Begriff und Bedeutung des Abhandenkommens
Abhandenkommen ist ein zivilrechtlicher Begriff, der insbesondere im Sachenrecht von zentraler Bedeutung ist. Er beschreibt den unfreiwilligen Verlust des unmittelbaren Besitzes an einer beweglichen Sache durch den bisherigen Besitzer. Aus rechtlicher Sicht stellt das Abhandenkommen einen essenziellen Tatbestand dar, welcher weitreichende Konsequenzen für den Eigentumserwerb und den gutgläubigen Erwerb beweglicher Sachen entfaltet.
Rechtliche Grundlagen
Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB
Die rechtliche Definition des Abhandenkommens findet sich im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), konkret in § 935 BGB. Danach kann der Erwerber einer beweglichen Sache vom Nichtberechtigten grundsätzlich kein Eigentum erwerben, wenn die Sache dem Eigentümer oder dem Besitzer abhandengekommen ist. Entscheidend ist dabei stets, dass der bisherige Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache ohne seinen Willen verloren hat.
Das Merkmal „ohne seinen Willen“
Das ausschlaggebende Kriterium des Abhandenkommens ist der unfreiwillige Verlust des unmittelbaren Besitzes. Dies bedeutet, dass der Besitz nicht durch bewusste und freiwillige Aufgabe oder durch eine auf einem Rechtsgeschäft beruhende Besitzübertragung aufgegeben wurde, sondern durch äußere Umstände – etwa Diebstahl, Raub, Verlust oder Vergessen.
Nicht als Abhandenkommen gilt:
- Besitzverlust durch freiwillige Übergabe oder Leihe
- Übergabe zur Reparatur oder Aufbewahrung
- Eigentumsverschaffung aus einem Besitzmittlungsverhältnis
- Entziehung durch Zwangsvollstreckung
Bedeutung im Gutglaubensschutz (§§ 932 ff. BGB)
Das Abhandenkommen spielt eine entscheidende Rolle im Zusammenhang mit dem gutgläubigen Erwerb von beweglichen Sachen nach §§ 932 ff. BGB. Nach diesen Vorschriften kann eine Person Eigentum an einer Sache erwerben, selbst wenn der Veräußerer nicht Eigentümer ist, sofern der Erwerbende gutgläubig ist. Eine zentrale Ausnahme hiervon bildet jedoch das Abhandenkommen: Ist die Sache dem Eigentümer abhandengekommen, ist ein gutgläubiger Erwerb grundsätzlich ausgeschlossen.
Beispiel:
Wurde eine Sache gestohlen und später veräußert, kann der Käufer, selbst bei gutem Glauben an die Berechtigung des Veräußerers, kein Eigentum erwerben (§ 935 Abs. 1 BGB).
Ausnahmen bestehen lediglich in engen Fällen, etwa für den Erwerb von Geld, Inhaberpapieren oder Sachen, die im Wege öffentlicher Versteigerung erworben wurden (§ 935 Abs. 2 BGB).
Abgrenzung zu anderen Rechtsbegriffen
Verlust, Diebstahl und Vergessen
Das Abhandenkommen umfasst insbesondere Diebstahl, Raub oder ungewolltes Verlieren einer Sache. Es ist jedoch abzugrenzen vom bloßen „Verlust“ im alltäglichen Sprachgebrauch, da dieser auch freiwillige Sachherrschaftsaufgabe umfassen kann. Weiterhin umfasst der Begriff auch das Vergessen einer Sache, da auch hier der Wille zur weiteren Sachherrschaft fehlt.
Kein Abhandenkommen bei freiwilliger Besitzaufgabe
Erfolgt der Besitzverlust durch freiwillige Übergabe, etwa auf Grund eines Leihvertrags, einer Schenkung, Verwahrung oder beim Zurücklassen am Arbeitsplatz, liegt rechtlich kein Abhandenkommen vor. In diesen Fällen bleibt der Erwerb durch einen späteren Dritten ggf. möglich.
Abhandenkommen im Recht der Fund- und Verlustsachen
Fundrecht (§§ 965 ff. BGB)
Abhanden gekommene Sachen unterliegen als sogenannte „Fundsachen“ den besonderen Vorschriften des BGB (§§ 965 ff. BGB). Der Finder hat die Pflicht zur Anzeige und Ablieferung der Sache, und der ursprüngliche Besitzer kann die Sache herausverlangen. Auch im öffentlichen Recht gibt es spezifische Regelungen, z. B. im Fundrecht der Gemeinden.
