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Abrufarbeit

 

Abrufarbeit – rechtliche Definition und Einordnung

Abrufarbeit bezeichnet im Arbeitsrecht ein besonderes Arbeitsverhältnis, bei dem die Arbeitsleistung nicht fest, sondern auf Abruf durch den Arbeitgeber erbracht wird. Es handelt sich damit um eine flexible Beschäftigungsform, die sowohl Chancen als auch rechtliche Herausforderungen birgt. Die Ausgestaltung der Abrufarbeit ist im deutschen Recht in § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) geregelt. Nachfolgend werden die zentralen rechtlichen Aspekte, die für die Ausübung, Gestaltung und Kontrolle von Abrufarbeit relevant sind, umfassend dargestellt.


Gesetzliche Grundlagen der Abrufarbeit

§ 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)

Die maßgebliche Vorschrift für Abrufarbeit ist § 12 TzBfG. Dieser regelt die rechtlichen Rahmenbedingungen und schützt Arbeitnehmende vor unangemessener Flexibilität und daraus resultierender Unsicherheit über Arbeitszeit und Vergütung.

Der Gesetzestext unterscheidet zwei Grundsituationen:

  1. Vereinbarung einer Arbeitszeitspanne: Wird im Arbeitsvertrag die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt, gilt gemäß § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart.
  2. Höchstarbeitszeit: Die wöchentliche Arbeitszeit darf laut § 12 Abs. 1 S. 4 TzBfG nicht mehr als 25 Prozent über oder 20 Prozent unter der vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit liegen.

Wesentliche Schutzregelung ist zudem die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Lage der Arbeitszeit mindestens vier Tage im Voraus mitzuteilen (§ 12 Abs. 2 TzBfG). Wird dieser Mindestvorlauf nicht beachtet, kann der Arbeitnehmer die Leistung verweigern.

Abgrenzung zur Arbeit auf Abruf in anderen Rechtsgebieten

Abrufarbeit ist von anderen flexiblen Arbeitsformen, etwa Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft oder Teilzeitarbeit, abzugrenzen. Bei Abrufarbeit liegt der Schwerpunkt auf der zeitlichen Flexibilität, wobei der Arbeitgeber den Arbeitsanfall bestimmt.


Vertragsgestaltung und Inhalt der Abrufarbeit

Voraussetzungen und Vertragsinhalte

Ein Vertrag zur Abrufarbeit muss zwingend folgende Punkte enthalten:

  • Arbeitszeit: Sofern keine feste Arbeitszeit vereinbart wird, ist die gesetzliche Fiktion (20 Stunden/Woche) zu beachten.
  • Abrufsmodalitäten: Der Vertrag muss regeln, wie und mit welchem Vorlauf die Arbeitsleistung abgefordert werden kann.
  • Vergütung: Die Bezahlung umfasst grundsätzlich auch den Zeitraum, in dem weniger Arbeit abgerufen wird, als maximal vertraglich möglich wäre.

Schriftform und Transparenz

Obwohl das TzBfG keine besondere Form vorschreibt, empfiehlt sich zur Rechtssicherheit die Schriftform. Nach dem Nachweisgesetz (NachwG) besteht ohnehin die Pflicht, wesentliche Arbeitsbedingungen schriftlich zu dokumentieren.


Rechte und Pflichten bei Abrufarbeit

Arbeitgeberpflichten

  • Ankündigungsfrist: Der Arbeitgeber muss die Arbeitsleistung spätestens vier Tage im Voraus abrufen.
  • Beschränkung des Abrufumfangs: Die im Vertrag bestimmte mögliche Schwankungsbreite darf nicht überschritten werden.
  • Vergütungspflicht: Der Arbeitgeber schuldet Lohn für die Mindestarbeitszeit, auch wenn weniger Arbeit abgerufen wird.

Arbeitnehmerrechte

  • Leistungsverweigerungsrecht: Wird die Frist zur Ankündigung nicht eingehalten, kann die Arbeitskraft die Leistung ablehnen.
  • Sicherheit der Mindestarbeitszeit: Wird zu wenig Arbeit abgerufen, besteht dennoch Vergütungsanspruch in Höhe der Mindestarbeitszeit.
  • Schutz vor übermäßiger Ausdehnung: Eine Ausdehnung über die zulässige Höchstarbeitszeit pro Woche zwingt nicht zur Arbeitsleistung.

