Begriff und rechtliche Einordnung des Absoluten Revisionsgrundes
Der Begriff Absoluter Revisionsgrund ist ein zentraler Begriff des deutschen Strafprozessrechts und beschreibt bestimmte, im Gesetz abschließend geregelte Verfahrensverstöße, bei deren Vorliegen das Revisionsgericht unabhängig von konkreten Auswirkungen auf das Urteil verpflichtet ist, dieses aufzuheben. Absolute Revisionsgründe sind somit zwingende Korrekturgründe in der Revisionsinstanz. Ihre gesetzliche Grundlage findet sich in § 338 der Strafprozessordnung (StPO).
Definition des Absoluten Revisionsgrunds
Absolute Revisionsgründe sind bestimmte, schwerwiegende Fehler im Strafverfahren, die stets als Verstoß gegen das Gesetz angesehen werden und stets zur Aufhebung eines Urteils führen müssen, wenn sie im Revisionsverfahren festgestellt werden. Im Gegensatz zu relativen Revisionsgründen ist für ihre Anwendung keine weitere Prüfung erforderlich, ob sich der Fehler tatsächlich auf das Urteil ausgewirkt hat (sog. Kausalitätserfordernis).
Gesetzliche Grundlagen
Die gesetzliche Grundlage für die absoluten Revisionsgründe bildet § 338 StPO („Absolute Revisionsgründe“). Dort zählt das Gesetz insgesamt acht Fallgruppen auf, in denen bei Vorliegen einer Verfahrensverletzung zwingend eine Aufhebung des Urteils erfolgen muss.
Wortlaut (Auszug) § 338 StPO:
„Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,
- wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war;
- wenn bei der bei dem erkennenden Gericht stattgefundenen Verhandlung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
[…]
- wenn entgegen dem Gesetz entschieden worden ist, ohne dass eine Hauptverhandlung stattgefunden hat
[…].“
Arten der Absoluten Revisionsgründe
§ 338 Nr. 1 StPO – Fehlerhafte Besetzung des Gerichts
Ein absoluter Revisionsgrund liegt vor, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, etwa bei fehlerhafter Anwendung des Geschäftsverteilungsplans oder unzulässiger Mitwirkung von Schöffen.
§ 338 Nr. 2 StPO – Mitwirkung ausgeschlossener Richter
Nach § 338 Nr. 2 StPO ist das Urteil aufzuheben, wenn bei der Hauptverhandlung ein Richter mitgewirkt hat, der kraft Gesetzes von der Ausübung seines Amts ausgeschlossen war (z.B. wegen Befangenheit oder Vorbefassung).
§ 338 Nr. 3 StPO – Verletzung der Öffentlichkeit
Das Verfahren muss bis zu seinem Abschluss öffentlich sein (§ 169 GVG). Eine Ausnahme kann nur in besonderen – gesetzlich geregelten – Fällen gemacht werden. Die Verletzung der Öffentlichkeit ist ein absoluter Revisionsgrund.
§ 338 Nr. 4 StPO – Fehlende Mitwirkung vorgeschriebener Personen
Waren zwingend vorgeschriebene Personen, wie zum Beispiel ein Schöffe, an der Sitzungsentscheidung nicht beteiligt, liegt ein absoluter Revisionsgrund vor.
§ 338 Nr. 5 StPO – Ungebührliche Verhinderung von Angeklagten, Verteidiger oder Staatsanwalt
Wird dem Angeklagten, seinem Verteidiger oder dem Vertreter der Staatsanwaltschaft das rechtliche Gehör in der Hauptverhandlung unzulässig verweigert, liegt ebenfalls ein absoluter Revisionsgrund vor.
§ 338 Nr. 6 StPO – Verletzung der Mitwirkungsrechte
Die Verletzung von Mitwirkungsrechten, wie zum Beispiel die unzulässige Ablehnung von Beweisanträgen, kann einen absoluten Revisionsgrund darstellen, soweit zwingende gesetzliche Bestimmungen verletzt werden.
§ 338 Nr. 7 StPO – Unzulässige Abwesenheit des Angeklagten
Ein weiterer Fall ist die unzulässige Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, sofern dessen Anwesenheit gesetzlich vorgeschrieben ist (§§ 230, 231 StPO).
§ 338 Nr. 8 StPO – Fehlen der Hauptverhandlung
Ergeht eine Entscheidung entgegen dem Gesetz ohne Hauptverhandlung, stellt auch dies einen absoluten Revisionsgrund dar.