Besonderheiten bei Kraftfahrzeugen und Wertpapieren
Für Kraftfahrzeuge und speziell identifizierbare Gegenstände bestehen im Fundrecht weitere Melde- und Aufbewahrungspflichten. Bei Wertpapieren und Geld ist der Ausschluss des Abhandenkommens besonders relevant: Hier kann auch der Erwerber einer abhanden gekommenen Sache in bestimmten Fällen Eigentum erwerben, wenn die gesetzlichen Ausnahmen greifen.
Internationales und außerdeutsches Recht
Auch in anderen Rechtsordnungen, etwa dem Schweizer oder österreichischen Sachenrecht, existieren vergleichbare Regelungen zum Abhandenkommen. Die Begrifflichkeiten können variieren (etwa „Verlust des unmittelbaren Besitzes ohne Willen“), doch die Konsequenzen für den Eigentumserwerb und besonders den Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs ähneln sich.
Zusammenfassung und praktische Relevanz
Das Abhandenkommen ist ein zentraler Rechtsbegriff im deutschen Sachenrecht und insbesondere beim Schutz des Eigentümers vor unfreiwilligem Besitzverlust von hoher Bedeutung. Seine genaue Kenntnis ist essenziell für die rechtliche Beurteilung von Eigentumserwerb im alltäglichen Warenverkehr, bei Fund- und Verlustfällen und im Rahmen des gutgläubigen Erwerbs. Das Abhandenkommen bildet damit ein zentrales Kriterium zur Abwehr unrechtmäßiger Eigentumsübertragungen in einer Vielzahl praktischer Lebenssachverhalte.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Konsequenzen hat das Abhandenkommen einer beweglichen Sache für den bisherigen Besitzer?
Das Abhandenkommen im rechtlichen Sinne meint, dass der bisherige Besitzer den unmittelbaren Besitz an einer Sache ohne seinen Willen verliert. Für den bisherigen Besitzer ist dies insbesondere deshalb von Bedeutung, weil nach § 935 BGB ein Erwerb des Eigentums durch einen Dritten im Wege eines gutgläubigen Erwerbs grundsätzlich ausgeschlossen ist, wenn die Sache abhandengekommen ist. Das bedeutet, dass der ursprüngliche Eigentümer trotz eines Eigentumserwerbs durch einen gutgläubigen Dritten (beispielsweise durch Kauf) sein Eigentum nicht verliert und die Sache herausverlangen kann. Dies schützt den bisherigen Besitzer umfassend vor unfreiwilligem Besitzverlust. Zudem kann der Besitzer unter Umständen Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach § 823 BGB oder ungerechtfertigter Bereicherung nach §§ 812 ff. BGB geltend machen, wenn die Sache von einem Dritten aufgenommen oder genutzt wird. Im Rahmen von Versicherungsfällen und Strafverfahren (z.B. Diebstahl) entfaltet das Abhandenkommen ebenfalls erhebliche Bedeutung, da oft die Geltendmachung von Schadensersatz vom Nachweis des Abhandenkommens abhängt.
Kann auch der unmittelbare Fremdbesitz abhandenkommen, und welche Rolle spielt das im Recht?
Abhandenkommen betrifft nicht nur den Eigenbesitz, sondern kann ausdrücklich auch auf den unmittelbaren Fremdbesitz Anwendung finden. Das bedeutet, dass auch ein Besitzdiener oder Besitzmittler, welcher die Sache nicht als Eigentümer, sondern für einen anderen innehat, von einem Abhandenkommen betroffen sein kann. Zivilrechtlich geschützt wird dabei in erster Linie der „unfreiwillige“ Verlust des Besitzes, unabhängig davon, ob der Besitzer Eigentümer oder nur Fremdbesitzer ist. Wichtig ist, dass der unmittelbare Fremdbesitzer ebenfalls berechtigt ist, Ansprüche auf Herausgabe gemäß § 861 BGB geltend zu machen, wenn er ohne eigenen Willen aus dem Besitz verdrängt wurde.
