Legal Lexikon

Abdingbar


Begriff und Bedeutung von „Abdingbar“

Der Begriff Abdingbar ist ein zentraler Terminus im deutschen Recht und bezeichnet die Veränderbarkeit oder Dispositivität gesetzlicher Regelungen durch privatautonome Vereinbarungen. Eine abdingbare Vorschrift ist demnach eine Regelung, von der durch eine vertragliche Abmachung zwischen den Parteien abgewichen werden kann. Das Gegenstück hierzu ist die sogenannte „zwingende Vorschrift“, von der nicht abgewichen werden darf.

Abdingbarkeit ist sowohl im Zivilrecht als auch im Arbeitsrecht und in weiteren Rechtsgebieten von Bedeutung. Sie dient grundsätzlich der Gewährleistung der Privatautonomie und Flexibilität im Rechtsverkehr, indem sie den Vertragspartnern ermöglicht, auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Regelungen zu treffen.


Abdingbarkeit im deutschen Recht

Funktionsweise und Bedeutung

Im deutschen Rechtssystem steht die Abdingbarkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Leitbild der Privatautonomie (§ 305 BGB). Wo das Gesetz keine zwingenden Vorgaben macht, haben die Vertragsparteien die Befugnis, den gesetzlichen Rahmen eigenständig anzupassen oder zu verdrängen. Die dispositive Norm tritt dann lediglich ein, falls die Parteien keine eigene Regelung getroffen haben.

Abgrenzung: Zwingendes und dispositives Recht

  • Zwingendes Recht: Vorschriften, von denen die Parteien nicht durch Vereinbarung abweichen dürfen. Sie dienen häufig dem Schutz eines Vertragspartners oder dem Schutz öffentlicher Interessen.
  • Dispositives Recht (abdingbares Recht): Diese Vorschriften gelten nur subsidiär, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbaren.

Die Erkennbarkeit der Abdingbarkeit ergibt sich meist aus dem Zweck der Vorschrift sowie aus ihrer systematischen Stellung im Gesetz. Häufig sind dispositive Regelungen mit Formulierungen wie „soweit nicht anders vereinbart“, „es sei denn“ oder „davon abgesehen“ gekennzeichnet.


Anwendungsbereiche abdingbarer Vorschriften

Zivilrechtliche Vorschriften

Viele Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sind grundsätzlich abdingbar, sofern nicht besondere Schutzvorschriften (z.B. für Verbraucher, Minderjährige) entgegenstehen. Beispielhaft sind etwa Vorschriften zum Kaufvertrag (§§ 433 ff. BGB), Mietrecht (§§ 535 ff. BGB) und Werkvertrag (§§ 631 ff. BGB).

Beispiel:
Nach § 535 Abs. 1 BGB gilt grundsätzlich, dass der Vermieter dem Mieter die Mietsache überlassen und in vertragsgemäßem Zustand erhalten muss. Die Vertragsparteien können im Rahmen des § 535 BGB jedoch individuelle Vereinbarungen über Einzelheiten der Gebrauchsüberlassung treffen, sofern Schutzvorgaben nicht entgegenstehen.

Arbeitsrecht

Auch im Arbeitsrecht existieren sowohl zwingende als auch abdingbare Regelungen. Abdingbarkeit ist hier jedoch häufig aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes eingeschränkt. Viele Normen sind daher halbzwingend, das heißt, sie können nur zugunsten des Arbeitnehmers abbedungen werden.

Handelsrecht

Im Handelsrecht findet sich vergleichsweise häufig abdingbares Recht, beispielsweise im HGB. Ein charakteristisches Beispiel ist die Möglichkeit, von den Vorschriften über den Handelskauf (§§ 373 ff. HGB) abzuweichen, solange nicht Rechte Dritter oder zwingende Vorschriften betroffen sind.


Einschränkungen der Abdingbarkeit

Gesetzliche Grenzen

Nicht alle gesetzlichen Regelungen sind abdingbar. Besonders Schutzvorschriften, etwa im Verbraucherschutz, Familienrecht und Mietrecht, stehen unter dem Vorbehalt der Zwingendheit. Vereinbarungen, die gegen zwingendes Recht verstoßen, sind nach § 134 BGB nichtig.

Sittenwidrigkeit und Umgehungsverbot

Darüber hinaus findet die Abdingbarkeit ihre Grenze in den allgemeinen Vorschriften, insbesondere § 138 BGB (Sittenwidrigkeit) und § 242 BGB (Treu und Glauben). Ein Abweichen von gesetzlichen Vorschriften ist nicht möglich, wenn dies gegen diese allgemeinen Wertungsmaßstäbe verstößt. Ferner verbietet es das Gesetz, zwingende Vorschriften durch AGB oder Umgehungsgeschäfte auszuhebeln.


