Legal Lexikon

Abgabenordnung


Allgemeines zur Abgabenordnung

Die Abgabenordnung (AO) bildet das zentrale formale Gesetz des deutschen Steuerrechts. Sie legt die grundlegenden steuerrechtlichen Vorschriften und Rahmenbedingungen fest und regelt damit das Besteuerungsverfahren. Die AO ist das sogenannte „Grundgesetz“ des deutschen Steuerrechts, da sie für alle Steuern gilt, die durch Bundesrecht geregelten werden, soweit keine abweichenden Vorschriften bestehen. Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich auf die Erhebung, Festsetzung, Erhebung und Vollstreckung von Steuern, einschließlich der steuerlichen Nebenleistungen.

Entwicklung und Systematik der Abgabenordnung

Gesetzgeberischer Hintergrund

Die erste umfassende Kodifikation des allgemeinen Steuerrechts erfolgte durch die Abgabenordnung 1977, die zum 1. Januar 1977 in Kraft trat. Sie löste die vorherige Reichsabgabenordnung ab. Seither wurde die AO vielfach novelliert und durch die Rechtsprechung fortentwickelt. Die Regelungen dienen der Vereinheitlichung und Effizienzsteigerung der steuerlichen Verwaltung und Rechtspflege in Deutschland.

Aufbau der Abgabenordnung

Die Abgabenordnung gliedert sich in insgesamt neun Teile:

  1. Einleitende Vorschriften
  2. Steuerschuldrecht
  3. Allgemeine Verfahrensvorschriften
  4. Erhebungsverfahren
  5. Außerverzugsverfahren und Steuererklärungen
  6. Außenprüfung und andere Ermittlungsmaßnahmen
  7. Rechtsbehelfsverfahren
  8. Straf- und Bußgeldvorschriften
  9. Schlussvorschriften

Jeder dieser Teile enthält grundlegende Regelungen zu jeweils zentralen Aspekten des Besteuerungsverfahrens.

Inhaltliche Schwerpunkte der Abgabenordnung

Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich

Die AO findet grundsätzlich für alle Steuern des Bundes, der Länder und Gemeinden Anwendung, soweit sie durch Bundesrecht geregelt sind (§ 1 AO). Hierzu zählen insbesondere Einkommens-, Körperschafts-, Gewerbe- und Umsatzsteuer. Sie regelt jedoch nicht die Ertragshoheit oder die Besteuerungsgrundlagen, sondern deren Verfahren.

Steuerschuldverhältnis

Das Steuerschuldrecht ist in §§ 33 ff. AO geregelt und erfasst u. a. die Entstehung der Steuerschuld, deren Erlöschen (etwa durch Zahlung, Erlass oder Aufrechnung) sowie die Haftungs- und Verantwortlichkeitsfragen. Neben der Hauptschuld regelt die AO auch steuerliche Nebenleistungen, wie Zinsen, Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge.

Haftung

Die AO bestimmt zahlreiche Haftungstatbestände, etwa die Haftung von gesetzlichen Vertretern, Steuerberatern oder Abwicklern (§§ 34, 35, 69 AO). Haftung kann sich sowohl aus eigenem Handeln als auch als „Haftung kraft Gesetzes“ für fremde Steuern ergeben.

Besteuerungsverfahren

Das Verfahrensrecht wird in der AO umfassend geregelt. Dazu zählen insbesondere:

  • Festsetzung von Steuern: Regelungen über Steueranmeldungen, Steuererklärungen, Steuerbescheide sowie das Schätzungsrecht der Finanzbehörden (§§ 149 ff. AO)
  • Erhebung von Steuern: Vorschriften über Fälligkeit, Zahlung, Verjährung und Vollstreckung von Steuerforderungen (§§ 218 ff. AO)
  • Mitwirkungspflichten und Auskunftspflichten: Vorschriften über Anzeigepflichten, Vorlage von Unterlagen, elektronische Datenübermittlung (§§ 90 ff. AO)

Ermittlungs- und Prüfungsbefugnisse

Zur Durchsetzung des Steueranspruchs sehen §§ 193 ff. AO umfassende Ermittlungsbefugnisse der Finanzbehörden vor. Dazu zählt insbesondere das Recht zur Außenprüfung (Betriebsprüfung), zur Steueraufsicht und zur Durchführung von Nachschauen. Die Regelungen stellen unionsrechtliche Vorgaben und Verhältnismäßigkeitsgrenzen sicher.

