Legal Lexikon

Abgabenüberhebung


Begriff und Bedeutung der Abgabenüberhebung

Die Abgabenüberhebung ist ein zentraler Begriff des Abgabenrechts und bezeichnet die zu Unrecht erfolgte Vereinnahmung oder Einziehung von öffentlichen Abgaben durch eine Behörde. Sie umfasst sämtliche Konstellationen, in denen Steuern, Gebühren oder sonstige öffentliche Abgaben ohne entsprechende materielle oder formelle Rechtsgrundlage erhoben und vereinnahmt wurden. Die Korrektur und Rückabwicklung solcher Vorgänge stellt einen wichtigen Bestandteil des Rechtsschutzsystems im Bereich des Abgabenrechts dar.

Rechtliche Grundlagen

Allgemeine Normen

Die Abgabenüberhebung ist insbesondere in den Abgabenordnungen und Steuergesetzen der einzelnen Rechtsordnungen geregelt. In Deutschland bildet § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) eine zentrale Vorschrift:

„Ein Steueranspruch entsteht nicht, soweit sein Entstehen von einer sachlichen Voraussetzung abhängt, die nicht erfüllt ist. Eine gezahlte Steuer ist zu erstatten, soweit sie nicht geschuldet war.“

Diese Norm wird ergänzt durch weitere spezialgesetzliche Vorschriften, insbesondere für Gebühren, Beiträge und sonstige kommunale Abgaben. Vergleichbare Regelungen existieren ebenfalls im österreichischen und schweizerischen Steuerrecht.

Tatbestandsvoraussetzungen

Eine Abgabenüberhebung liegt vor, wenn:

  • eine Abgabe gezahlt wurde,
  • für diese Zahlung keine materielle oder formelle Rechtsgrundlage im Zeitpunkt der Vereinnahmung existierte,
  • die eingenommene Abgabe dem empfangsberechtigten Hoheitsträger objektiv nicht zugestanden hat.

Dabei ist unerheblich, ob die Fehlbuchung oder Überhebung auf einem Verwaltungsakt, auf einem Gesetz, einer Satzung oder auf sonstigen Maßnahmen beruht. Auch der Grund des Mangels – etwa fehlerhafte Rechtsanwendung, Nichtbestehen der tatbestandlichen Voraussetzungen oder Rückwirkungsprobleme eines Verwaltungsakts – ist für die Einordnung als Abgabenüberhebung unbeachtlich.

Typische Anwendungsfälle

Fehlerhafte Steuerfestsetzung

Am häufigsten tritt eine Abgabenüberhebung im Bereich der Steuerfestsetzung auf. Beispiele sind:

  • Nichtigkeit oder Rücknahme eines Steuerbescheides,
  • fehlerhafte Anwendung von Freibeträgen,
  • unzulässige Doppelbesteuerung.

Verfassungswidrige oder nichtige Abgabensätze

Auch die Zahlung von Abgaben auf der Grundlage normativ fehlerhafter, etwa nichtiger oder rückwirkend aufgehobener Satzungen oder Gesetze (beispielsweise bei Beiträgen oder Gebühren) fällt unter den Begriff der Abgabenüberhebung.

Unberechtigte Zwangsvollstreckung

Wird eine Abgabenschuld im Verwaltungszwangsverfahren oder durch Lohn- bzw. Kontopfändung eingezogen, obwohl keine Rechtsgrundlage bestand oder Einwendungen zu Unrecht nicht berücksichtigt wurden, handelt es sich ebenfalls um eine Abgabenüberhebung.

Rechtsfolgen und Ansprüche

Rückerstattungsanspruch

Die Rechtsfolge der Abgabenüberhebung ist grundsätzlich die Verpflichtung der Behörde zur Rückerstattung des zu Unrecht Vereinnahmten. Dieser sogenannte „öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch“ ist ein eigenständiger Rückforderungsanspruch, dessen Anspruchsgrundlagen sich überwiegend aus Vorschriften der Abgabenordnung ergeben.

Voraussetzungen des Rückerstattungsanspruchs

  • Vorliegen einer tatsächlichen Überzahlung bzw. zu viel gezahlten Abgabe,
  • Fehlen einer materiell-rechtlichen Grundlage,
  • oftmals Antrag auf Rückerstattung durch den Abgabenschuldner.

Ein Rückforderungsanspruch besteht auch bei Verschulden des Steuerpflichtigen, wobei gegebenenfalls Einschränkungen durch Vorschriften zur Verwirkung, § 242 BGB analog, und Ausschlussfristen möglich sind.

Verzinsung und Schadensersatz

Wird die zu Unrecht einbehaltene Abgabe nicht zeitnah zurückgezahlt, kann ein Zinsanspruch gemäß §§ 233a ff. AO (in Deutschland) entstehen. Ein Schadensersatzanspruch wegen etwaiger Folgeschäden infolge einer Abgabenüberhebung ist regelmäßig ausgeschlossen, es sei denn, es liegt ein rechtswidriges schuldhaftes Verhalten der Behörde vor.

