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Abwehr von Gefahren


Begriff und Grundlagen der Abwehr von Gefahren

Die Abwehr von Gefahren ist ein zentrales Rechtsinstitut des deutschen Gefahrenabwehrrechts und spielt eine maßgebliche Rolle innerhalb des öffentlichen Sicherheitsrechts. Sie umfasst sämtliche Maßnahmen, mit denen Behörden und öffentliche Stellen auf drohende Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung reagieren, um diese zu verhindern oder zu beseitigen. Dem Begriff liegt ein funktionales Verständnis zugrunde, das primär auf Prävention und Gefahrenbeseitigung abzielt. Die folgenden Abschnitte beleuchten die Abwehr von Gefahren rechtlich umfassend, differenziert nach gesetzlichen Grundlagen, den beteiligten Stellen sowie den Grundsätzen und Grenzen.


Rechtliche Grundlagen der Gefahrenabwehr

Polizeirecht auf Landesebene

Im Mittelpunkt der Gefahrenabwehr steht das Polizeirecht, welches weitgehend durch die einzelnen Bundesländer geregelt wird. Die Polizeigesetze der Länder (z. B. das Polizeigesetz Baden-Württemberg – PolG BW oder das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Berlin – ASOG Bln) normieren die Voraussetzungen, unter denen Behörden tätig werden dürfen, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden.

Allgemeines Ordnungsrecht

Ergänzend zum Polizeirecht enthält das allgemeine Ordnungsrecht spezifische Regelungen zur Gefahrenabwehr, etwa im Ordnungsbehördengesetz NRW (OBG NRW). Hier werden Aufgaben, Zuständigkeiten und Befugnisse der Ordnungsbehörden zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung geregelt.

Bundesrechtliche Regelungen

Das Bundesrecht regelt die Gefahrenabwehr in bestimmten Sonderbereichen, insbesondere dort, wo der Bund die Gesetzgebungszuständigkeit besitzt, wie im Bereich der Gefahrenabwehr im Luftverkehr (LuftVG), auf dem Gebiet des Strahlenschutzes (StrlSchG) oder im Bundespolizeigesetz (BPolG).

Verfassungsrechtlicher Rahmen

Der verfassungsrechtliche Rahmen, insbesondere Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht) und die einschlägigen Grundrechte (z. B. Art. 2 Abs. 1 GG – Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 13 GG – Unverletzlichkeit der Wohnung), begrenzen das staatliche Handeln im Bereich der Gefahrenabwehr und gewährleisten die Verhältnismäßigkeit der ergriffenen Maßnahmen.


Gefahrenbegriff und Gefahrenkategorien

Definition der Gefahr

Eine Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrrechts liegt vor, wenn bei ungehindertem Ablauf der Dinge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird. Der Prognosemaßstab orientiert sich an objektiven Kriterien.

Arten von Gefahren

Konkrete Gefahr

Eine konkrete Gefahr ist bei einer im Einzelfall bestehenden Sachlage gegeben, bei der der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich ist.

Abstrakte Gefahr

Abstrakte Gefahren beschreiben eine Sachlage oder ein Verhalten, bei denen allgemein nach Erfahrungssätzen Schäden möglich erscheinen, ohne dass im Einzelfall eine aktuelle Gefahrenlage vorliegt.

Erhebliche Gefahr und Gefahr im Verzug

Die erhebliche Gefahr kennzeichnet besonders gewichtige Schutzgüter, während bei Gefahr im Verzug ein sofortiges polizeiliches Eingreifen erforderlich ist, um erhebliche Schäden abzuwenden.


Maßnahmenergreifung zur Gefahrenabwehr

Adressat der Gefahrenabwehr

Nach dem Verursacherprinzip sind in erster Linie die Störer als Adressaten von Maßnahmen heranzuziehen. Das Störerprinzip unterscheidet zwischen dem Verhaltensstörer (Verhalten verursacht die Gefahr) und dem Zustandsstörer (Sache oder Tier begründet die Gefahr). Ausnahmsweise können auch Nichtstörer als Adressaten von Maßnahmen herangezogen werden, sofern eine andere Möglichkeit zur Gefahrenabwehr nicht besteht (sog. Inanspruchnahme des Nichtstörers).

Arten von Maßnahmen

Verwaltungsaktsmäßige Maßnahmen

Behördliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erfolgen in aller Regel in Form von Verwaltungsakten (z. B. Platzverweis, Veranstaltung untersagen).

Realakte

In besonders eilbedürftigen Situationen handelt die Polizei auch durch Realakte – also schlichtes Verwaltungshandeln, wie dem räumlichen Wegschaffen eines Hindernisses.


