Begriff und Bedeutung des Ärztlichen Zeugnisses
Ein ärztliches Zeugnis bezeichnet eine schriftliche Erklärung einer approbierten Ärztin oder eines approbierten Arztes über den Gesundheitszustand, eine Erkrankung oder deren Folgen bei einer bestimmten Person. Ziel des ärztlichen Zeugnisses ist die unabhängige, medizinisch fundierte und wahrheitsgemäße Feststellung und Dokumentation von körperlichen oder psychischen Tatsachen gegenüber Dritten, beispielsweise Behörden, Gerichten, Arbeitgebern oder Versicherungen.
In der Regel sind ärztliche Zeugnisse relevante Beweismittel im privaten, arbeitsrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Kontext und unterliegen daher speziellen gesetzlichen Vorgaben an Form und Inhalt.
Rechtsgrundlagen für das Ärztliche Zeugnis
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Die rechtlichen Anforderungen an ein ärztliches Zeugnis sind in verschiedenen Rechtsquellen geregelt. Zentrale Vorschriften finden sich insbesondere:
- im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
- in der Zivilprozessordnung (ZPO)
- im Strafgesetzbuch (StGB)
- in der Strafprozessordnung (StPO)
- im Sozialgesetzbuch (SGB)
- in den Berufsordnungen der Landesärztekammern
Pflicht zur Ausstellung
Nach § 25 der Musterberufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) sind Ärzte verpflichtet, auf Verlangen oder mit ausdrücklicher Einwilligung des Patienten ärztliche Zeugnisse über den Gesundheitszustand, über eine Krankheit oder deren Verlauf auszustellen. Eine Ausstellung ohne Einwilligung ist lediglich erlaubt, wenn eine zwingende gesetzliche Verpflichtung besteht (beispielsweise bei der Meldung bestimmter Infektionskrankheiten nach dem Infektionsschutzgesetz).
Arten und Anwendungsbereiche des Ärztlichen Zeugnisses
Einfache ärztliche Bescheinigung
Hierzu zählen beispielsweise Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Atteste für den Leistungsnachweis in Schulen oder Kindergärten sowie Reisebescheinigungen. Sie bestätigen meist nur das Vorliegen oder Nichtvorliegen bestimmter gesundheitlicher Tatsachen ohne ausführliche Begründung.
Qualifiziertes ärztliches Zeugnis oder Gutachten
Ein qualifiziertes Zeugnis geht über die einfache Bescheinigung hinaus und begründet die medizinische Einschätzung ausführlich und nachvollziehbar. Es ist häufig für Behörden (z. B. Gesundheitsamt) oder Gerichte bestimmt und erfordert eine umfassende Darstellung des Befunds, der Diagnose sowie der zugrundeliegenden Untersuchungsmethoden und ggf. einer gutachterlichen Bewertung.
Spezielle Zeugnisse
Weitere Anwendungsbereiche umfassen unter anderem:
- Tauglichkeitszeugnisse (z. B. Führerscheinerwerb, Einstellung im öffentlichen Dienst)
- Zeugnissse für Versicherungen
- Zeugnisse zur Vorlage bei Gericht (z. B. im Familienrecht, Strafrecht)
Anforderungen an Form und Inhalt
Mindestanforderungen
Ein ärztliches Zeugnis muss folgende Angaben enthalten:
- Name, Geburtsdatum und Anschrift der betroffenen Person
- Datum der Untersuchung und Ausstellung des Zeugnisses
- Beschreibung der Untersuchungsmethode(n)
- Festgestellte Tatsachen und deren medizinische Bewertung
- Unterschrift und Stempel der ausstellenden Ärztin oder des ausstellenden Arztes
Dabei ist der Zweck des Zeugnisses zu beachten; ein Zeugnis für das Gericht muss beispielsweise detailreicher sein als eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Wahrheitspflicht und Sorgfalt
Das ärztliche Zeugnis muss wahrheitsgemäß, sorgfältig und nach bestem Wissen und Gewissen ausgestellt werden. Die bewusste Falschbeurkundung im Amt oder die Ausstellung eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses ist gemäß § 278 StGB strafbar und kann berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Datenschutz und Schweigepflicht
Einwilligung der betroffenen Person
Die Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses setzt nach den Vorgaben der ärztlichen Schweigepflicht und der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) grundsätzlich die informierte Einwilligung der Patientin oder des Patienten voraus. Die Weitergabe des Zeugnisses an andere Personen oder Stellen ist ohne diese Einwilligung unzulässig, sofern nicht eine gesetzliche Auskunfts- oder Anzeigepflicht besteht.
Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten
Ärztliche Zeugnisse enthalten besonders schützenswerte personenbezogene Daten. Die Übermittlung und Speicherung unterliegt daher engen datenschutzrechtlichen Vorgaben. Die betroffene Person kann grundsätzlich verlangen, dass nur das für den jeweiligen Zweck notwendige Minimum an Informationen weitergegeben wird (Grundsatz der Datenminimierung aus Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO).
Rechtliche Relevanz und Beweiskraft
Bedeutung im Arbeitsrecht
Im Rahmen des Arbeitsrechts sind Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen das bekannteste Beispiel für ein ärztliches Zeugnis. Sie sind nicht nur Nachweis der Arbeitsunfähigkeit, sondern führen auch zur Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber (§ 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz).
Ärztliches Zeugnis als Beweismittel im Zivil- und Strafverfahren
In gerichtlichen Verfahren können ärztliche Zeugnisse als Urkunden vorgelegt werden. Ihre Beweiswirkung hängt von der Qualität und Aussagekraft des Zeugnisses ab. Gerichte können jedoch von Amts wegen weitere Sachverständigengutachten einholen, wenn Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit bestehen.
Strafrechtliche Risiken bei Falschausstellung
Die unrichtige Ausstellung eines Zeugnisses kann nach § 278 StGB als Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse strafbar sein, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Auch im Zivilrecht besteht das Risiko von Schadensersatzansprüchen, wenn ein fehlerhaftes Zeugnis zu finanziellen Schäden führt.
Besonderheiten bei bestimmten Zeugnisarten
Schul- und Ausbildungsbescheinigungen
Im öffentlichen Bildungswesen sind ärztliche Atteste oft Voraussetzung für das Nachholen von Prüfungen oder Unterricht. Schulen und Hochschulen dürfen jedoch nur minimal erforderliche Angaben anfordern und verarbeiten.
Versicherungsrechtliche Zeugnisse
Für private und gesetzliche Versicherungen werden häufig Zeugnisse zur Feststellung des Versicherungsfalles (z. B. Berufsunfähigkeit, Invalidität) gefordert. Hier gelten strenge Anforderungen an die Vollständigkeit und die Offenlegung möglicher Interessenskonflikte.
Gebühren und Kostentragung
Ärztliche Zeugnisse, die nicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversorgung erforderlich sind, sind gemäß Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) regelmäßig kostenpflichtig und vom Auftraggeber zu bezahlen. Die Kostenhöhe richtet sich nach Umfang, Zweck und Aufwand der Begutachtung.
Fazit
Das ärztliche Zeugnis ist ein zentrales Dokument im deutschen Rechtssystem zur objektiven Feststellung und Bescheinigung gesundheitlicher Tatsachen. Es erfüllt verschiedene Funktionen im Sozial-, Arbeits-, Verwaltungs- und Zivilrecht und ist mit spezifischen Anforderungen an Richtigkeit, Sorgfalt, Datenschutz und Beweiswert verbunden. Die Ausstellung birgt für die ausstellende Person sowohl berufsrechtliche als auch strafrechtliche Verantwortung. Bei der Nutzung und Weitergabe ärztlicher Zeugnisse sind stets die zugrundeliegenden gesetzlichen Regelungen einzuhalten.
Häufig gestellte Fragen
Wann ist ein ärztliches Zeugnis im Arbeitsverhältnis zwingend vorzulegen?
Ein ärztliches Zeugnis – umgangssprachlich häufig als „Krankschreibung“ bezeichnet – ist im deutschen Arbeitsrecht gemäß § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) dann zwingend vorzulegen, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauert. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer spätestens am darauf folgenden Arbeitstag eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen. Der Arbeitgeber ist jedoch aus rechtlicher Sicht berechtigt, die Vorlage des ärztlichen Zeugnisses schon ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu verlangen, ohne dass hierfür eine Begründung erforderlich wäre. Diese Regelungsmacht des Arbeitgebers wird durch die Rechtsprechung (zum Beispiel BAG, Urteil vom 14.11.2012 – 5 AZR 886/11) bestätigt. Die Form des ärztlichen Zeugnisses ist gesetzlich geregelt: Es muss von einem approbierten Arzt ausgestellt sein und Angaben zum Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit enthalten, eine Diagnose darf das Zeugnis jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen in der Regel nicht enthalten. Die Nichtvorlage kann arbeitsrechtliche Konsequenzen, einschließlich Abmahnung oder Lohnkürzung, nach sich ziehen.
Darf der Arbeitgeber den Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses anzweifeln oder den ausstellenden Arzt kontaktieren?