Abgrenzung zu relativen Revisionsgründen
Anders als bei den relativen Revisionsgründen (§ 337 StPO), bei denen das Revisionsgericht stets prüft, ob der geltend gemachte Verfahrensverstoß sich tatsächlich auf das Urteil ausgewirkt hat (sog. Beruhensprüfung), ist bei absoluten Revisionsgründen eine solche Prüfung entbehrlich. Das Gesetz unterstellt bei den in § 338 StPO genannten Fehlern typischerweise eine schwerwiegende Gefahr für das rechtsstaatliche Verfahren.
Wirkungen eines absoluten Revisionsgrundes
Liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, ist das angefochtene Urteil grundsätzlich aufzuheben, unabhängig von der materiellen Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses. Das Verfahren ist in aller Regel zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer oder einen anderen Spruchkörper zurückzuverweisen (§ 354 StPO).
Bedeutung für die Rechtspraxis
Absolute Revisionsgründe besitzen erhebliche praktische Bedeutung, da sie strikte Anforderungen an die Verfahrensordnung stellen und der Verfahrensfairness sowie dem Vertrauen in die Strafrechtspflege dienen. Ihre zwingende Beachtung gewährleistet, dass grundlegende Prozessregeln eingehalten werden müssen. Verstöße können daher nicht übergangen oder durch Einzelfallabwägungen relativiert werden.
Internationale Bezüge und vergleichbare Regelungen
Auch in anderen Rechtsordnungen gibt es vergleichbare Schutzmechanismen, die schwerwiegende Verfahrensverstöße besonders sanktionieren. Das deutsche Strafprozessrecht folgt hierbei dem Gebot rechtsstaatlicher Verfahren und dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK).
Literaturhinweise
- Meyer-Goßner/Schmitt, StPO-Kommentar, § 338 StPO, aktuelle Auflage.
- Löwe/Rosenberg, StPO-Kommentar, § 338 StPO.
- Beulke, Strafprozessrecht, Abschnitt zur Revision.
Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über den Begriff Absoluter Revisionsgrund, seine gesetzliche Verankerung, Einteilung, Wirkungen und praktische Bedeutung im deutschen Strafprozessrecht.
Häufig gestellte Fragen
Welche Verfahrensmängel begründen einen absoluten Revisionsgrund?
Ein absoluter Revisionsgrund liegt vor, wenn im Strafverfahren bestimmte, vom Gesetzgeber ausdrücklich benannte schwerwiegende Verfahrensmängel auftreten, die unabhängig davon, ob sie das Urteil tatsächlich beeinflusst haben, zwingend zur Aufhebung des Urteils führen. Zu den in § 338 StPO aufgeführten absoluten Revisionsgründen gehören unter anderem das Fehlen des gesetzlichen Richters, die Verletzung der Öffentlichkeit der Verhandlung, das unzulässige Ausschließen eines Verteidigers, das Fehlen einer wirksamen Anklageschrift, die unterlassene Mitwirkung einer bei der Urteilsfindung erforderlichen Person (etwa eines Schöffen) sowie die unterlassene Übersetzung für nicht deutschsprachige Angeklagte. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei diesen Mängeln die Grundelemente eines rechtsstaatlichen Verfahrens derart beeinträchtigt sind, dass das Urteil auf keinen Fall Bestand haben kann.
Welche Rolle spielt das Verschulden des Gerichts bei absoluten Revisionsgründen?
Bei absoluten Revisionsgründen kommt es auf ein etwaiges Verschulden oder einen Willensakt des Gerichts nicht an. Das heißt, ist ein absoluter Revisionsgrund gegeben, so führt allein dessen objektives Vorliegen zwingend zur Urteilsaufhebung – unabhängig davon, ob das Gericht diesen Verfahrensfehler versehentlich oder absichtlich begangen hat. Auch wenn der Fehler ohne jedes Verschulden und trotz größter Sorgfalt aller Beteiligten passiert ist, kann dies nicht geheilt werden und das Urteil muss aufgehoben werden. Dies ist darin begründet, dass die Einhaltung bestimmter Verfahrensgrundsätze als unabdingbare Voraussetzung eines fairen Verfahrens gilt.
Können absolute Revisionsgründe geheilt werden?