Verjährung

Der Anspruch auf Rückerstattung unterliegt den allgemeinen Verjährungsvorschriften (§ 228 AO für Steuern und Abgaben in Deutschland). Die Verjährungsfristen beginnen in der Regel mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Zahlung erfolgte.

Verfahrensrechtliche Besonderheiten

Antragstellung und Mitwirkungspflichten

Für die Rückabwicklung einer Abgabenüberhebung ist meist ein Antrag erforderlich. Die Behörde prüft die Feststellungsvoraussetzungen und die Berechtigung des Erstattungsanspruchs von Amts wegen, wobei der Betroffene zur Mitwirkung verpflichtet ist, etwa durch Vorlage von Belegen oder Nachweisen.

Rechtsbehelfsverfahren

Wird die Rückzahlung abgelehnt, steht dem Anspruchsteller der verwaltungsrechtliche oder finanzgerichtliche Rechtsweg offen. Hierbei greifen die allgemeinen Vorschriften über Einspruchsverfahren, Widerspruch oder Klage.

Ausschlussgründe

Der Anspruch auf Rückerstattung kann in besonderen Einzelfällen ausgeschlossen sein, beispielsweise bei bewusster Doppelzahlung mit dem Vorsatz, rechtlich unberechtigte Ansprüche durchzusetzen, oder wenn die Rückgabe gegen „Treu und Glauben“ verstößt (§ 242 BGB analog).

Abgrenzung zu anderen Rechtsinstituten

Unterschied zur Rückzahlung bei Änderung der Rechtslage

Die Abgabenüberhebung ist von der Rückzahlung abzugrenzen, die erfolgt, wenn sich die Rechtsgrundlage nachträglich ändert, beispielsweise durch Gesetzesänderung, Normenkontrollentscheidung oder Aufhebung einer Rechtsvorschrift. Liegt von vornherein keine Grundlage für die Erhebung vor, handelt es sich um eine Abgabenüberhebung; ändert sich die Grundlage hingegen erst später, entsteht der Rückzahlungsanspruch auf anderer Basis.

Abgrenzung zu freiwilligen Mehraufwendungen

Freiwillige Vorauszahlungen, Sicherheitsleistungen oder Abschlagszahlungen ohne verbindlichen Abgabenbescheid fallen grundsätzlich nicht unter den Begriff „Abgabenüberhebung“, es sei denn, sie wurden auf Verlangen oder unter Zwang geleistet.

Literaturhinweise und weiterführende Regelungen

Neben der Abgabenordnung und den einschlägigen Steuergesetzen finden sich ausführliche Erläuterungen zur Abgabenüberhebung in Kommentaren zur Finanzgerichts- und Verwaltungsgerichtsordnung sowie in allgemeinen Werken zum Steuer- und Abgabenrecht.


Übersicht

| Stichwort | Beschreibung |
|———————|———————————————————–|
| Abgabenüberhebung | Zu Unrecht gezahlte oder vereinnahmte öffentliche Abgaben |
| Anspruchsgrundlage | § 37 Abs. 2 AO, weitere Spezialvorschriften |
| Rückerstattung | Öffentl.-rechtlicher Erstattungsanspruch |
| Verjährung | 4 Jahre (§ 228 AO), abweichende Sonderregeln möglich |
| Verfahren | Antragserfordernis, Rechtsschutzmöglichkeiten |


Zusammenfassung:
Die Abgabenüberhebung stellt im Abgabenrecht einen besonders sensiblen Bereich dar, in dem die Korrektur unberechtigter abgabenrechtlicher Eingriffe zentral ist. Die Anspruchsgrundlagen und Verfahrensregeln gewährleisten einen effektiven Rechtsschutz und tragen maßgeblich zur Sicherung des Vertrauens in die Verwaltungspraxis bei. Eine genaue Kenntnis der gesetzlichen Voraussetzungen ist daher für eine erfolgreiche Rückforderung unerlässlich.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Rückforderung einer Abgabenüberhebung erfüllt sein?

Für die Rückforderung einer Abgabenüberhebung müssen folgende rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss zunächst feststehen, dass eine Abgabe, wie etwa eine Steuer oder Gebühr, ohne rechtlichen Grund oder in zu hoher Höhe entrichtet wurde (§ 241 AO). Oft ist dies zum Beispiel der Fall, wenn der Verwaltungsakt, auf dessen Grundlage gezahlt wurde, später aufgehoben oder geändert wird. Die Rückforderung setzt weiterhin voraus, dass der Steuerpflichtige eine entsprechende Erstattung beantragt oder der Rückzahlungsanspruch von Amts wegen festgestellt wird. Juristisch ist zu beachten, dass der Anspruch auf Rückerstattung nach § 37 Abs. 2 AO entsteht, sobald eine Überhebung objektiv vorliegt. Einschränkungen können sich insbesondere durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung ergeben, aber auch durch Vertrauensschutzregelungen, wie etwa durch § 176 AO, falls eine geänderte Rechtsprechung oder Gesetzgebung angewendet werden soll.

