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Abstammungssachen


Begriff und Einordnung der Abstammungssachen

Abstammungssachen bezeichnen im deutschen Familienrecht gerichtliche Verfahren, die die Feststellung oder Anfechtung der rechtlichen Abstammung einer Person betreffen. Der Begriff ist in § 169 Nr. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) gesetzlich definiert und umfasst insbesondere Streitigkeiten über die rechtliche Elternschaft. Die rechtliche Klärung der Abstammung hat erhebliche Bedeutung, insbesondere hinsichtlich der elterlichen Sorge, Unterhaltspflichten, Erbrechten und Staatsangehörigkeit.

Rechtliche Grundlagen

Gesetzliche Verankerung der Abstammungssache

Die Abstammungssache ist im FamFG geregelt, wobei insbesondere die §§ 1591 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die materielle Rechtsgrundlage bieten. Die gerichtlichen Verfahrensvorschriften finden sich in den §§ 169 ff. FamFG. Der Begriff „Abstammungssache“ umfasst dabei verschiedene gerichtliche Verfahren, wie die Feststellung oder Anfechtung der Vater- oder Mutterschaft.

Abgrenzung zu anderen familienrechtlichen Verfahren

Abstammungssachen sind von anderen familienrechtlichen Verfahren, beispielsweise in Umgangs- oder Sorgerechtsstreitigkeiten, zu unterscheiden. Während letztere das Miteinander von Eltern und Kind betreffen, geht es in den Abstammungssachen zentral um die Feststellung, wer rechtlich als Mutter oder Vater eines Kindes gilt.

Arten von Abstammungssachen

Feststellung der rechtlichen Elternschaft

Die gerichtliche Feststellung der Elternschaft findet insbesondere in Fällen Anwendung, in denen die Vaterschaft rechtlich geklärt werden muss, beispielsweise wenn Zweifel an der biologischen Abstammung bestehen und eine Anerkennung der Vaterschaft nicht erfolgt ist.

Anfechtung der rechtlichen Elternschaft

Auf der anderen Seite ermöglicht das Gesetz die Anfechtung der Vaterschaft (§§ 1599 ff. BGB) oder auch, im Ausnahmefall, der Mutterschaft. Die Anfechtung dient dazu, eine rechtlich bislang bestehende Eltern-Kind-Beziehung aufzuheben, falls diese der tatsächlichen biologischen Abstammung widerspricht. Anfechtungsberechtigt sind insbesondere das Kind, der rechtliche Vater, die Mutter sowie der leibliche Vater unter bestimmten Voraussetzungen.

Typische Verfahren und Ablauf

Das gerichtliche Verfahren wird durch Antrag eingeleitet. Das zuständige Familiengericht prüft im Regelfall zunächst die Zulässigkeit und Beteiligtenstellung, bevor Beweiserhebungen, etwa durch Abstammungsgutachten (DNA-Test), erfolgen. Die gerichtliche Entscheidung erfolgt nach umfassender Würdigung aller tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte.

Prozessuale Besonderheiten von Abstammungssachen

Zuständigkeit und Beteiligte

Zuständig für Abstammungssachen ist gemäß § 170 FamFG das Familiengericht. Beteiligte sind das Kind, die Mutter, der rechtliche Vater und gegebenenfalls der leibliche Vater sowie das Jugendamt, falls eine Gefährdung des Kindeswohls zu befürchten ist.

Verfahrensgrundsätze

Im Verfahren zur Feststellung oder Anfechtung der Abstammung gelten die Vorschriften der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet das Gericht, den Sachverhalt eigenständig und umfassend aufzuklären. Besondere Bedeutung kommt der Einbeziehung genetischer Gutachten zu; die Mitwirkung der betroffenen Personen kann gerichtlich angeordnet werden.

Verjährung und Fristen

Abstammungssachen unterliegen bestimmten Fristen. Die Anfechtung der Vaterschaft muss in der Regel binnen zwei Jahren ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgen (§ 1600b BGB). Die Frist soll Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen und längere Unsicherheiten verhindern.

