Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Strafrecht»Wahndelikt

Wahndelikt

Begriff und Grundgedanke des Wahndelikts

Ein Wahndelikt liegt vor, wenn eine Person eine Handlung für strafbar hält, die in Wirklichkeit nicht strafbar ist. Die Person geht also davon aus, ein Verbot zu übertreten, obwohl die Rechtsordnung ein solches Verbot nicht kennt oder auf den konkreten Fall nicht anwendet. Da kein gesetzlich umschriebenes Unrecht verwirklicht wird, fehlt es bereits an der Grundlage für eine Strafbarkeit. Auch ein Versuch kommt beim reinen Wahndelikt nicht in Betracht, weil sich der Vorsatz auf ein rechtlich nicht existierendes Delikt richtet.

Abgrenzung zu verwandten Irrtums- und Versuchskonstellationen

Wahndelikt vs. Verbotsirrtum

Beim Verbotsirrtum ist die Handlung tatsächlich verboten, die handelnde Person weiß dies aber nicht oder hält ihr Verhalten irrtümlich für erlaubt. Beim Wahndelikt ist es umgekehrt: Die Person nimmt ein Verbot an, das es in dieser Form gar nicht gibt. Während der Verbotsirrtum grundsätzlich die Strafbarkeit der tatsächlich begangenen Tat unberührt lässt und nur die persönliche Vorwerfbarkeit betreffen kann, scheidet beim Wahndelikt bereits eine Tat im rechtlichen Sinne aus.

Wahndelikt vs. Tatbestandsirrtum

Der Tatbestandsirrtum betrifft Tatsachen: Die Person irrt über Umstände, die ein gesetzlicher Straftatbestand voraussetzt (etwa über die Fremdheit einer Sache). Dieser Irrtum kann den Vorsatz entfallen lassen. Das Wahndelikt beruht demgegenüber auf einer rein rechtlichen Fehlvorstellung, nämlich dem Glauben, es gebe ein einschlägiges Verbot, obwohl dies nicht der Fall ist.

Wahndelikt vs. Erlaubnistatbestandsirrtum

Beim Erlaubnistatbestandsirrtum geht die handelnde Person irrtümlich davon aus, rechtfertigende Umstände lägen vor (etwa eine Notwehrlage), weshalb die Handlung erlaubt sei. Tatsächlich existieren diese Umstände nicht. Der Irrtum betrifft also die Grenzen einer Rechtfertigung. Das Wahndelikt ist demgegenüber die Irrmeinung, eine Handlung sei verboten, obwohl sie erlaubt ist.

Wahndelikt vs. untauglicher Versuch

Ein untauglicher Versuch liegt vor, wenn eine Person eine Tat verwirklichen will, diese aber aus tatsächlichen Gründen nicht vollendet werden kann (z. B. weil das Tatobjekt ungeeignet ist), obwohl die Handlung von einem Straftatbestand erfasst wäre. Beim Wahndelikt fehlt es gerade an einem einschlägigen Straftatbestand; die Person „will“ etwas verbotenermaßen tun, was die Rechtsordnung nicht unter Strafe stellt. In der Praxis wird teils der Begriff „Putativdelikt“ uneinheitlich verwendet: Mitunter bezeichnet er das reine Wahndelikt (eingebildetes Verbot), teils auch Konstellationen, in denen die Person Tatsachen annimmt, die – wenn sie vorlägen – einen Straftatbestand erfüllten. Letztere Fälle gehören zum Bereich des (auch untauglichen) Versuchs, nicht zum reinen Wahndelikt.

Typische Fallgruppen und Beispiele

Reiner Verbotswahn

Eine Person meint, ein sozial missbilligtes Verhalten sei strafbar, etwa die private Sonntagsarbeit zuhause. Mangels einschlägiger Strafnorm liegt kein Delikt vor, auch wenn die Person in der Annahme handelt, etwas Verbotenes zu tun.

Fehlvorstellung über die Reichweite eines Verbots

Jemand glaubt, jede Aufnahme im öffentlichen Raum sei strafbar. Tatsächlich sind Bildaufnahmen in weiten Teilen erlaubt; strafbare Grenzen bestehen nur unter zusätzlichen, konkreten Voraussetzungen. Wer trotzdem „im Glauben an die Strafbarkeit“ fotografiert, begeht kein Delikt allein aufgrund dieser Annahme.

Putativdelikt im Sinne fehlgedeuteter Tatsachen (Versuchsebene)

Nimmt eine Person irrtümlich an, eine Sache gehöre einem anderen, und handelt mit „Diebstahlsvorsatz“, während die Sache in Wahrheit ihr selbst gehört, liegt ein Versuch vor, der je nach Konstellation als untauglich eingeordnet wird. Das ist kein reines Wahndelikt, weil der zugrunde liegende Straftatbestand existiert und der Irrtum die Tatsachen betrifft.

