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Abwesenheitsverfahren


Abwesenheitsverfahren

Das Abwesenheitsverfahren stellt im rechtlichen Kontext ein gerichtliches Verfahren dar, welches in Abwesenheit einer oder mehrerer am Verfahren beteiligter Parteien oder Personen durchgeführt wird. Diese Verfahrensart begegnet insbesondere im Strafrecht, findet jedoch auch im Zivilrecht und im Verwaltungsrecht Anwendung. Ziel des Abwesenheitsverfahrens ist es, die Fortführung und den Abschluss eines gerichtlichen Prozesses trotz der Abwesenheit einer Partei zu ermöglichen, um Verzögerungen innerhalb der Rechtspflege vorzubeugen.

Begriffserklärung und Grundprinzipien

Das Abwesenheitsverfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Partei – häufig der Angeklagte oder Beklagte – dem Verfahren trotz ordnungsgemäßer Ladung fernbleibt. Das Verfahren kann, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, auch ohne deren persönliche Anwesenheit geführt und rechtskräftig abgeschlossen werden. Dabei werden die Abwesenheitsrechte und Rechtsgarantien der Betroffenen besonders berücksichtigt, um den rechtlichen Mindeststandards der betroffenen Person auch in deren Abwesenheit zu genügen.

Rechtsgrundlagen

Die Ausgestaltung und Zulässigkeit des Abwesenheitsverfahrens sind je nach Rechtsgebiet und Verfahrensordnung unterschiedlich geregelt:

  • Im deutschen Strafprozessrecht (§§ 230 ff. StPO)
  • Im Zivilprozessrecht (u. a. §§ 331 ff. ZPO)
  • Im Verwaltungsverfahrensrecht und im internationalen Recht mit abweichenden Normen

Den Regelungen liegt der Grundsatz zugrunde, das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) sowie die Verfahrensfairness zu gewährleisten, aber auch die Funktionsfähigkeit der Gerichte sicherzustellen.

Abwesenheitsverfahren im Strafprozess

Voraussetzungen und Ablauf

Im Strafrecht ist der Regelfall, dass der Angeklagte zur Hauptverhandlung erscheinen muss. Bei Nichterscheinen ist das Verfahren grundsätzlich auszusetzen oder zu unterbrechen (§ 285 StPO), es bestehen jedoch Ausnahmen. Unter bestimmten Voraussetzungen – etwa bei weniger schwerwiegenden Delikten oder wenn die Anwesenheit des Angeklagten zur Wahrung seiner Interessen nicht erforderlich erscheint – kann das Verfahren in Abwesenheit fortgeführt werden. Eine zwingende Voraussetzung ist, dass der Angeklagte ordnungsgemäß geladen wurde und keine ausreichende Entschuldigung für sein Ausbleiben vorliegt.

Säumnisverfahren und Versäumnisurteil

Bei Säumnis des Angeklagten kann das Gericht, je nach konkreter Prozesslage, folgende Maßnahmen treffen:

  • Verurteilung im Abwesenheitsverfahren („Verurteilung in absentia“)
  • Erlass eines Haftbefehls zur Herbeiführung der Anwesenheit

Im Strafrecht finden sich besondere Vorschriften im Zusammenhang mit internationalen Sachverhalten, etwa bei Wirtschaftsdelikten oder Straftaten im Ausland (vgl. Europäischer Haftbefehl).

Rechtsschutz und Nachträgliche Rechtsmittel

Betroffene haben regelmäßig die Möglichkeit, gegen Entscheidungen im Abwesenheitsverfahren nachträglich Rechtsmittel einzulegen, wie z. B. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Berufung oder Revision, sofern hinreichende Gründe vorliegen, die das Fernbleiben entschuldigen oder rechtfertigen.

Abwesenheitsverfahren im Zivilprozess

Versäumnisverfahren und Versäumnisurteil

Im Zivilprozess steht das Abwesenheitsverfahren im Zusammenhang mit dem sog. Versäumnisverfahren. Erscheint eine Partei – insbesondere der Beklagte – trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zum Termin, kann das Gericht auf Antrag der erschienenen Partei ein Versäumnisurteil gem. §§ 330 ff. ZPO erlassen. Hierbei werden die klägerischen Angaben als zugestanden angesehen.

Folge und Rechtsschutzmöglichkeiten

Der Abwesende kann innerhalb bestimmter Fristen gegen das Versäumnisurteil Einspruch einlegen, sodass das Verfahren in die Lage vor Eintritt der Säumnis zurückversetzt wird (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand).

Abwesenheitsverfahren im Verwaltungsrecht

Auch im Verwaltungsverfahrensrecht finden sich Regelungen, die die Durchführung eines Verfahrens bei Abwesenheit einer Partei zulassen, insbesondere um behördliche und gerichtliche Entscheidungen nicht unnötig hinauszuzögern. Betroffene werden regelmäßig über geplante Maßnahmen informiert und erhalten Möglichkeiten zur Stellungnahme.

