecht. Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter werden Dritte in Schutzpflichten einbezogen, ohne selbst eine Leistung fordern zu können.

Änderung und Übertragung von Schuldverhältnissen

Abtretung (Zession)

Forderungen können auf einen neuen Gläubiger übertragen werden. Die Abtretung ändert den Schuldner nicht, verschiebt aber die Gläubigerstellung. Der Schuldner kann dem neuen Gläubiger Einreden entgegenhalten, die ihm gegen den bisherigen Gläubiger zustanden.

Schuldübernahme und Vertragsübernahme

Bei der Schuldübernahme tritt ein neuer Schuldner an die Stelle des bisherigen. Die Vertragsübernahme erfasst die Gesamtheit der Rechte und Pflichten aus einem Vertrag. Beide setzen in der Regel die Zustimmung der jeweils betroffenen Partei voraus.

Vertragsänderung und -aufhebung

Schuldverhältnisse können durch Vereinbarung angepasst oder beendet werden. Möglich sind Ergänzungen, Modifikationen oder Aufhebungsverträge. Bei Dauerschuldverhältnissen existieren besondere Beendigungsmöglichkeiten durch Kündigung.

Erfüllung und Erlöschen

Erfüllung und Leistungsbewirkung

Ein Anspruch erlischt durch Bewirken der geschuldeten Leistung. Erfüllung setzt Leistung an den richtigen Gläubiger, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und mit der geschuldeten Qualität voraus.

Leistung an Erfüllungs statt und erfüllungshalber

Leistung an Erfüllungs statt führt unmittelbar zum Erlöschen der Forderung, obwohl etwas anderes als ursprünglich geschuldet gewährt wird. Leistung erfüllungshalber dient lediglich der Befriedigung aus einer ersatzweise geleisteten Sache oder Forderung; der ursprüngliche Anspruch bleibt bis zur Befriedigung bestehen.

Aufrechnung

Bestehen zwei fällige Forderungen zwischen denselben Parteien, kann die schwächere Forderung durch Erklärung mit der stärkeren verrechnet werden. Die Aufrechnung wirkt wie eine beiderseitige Tilgung bis zur Höhe des geringeren Betrags.

Erlass und Hinterlegung

Der Gläubiger kann auf eine Forderung verzichten. In besonderen Konstellationen kann eine geschuldete Sache mit befreiender Wirkung hinterlegt werden, etwa wenn der Gläubiger die Annahme verweigert.

Leistungsstörungen und ihre Rechtsfolgen

Unmöglichkeit

Kann die Leistung dauerhaft nicht erbracht werden, entfällt die Leistungspflicht. Je nach Verantwortlichkeit kommen Ausgleichsregeln in Betracht, insbesondere Ersatz von Schäden oder der Wegfall der Gegenleistungspflicht. Bei teilweiser Unmöglichkeit bleiben Restpflichten bestehen.

Verzug des Schuldners

Bleibt die Leistung trotz Fälligkeit und Mahnung aus, liegt Verzug vor. Verzug führt regelmäßig zu Ersatzpflichten für Verzögerungsschäden und kann zur Beendigung des Vertrages berechtigen, wenn weitere Voraussetzungen vorliegen.

Schlechtleistung

Wird zwar geleistet, aber nicht in der geschuldeten Art oder Qualität, liegt eine Pflichtverletzung vor. Rechtsfolgen können Schadensersatz, ergänzende Leistungsansprüche oder die Lösung vom Vertrag sein. In besonderen Vertragsarten treten zusätzliche Rechte hinzu.

Annahmeverzug

Nimmt der Gläubiger eine ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht an, gerät er in Annahmeverzug. Dies kann Risiken verlagern, Kostenfolgen auslösen und die Haftung des Schuldners reduzieren.

Rechtsfolgen: Schadensersatz, Rücktritt, Kündigung

Schadensersatz dient dem Ausgleich des kausal entstandenen Schadens. Rücktritt löst ein Austauschverhältnis rückwirkend oder in die Zukunft auf und führt zur Rückabwicklung bereits erbrachter Leistungen. Kündigung beendet Dauerschuldverhältnisse für die Zukunft. Ob und in welchem Umfang diese Rechte bestehen, hängt von den Voraussetzungen des Einzelfalls ab.

Einreden, Einwendungen und Zurückbehaltung

Einwendungen

Einwendungen lassen den Anspruch gar nicht erst entstehen oder beseitigen ihn. Dazu zählen etwa Nichtigkeitstatbestände oder das Erlöschen durch Erfüllung. Sie wirken unabhängig von einer Geltendmachung.

