Begriff und rechtliche Einordnung der Abwendungsbefugnis
Die Abwendungsbefugnis ist ein Begriff aus dem deutschen Recht, der insbesondere im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung, vor allem im Grundbuch- und Immobiliarvollstreckungsrecht, verwendet wird. Sie bezeichnet das Recht einer bestimmten Person, durch Erfüllung bestimmter Voraussetzungen oder durch Vornahme einer bestimmten Handlung die Durchführung oder Fortsetzung eines staatlichen Vollstreckungsakts – meist einer Zwangsversteigerung – abzuwenden.
Die Abwendungsbefugnis stellt einen wichtigen Schutzmechanismus für Schuldner dar und gewährleistet zugleich einen Ausgleich zwischen den Interessen des Gläubigers an der Befriedigung seiner Forderung und dem Interesse des Schuldners am Erhalt seines Vermögens bzw. seiner Immobilie.
Gesetzliche Grundlagen
Zwangsversteigerung im Immobiliarvollstreckungsrecht
Die zentrale Vorschrift zur Abwendungsbefugnis findet sich in § 767 Zivilprozessordnung (ZPO) und insbesondere in § 30 Zwangsversteigerungsgesetz (ZVG). Während § 767 ZPO die Möglichkeit einer Vollstreckungsabwehrklage regelt, normiert § 30 ZVG explizit die „Abwendungsbefugnis des Schuldners“ im Rahmen der Zwangsversteigerung einer Immobilie.
§ 30 Abs. 1 ZVG (Abwendungsrecht des Schuldners)
Demnach kann der Schuldner, solange das Versteigerungsverfahren nicht abgeschlossen ist, die Zwangsversteigerung abwenden, indem er an den Gläubiger die rückständigen, fälligen Beträge (zuzüglich Zinsen, Kosten und Auslagen) leistet. Die Abwendungsbefugnis steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass sie im Grundbuch nicht ausgeschlossen wurde und bezieht sich grundsätzlich auf alle titulierten Ansprüche, die durch eine Sicherungshypothek oder Grundschuld gesichert sind.
Weitere Vorschriften im individuellen Kontext
Neben dem Immobiliarvollstreckungsrecht kann eine Abwendungsbefugnis auch in anderen Konstellationen gesetzlich vorgesehen oder vertraglich vereinbart sein. Beispielhaft kann sie in bestimmten Fällen aus dem Mietrecht (§ 569 Abs. 3 BGB) herrühren, wonach der Mieter einen Kündigungsgrund innerhalb bestimmter Fristen durch Zahlung ausgleichen kann.
Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Abwendung
Voraussetzungen der Abwendungsbefugnis
Um die Zwangsvollstreckung durch Abwendung zu verhindern, sind in der Regel folgende Voraussetzungen zu erfüllen:
- Die Zwangsvollstreckung darf noch nicht endgültig abgeschlossen sein (z.B. Zuschlagsbeschluss bei Zwangsversteigerung ist noch nicht ergangen).
- Der Schuldner muss sämtliche rückständigen Beträge begleichen, die für die Fortführung der Vollstreckung maßgeblich sind (Hauptforderung, Nebenforderungen, Zinsen, Kosten, Auslagen).
- Eventuelle Ausschlussfristen oder Voraussetzungen, die im Grundbuch eingetragen wurden, dürfen nicht entgegenstehen.
Rechtsfolgen der Ausübung
Durch die rechtmäßige Ausübung der Abwendungsbefugnis wird die weitere Vollstreckung hinsichtlich der betreffenden Forderung unterbunden. Im Zwangsversteigerungsverfahren hat das Vollstreckungsgericht gemäß § 30 Abs. 2 ZVG das Verfahren einzustellen, sobald die geschuldeten Beträge gezahlt wurden. Bereits entstandene Kosten sind ebenfalls zu ersetzen.
Beschränkungen und Ausschluss der Abwendungsbefugnis
Ausschluss durch Grundbuchvermerk
Die Abwendungsbefugnis kann, wie in § 1137 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und § 30 ZVG vorgesehen, durch eine Eintragung im Grundbuch für bestimmte Grundpfandrechte ausgeschlossen werden. Üblich ist dies bei Sicherungshypotheken, wenn sich der Gläubiger im Sicherungsvertrag den Ausschluss des Abwendungsrechts hat einräumen lassen.
Weitere Ausschlussgründe
Ein genereller Ausschluss ergibt sich auch, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Abwendung nicht mehr vorliegen, etwa weil das Vollstreckungsverfahren durch Zuschlag bereits beendet ist. Ebenfalls ausgeschlossen ist die Abwendungsbefugnis, wenn ein dritter Gläubiger einbezogen wird und dessen Rechte beeinträchtigt wären.
Verfahrensrechtliche Umsetzung
Verfahren im Rahmen der Zwangsversteigerung
Im Zwangsversteigerungsverfahren hat der Schuldner das Recht, die zur Abwendung notwendigen Beträge dem Vollstreckungsgericht zu überweisen oder direkt an den Gläubiger zu zahlen. Das Gericht prüft die ordnungsgemäße Erfüllung der Schuld und stellt das Verfahren ein. Dies kann durch Beschluss geschehen, der sowohl dem Gläubiger als auch dem Schuldner bekannt gegeben wird.