Abdingbarkeit und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)

Die Möglichkeit, gesetzliche Vorschriften mittels Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) abzuändern, ist ein wesentliches Element des Vertragsrechts. Dabei unterliegen solche Klauseln jedoch einer strengen Kontrolle gemäß den §§ 305 ff. BGB. Unangemessene Benachteiligungen oder Verstöße gegen zwingendes Recht führen zur Unwirksamkeit der betreffenden Vertragsklausel.


Unterschiedliche Grade der Abdingbarkeit

Vollständig abdingbares Recht

Eine Vorschrift ist vollständig abdingbar, wenn sie ohne Einschränkungen durch privatautonome Regelungen ersetzt werden kann.

Halbzwingendes Recht

Von halb- oder teilzwingenden Vorschriften kann nur zu Gunsten einer Vertragspartei, häufig des wirtschaftlich Schwächeren, abgewichen werden.

Unabdingbares Recht

Unabdingbare Vorschriften sind immer zwingend und lassen keinerlei privatautonomes Verhandlungsmoment zu. Typisch sind hier insbesondere Regelungen, die dem Persönlichkeitsschutz oder elementaren sozialen Schutz dienen.


Rechtsfolgen einer unzulässigen Abbedingung

Bei Verstoß gegen die Zwingendheit einer Vorschrift ist die getroffene Vereinbarung grundsätzlich unwirksam. Für die Parteien gelten dann die gesetzlichen Regelungen, oder – falls dies notwendig ist – stellt das Gesetz ergänzende Regelungen zur Verfügung, um eine Rechtslücke zu schließen.


Zusammenfassung

Der Begriff Abdingbar beschreibt im deutschen Recht die Eigenschaft von gesetzlichen Regelungen, durch vertragliche Vereinbarung abgeändert oder ganz ausgeschlossen werden zu können. Die Abdingbarkeit von Vorschriften ist Ausdruck der Privatautonomie, unterliegt aber gesetzlichen und sittlichen Schranken. Sie stellt damit ein zentrales Instrument zur Flexibilisierung des Vertragsrechts dar, findet jedoch ihre Grenze vor allem bei schützenswerten Interessen und zwingenden gesetzlichen Vorgaben.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist eine gesetzliche Regelung abdingbar?

Eine gesetzliche Regelung ist dann abdingbar, wenn die Parteien eines Rechtsgeschäfts – wie etwa eines Vertrags – durch eine abweichende Vereinbarung von der gesetzlichen Vorschrift abweichen dürfen. Dies ist vor allem im Zivilrecht ein zentraler Grundsatz. Abdingbare Vorschriften werden häufig auch als „dispositive Vorschriften“ bezeichnet. Sie gelten nur, wenn die Parteien keine eigene, entgegenstehende Regelung getroffen haben. So etwa im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), wo zahlreiche Vorschriften im Schuldrecht (z. B. zu Leistungszeitpunkt oder Erfüllungsort) abdingbar ausgestaltet sind. Die Abdingbarkeit setzt voraus, dass dem Gesetz weder ausdrücklich noch dem Sinn und Zweck nach eine zwingende Wirkung (sog. zwingendes Recht) zu entnehmen ist. Teilweise wird die Abdingbarkeit auch durch die Rechtsnatur des jeweiligen Schutzbereichs begrenzt, wie etwa bei bestimmten Verbraucherschutzvorschriften oder im Mietrecht.

Wie kann festgestellt werden, ob eine Vorschrift abdingbar ist?

Ob eine Vorschrift abdingbar ist, lässt sich in erster Linie durch Auslegung des Gesetzes ermitteln. Dabei wird zunächst geprüft, ob das Gesetz ausdrücklich regelt, dass von einer Vorschrift nicht abgewichen werden darf („zwingendes Recht“) oder dass eine Abweichung zulässig ist („soweit nicht anders vereinbart“ o. ä.). Fehlt eine ausdrückliche Regelung, ist auf Sinn und Zweck der Norm sowie deren systematischen Zusammenhang abzustellen. Vorschriften, die dem Schutz schwächerer Parteien dienen oder die öffentliche Ordnung betreffen, sind in der Regel zwingend. Im Zweifel sind Vorschriften dispositiv, sofern nicht gewichtige Interessen oder eindeutige gesetzliche Anhaltspunkte dagegen sprechen. In der juristischen Praxis wird bei Unsicherheiten häufig auch auf Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen, um die Abdingbarkeit einer Norm zu beurteilen.

