OLG Frankfurt: Grenzen bei der Herstellung und dem Vertrieb nicht zugelassener Krebsmedikamente durch Apotheker
Sachverhalt und Hintergrund des Verfahrens
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hatte in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 11.04.2025, Az. 6 U 225/23 – Quelle: urteile.news) über die Reichweite der apothekenrechtlichen Befugnisse bei der individuellen Herstellung und dem Vertrieb von Arzneimitteln zu entscheiden. Im Zentrum des Falls stand ein Apotheker, der ohne arzneimittelrechtliche Zulassung ein Präparat zur Behandlung einer schweren Krebserkrankung (glioblastoma multiforme) hergestellt und vertrieben hatte. Das Mittel basierte auf einer Substanz, die in Deutschland weder zugelassenen Medikamenten enthalten noch für die Behandlung der Krankheit gem. § 21 Abs. 1 AMG genehmigt war.
Die Frage, inwieweit Apotheken die Versorgung schwer erkrankter Patientinnen und Patienten mit individuell hergestellten Arzneimitteln sicherstellen dürfen, ist nicht nur ethisch und medizinisch relevant, sondern betrifft auch zentrale Aspekte des Arzneimittel- und Wettbewerbsrechts.
Arzneimittelrechtliche Rahmenbedingungen
Zulassungspflicht nach § 21 AMG
Gemäß § 21 Absatz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) dürfen Arzneimittel grundsätzlich nur in den Verkehr gebracht werden, wenn hierfür eine behördliche Zulassung vorliegt. Diese Vorschrift dient insbesondere dem Gesundheitsschutz und der Kontrolle von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln. Hiervon gibt es Ausnahmen, insbesondere für Arzneimittel, die in Apotheken zur individuellen Anwendung auf besonderen ärztlichen Rezepten hergestellt werden (sogenannte Rezepturarzneimittel), vgl. § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG.
Grenzen der Ausnahmevorschriften
Das OLG Frankfurt stellte in seiner Entscheidung jedoch klar, dass die genannten Ausnahmen eng auszulegen sind. Voraussetzung ist, dass das hergestellte Präparat tatsächlich auf eine spezifische ärztliche Verschreibung für eine bestimmte Person bezogen ist und keine Umgehung der Zulassungspflicht beabsichtigt wird. Die Richterinnen und Richter betonten, dass insbesondere dann, wenn ein Mittel in größerem Umfang und ohne ausreichende ärztliche Individualisierung hergestellt und vertrieben wird, keine Privilegierung als Rezepturarzneimittel mehr gegeben sei.
Ferner schließt § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG die Herstellung und den Vertrieb von Fertigarzneimitteln, die nicht für konkrete Patientinnen und Patienten bestimmt sind, ausdrücklich von der Ausnahme aus. Diese Schutzmechanismen sollen verhindern, dass potenziell unsichere oder unwirksame Arzneimittel ohne die erforderliche Kontrollinstanz auf den Markt gelangen.
Wettbewerbsrechtliche Implikationen
Unlauterer Wettbewerb durch Verstoß gegen zwingende Marktregeln
Über die arzneimittelrechtliche Komponente hinaus beleuchtet das Urteil auch die Bedeutung des wettbewerbsrechtlichen Rahmens (§ 3a UWG). Wird ein nicht zugelassenes Arzneimittel im geschäftlichen Verkehr angeboten oder vertrieben, liegt darin ein Verstoß gegen strafbewehrte Marktverhaltensregeln – mit der Folge, dass Mitbewerberinnen und Mitbewerber Unterlassungsansprüche geltend machen können.
Das OLG stellte fest, dass der Apotheker nicht nur gegen arzneimittelrechtliche Bestimmungen, sondern auch gegen das lauterkeitsrechtliche Verbot unlauteren Wettbewerbs verstoße. Eine derartige Praxis benachteiligt nach Auffassung des Gerichts andere Marktteilnehmer, die sich an die strengen gesetzlichen Vorgaben halten.
Abwägung der Patienteninteressen und des Gesundheitsschutzes
Versorgung schwer erkrankter Patientinnen und Patienten
Das Gericht zeigt Verständnis für das nachvollziehbare Versorgungsinteresse im Hinblick auf schwer erkrankte Menschen, die auf innovative oder experimentelle Therapien angewiesen sind. Jedoch stehe der Gesundheitsschutz der Bevölkerung im Vordergrund. Zulassungsverfahren sollen sicherstellen, dass alle Arzneimittel höchsten Standards hinsichtlich Sicherheit und Wirksamkeit genügen – auch und gerade bei neuartigen Therapieansätzen.
Keine Individualversorgung ohne konkrete ärztliche Verordnung
Die Herstellung von Arzneimitteln durch Apotheken für die Anwendung an Einzelpersonen bleibt weiterhin möglich, setzt aber eine konkrete ärztliche Verordnung voraus. Eine Umgehung dieser Voraussetzung, indem Produkte auf Vorrat oder für einen nicht näher bestimmten Personenkreis gefertigt werden, lehnt das OLG ab.
Bedeutung der Entscheidung und Ausblick
Das Urteil des OLG Frankfurt verdeutlicht, dass an die arzneimittelrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Vorgaben bei der Herstellung und dem Vertrieb von nicht zugelassenen Arzneimitteln hohe Anforderungen gestellt werden. Es bleibt den Apotheken – auch im Interesse des Patientenschutzes – verwehrt, die engen Grenzen der individuellen Rezeptur zu überschreiten. Die Entscheidung ist damit geeignet, Klarheit zu schaffen und Unsicherheiten im Umgang mit innovativen Therapieoptionen zu reduzieren.
Gleichzeitig dürfte das Urteil Auswirkungen auf die (rechtliche) Praxis anderer Marktteilnehmer und die Ausgestaltung von Versorgungskonzepten haben. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere im Bereich der Orphan Drugs sowie der experimentellen Medizin weiterhin eine sorgfältige, an den gesetzlichen Regelungen orientierte Einzelfallprüfung erfolgen muss. Offen bleibt, wie zukünftige Gerichte mit vergleichbaren Konstellationen umgehen und inwieweit der Gesetzgeber auf neue Entwicklungen im Arzneimittelwesen reagieren wird.
Hinweis auf laufende Entwicklungen
Bitte beachten Sie, dass trotz der Klarheit des OLG-Urteils rund um die Herstellung und den Vertrieb nicht zugelassener Arzneimittel gegebenenfalls weitere gerichtliche Klärungen oder gesetzliche Anpassungen nicht ausgeschlossen werden können.
Sollten Sie vertiefende Fragen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen rund um den Vertrieb, die Herstellung und die Zulassung von Arzneimitteln oder zu einer möglichen wettbewerbsrechtlichen Bewertung haben, steht Ihnen das Team der MTR Legal Rechtsanwälte gerne beratend zur Verfügung.