Risiken und Schutzmechanismen

Rechtssicherheit und Gestaltungsspielraum

Die gesetzlichen Vorgaben sollen verhindern, dass Beschäftigte einseitig auf „Abruf“ gehalten werden und keinerlei Planungssicherheit für ihr Einkommen oder ihre Freizeit haben. Verträge, die von den gesetzlichen Mindestvorgaben (z.B. zu geringer Mindestumfang, zu weiter Schwankungsrahmen) abweichen, sind insoweit unwirksam, wie sie zum Nachteil der Beschäftigten gehen.

Abmahnung und Kündigung

Auch bei Abrufarbeit gelten die allgemeinen arbeitsrechtlichen Kündigungs- und Abmahnungsregelungen. Die flexible Arbeitszeitgestaltung ist indes kein Kündigungsgrund.

Sozialversicherungsrechtliche Beurteilung

Die sozialversicherungsrechtliche Einstufung richtet sich nach der vereinbarten durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit. Auch hier ist die Mindestarbeitszeit maßgeblich für die Beitragsberechnung.


Rechtsprechung zur Abrufarbeit

Aktuelle Urteile

Die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts (BAG), hat die Rechte von Arbeitnehmenden bei Abrufarbeit in den letzten Jahren gestärkt:

  • Nicht vereinbarte Obergrenzen der Abrufbarkeit gehen zulasten des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 24.09.2014 – 5 AZR 1024/12).
  • Fehlt eine klare Vereinbarung zur Wochenarbeitszeit, greift die gesetzliche Fiktion (20 Stunden).
  • Eine kurzfristige Anordnung der Arbeitszeit ist unzulässig, wenn der Mindestvorlauf nicht eingehalten wird.

Mitbestimmung und betriebliche Mitwirkung

Betriebstypische Regelungen

Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Ausgestaltung von Abrufarbeit. Dies betrifft insbesondere Ankündigungsfristen, Planung der Arbeitszeit und deren Verteilung.


Internationale Regelungen im Vergleich

Während in Deutschland der Gesetzgeber klare Mindeststandards setzt, unterscheiden sich die Regelungen im Ausland teils erheblich, insbesondere hinsichtlich der Mindestarbeitszeit und der Schutzmechanismen gegen existenzielle Unsicherheit.


Fazit

Abrufarbeit stellt eine Form flexibler Beschäftigung dar, die durch das TzBfG in ihren Grundzügen detailliert geregelt ist. Arbeitnehmer erhalten wichtige Schutzrechte bezüglich Mindestarbeitszeit, Vorankündigungsfrist und Vergütung. Arbeitgeber profitieren von der Flexibilität, müssen aber die gesetzlichen Vorgaben einhalten, um Rechtsnachteile und Anfechtungen zu vermeiden. Die zunehmende Verbreitung von flexiblen Arbeitszeitmodellen macht detaillierte Kenntnisse der gesetzlichen Anforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten unabdingbar.


Siehe auch:

  • Teilzeit- und Befristungsgesetz
  • Arbeitszeitgesetz
  • Betriebliche Mitbestimmung
  • Soziale Sicherung bei flexibler Beschäftigung

Häufig gestellte Fragen

Welche gesetzlichen Regelungen gelten für die Höchstdauer und den Umfang der Abrufarbeit?

Für die Abrufarbeit gelten in Deutschland die gesetzlichen Regelungen des § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Dieser regelt insbesondere, dass die zu leistende Arbeitszeit im Arbeitsvertrag zu bestimmen ist. Fehlt eine solche Vereinbarung, gilt eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Darüber hinaus darf der Arbeitgeber gemäß § 12 Abs. 2 TzBfG nicht weniger als 3 aufeinanderfolgende Stunden pro Abruf anordnen. Außerdem ist der Umfang des Abrufs begrenzt: So darf die im Arbeitsvertrag vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit um nicht mehr als 25 % überschritten und um nicht mehr als 20 % unterschritten werden, sofern keine anderweitige Regelung getroffen ist. Wird diese Grenze überschritten, besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Vergütung entsprechend der Überschreitung.