Internationale Dimension und Menschenrechtliche Vorgaben

Im Bereich des internationalen und europäischen Rechts gelten für das Abwesenheitsverfahren strenge Anforderungen an die Wahrung des fairen Verfahrens. Speziell Art. 6 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) betont das Recht auf ein faires Verfahren und die Möglichkeit einer nachträglichen Verteidigung gegen im Abwesenheitsverfahren ergangene Entscheidungen (vgl. EGMR-Rechtsprechung).

Voraussetzungen aus Sicht der EMRK und EGMR

  • Effektive Unterrichtung der betroffenen Person über das Verfahren und deren Rechte
  • Möglichkeit einer späteren Anhörung und Verteidigung
  • Überprüfung der ergriffenen Maßnahmen durch unabhängige Stellen

Bedeutung in der Rechtspraxis

Das Abwesenheitsverfahren ist ein wesentliches Instrument zur Verfahrensbeschleunigung und Effizienzsteigerung in der Rechtspflege, steht aber unter dem Vorbehalt der Wahrung elementarer Verfahrensgrundsätze und Rechte der abwesenden Partei. Anwendungsfehler können zu Aufhebung der Entscheidung oder Nachholung der Anhörung führen.

Zusammenfassung

Das Abwesenheitsverfahren ist im deutschen und internationalen Recht umfassend geregelt. Es stellt sicher, dass gerichtliche Verfahren auch bei säumigen Parteien effizient fortgeführt werden können, ohne gegen justiziarische Mindeststandards zu verstoßen. Gleichzeitig sind umfangreiche Schutzmechanismen und Korrekturmöglichkeiten vorgesehen, um die Rechte abwesender Parteien zu wahren und ein faires, rechtsstaatliches Verfahren sicherzustellen.

Häufig gestellte Fragen

Wie wird das Abwesenheitsverfahren rechtlich eingeleitet und welche Voraussetzungen müssen vorliegen?

Das Abwesenheitsverfahren wird im deutschen Zivilprozessrecht gemäß den §§ 331 bis 335 ZPO (Zivilprozessordnung) eingeleitet, wenn eine der Parteien im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erscheint oder nicht ordnungsgemäß vertreten ist. Voraussetzung ist, dass der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erscheint oder keine Verteidigungsbereitschaft angezeigt hat, während der Kläger den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils stellt. Es muss zuvor eine ordnungsgemäße Zustellung der Klageschrift und der Terminsladung an die abwesende Partei erfolgt sein; das Gericht prüft dies von Amts wegen. Im Falle des Nichterscheinens des Beklagten kann auf Antrag des Klägers ein Versäumnisurteil ergehen, während bei Nichterscheinen des Klägers eventuell eine Klageabweisung wegen Säumnis ausgesprochen wird. Damit das Abwesenheitsverfahren Anwendung findet, darf dem Verfahren kein erhebliches Hindernis (wie unverschuldete Verhinderung) entgegenstehen. Ferner muss die tatsächliche Sachverhaltsdarstellung der erschienenen Partei als zugestanden angesehen werden, sofern keine groben Unstimmigkeiten oder Gesetzesverstöße erkennbar sind.

Welche Rechtsmittel stehen gegen Entscheidungen im Abwesenheitsverfahren zur Verfügung?

Gegen ein Versäumnisurteil, das im Abwesenheitsverfahren ergangen ist, sieht das deutsche Recht primär das Rechtsmittel des Einspruchs gem. § 338 ZPO vor. Der Einspruch ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Versäumnisurteils schriftlich beim Gericht einzulegen, das das Urteil erlassen hat. Mit dem Einspruch wird das Verfahren in die Lage vor dem Säumnisurteil zurückversetzt, das heißt, es wird eine neue mündliche Verhandlung über die Sache geführt. Kommt es nicht zum Einspruch oder wird dieser abgelehnt, ist zusätzlich je nach Streitwert und Entscheidung gegebenenfalls Widerklage oder Berufung möglich, jedoch sind die Möglichkeiten insoweit beschränkt, als die versäumte Partei nicht ohne vorherigen Einspruch in die höheren Instanzen gehen kann. Im Strafverfahren gilt für Abwesenheitsurteile nach § 412 StPO das Rechtsmittel der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, falls der Angeklagte ohne eigenes Verschulden abwesend war, sowie das normale Berufungsverfahren.

Welche rechtlichen Folgen ergeben sich, wenn eine Partei dem Abwesenheitsverfahren fernbleibt?

Das Fernbleiben einer Partei im Abwesenheitsverfahren hat gravierende prozessuale Konsequenzen: Im Zivilprozess kann auf Antrag der anwesenden Partei ein Versäumnisurteil gegen die abwesende Partei ergehen, das ohne weitere sachliche Prüfung erlassen wird und im Umfang wie ein normales Urteil vollstreckbar ist. Im Strafverfahren kann unter bestimmten, meist eng gefassten Voraussetzungen gegen den Abwesenden ein Abwesenheitsurteil oder Strafbefehl verhängt werden. Die rechtlichen Folgen bestehen vor allem darin, dass die abwesende Partei vielfach Einwendungen und Verteidigungsmöglichkeiten verliert; im zivilrechtlichen Bereich werden die Behauptungen der anwesenden Partei als zugestanden unterstellt. Es besteht allerdings in bestimmten Fällen die Möglichkeit, gegen ein Säumnisurteil Rechtsmittel, insbesondere den Einspruch, einzulegen.