Rechtsbehelfsverfahren

Der Abschnitt über das Rechtsbehelfsverfahren (§§ 347 ff. AO) regelt das Einspruchsverfahren als grundlegenden außergerichtlichen Rechtsbehelf. Steuerpflichtige erhalten damit die Möglichkeit, steuerliche Bescheide prüfen und ggf. revidieren zu lassen, bevor der Steuerrechtsweg eröffnet wird.

Steuergeheimnis und Datenschutz

Das Steuergeheimnis (§ 30 AO) zählt zu den Kernelementen der Abgabenordnung. Es verpflichtet die Finanzbehörden zur Verschwiegenheit hinsichtlich der steuerlichen Verhältnisse des Einzelnen. Zugleich enthält die AO zahlreiche Datenschutzvorgaben und Ausnahmen, etwa bei der Zusammenarbeit von Behörden.

Steuerstrafrecht und Bußgeldvorschriften

In §§ 369 ff. AO sind grundlegende Vorgaben zu Steuerstrafsachen, insbesondere zur Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und zur leichtfertigen Steuerverkürzung, geregelt. Darüber hinaus nennt die AO Ordnungswidrigkeiten und regelt das Verfahren bei Verfolgung und Ahndung.

Bedeutung und Funktion der Abgabenordnung

Die Abgabenordnung stellt das Ordnungs- und Verfahrensrecht des deutschen Steuerrechts dar. Ihre Funktion liegt in der Sicherstellung eines einheitlichen, transparenten und rechtsstaatlich geordneten Besteuerungsverfahrens. Sie gilt als Bindeglied zwischen den speziellen Steuergesetzen (EStG, KStG, UStG etc.) und den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen. Die AO ist maßgeblich für die Rechtsbeziehungen sowohl zwischen den Steuerpflichtigen und dem Finanzamt als auch zwischen verschiedenen Behörden im Rahmen des Steuervollzugs.

Verhältnis zu anderen Gesetzen und europäischem Recht

Die Abgabenordnung steht im Kontext weiterer steuerrechtlicher und verfahrensrechtlicher Vorschriften, etwa des Finanzgerichtsordnung (FGO) und des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) hinsichtlich bürgerlich-rechtlicher Grundlagen. Zudem unterliegt sie den Vorgaben des Europarechts, insbesondere hinsichtlich der Richtlinien zur Mehrwertbesteuerung und Datenschutz.

Literaturverzeichnis und weiterführende Informationen

Für die Vertiefung des Themas bieten sich insbesondere folgende Werke und Quellen an:

  • Tipke/Lang: Steuerrecht
  • Klein: Abgabenordnung Kommentar
  • Bundesfinanzministerium (BMF): Amtliche Konsolidierung der AO
  • Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)

Die Abgabenordnung bietet einen strukturierten Rahmen für das steuerliche Verwaltungshandeln in der Bundesrepublik Deutschland und sichert die Rechtmäßigkeit und Nachprüfbarkeit sämtlicher steuerlichen Maßnahmen und Verfahren.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung kommt der Festsetzungsverjährung in der Abgabenordnung zu?