Welche Rolle spielt das Abhandenkommen bei der Verjährung von Herausgabeansprüchen?
Das Abhandenkommen wirkt sich auf die Verjährung von Herausgabeansprüchen aus, da gemäß § 197 BGB für bestimmte Herausgabeansprüche (zum Beispiel bei Eigentum an beweglichen Sachen) eine lange Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt. Voraussetzung ist jedoch, dass der Anspruch auf Herausgabe wegen Abhandenkommens entstanden ist, das heißt, der bisherige Besitzer die Sache ohne seinen Willen verloren hat. Die längere Verjährungsfrist soll dem Eigentümer ermöglichen, sein Eigentum auch nach mehreren Jahren noch wiederzuerlangen, was im Gegensatz zu üblichen Forderungen eine außergewöhnliche Privilegierung darstellt.
Greift die Vorschrift des Abhandenkommens auch bei freiwilliger Besitzaufgabe infolge Irrtums?
Die Freiwilligkeit der Besitzaufgabe ist entscheidend dafür, ob ein Abhandenkommen vorliegt. Wenn der Besitzer irrtümlich annimmt, er habe keinen Anspruch mehr an einer Sache oder diese gehöre einem anderen, und er die Sache deshalb bewusst herausgibt, liegt kein Abhandenkommen im rechtlichen Sinne vor, da eine willentliche Besitzaufgabe vorliegt. Der Irrtum über Rechte oder Tatsachen hebt die Freiwilligkeit nicht zwingend auf. Nur wenn die Besitzaufgabe durch Täuschung, Drohung oder wegen fehlender Geschäftsfähigkeit erfolgt, kann eventuell ein Abhandenkommen bejaht werden. Das BGB ist in dieser Hinsicht sehr restriktiv, um den guten Glauben im Rechtsverkehr zu schützen.
Welche Beweislast trifft die Parteien bei der Behauptung eines Abhandenkommens?
Im Streitfall trägt grundsätzlich derjenige die Beweislast, der sich auf das Abhandenkommen einer Sache beruft, meist also der ursprüngliche Eigentümer oder Besitzer. Er muss nachweisen, dass die Sache ohne seinen Willen aus seinem Besitz gelangt ist. In der Praxis kann dieser Nachweis schwierig sein, weshalb Indizien wie Diebstahlanzeigen, Zeugenaussagen oder der Nachweis eines Einbruchs entscheidende Bedeutung gewinnen. Gelingt dieser Nachweis nicht, kann der gutgläubige Erwerber Eigentümer werden, sofern die übrigen Voraussetzungen dafür vorliegen.
Welche Unterschiede bestehen zwischen Abhandenkommen und Verlust im umgangssprachlichen Sinne?
Im rechtlichen Sinne unterscheidet sich das Abhandenkommen grundsätzlich vom bloßen Verlust einer Sache. Während im alltäglichen Sprachgebrauch ein „Verlust“ auch das Verlegen oder Vergessen einer Sache umfasst, ist für das Abhandenkommen entscheidend, dass der Verlust des Besitzes ohne den Willen des bisherigen Besitzers geschieht. Wer eine Sache freiwillig weglegt, aufgibt oder herschenkt, hat sie im juristischen Sinne nicht abhandenkommen lassen, sondern seinen Besitz freiwillig aufgegeben. Dies spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn die Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs oder des Herausgabeanspruchs geprüft werden.
Welche Auswirkungen hat das Abhandenkommen auf die Rechte Dritter, z.B. Erwerber oder Finder?
Für Dritte, insbesondere Erwerber, hat das Abhandenkommen erhebliche Auswirkungen. Wie bereits erwähnt, ist ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten nach § 935 BGB ausgeschlossen, wenn die Sache abhandengekommen ist. Dies bedeutet, dass auch gutgläubige Käufer, die nicht erkennen konnten, dass ein Diebstahl oder ähnliches vorliegt, kein Eigentum an der Sache erlangen können. Für Finder besteht hingegen nach § 973 BGB die Möglichkeit, das Eigentum zu erwerben, sofern sich der Eigentümer nicht innerhalb einer Frist meldet. Auch hier ist jedoch das Abhandenkommen Voraussetzung dafür, dass die besonderen gesetzlichen Regelungen Anwendung finden (z.B. Fundanzeige sowie Verwahrungspflichten).