Widerspruch und Streitigkeiten
Sollte es zwischen den Beteiligten Uneinigkeit über die ausreichende Erfüllung der Abwendungsleistung geben, ist das Vollstreckungsgericht berufen, hierüber zu entscheiden. Rechtsmittelwege, wie die sofortige Beschwerde, stehen nach § 567 ff. ZPO offen.
Abwendungsbefugnis in der Praxis
Bedeutung für Schuldner
Die Abwendungsbefugnis ist im Vollstreckungsrecht ein zentrales Instrument zum Schutz des Schuldners. Sie gibt dem Schuldner – auch in letzter Minute – die Möglichkeit, durch Zahlung seine Immobilie zu retten oder weitere Vollstreckungshandlungen zu verhindern. Dies gibt zudem regelmäßig Anreize für eine Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner und trägt zur Verhältnismäßigkeit in der Zwangsvollstreckung bei.
Bedeutung für Gläubiger
Auch für Gläubiger ist die Abwendungsbefugnis von Bedeutung, da sie die Möglichkeit eröffnet, ihre Forderung schneller und außergerichtlich durch direkte Zahlung zu realisieren, ohne das Risiko des Versteigerungserlöses tragen zu müssen. Sie können den Ausschluss der Abwendungsbefugnis vertraglich gestalten, was insbesondere bei gewerblichen Immobilienfinanzierungen üblich ist.
Literatur und weiterführende Vorschriften
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 1137
- Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere § 767
- Zwangsversteigerungsgesetz (ZVG), insbesondere § 30, § 34
- Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abwendungsbefugnis
- Kommentarliteratur zum ZVG und zum BGB
Fazit
Die Abwendungsbefugnis ist ein bedeutsames Rechtsinstitut des deutschen Vollstreckungsrechts, das sowohl dem Schuldnerschutz als auch den berechtigten Interessen des Gläubigers dient. Sie stellt ein gesetzliches Korrektiv sicher und ist durch eine klare gesetzliche und verfahrensrechtliche Ausgestaltung geprägt. Ihre praktische Relevanz reicht von der Immobiliarsicherung bis zu mietrechtlichen und individuellen Vereinbarungen. Bei Prüfung und Ausübung der Abwendungsbefugnis sind stets die konkreten gesetzlichen Regelungen, eventuelle Ausschlusstatbestände und der Stand des Vollstreckungsverfahrens zu beachten.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist zur Ausübung der Abwendungsbefugnis berechtigt?
Zur Ausübung der Abwendungsbefugnis ist grundsätzlich der Vollstreckungsschuldner selbst berechtigt, da ihm durch diese Befugnis die Möglichkeit eingeräumt wird, die Zwangsvollstreckung – insbesondere die Versteigerung oder Verwertung eines bestimmten Gegenstandes oder einer Immobilie – durch Zahlung des geschuldeten Betrags oder durch anderweitige Erfüllung der Vollstreckungsforderung abzuwenden. Die Abwendungsbefugnis kann aber auch von Dritten ausgeübt werden, sofern diese im eigenen Recht ein Interesse daran haben (z.B. Miteigentümer, dinglich Berechtigte, Erben oder sonstige Rechtsnachfolger), oder wenn die gesetzliche Voraussetzung hierfür (z.B. § 268 BGB beim Pfandrecht) erfüllt ist. In bestimmten Fallkonstellationen kann auch ein Insolvenzverwalter berechtigt sein. Eine wirksame Ausübung der Abwendungsbefugnis setzt jedoch grundsätzlich voraus, dass die berechtigte Person zweifelsfrei identifiziert ist und die gesetzlichen Vorgaben zur Zahlung oder Erfüllung der Hauptforderung sowie möglicher Nebenforderungen eingehalten werden.
Welche Frist ist bei der Ausübung der Abwendungsbefugnis zu beachten?
Die Ausübung der Abwendungsbefugnis ist grundsätzlich an bestimmte Fristen gebunden, deren Einhaltung Voraussetzung für die wirksame Abwendung der Zwangsvollstreckung ist. Im Rahmen der Immobiliarvollstreckung, etwa gemäß § 767 Abs. 2 ZPO vor Konsumation der Maßnahme, ist die Abwendung spätestens bis zum Termin der Versteigerung zu erklären und zu vollziehen. Bei Forderungsvollstreckungen kann die Frist auch durch gerichtliche Anordnung festgesetzt werden, wie etwa im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss. Maßgeblich ist stets, dass die Zahlung oder Erfüllung vor der endgültigen Durchführung der jeweiligen Vollstreckungsmaßnahme erfolgt. Versäumt der Abwendungsberechtigte die Frist, entfällt die Befugnis, und die Maßnahme wird wie geplant vollzogen. Das Gesetz sieht im Einzelfall unterschiedliche Fristen und Modalitäten vor, weshalb eine genaue Prüfung der jeweils anzuwendenden Vorschriften unerlässlich ist.
Welche rechtlichen Folgen hat die Ausübung der Abwendungsbefugnis?