Rechtsfolgen und dogmatische Einordnung

Keine Strafbarkeit beim reinen Wahndelikt

Da ein gesetzlich umschriebenes Unrecht nicht verwirklicht wird, entfällt die Strafbarkeit schon auf Tatbestandsebene. Ein Versuch scheidet aus, weil niemand eine nicht existierende Straftat „versuchen“ kann. Der bloße Wille, „Unrecht“ zu tun, reicht nicht.

Bedeutung für Vorsatz und Unrechtsbewusstsein

Beim Wahndelikt existiert zwar ein subjektives Unrechtsbewusstsein („Ich tue etwas Verbotenes“), jedoch ohne objektives Unrecht. Strafrechtlich ist entscheidend, dass nicht die innere Einstellung, sondern das tatbestandlich beschriebene, rechtswidrige Verhalten den Anknüpfungspunkt bildet.

Auswirkungen auf Teilnahme und Mitwirkung

Teilnahme setzt grundsätzlich eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Haupttat voraus. Beim reinen Wahndelikt fehlt eine solche; eine Teilnahme scheidet aus. Anders ist es, wenn eine Person einen anderen zu einem (auch untauglichen) Versuch bewegt: Dann kann unter den allgemeinen Voraussetzungen eine Beteiligung an diesem Versuch in Betracht kommen. Diese Konstellation gehört jedoch nicht zum Wahndelikt, sondern zur Versuchsstrafbarkeit.

Irrtümer im Ordnungswidrigkeiten- und Jugendbereich

Der Grundgedanke lässt sich übertragen: Wer ein Verhalten fälschlich für ordnungswidrig hält, ohne dass ein entsprechender Tatbestand besteht, begeht keine Ordnungswidrigkeit. Im Jugendstrafrecht gelten die gleichen Unterscheidungen zwischen rechtlichen und tatsächlichen Irrtümern; entscheidend bleibt, ob ein tatbestandlich erfasstes Unrecht verwirklicht ist.

Praktische Bedeutung und Grenzfälle

Technische und digitale Kontexte

Im digitalen Alltag werden interne Regeln privater Plattformen mitunter mit strafrechtlichen Verboten verwechselt. Der Verstoß gegen Nutzungsbedingungen ist nicht automatisch ein strafbares Verhalten. Hält jemand das Gegenteil für wahr und handelt „im Glauben an die Strafbarkeit“, liegt ein Wahndelikt vor.

Kulturell geprägte Verbotsvorstellungen

Manche Handlungen sind sozial stark missbilligt, ohne strafbar zu sein. Wer allein aus kulturell geprägten Vorstellungen von „Verboten“ ableitet, ein Verhalten sei strafrechtlich untersagt, kann sich in einem Wahndelikt befinden.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet Wahndelikt?

Ein Wahndelikt ist eine eingebildete Straftat: Eine Person hält eine Handlung für strafbar, obwohl sie nicht strafbar ist. Es fehlt an einem gesetzlichen Straftatbestand, der das Verhalten erfasst.

Ist ein Wahndelikt strafbar?

Nein. Da kein Straftatbestand verwirklicht wird, liegt keine strafbare Tat vor. Auch ein Versuch scheidet aus, weil sich der Vorsatz auf ein rechtlich nicht existierendes Delikt richtet.

Worin liegt der Unterschied zwischen Wahndelikt und Verbotsirrtum?

Beim Verbotsirrtum ist die Handlung tatsächlich verboten; die handelnde Person erkennt dies nur nicht. Beim Wahndelikt glaubt die Person an ein Verbot, das es in dieser Form gar nicht gibt.

Kann ein Wahndelikt als Versuch bestraft werden?

Ein reines Wahndelikt nicht, da der Versuch eine existierende Straftat voraussetzt. Geht es jedoch um irrtümliche Annahmen zu Tatsachen bei einem existierenden Straftatbestand, kann ein (auch untauglicher) Versuch vorliegen; das ist dann kein Wahndelikt im engeren Sinne.

Welche Rolle spielt die innere Einstellung beim Wahndelikt?

Der bloße Wille, etwas vermeintlich Verbotenes zu tun, begründet keine Strafbarkeit. Maßgeblich ist, ob ein gesetzlicher Straftatbestand tatsächlich erfüllt wird.

Wie unterscheidet sich das Wahndelikt vom Tatbestandsirrtum?

Der Tatbestandsirrtum betrifft falsche Vorstellungen über Tatsachen, die ein Straftatbestand verlangt, und kann den Vorsatz entfallen lassen. Das Wahndelikt ist ein Irrtum über die Existenz oder Reichweite eines strafrechtlichen Verbots.

Gibt es Konsequenzen für Anstifter oder Gehilfen bei einem Wahndelikt?

Beim reinen Wahndelikt fehlt eine rechtswidrige Haupttat, sodass Teilnahme ausscheidet. Bei Beteiligung an einem (auch untauglichen) Versuch gelten hingegen die allgemeinen Regeln der Versuchsbeteiligung; das fällt nicht unter das Wahndelikt im engeren Sinn.