Verhältnismäßigkeit und rechtliche Grenzen

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Jede Maßnahme zur Gefahrenabwehr muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Sie muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Eingriffe in Grundrechte dürfen nur dann erfolgen, wenn sie im Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen.

Rechtsstaatliche Sicherungen

Gegen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr stehen Rechtsbehelfe zur Verfügung, insbesondere der Verwaltungsrechtsweg. Im Regelfall kann gegen belastende Maßnahmen Widerspruch und Anfechtungsklage erhoben werden.

Besondere Schutzgüter und Eingriffsbefugnisse

Bestimmte Grundrechtseingriffe, wie z. B. Wohnungsdurchsuchungen (Art. 13 GG), unterliegen zusätzlichen Voraussetzungen und bedürfen oftmals richterlicher Anordnung. Einschränkungen bestehen zudem für die Inanspruchnahme von Unbeteiligten (z. B. bei Gefahr in Verzug).


Verhältnis zur Gefahrenvorsorge und Strafverfolgung

Die Abwehr von Gefahren unterscheidet sich begrifflich und funktional von der Gefahrenvorsorge (präventiven Maßnahmen ohne aktuelle Gefahr) und der Strafverfolgung, die auf Aufklärung und Ahndung begangener Straftaten abzielt. Die präventive Gefahrenabwehr ist somit strikt von repressiven Maßnahmen im Rahmen des Strafrechts zu trennen.


Bedeutung der Gefahrenabwehr im deutschen Rechtssystem

Die Gefahrenabwehr stellt ein grundlegendes Element der öffentlichen Sicherheit, funktionierenden Rechtsordnung sowie des sozialen Zusammenlebens dar. Sie ist präventiv ausgerichtet und dient der Abwehr und Beseitigung von Gefahren für die Allgemeinheit und erhebliche Individualinteressen. Zugleich ist sie durch rechtsstaatliche Prinzipien geprägt, insbesondere durch eine konsequente Wahrung der Grundrechte.


Literatur und weiterführende Quellen

  • Pautsch, Hartmut Aden (Hrsg.): Polizeirecht. Nomos, 2022.
  • Lisken/Denninger: Handbuch des Polizeirechts. 7. Auflage. C.H. Beck, 2021.
  • Oebbecke (Hrsg.): Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht. 18. Auflage, Heymanns, 2023.
  • Dietlein, Polizeirecht Nordrhein-Westfalen. 16. Auflage, C.F. Müller, 2022.

Hinweis: Die vorliegende Darstellung bietet eine umfassende, sachliche Übersicht für das Rechtslexikon und berücksichtigt die wesentlichen rechtlichen Aspekte und Entwicklungen im Bereich der Abwehr von Gefahren.

Häufig gestellte Fragen

Wann liegt eine gegenwärtige Gefahr im Sinne der Abwehr von Gefahren vor?

Eine gegenwärtige Gefahr im rechtlichen Sinne liegt vor, wenn das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder unmittelbar bevorsteht, sodass ein sofortiges Eingreifen zur Gefahrenabwehr erforderlich ist. Die Einschätzung, ob eine Gefahr gegenwärtig ist, richtet sich nach einer objektiven Prognose: Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts muss bei ungehindertem Geschehensablauf als dringlich angesehen werden. Gerichte und Behörden prüfen in diesem Zusammenhang vor allem, ob nach sachverständiger Würdigung der tatsächlichen Umstände und des typischen Geschehensablaufs ohne zeitnahes Eingreifen erhebliche Schäden eintreten würden. Dabei ist es nicht notwendig, dass der Schaden bereits eingetreten ist; es genügt die hohe Wahrscheinlichkeit und Nähe des Schadenseintritts. Die gegenwärtige Gefahr ist vor allem im Hinblick auf die Voraussetzungen für polizeirechtliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen von zentraler Bedeutung: Nur wenn die Gefahr gegenwärtig ist, dürfen oftmals besonders eingriffsintensive Maßnahmen (wie etwa unmittelbarer Zwang) rechtmäßig angewandt werden.

Wer ist zur Abwehr von Gefahren rechtlich befugt?

Zur Gefahrenabwehr sind grundsätzlich die Polizei- und Ordnungsbehörden befugt, wobei sich die konkrete Zuständigkeit nach dem jeweiligen Polizei- und Ordnungsrecht der Länder richtet. Daneben können in bestimmten Situationen auch Privatpersonen auf Grundlage des sogenannten Notwehrrechts (§ 32 StGB) oder nach den Vorschriften der Nothilfe handeln. Die Abwehr von Gefahren durch Private ist allerdings nur dann zulässig, wenn eine unmittelbare Gefahr für eigene oder fremde Rechtsgüter besteht und behördliche Hilfe zu spät käme. Behörden können die Gefahrenabwehr an sogenannte „Nichtstörer“ (z.B. Unbeteiligte Dritte) nur in sehr engen Ausnahmefällen delegieren, wenn der eigentliche Störer nicht erreichbar ist. Die gerichtliche Überprüfung orientiert sich jeweils daran, ob die in Anspruch genommene Person rechtlich als Verantwortlicher („Störer“) im Sinne des Ordnungsrechts oder als Dritter mit besonderer Nähe zum Gefahrenereignis einzustufen ist.