Absolute Revisionsgründe gemäß § 338 StPO sind nicht heilbar. Dies bedeutet, dass ein einmal begangener Mangel dieser Art auch durch nachträgliche Handlungen im Laufe des Verfahrens oder im Revisionsverfahren selbst nicht mehr beseitigt werden kann. Beispielsweise kann eine einmal fehlende Mitwirkung eines gesetzlichen Richters nicht durch eine spätere Zustimmung oder Nachholung ausgeglichen werden. Die Unheilbarkeit unterscheidet sie von relativen Revisionsgründen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass der Fehler im weiteren Verfahren behoben werden kann und dann nicht zwingend zur Aufhebung des Urteils führt.
Welche Bedeutung hat die Feststellung eines absoluten Revisionsgrundes für das weitere Verfahren?
Wird ein absoluter Revisionsgrund festgestellt, so führt dies ausnahmslos zur Aufhebung des gesamten Urteils oder jedenfalls des von dem Verfahrensmangel betroffenen Teils. Das Revisionsgericht muss dann das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer desselben Gerichts oder an ein anderes Gericht gleicher Ordnung zurückverweisen. Der Hinweis auf einen absoluten Revisionsgrund im Revisionsurteil gibt dem erstinstanzlichen Gericht klare Anhaltspunkte für das weitere Verfahren bezüglich der zu beachtenden Verfahrensvorschriften. Das erneute Verfahren muss den beanstandeten Verfahrensfehler zwingend vermeiden.
Gibt es absolute Revisionsgründe auch im Zivilprozessrecht?
Absolut definierte Revisionsgründe sind ein Charakteristikum des Strafprozessrechts, insbesondere in den §§ 338 StPO ff. Im Zivilprozessrecht gibt es sogenannte „Zulassungsgründe“ für die Revision (§ 543 ZPO), doch sind diese regelmäßig an die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz oder schwerwiegende Verfahrensverstöße geknüpft. Zwar existieren im Zivilprozessrecht auch schwerwiegende Verfahrensfehler, jedoch ist das System der zwingenden, unheilbaren Fehler, die ohne Rücksicht auf die Einzelfallumstände zur Urteilsaufhebung führen, spezifisch für das Strafverfahrensrecht und findet im Zivilprozess so keine Entsprechung.
Wie wird das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes geprüft und festgestellt?
Über das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes entscheidet das Revisionsgericht von Amts wegen, das heißt unabhängig davon, ob dieser in der Revisionsbegründung ausdrücklich gerügt wurde. Die Prüfung erfolgt dabei umfassend anhand der Aktenlage und des Protokolls der Hauptverhandlung. Insbesondere wenn nach der Aktenlage Zweifel am ordnungsgemäßen Ablauf von Verfahrensteilen bestehen, ist das Revisionsgericht gehalten, dies von sich aus aufzudecken und zu prüfen. Wird ein absoluter Revisionsgrund festgestellt, ist die Aufhebung des Urteils zwingend; das Gericht hat insoweit keinen Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum.
Welche Rechtsfolgen hat die Feststellung eines absoluten Revisionsgrundes auf das Urteil?
Die Feststellung eines absoluten Revisionsgrundes macht das angefochtene Urteil von Gesetzes wegen unwirksam. Das bedeutet, das Urteil wird durch das Revisionsgericht aufgehoben und das Verfahren geht zurück an das Ausgangsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Im Falle mehrerer Verfahrensbeteiligter oder bei mehreren zusammenhängenden Urteilen kann die Unwirksamkeit sich auf weitere Teile des Verfahrens erstrecken, wenn der Verfahrensfehler diese berührt hat. Die erneute Hauptverhandlung muss vollständig und unter Beachtung der Prozessvorschriften wiederholt werden.
Sind absolute Revisionsgründe auch bei anderen Rechtsmitteln als der Revision relevant?
Absolute Revisionsgründe im engeren Sinne sind – wie der Name schon sagt – speziell für die Revision kodifiziert. Im Rahmen anderer Rechtsmittel, etwa der Berufung, spielen sie keine eigenständige Rolle; dort geht es vor allem um die erneute Tatsachen- und Rechtsprüfung. Allerdings können vergleichbare schwerwiegende Verfahrensfehler im Berufungsverfahren auch dazu führen, dass das Urteil aufgehoben oder das Verfahren zurückverwiesen wird. Die besondere Bindung und Wirkung entfalten absolute Revisionsgründe aber nur im Revisionsverfahren, wo sie als zwingende Rechtsfolgen ausgestaltet sind.