Bedeutung und Auswirkungen der gerichtlichen Entscheidung

Die Entscheidung in Abstammungssachen hat weitreichende rechtliche Folgen. Wird die Vaterschaft erfolgreich angefochten, entfällt rückwirkend die rechtliche Elternstellung mit allen daran geknüpften Rechten und Pflichten, etwa im Bereich des Unterhalts-, Sorge- und Erbrechts. Eine Feststellung der Vaterschaft ist Grundlage für Unterhalts- und Erbberechtigungen des Kindes gegenüber dem Vater und umgekehrt.

Besondere Konstellationen

Künstliche Befruchtung und Samenspende

In Fällen der künstlichen Befruchtung, insbesondere bei Samenspende, können besondere Abstammungssachen entstehen. Das Gesetz regelt in § 1600d BGB die Anfechtbarkeit der Vaterschaft bei Samenspende, wobei strenge Voraussetzungen und Einschränkungen zum Schutz des Kindeswohls gelten.

Internationale Bezüge

Abstammungssachen mit Auslandsbezug unterliegen dem Internationalen Privatrecht. Gemäß Art. 19 EGBGB richtet sich das anwendbare Recht nach dem Kindeswohl und kann, je nach Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt der Beteiligten, variieren. Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen ist durch das FamFG und einschlägige internationale Übereinkommen, insbesondere das Haager Übereinkommen, geregelt.

Praktische Relevanz und Statistiken

Abstammungssachen spielen in der gerichtlichen Praxis eine erhebliche Rolle. Die Zahl der Verfahren zur Feststellung und Anfechtung der Vaterschaft nimmt aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen und der wachsenden Bedeutung genetischer Methoden stetig zu. Sie stehen häufig im Zusammenhang mit Fragen des Kindeswohls und sind sensibel gegenüber den Persönlichkeitsrechten aller Beteiligten.

Literatur und weiterführende Informationen

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), §§ 1591 ff., 1600 ff.
Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)
* Europäische und internationale Übereinkommen zur Anerkennung von Abstammungsentscheidungen


Hinweis: Diese Zusammenstellung dient ausschließlich der Information zum Begriff Abstammungssachen aus rechtlicher Sicht.

Häufig gestellte Fragen

Welche Gerichte sind für Abstammungssachen zuständig?

Für Abstammungssachen sind in Deutschland ausschließlich die Familiengerichte zuständig, die eine spezielle Abteilung der Amtsgerichte bilden. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich in der Regel nach den allgemeinen familienrechtlichen Vorschriften, insbesondere nach dem Wohnsitz des Kindes beziehungsweise der betroffenen Parteien. Bei Rechtsstreitigkeiten, wie beispielsweise der Anfechtung oder Feststellung der Vaterschaft sowie Fragen rund um die Mutterschaft, ist das Familiengericht erster Instanz. Im Rahmen von Abstammungsprozessen besteht Anwaltszwang nur in bestimmten Verfahren, jedoch ist eine anwaltliche Vertretung grundsätzlich anzuraten, da es sich um komplexe und oft emotionale Streitigkeiten handelt, in denen verschiedene Interessen, einschließlich der des Kindes, zu beachten sind. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Familiengerichts sind regelmäßig gegeben und führen zur nächsten Instanz, dem Oberlandesgericht.

Wer ist im Abstammungsverfahren antragsberechtigt?

Im rechtlichen Zusammenhang sind antragsberechtigt grundsätzlich die Mutter, der rechtliche Vater, der biologische Vater sowie das Kind selbst, vertreten durch einen gesetzlichen Vertreter oder das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Darüber hinaus kann in bestimmten Konstellationen auch das Jugendamt eigene Anträge stellen, etwa zur Feststellung der Vaterschaft im Interesse des Kindes. Die Antragsberechtigung ist jeweils gesetzlich geregelt und zielt auf die Klärung und Sicherung der rechtlichen Abstammungsverhältnisse ab. Beispielsweise kann ein Mann, der glaubt, nicht der biologische Vater zu sein, eine sogenannte Vaterschaftsanfechtungsklage erheben, demgegenüber der biologische Vater ein Feststellungsinteresse an der Vaterschaft geltend machen kann.

Welche Fristen gelten für die Vaterschaftsanfechtung?