Die rechtliche Folge der ordnungsgemäßen Ausübung der Abwendungsbefugnis ist das Erlöschen der Zwangsvollstreckungsmaßnahme in Bezug auf die betroffene Forderung oder das belastete Objekt. Im Falle einer Immobilienzwangsvollstreckung wird beispielsweise das Verfahren auf Antrag des Schuldners eingestellt (§ 30 ff. ZVG), sofern die vollständige Forderung samt Zinsen und Kosten beglichen wurde. Wurde die Abwendung frist- und formgerecht vorgenommen, darf keine Versteigerung mehr stattfinden und bereits vorgenommene Sicherungsmaßnahmen sind aufzuheben. Der Gläubiger hat keinen Anspruch mehr auf die weitere Durchführung der Zwangsvollstreckung hinsichtlich der abgegoltenen Forderung. Die Ausübung der Abwendungsbefugnis führt jedoch nicht zwangsläufig dazu, dass auch andere offene Forderungen gegenüber dem Schuldner erlöschen, sofern sie von der Abwendungsmaßnahme nicht erfasst werden.
Können bereits entstandene Vollstreckungskosten mit abgewendet werden?
Ja, im Grundsatz umfasst die Abwendungsbefugnis auch die Verpflichtung, neben der Hauptforderung die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Vollstreckungskosten sowie die fälligen Nebenforderungen (z.B. Zinsen, Kosten des Verfahrens, Auslagen und Zustellungskosten) zu begleichen. Die Maßnahme kann erst dann wirksam abgewendet werden, wenn sämtliche vom Gläubiger titulierten Beträge und die angefallenen Kosten vollständig beglichen sind. Werden nur Teilbeträge gezahlt, bleibt die Zwangsvollstreckung grundsätzlich weiterhin möglich, es sei denn, der Gläubiger erklärt sich mit einer Teilabwendung einverstanden. Die genaue Höhe und Zusammensetzung der abzulösenden Beträge sollte durch Anforderung einer aktuellen Forderungsaufstellung vom Gläubiger oder dem Vollstreckungsorgan ermittelt werden, um Streitigkeiten zu vermeiden.
Ist die Ausübung der Abwendungsbefugnis an bestimmte Formerfordernisse gebunden?
Die Abwendungsbefugnis ist im Wesentlichen an die rechtzeitige Zahlung oder Erfüllung der jeweiligen Forderung gebunden und bedarf keiner besonderen Form der Erklärung gegenüber dem Vollstreckungsgericht oder dem Gläubiger, es sei denn, das Gesetz schreibt ausdrücklich eine bestimmte Form vor (beispielsweise im Zwangsversteigerungsverfahren nach § 29, 30 ZVG). Häufig ist es jedoch ratsam, die Ausübung der Abwendungsbefugnis – etwa durch eine schriftliche Anzeige der Zahlungsbereitschaft oder entsprechende Nachweise – zu belegen, um eine reibungslose Verfahrensabwicklung sicherzustellen und gegenüber dem Gericht einen Beleg zu haben. Im Zweifel sollten Schuldner oder abwendungsberechtigte Dritte die Beratung eines Rechtsanwalts in Anspruch nehmen.
Welche Rolle spielt die Abwendungsbefugnis im Zwangsversteigerungsverfahren?
Die Abwendungsbefugnis kommt im Zwangsversteigerungsverfahren eine zentrale Bedeutung zu. Nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung sowie des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (ZVG) kann der Schuldner die bevorstehende Versteigerung durch Erfüllung der gesamten titulierten Forderung samt Nebenkosten verhindern. Die Zahlung kann dabei bis zum Versteigerungstermin erfolgen; nach Durchführung und Zuschlagserteilung ist eine Abwendung grundsätzlich ausgeschlossen. Wird die Abwendungsbefugnis korrekt ausgeübt, so ist das Gericht verpflichtet, das Verfahren aufzuheben und die Kostenentscheidung zu treffen. Dabei müssen auch die Interessen der Gläubiger und etwaiger weiterer Berechtigter (z.B. rangverwiesene Gläubiger) berücksichtigt werden.
Kann die Abwendungsbefugnis vertraglich ausgeschlossen werden?
Der vertragliche Ausschluss der Abwendungsbefugnis ist grundsätzlich nicht möglich, soweit es sich um zwingende gesetzliche Regelungen handelt, die dem Schuldnerschutz und der Fairness im Vollstreckungsverfahren dienen. Insbesondere bei grundpfandrechtlich gesicherten Forderungen nach deutschem Recht (§ 1147 BGB, §§ 30 ff. ZVG) kann auf das gesetzlich eingeräumte Recht zur Abwendung nicht wirksam verzichtet werden. Ein etwaiger vertraglicher Ausschluss hätte daher keine Rechtswirksamkeit. Gleichwohl können individuell ausgehandelte Vereinbarungen über Zahlungsmodalitäten oder Vergleiche die praktische Ausübung der Abwendungsbefugnis beeinflussen, dürfen jedoch die Kernbefugnisse nicht aushöhlen oder entgegen zwingenden gesetzlichen Vorgaben ausgestaltet sein.