Die Festsetzungsverjährung ist ein zentrales Element der Abgabenordnung (AO) und regelt den Zeitraum, innerhalb dessen die Finanzbehörden Steuerbescheide erlassen oder ändern dürfen. Nach Ablauf der Festsetzungsfrist ist die Festsetzung oder Änderung von Steuerbescheiden grundsätzlich ausgeschlossen, was dem Rechtsfrieden, dem Vertrauensschutz der Steuerpflichtigen sowie der Rechtssicherheit dient. Die Festsetzungsfrist beträgt grundsätzlich vier Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO) und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Darüber hinaus gibt es Sonderregelungen, zum Beispiel eine zehnjährige Festsetzungsverjährung bei Steuerhinterziehung (§ 169 Abs. 2 S. 2 AO) oder eine fünfjährige Frist bei leichtfertiger Steuerverkürzung. Die Frist kann durch verschiedene Tatbestände – wie die Bekanntgabe eines Steuerbescheids (§ 171 AO) oder durch Außenprüfungen – verlängert oder gehemmt werden. Nach Ablauf der Verjährungsfrist darf von Seiten der Finanzverwaltung keine Steuer mehr festgesetzt oder nacherhoben werden, auch wenn die Steuerpflicht eigentlich bestanden hätte. Dieser Umstand ist in allen Verfahrensschritten des Besteuerungsverfahrens zu beachten, da auch für Steuerpflichtige entsprechende Nachzahlungs- oder Erstattungsansprüche ausgeschlossen sind, sofern sie verjährt sind.

Wie erfolgt die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach der Abgabenordnung und warum ist dies rechtlich wichtig?

Die Bekanntgabe von Verwaltungsakten, wie Steuerbescheiden, ist in §§ 122 ff. AO geregelt und stellt eine entscheidende Verfahrenshandlung dar, von der insbesondere Fristen für Rechtsbehelfe (Einspruch, Klage) und die Rechtswirksamkeit des Bescheids abhängen. Die AO schreibt vor, dass Verwaltungsakte dem Steuerpflichtigen gegenüber wirksam werden, sobald sie ihm bekannt gegeben wurden. Die Bekanntgabe erfolgt grundsätzlich durch Übermittlung per Post im Inland (§ 122 Abs. 2 AO), aber auch durch elektronische Kommunikation, öffentliche Zustellung oder durch Übergabe. Entscheidend ist stets der Nachweis des Zugangs beim Empfänger. Besonders bedeutsam ist der sogenannte Zugangsbeweis: Die Behörde trägt grundsätzlich die Beweislast dafür, dass der Bescheid dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugegangen ist. Im Falle der Zustellung per einfachen Brief gilt als Zugang der zweite Tag nach der Aufgabe zur Post als maßgeblich („Zugangsfiktion“), sofern der Steuerpflichtige nicht nachweisen kann, dass ihm das Schreiben später zugegangen ist. Fehlerhafte oder unterbliebene Bekanntgaben können zur Unwirksamkeit des Verwaltungsakts führen, was wiederum eingehende rechtliche Konsequenzen, insbesondere für die Festsetzungs- und Zahlungsfristen, nach sich zieht.

Welche Bedeutung hat der Grundsatz von Treu und Glauben in der Abgabenordnung?

Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB, entsprechend auch in der AO anwendbar über § 191 AO und das allgemeine Verwaltungsrecht) besagt, dass sowohl Steuerpflichtige als auch die Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren nach Maßgabe von Fairness und Vertrauensschutz agieren müssen. Dies bedeutet, dass die Behörden beispielsweise nicht widersprüchlich handeln dürfen, das sogenannte „venire contra factum proprium“ verboten ist. Wenn etwa ein Finanzamt einen Steuerpflichtigen auf eine bestimmte Weise über steuerliche Pflichten oder Fristen informiert hat, kann es sich in der Regel später nicht auf das Gegenteil berufen, solange der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Auskunft gehandelt hat. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist insbesondere bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, bei der Fristwahrung sowie bei der Anwendung von Billigkeitsmaßnahmen relevant. Er schützt den Steuerpflichtigen vor unbilligem Behördenhandeln, setzt aber voraus, dass der Steuerpflichtige selbst redlich handelt und keine unlauteren Vorteile erzielen möchte.

Wie ist der Ablauf des Einspruchsverfahrens nach der Abgabenordnung geregelt?