Für die Anfechtung der Vaterschaft sieht das Gesetz strenge Fristen vor. Die allgemeine Anfechtungsfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem der Anfechtungsberechtigte von Umständen Kenntnis erlangt, die ernsthafte Zweifel an der Vaterschaft begründen. Dabei ist nicht maßgeblich, wann die Vaterschaftsurkunde erstellt oder das Kind geboren wurde, sondern wann konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Fehlzuordnung der Vaterschaft vorliegen. In Einzelfällen können Sonderregelungen greifen, beispielsweise beim Bekanntwerden neuer beweiskräftiger Tatsachen. Nach Ablauf der Frist ist eine Anfechtung regelmäßig ausgeschlossen, es sei denn, die Fristversäumnis erfolgte unverschuldet und es liegen besondere Ausnahmefälle vor.

Welche Beweismittel sind im Abstammungsverfahren zulässig?

Im rechtlichen Verfahren bezüglich Abstammungssachen, insbesondere bei der Feststellung oder Anfechtung der Vaterschaft, spielen Beweismittel eine zentrale Rolle. Zulässige Beweismittel sind vor allem Abstammungsgutachten, also molekulargenetische Untersuchungen (DNA-Tests), die durch das Gericht oder auf Antrag einer Partei angeordnet werden können. Daneben kommen auch Urkunden, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten sowie Augenscheinseinnahmen zur Anwendung. Die Durchführung eines Abstammungsgutachtens bedarf stets der Zustimmung der betroffenen Personen, wobei das Familiengericht eine Mitwirkung anordnen kann, wenn das Kindeswohl nicht entgegensteht. Die Ergebnisse solcher Gutachten sind von erheblicher Bedeutung für die Entscheidungsfindung im Verfahren.

Welche Kosten entstehen im Rahmen eines Abstammungsverfahrens?

Die Kosten eines Abstammungsverfahrens setzen sich zusammen aus Gerichtskosten, den Kosten für Gutachten (insbesondere DNA-Tests), möglichen Anwaltsgebühren sowie weiteren Auslagen. Die Höhe der Gerichtskosten bemisst sich nach dem Verfahrenswert, der sich aus der individuellen Bedeutung des Falles errechnet. Für die Erstellung von Abstammungsgutachten fallen zusätzliche Kosten an, die in der Regel von der unterliegenden Partei oder im Falle einer besonderen gerichtlichen Anordnung von den Parteien anteilig getragen werden. Unter gewissen Voraussetzungen kann Prozesskostenhilfe bewilligt werden, sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse der antragstellenden Person dies erfordern und die Angelegenheit Aussicht auf Erfolg hat.

Inwiefern ist das Wohl des Kindes im Abstammungsverfahren zu berücksichtigen?

Das Wohl des Kindes steht im Mittelpunkt jedes Abstammungsverfahrens. Die gerichtlichen Entscheidungen orientieren sich primär daran, ob und wie das Verfahren und die damit verbundene Klärung der Abstammung dem Wohl des Kindes dienen oder diesem zuwiderlaufen können. Besonders schützenswert sind die Persönlichkeitsrechte und das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Das Kind wird im Verfahren regelmäßig durch einen Ergänzungspfleger oder das Jugendamt vertreten, um sicherzustellen, dass seine Interessen gewahrt bleiben. In Abwägungsentscheidungen, etwa bei der Anordnung von Untersuchungen, misst das Gericht den Belangen des Kindes besonderes Gewicht bei und prüft, ob etwaige Belastungen verhältnismäßig und zumutbar sind.

Können Entscheidungen in Abstammungssachen rückwirkend geändert werden?

Entscheidungen in Abstammungssachen, insbesondere die gerichtliche Feststellung oder Anfechtung der Vaterschaft, können grundsätzlich nach Rechtskraft der Entscheidung nur unter engen gesetzlichen Voraussetzungen geändert werden. Eine nachträgliche Änderung ist meist nur durch eine erfolgreiche Anfechtungsklage oder bei Wiederaufnahme des Verfahrens wegen neuer Beweise möglich. Das deutsche Recht sieht eine strenge Bindung an rechtskräftige Entscheidungen vor, um die Rechtssicherheit und das Kindeswohl zu wahren. Bei nachträglich bekannt gewordenen, erheblichen neuen Tatsachen bleibt regelmäßig die Möglichkeit der Wiederaufnahme, deren Voraussetzungen jedoch eng durch das Gesetz festgelegt sind.