Einreden und Zurückbehaltungsrechte

Einreden hindern die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs, solange sie erhoben werden. Typisch ist die Einrede der Verjährung. Zurückbehaltungsrechte gestatten, eine eigene Leistung bis zur Bewirkung der Gegenleistung oder Sicherung zurückzuhalten. Sie wirken als Druckmittel und beeinflussen die Fälligkeit und Durchsetzbarkeit.

Verjährung

Funktion der Verjährung

Verjährung begrenzt die Zeit, in der Ansprüche gerichtlich durchgesetzt werden können. Sie dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden.

Beginn, Hemmung, Neubeginn

Die Frist beginnt regelmäßig mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den maßgeblichen Umständen erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Hemmungstatbestände stoppen den Ablauf vorübergehend. Ein Neubeginn setzt die Frist von vorne in Gang.

Wirkungen der Verjährung

Nach Ablauf der Verjährungsfrist bleibt der Anspruch als solcher bestehen, kann aber nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden, wenn sich der Schuldner auf Verjährung beruft.

Sicherung von Ansprüchen

Personalsicherheiten

Hierzu zählen vor allem Bürgschafts- und Garantieversprechen. Eine weitere Person haftet für die Erfüllung der Schuld, wodurch das Ausfallrisiko des Gläubigers reduziert wird.

Sachsicherheiten

Pfandrecht, Sicherungsübereignung oder Eigentumsvorbehalt gewähren Zugriffsmöglichkeiten auf bestimmte Gegenstände. Sie sichern die Erfüllung durch Verwertungsrechte, falls die Leistung ausbleibt.

Zurückbehaltungsrechte als Druckmittel

Zurückbehaltungsrechte dienen der Sicherung des Austauschverhältnisses. Sie ermöglichen, die eigene Leistung bis zur Erfüllung der Gegenseite zurückzuhalten.

Abgrenzung zum besonderen Schuldrecht

Zusammenspiel mit speziellen Vertragsarten

Das Allgemeine Schuldrecht stellt den gemeinsamen Regelungskern. Das Besondere Schuldrecht ergänzt und modifiziert diese Regeln für bestimmte Vertragstypen (zum Beispiel besondere Nacherfüllungsrechte, Rücktritts- und Minderungsrechte). Bei Abweichungen gehen die spezielleren Vorschriften vor; im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was ist ein Schuldverhältnis?

Ein Schuldverhältnis ist ein rechtlicher Rahmen, aus dem ein Anspruch entsteht. Es verbindet Gläubiger und Schuldner und bestimmt, welche Leistungen geschuldet sind und welche Nebenpflichten bestehen.

Worin unterscheidet sich allgemeines und besonderes Schuldrecht?

Das Allgemeine Schuldrecht enthält Grundlagen, die für alle Schuldverhältnisse gelten. Das Besondere Schuldrecht regelt einzelne Vertragsarten und fügt den allgemeinen Regeln speziell angepasste Bestimmungen hinzu.

Welche Folgen hat Unmöglichkeit der Leistung?

Bei dauerhafter Unmöglichkeit entfällt die Leistungspflicht. Je nach Verantwortlichkeit kommen Ausgleichsfolgen in Betracht, und die Gegenleistung kann entfallen oder angepasst werden.

Wann liegt Verzug vor und welche Folgen hat er?

Verzug liegt vor, wenn eine fällige Leistung trotz Mahnung oder besonderer Umstände nicht erbracht wird. Typische Folgen sind Ersatz der Verzögerungsschäden und je nach Lage Lösungsrechte vom Vertrag.

Was bedeutet Gesamtschuld?

Bei Gesamtschuld kann der Gläubiger jeden Schuldner auf die ganze Leistung in Anspruch nehmen. Nach außen genügt eine Erfüllung; intern erfolgt ein Ausgleich zwischen den Schuldnern.

Wie funktioniert die Abtretung einer Forderung?

Bei der Abtretung wechselt der Gläubiger. Die Forderung bleibt inhaltlich gleich, der Schuldner kann dem neuen Gläubiger alle bestehenden Einreden entgegenhalten.

Was bewirkt die Verjährung?

Die Verjährung beschränkt die gerichtliche Durchsetzbarkeit eines Anspruchs. Nach Fristablauf kann der Schuldner die Leistung verweigern, wenn er sich auf Verjährung beruft.