Wie muss der Arbeitgeber die Arbeitszeiten bei Abrufarbeit ankündigen?

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Lage der Arbeitszeit mindestens vier Tage im Voraus mitzuteilen (§ 12 Abs. 3 TzBfG). Hält der Arbeitgeber diese Ankündigungsfrist nicht ein, ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, die Arbeit zu den gewünschten Zeiten zu leisten. Um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden, sollte die Mitteilung möglichst schriftlich oder auf nachvollziehbare Weise erfolgen. Wird die Arbeit kurzfristiger angesetzt und der Arbeitnehmer verweigert daraufhin die Arbeitsleistung, darf ihm daraus kein Nachteil entstehen.

Welche Vergütungsansprüche bestehen bei nicht abgerufenem Arbeitsvolumen?

Auch wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht im festgelegten oder arbeitsvertraglich vermuteten Umfang zur Arbeit auffordert, besteht ein Vergütungsanspruch auf die vereinbarte oder gesetzlich vorgesehene Mindestarbeitszeit. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer so zu vergüten ist, als hätte er die nach dem Vertrag oder Gesetz zu leistende Arbeitszeit tatsächlich erbracht. Eine Schlechterstellung des Arbeitnehmers durch Nichtabruf der Arbeitsleistung ist gesetzlich ausgeschlossen.

Ist eine kurzfristige Änderung des Arbeitsabrufs rechtlich zulässig?

Eine kurzfristige Änderung des Arbeitsabrufes ohne die Einhaltung der oben genannten Vier-Tage-Frist ist rechtlich unzulässig, es sei denn, der Arbeitnehmer erklärt sich ausdrücklich damit einverstanden. Der Arbeitgeber hat daher keinen einseitigen Anspruch auf flexible kurzfristige Abrufe. Wird dennoch kurzfristig abgerufen und erscheint der Arbeitnehmer nicht zur Arbeit, kann daraus keine arbeitsrechtliche Sanktion abgeleitet werden. Dies entspricht dem Schutzgedanken des TzBfG, wonach die Abrufarbeit planbar und für den Arbeitnehmer zumutbar bleiben muss.

Welche arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften finden auf Abrufkräfte Anwendung?

Alle klassischen Schutzvorschriften des Arbeitsrechts, wie das Kündigungsschutzgesetz, das Arbeitszeitgesetz und das Entgeltfortzahlungsgesetz, finden auch auf Arbeitsverhältnisse in Abrufarbeit Anwendung. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz stellt klar, dass Abrufkräfte einen Anspruch auf Gleichbehandlung bezüglich Lohn, Urlaub und sonstigen betrieblichen Leistungen haben. Es darf durch die spezielle Ausgestaltung der Abrufarbeit zu keinen Nachteilen gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern in anderen Arbeitszeitmodellen kommen.

Welche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen bei Abrufarbeit?

Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung der Arbeitszeit und somit auch bei der konkreten Ausgestaltung von Abrufarbeitsverhältnissen. Dazu zählen insbesondere die Festlegung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit, die Verteilung der Arbeitszeit sowie die Ankündigungsfristen für den Arbeitseinsatz. Arbeitgeber müssen daher die Zustimmung des Betriebsrats einholen, bevor sie Regelungen zur Abrufarbeit einführen oder ändern.

Müssen Abrufarbeitsverträge schriftlich abgeschlossen werden?

Grundsätzlich gilt nach § 2 NachwG (Nachweisgesetz), dass alle wesentlichen Arbeitsbedingungen, darunter auch die Regelung zur Abrufarbeit bzw. Lage und Umfang der Arbeitszeit, schriftlich niedergelegt werden müssen. Wird dies unterlassen, bleibt der Arbeitsvertrag zwar wirksam, doch hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine schriftliche Bestätigung. Fehlen vertragliche Angaben zur Arbeitszeit, greifen die gesetzlichen Vermutungs- und Schutzmechanismen des § 12 TzBfG. Eine fehlende schriftliche Vereinbarung kann für den Arbeitgeber rechtlich nachteilig sein, da dann die Gesetzesvermutung (20 Wochenstunden) gilt.