Das Einspruchsverfahren ist das wichtigste außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren im Steuerrecht und wird in §§ 347 ff. AO geregelt. Nach Bekanntgabe eines belastenden Verwaltungsakts, etwa eines Steuerbescheids, kann der Steuerpflichtige innerhalb eines Monats Einspruch einlegen. Der Einspruch muss schriftlich oder zur Niederschrift bei der zuständigen Behörde eingelegt werden, eine Begründung ist zunächst nicht erforderlich, wird jedoch empfohlen, um die Ausgangsbehörde in die Lage zu versetzen, den Sachverhalt umfassend zu prüfen. Nach Eingang des Einspruchs prüft das Finanzamt die Angelegenheit erneut in vollem Umfang (sogenannte „Überprüfung in vollem Umfang“ oder „reformatio in peius“). Dies bedeutet, dass der Sachverhalt auch zu Ungunsten des Steuerpflichtigen geprüft werden kann. Die Finanzbehörde kann dem Einspruch ganz oder teilweise abhelfen oder ihn durch eine Einspruchsentscheidung zurückweisen. Gegen die Einspruchsentscheidung ist als nächste Instanz die Klage zum Finanzgericht zulässig. Während des Einspruchsverfahrens kann auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung (AdV, § 361 AO) gewährt werden, sofern ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen oder unbillige Härte vorliegt.

Welche rechtlichen Anforderungen bestehen an die steuerliche Mitwirkungspflicht gemäß Abgabenordnung?

Die steuerliche Mitwirkungspflicht ist ein zentrales Element des deutschen Steuerverfahrensrechts und ist in den §§ 90 ff. AO geregelt. Demnach sind Steuerpflichtige verpflichtet, die zur Feststellung der steuerlichen Verhältnisse notwendigen Angaben vollständig und wahrheitsgemäß zu machen und die erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Dies umfasst insbesondere das Ausfüllen von Steuererklärungen, die Vorlage von Belegen sowie bei Bedarf die Beantwortung von Rückfragen der Finanzbehörde. Die Mitwirkungspflichten sind dabei abgestuft: Während für inländische Sachverhalte eine umfangreiche Auskunftspflicht gilt, ist bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO) der Steuerpflichtige zur weitergehenden Mitwirkung verpflichtet, insbesondere bei Geschäftsbeziehungen mit ausländischen Gesellschaften oder Banken. Bei Verletzung dieser Pflichten drohen Verspätungszuschläge (§ 152 AO), Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) sowie gegebenenfalls finanzstrafrechtliche Konsequenzen (z.B. Steuerhinterziehung nach § 370 AO). Die Mitwirkungspflichten sind insbesondere bei komplexen oder grenzüberschreitenden Sachverhalten von erheblicher Bedeutung.

Wie wird ein Steuerbescheid bestandskräftig und welche Konsequenzen hat die Bestandskraft nach der Abgabenordnung?

Ein Steuerbescheid wird grundsätzlich bestandskräftig, wenn er nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen (Einspruch, Klage) angefochten werden kann. Die betreffenden Fristen ergeben sich regelmäßig aus § 355 AO und betragen in der Regel einen Monat ab Bekanntgabe. Die Bestandskraft bewirkt, dass der Steuerbescheid verbindlich und endgültig ist, sodass weder die Behörde noch der Steuerpflichtige den Bescheid ändern oder aufheben kann, es sei denn, es greifen Ausnahmen wie beispielsweise die Korrekturvorschriften der §§ 129, 172 ff. AO (zum Beispiel bei offenbaren Unrichtigkeiten, neuen Tatsachen, rückwirkenden Ereignissen oder auf Antrag in bestimmten Fällen). Die formelle Bestandskraft schützt das Rechtsverhältnis zwischen Finanzamt und Steuerpflichtigem und schafft Rechtssicherheit sowie einen verlässlichen Abschluss des Verfahrens. Mit Eintritt der Bestandskraft entfällt in der Regel die Möglichkeit der nachträglichen Geltendmachung von Einwendungen, was sowohl Pflichten als auch Rechte des Steuerpflichtigen und der Finanzbehörden endgültig fixiert.