Der Arbeitgeber darf die Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht inhaltlich infrage stellen und erst recht keine Diagnosen erfragen, da das ärztliche Zeugnis als sogenannte „öffentliche Urkunde“ gem. § 416 ZPO Beweiskraft besitzt. Der Arbeitgeber ist, ebenso wie der Arzt, an die ärztliche Schweigepflicht gebunden, welche eine Weitergabe oder Abfrage sensibler Gesundheitsdaten untersagt. Sollte der Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit haben, kann er gemäß § 275 SGB V den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Überprüfung beauftragen. Eine direkte Kontaktaufnahme mit dem behandelnden Arzt zur Klärung von Diagnosen oder Details ist rechtlich unzulässig und stellt einen Verstoß gegen Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers dar.
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Vorlage eines gefälschten ärztlichen Zeugnisses?
Das Fälschen eines ärztlichen Zeugnisses erfüllt mehrere Straftatbestände, namentlich die Urkundenfälschung nach § 267 StGB und kann ferner als Betrug (§ 263 StGB) gewertet werden, wenn dadurch Lohnfortzahlung erwirkt wurde. Aus arbeitsrechtlicher Perspektive stellt die Vorlage einer gefälschten Bescheinigung eine schwerwiegende Pflichtverletzung dar und berechtigt den Arbeitgeber in der Regel zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Auch rückwirkende Ansprüche auf Entgeltfortzahlung entfallen. Strafrechtlich drohen im Extremfall Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren.
Muss der Arzt auf Verlangen ein ärztliches Zeugnis ausstellen und kann er dies verweigern?
Ein Arzt ist beruflich und rechtlich grundsätzlich verpflichtet, auf Verlangen des Patienten ein ärztliches Zeugnis über Arbeitsunfähigkeit auszustellen, sofern eine solche vorliegt und dies dem aktuellen Stand der ärztlichen Erkenntnis entspricht (§ 25 Musterberufsordnung für Ärzte). Die Ausstellung darf jedoch verweigert werden, wenn keine medizinisch begründete Arbeitsunfähigkeit festgestellt werden kann; eine Gefälligkeitsbescheinigung ist unzulässig und kann zu berufs- sowie strafrechtlichen Konsequenzen für den Arzt führen. Für die Ausstellung eines Attests, das nicht auf gesetzlicher Pflicht basiert (z.B. zur Vorlage bei einer Bildungseinrichtung), können Ärzte ein Honorar verlangen.
Wie lange ist ein ärztliches Zeugnis rechtlich gültig und was gilt bei längerer Erkrankung?
Ein ärztliches Zeugnis ist immer für den Zeitraum gültig, den der Arzt spezifisch bescheinigt hat. Die maximale Dauer einer Erstbescheinigung der Arbeitsunfähigkeit beträgt in der Regel zwei Wochen, Anschlussbescheinigungen sind jedoch zulässig. Dauert die Arbeitsunfähigkeit über den attestierten Zeitraum hinaus an, ist spätestens am nächsten Tag eine erneute ärztliche Untersuchung und Folgebescheinigung zwingend erforderlich, um den Anspruch auf Entgeltfortzahlung oder Krankengeld zu wahren. Die Einhaltung dieser lückenlosen Nachweispflicht ist durch die Rechtsprechung (BAG, Urteil vom 19.2.1997 – 5 AZR 83/96) gefestigt; Unterbrechungen können zum Entfall von Ansprüchen führen.
Welche Unterschiede bestehen zwischen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und einem gewöhnlichen „Attest“?
Rechtlich unterscheidet sich die sogenannte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die im Arbeitsverhältnis gemäß Entgeltfortzahlungsgesetz verlangt wird, von anderen Arten ärztlicher Atteste, beispielsweise solche für Schule, Universität oder Sportvereine. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist ein normiertes Dokument mit besonderer Rechtswirkung (Anspruch auf Lohnfortzahlung, Nachweis gegenüber Krankenkasse), während andere Atteste in Form und Inhalt variabel sind und meist auf Verlangen des jeweiligen Empfängers individuell ausgestellt werden. Beide Arten unterliegen jedoch den berufs- und strafrechtlichen Anforderungen an die Wahrheitspflicht des Arztes.
Werden Kosten für das ärztliche Zeugnis übernommen oder muss der Arbeitnehmer selbst zahlen?
Die Kosten für eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die gemäß den arbeitsrechtlichen Vorschriften vom Arbeitgeber verlangt wird, sind Teil der vertragsärztlichen Versorgung. Sie sind daher im Regelfall durch die gesetzliche Krankenversicherung abgedeckt. Privatärzte oder besondere Atteste (z.B. für Reiserücktritt oder Sportunfähigkeit) können hingegen kostenpflichtig sein, und die Gebühren dürfen in diesem Fall dem Patienten – also dem Arbeitnehmer – in Rechnung gestellt werden. Die Höhe richtet sich nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Das Arbeitsverhältnis selbst sieht in der Regel keine Kostenerstattung für private Zusatzatteste vor, es sei denn, dies ist arbeitsvertraglich ausdrücklich geregelt.