Gibt es Ausnahmen, in denen das Abwesenheitsverfahren nicht zulässig ist?

Ja, das Abwesenheitsverfahren ist nicht in allen Verfahrensarten und nicht unter allen Umständen zulässig. Im Zivilrecht dürfen einige Familiensachen und Kindschaftssachen nicht im Wege des Versäumnisurteils entschieden werden (§ 331 Abs. 4 ZPO). Auch im Arbeitsgerichtsverfahren gibt es abweichende Regelungen, etwa, wenn der persönliche Vortrag der Parteien wesentlich ist (§ 59 ArbGG). Im Strafrecht ist das Abwesenheitsverfahren in der Hauptverhandlung grundsätzlich ausgeschlossen; eine Verurteilung in Abwesenheit ist nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 232 ff. StPO oder bei Strafbefehlen (§§ 407 ff. StPO) möglich. Im Verwaltungsrecht ist das Verfahren ähnlich wie im Zivilprozess ausgestaltet, jedoch ebenfalls mit spezifischen Einschränkungen.

Müssen besondere Formerfordernisse im Abwesenheitsverfahren beachtet werden?

Im Abwesenheitsverfahren sind mehrere besondere Formerfordernisse zu beachten. Insbesondere muss die Ladung der abwesenden Partei zum Termin ordnungsgemäß und rechtzeitig (mindestens eine Woche vor dem Termin, § 217 ZPO) erfolgt sein; außerdem muss die Zustellung nachweisbar sein. Der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils muss ausdrücklich gestellt werden (§ 331 Abs. 1 ZPO). Das Urteil selbst wird als schriftliche Ausfertigung mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt. Darüber hinaus bestehen je nach Verfahrensart und Gericht weitere Formvorschriften, wie Schriftformerfordernis bei Einlegung des Einspruchs (§ 340 ZPO) oder bei der Begründung des Rechtsmittels.

Wie wirkt sich das Abwesenheitsverfahren auf die Beweisaufnahme aus?

Im Abwesenheitsverfahren findet grundsätzlich keine Beweisaufnahme statt, da das Gericht gem. § 331 ZPO von der Richtigkeit des vom erschienenen Kläger behaupteten Sachverhalts ausgehen muss, sofern dieser schlüssig vorgetragen wurde. Beweiserhebungen sind nur dann möglich, wenn der nicht erschienene Beklagte zuvor substantiiert bestritten und bereits Beweisantritte angekündigt hat, oder das Gericht ausnahmsweise Zweifel an der Schlüssigkeit oder Rechtmäßigkeit der Klage hat. Im Strafverfahren ist eine Beweisaufnahme ohne Anwesenheit des Angeklagten nur in seltenen Ausnahmefällen zulässig, etwa wenn sich der Angeklagte bewusst und schuldhaft dem Verfahren entzieht und dies im Urteil ausdrücklich festgestellt ist.

Welche Kostenrisiken bestehen für die Parteien im Abwesenheitsverfahren?

Die Kosten des Abwesenheitsverfahrens werden im Zivilverfahren grundsätzlich der Säumnispartei, also der Partei, die nicht erschienen ist, auferlegt (§ 91 ZPO bei Unterliegen). Das Versäumnisurteil ergeht dabei zugunsten der erschienenen Partei, die somit auch einen Vollstreckungstitel mit sofortiger Kostenfestsetzung erhält. Sollte der Einspruch gegen das Versäumnisurteil zurückgewiesen werden, trägt die säumige Partei sämtliche Verfahrenskosten. Im Falle eines erfolgreichen Einspruchs, bei dem das ursprüngliche Urteil aufgehoben wird, trägt teilweise auch die bisher obsiegende Partei die Kosten, je nach Ausgang des weiteren Verfahrens. Im Strafverfahren können dem abwesenden Angeklagten sowohl Verfahrenskosten als auch Auslagen und eventuelle Schadensersatzforderungen auferlegt werden.

Welche Rolle spielt die ordnungsgemäße Ladung im Abwesenheitsverfahren?

Die ordnungsgemäße Ladung ist eine zentrale Voraussetzung für die Durchführung des Abwesenheitsverfahrens. Das Gericht muss vor Erlass eines Versäumnisurteils von Amts wegen prüfen, ob die Partei rechtzeitig und an die korrekte Adresse geladen wurde und ob die Zustellung nachweislich erfolgt ist (§ 330 ZPO). Eine fehlerhafte Ladung oder Zustellung führt in der Regel zur Unwirksamkeit des Versäumnisurteils und kann mit entsprechenden Rechtsmitteln angefochten werden. Im Strafprozess ist die persönliche Ladung zum Termin insbesondere für den Angeklagten zwingende Voraussetzung – fehlt sie, wird das Verfahren ausgesetzt oder vertagt. Die ordnungsgemäße Ladung dient dem rechtlichen Gehör und der Wahrung der prozessualen Rechte der Parteien.