Welche gerichtlichen Folgen hat ein Verstoß gegen eine nicht abdingbare Vorschrift?

Verstößt eine vertragliche Vereinbarung gegen eine nicht abdingbare (zwingende) gesetzliche Vorschrift, so ist diese Vereinbarung nach § 134 oder § 306 BGB nichtig bzw. unwirksam, soweit sie von der zwingenden gesetzlichen Regelung abweicht. Die restlichen Teile des Vertrags bleiben – sofern der Vertrag auch ohne diese Regelung Bestand haben kann und dies dem hypothetischen Parteiwillen entspricht – wirksam. In einigen Fällen tritt an die Stelle der unwirksamen Vereinbarung die zwingende gesetzliche Regelung (Ergänzende Vertragsauslegung). Gerichte prüfen dies regelmäßig von Amts wegen – eine Berufung auf Unkenntnis bezüglich der zwingenden Natur einer Norm schützt die Parteien nicht vor den Rechtsfolgen. Möglicherweise getroffene abweichende Regelungen entfalten also keine Wirkung.

In welchen Rechtsgebieten kommt die Abdingbarkeit besonders häufig vor?

Die Abdingbarkeit von Vorschriften ist insbesondere im Bürgerlichen Recht häufig, und zwar vor allem im Schuldrecht, Sachenrecht und im Handelsrecht. Im Schuldrecht sind zahlreiche Regelungen zur Leistungszeit, zu Verzugszinsen, zum Erfüllungsort oder zur Verteilung von Gefahr und Haftung dispositiv. Im Sachenrecht gibt es abdingbare Vorschriften etwa zum Eigentumserwerb oder zur Ausgestaltung von Sicherungsrechten. Im Handelsrecht sind viele Normen zugunsten einer größeren Flexibilität im Geschäftsverkehr abdingbar. Im Arbeitsrecht oder Mietrecht sowie im Verbraucherschutzrecht ist die Abdingbarkeit hingegen häufig eingeschränkt, um die strukturell schwächere Partei zu schützen.

Welche Rolle spielt Abdingbarkeit in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)?

In Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) können dispositive gesetzliche Regelungen grundsätzlich durch entsprechende Klauseln ersetzt werden. Allerdings ist dies durch die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB, insbesondere durch das AGB-rechtliche Transparenzgebot und die sog. Inhaltskontrolle, begrenzt: Auch abdingbare Regelungen dürfen in AGB nur dann geändert werden, wenn die Klausel nicht überraschend, intransparent oder unangemessen benachteiligend ist (§ 307 Abs. 1 und 2 BGB). Demnach können in individuellen Vertragsverhandlungen häufig weitere Gestaltungsmöglichkeiten genutzt werden als im Rahmen vorformulierter Vertragsbedingungen. AGB-rechtliche Einschränkungen führen dazu, dass manche Klauseln trotz ansonsten bestehender Abdingbarkeit als unwirksam anzusehen sind.

Kann durch einseitige Erklärung von einer abdingbaren Vorschrift abgewichen werden?

Einseitige Abweichungen von abdingbaren Vorschriften sind rechtlich grundsätzlich nicht möglich – maßgeblich ist der übereinstimmende Wille der Parteien (Vertrag). Einseitige Willenserklärungen, die abdingbare Vorschriften abändern, sind daher in der Regel unwirksam und führen nicht zu einer Vertragsänderung. Abdingbarkeit setzt immer eine Vereinbarung zwischen den Parteien voraus, es sei denn, das Gesetz gestattet ausdrücklich einseitige Regelungen (etwa durch Gestaltungsrechte wie Kündigung, Rücktritt o. Ä.).

Gibt es Grenzen der Abdingbarkeit trotz dispositiver Normen?

Selbst wenn eine Norm dispositiv ist, können ihr durch höherrangiges Recht (etwa das Grundgesetz, europäisches Recht oder zwingende öffentlich-rechtliche Vorschriften) Grenzen gesetzt sein. Außerdem dürfen abweichende Vereinbarungen nicht gegen die guten Sitten (§ 138 BGB), das Verbot der Diskriminierung, das Transparenzgebot oder andere allgemeine Rechtsgrundsätze verstoßen. Auch im Rahmen der Vertragsfreiheit kann die Privatautonomie durch zwingendes Recht in bestimmten Sozialbereichen (Arbeitsschutz, Mieterschutz, Verbraucherschutz) begrenzt werden. Eine „vollständige“ Abdingbarkeit existiert daher faktisch nicht, sondern ist stets durch den gesamten rechtlichen Rahmen bedingt.