Welche Fristen gelten für die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rückzahlung einer Abgabenüberhebung?

Die Ansprüche auf Rückzahlung einer Abgabenüberhebung unterliegen regelmäßigen Fristen, insbesondere der Festsetzungsfrist gemäß § 169 AO. Diese beträgt grundsätzlich vier Jahre und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Überzahlung erfolgte. In Fällen von Steuerhinterziehung erhöht sich die Frist auf zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 AO). Ein Antrag auf Erstattung kann innerhalb dieser Frist gestellt werden. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist eine Erstattung grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, es liegen Gründe für eine Ablaufhemmung oder einen Neubeginn der Festsetzungsfrist vor (z. B. durch Einspruchsverfahren oder schwebende Verfahren gemäß § 171 AO).

Welche Mitwirkungspflichten hat der Antragsteller im Erstattungsverfahren bei Abgabenüberhebung?

Im Rahmen des Erstattungsverfahrens ist der Antragsteller nach den allgemeinen Grundsätzen des Steuerverfahrensrechts zur Mitwirkung verpflichtet. Das bedeutet insbesondere, dass alle relevanten Unterlagen, Nachweise und Tatsachen gegenüber der Finanzbehörde offenzulegen sind (§ 90 AO). Dazu gehören etwa Kontoauszüge, Zahlungsbelege und Kopien des Bescheides, welcher zur Überhebung geführt hat. Kommt der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, kann die Behörde den Antrag ganz oder teilweise ablehnen oder die Tatsachen nach Aktenlage würdigen (§ 162 AO).

Kann der Rückzahlungsanspruch bei Abgabenüberhebung mit anderen Ansprüchen der Finanzbehörde verrechnet werden?

Ja, die Finanzbehörde ist grundsätzlich berechtigt, einen Rückzahlungsanspruch wegen Abgabenüberhebung mit offenstehenden Forderungen gegenüber dem Antragsteller zu verrechnen (§ 226 AO). Das bedeutet, dass eine Erstattung nur in Höhe des überschießenden Betrages ausgezahlt wird, sofern keine vorrangigen Verbindlichkeiten bestehen. Die Verrechnung erfolgt meist automatisch; der Steuerpflichtige wird über die vorrangige Saldierung unverzüglich durch einen entsprechenden Bescheid informiert (§ 218 AO).

Welche Rechtsbehelfe stehen gegen die Ablehnung eines Erstattungsantrags wegen Abgabenüberhebung zur Verfügung?

Wird der Antrag auf Erstattung abgelehnt, kann der Antragsteller innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids Einspruch einlegen (§ 347 AO). Wird auch der Einspruch abgelehnt, besteht die Möglichkeit der Klageerhebung vor dem zuständigen Finanzgericht (§ 40 FGO). Im Gerichtsverfahren wird überprüft, ob die Voraussetzungen der Abgabenüberhebung sowie die Einhaltung der formalen und materiellen Anforderungen für die Rückforderung vorlagen. Im Revisionsfall erfolgt eine weitere Überprüfung durch den Bundesfinanzhof.

Welche Rolle spielt die Festsetzungsverjährung bei der Rückforderung einer Abgabenüberhebung?

Die Festsetzungsverjährung ist ein zentrales rechtliches Hindernis für die Rückforderung von Abgabenüberhebungen. Ist die Verjährungsfrist abgelaufen, erlischt der Rückforderungsanspruch unwiderruflich (§§ 169, 228 AO). Die Verjährungsfrist richtet sich nach der Art der Abgabe sowie dem Anlass der Überhebung und beginnt regelmäßig mit dem Ende des Kalenderjahres der Zahlung. Jegliche nachträgliche Feststellung einer Überhebung kann nur noch innerhalb der laufenden Frist geltend gemacht werden, wobei Ablaufhemmungen oder Verlängerungen möglich sind (z. B. durch Einspruchs- oder Klageverfahren gemäß § 171 AO).

Welche Besonderheiten gelten bei der Rückzahlung von Abgabenüberhebungen im Falle von Unwirksamkeit des ursächlichen Verwaltungsakts?

Wird der Verwaltungsakt, der zur Abgabenüberhebung geführt hat, rückwirkend für nichtig oder unwirksam erklärt (z. B. im Einspruchs- oder Klageverfahren), entsteht ein sog. Erstattungsanspruch kraft Gesetzes (§ 37 Abs. 2 AO). Die Besonderheit besteht darin, dass auch etwaige Zinsen, Säumniszuschläge oder Nebenleistungen zu erstatten sind, soweit sie auf den überhöhten Betrag entrichtet wurden. Die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Rückabwicklung beurteilt sich regelmäßig nach dem Stand der Rechtslage im Zeitpunkt der ursprünglichen Festsetzung und der späteren Aufhebung des Verwaltungsakts.