Welche rechtlichen Schranken gelten bei der Gefahrenabwehr?

Maßnahmen zur Gefahrenabwehr unterliegen verschiedenen rechtlichen Schranken, die sich insbesondere aus dem Grundgesetz und aus spezialgesetzlichen Regelungen (wie dem Polizeigesetz oder dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz) ergeben. Zentrale Schranke ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der verlangt, dass jede Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein muss. Zudem ist auf das Übermaßverbot zu achten: Eingriffe dürfen nie weitergehen, als das zur Gefahrenabwehr unbedingt Nötige verlangt. Betroffene Personen haben einen Anspruch auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Weiterhin bestehen spezielle Fesselungen etwa im Bereich der Freiheitsentziehung (§§ 40ff. PolG) oder Durchsuchungen (z.B. § 102 StPO), die regelmäßig richterlicher Anordnung bedürfen. Schließlich darf die Gefahrenabwehr grundsätzlich nicht gesetzlich geschützte Rechte Dritter unzulässig beschränken oder umgehen.

Wie unterscheidet sich die polizeiliche Gefahrenabwehr von repressivem Einschreiten?

Die polizeiliche Gefahrenabwehr ist in erster Linie präventiv ausgerichtet, d.h. sie dient dazu, bereits beginnende oder drohende Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuwehren, bevor ein Schaden eintritt. Rechtsgrundlage hierfür sind die Polizei- und Ordnungsbehördengesetze der Bundesländer. Repressives Einschreiten hingegen verfolgt den Zweck, bereits begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aufzuklären und zu verfolgen. Hier greifen die Regelungen der Strafprozessordnung (StPO). Die Abgrenzung ist rechtlich wichtig, da hier unterschiedliche Ermächtigungsgrundlagen und Eingriffsintensitäten bestehen: Während die präventive Gefahrenabwehr typischerweise niedrigschwellige Maßnahmen umfasst, erfordert das repressive Einschreiten regelmäßig strengere Voraussetzungen wie einen Anfangsverdacht.

Welche Bedeutung hat das Opportunitätsprinzip bei der Gefahrenabwehr?

Das Opportunitätsprinzip besagt, dass die zuständigen Behörden bei der Gefahrenabwehr grundsätzlich einen Ermessensspielraum besitzen, ob und wie sie tätig werden. Dies ist insbesondere in den Polizei- und Ordnungsrechtlichen Vorschriften normiert (§ 9 PolG NRW; § 4 OBG NRW). In der Praxis bedeutet dies, dass Behörden nicht in jedem Fall zwingend eingreifen müssen, selbst wenn eine Gefahr vorliegt, solange ein Gefahrenabwehrinteresse nicht überwiegt oder andere Verpflichtungen entgegenstehen. Das Ermessen darf allerdings nicht willkürlich ausgeübt werden; vielmehr muss eine sachgerechte Abwägung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der konkreten Umstände erfolgen. Im Ausnahmefall – etwa bei einer dringlichen, erheblichen Gefahr für Leben und Gesundheit – wandelt sich das Opportunitäts- in ein gebundenes Eingreifen.

Wer trägt die Kosten der Gefahrenabwehrmaßnahmen?

Die Kosten für Maßnahmen zur Gefahrenabwehr werden grundsätzlich von dem sogenannten „Verantwortlichen“ getragen, also dem Verursacher der Gefahr (Störerprinzip). Rechtlich erfolgt dies nach Maßgabe der §§ 6, 24 VwVG (Bund) bzw. vergleichbarer landesrechtlicher Regeln. Kommt der Verantwortliche seiner Verpflichtung zur Gefahrenbeseitigung nicht freiwillig nach, werden die behördlichen Kosten (z.B. für Entfernung von Gefahrenquellen, Sicherungsmaßnahmen) per Leistungsbescheid geltend gemacht. Ist ein Verantwortlicher nicht zu ermitteln oder in Anspruch zu nehmen, kann in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Ersatzvornahme zu Lasten eines Dritten erfolgen. Die Kostentragungspflicht orientiert sich immer an der Adressatenauswahl nach ordnungsrechtlichen Kriterien und dem Verursacherprinzip. Ausnahmen gelten für den Fall von Gefahren durch höhere Gewalt.