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Unterlassen einer Strafanzeige


Unterlassen einer Strafanzeige

Begriff und Allgemeine Bedeutung

Das Unterlassen einer Strafanzeige bezeichnet das Nichtanzeigen einer Straftat bei einer zuständigen Behörde, obwohl eine entsprechende Pflicht dazu besteht. In vielen Rechtsordnungen stellt dieses Verhalten unter bestimmten Voraussetzungen eine eigene Straftat dar. Der Gesetzgeber sieht im Unterlassen der Anzeige bestimmter schwerwiegender Delikte eine Gefährdung des öffentlichen Interesses und zielt mit der Normierung entsprechender Vorschriften auf den Schutz der Allgemeinheit und eine effektive Strafverfolgung ab.

Gesetzliche Regelungen in Deutschland

Relevante Vorschrift: § 138 StGB

Das Unterlassen einer Strafanzeige ist in Deutschland vor allem in § 138 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt, der auch als „Nichtanzeige geplanter Straftaten“ bezeichnet wird. Nach dem Gesetz macht sich strafbar, wer bestimmte schwere Straftaten nicht bei Behörden anzeigt, obwohl er deren Planung oder Ausführung erfährt und die Tat noch verhindert werden kann.

Wortlaut von § 138 StGB:

Wer von der Vorbereitung oder Ausführung bestimmter schwerer Straftaten glaubhaft Kenntnis erlangt und es unterlässt, dies rechtzeitig der zuständigen Behörde oder der bedrohten Person anzuzeigen, obwohl dies zur Verhinderung oder Fortsetzung der Tat erforderlich wäre, macht sich strafbar.

Geschützte Rechtsgüter

Die Strafvorschrift schützt das Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit sowie das Interesse an effektiver Strafverfolgung und Verhinderung schwerwiegender Straftaten. Im weiteren Sinne soll der Rechtsfrieden aufrechterhalten und eine Strafvereitelung durch Dritte vermieden werden.

Anzeigepflichten und Tatbestandsvoraussetzungen

Anzeigepflichtige Delikte

Die nach § 138 StGB anzuzeigenden Straftaten sind im Gesetz abschließend aufgelistet und umfassen beispielsweise:

  • Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB a.F./§ 80a StGB),
  • Hochverrat (§§ 81-83 StGB),
  • Landesverrat (§§ 94-98a StGB),
  • Geld- und Wertzeichenfälschung (§§ 146-151 StGB),
  • Mord (§ 211 StGB),
  • Totschlag (§ 212 StGB),
  • Raub und Erpressung unter bestimmten Umständen (§§ 249-255 StGB),
  • und weitere.

Die Norm beschränkt sich damit auf eine Vielzahl besonders gefährlicher Delikte.

Täterkreis

Strafbar macht sich jede Person, unabhängig von ihrem Verhältnis zu Täter oder Opfer, sofern sie konkret von der geplanten oder laufenden Straftat Kenntnis erlangt und diese nicht meldet. Allerdings gelten für bestimmte Berufsgruppen wie zum Beispiel Geistliche und gewisse Berufsgeheimnisträger Ausnahmen hinsichtlich der Anzeigepflicht.

Objektive Voraussetzungen

Für die Strafbarkeit des Unterlassens einer Strafanzeige müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

  • Die Kenntnis von der Vorbereitung oder Ausführung einer der im Katalog des § 138 StGB genannten Straftaten.
  • Die Tat ist noch nicht vollendet, es besteht noch eine Möglichkeit zur Verhinderung oder Fortsetzung.
  • Die Anzeige unterbleibt trotz tatsächlicher Möglichkeit.

Subjektive Voraussetzungen

Der Betroffene muss vorsätzlich gehandelt haben, das heißt, er wusste von der bevorstehenden oder laufenden Straftat und unterließ die Anzeige bewusst und willentlich.

Ausschluss der Strafbarkeit

Straflos bleibt das Unterlassen, wenn dem Betroffenen die Anzeige nicht zuzumuten war oder er die Tat bereits auf andere Weise verhindert hat. Auch wenn das Anzeigen die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Betroffenen oder seiner Angehörigen bedeutet hätte, kann die Pflicht entfallen.

Strafrahmen und Sanktionen

Strafandrohung

Der Gesetzgeber sieht für das Unterlassen einer Strafanzeige gemäß § 138 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder alternativ eine Geldstrafe vor. Die Strafbarkeit entfällt jedoch, sofern die Anzeigepflicht aus rechtmäßigen Gründen nicht bestand oder eine rechtzeitige Anzeige nicht möglich war.

Konkurrenzen zu anderen Straftatbeständen

Das Unterlassen einer Strafanzeige kann in Tateinheit mit anderen Delikten stehen, vor allem mit Strafvereitelung (§ 258 StGB). Der Unterschied besteht darin, dass § 258 StGB die aktive Verhinderung der Strafverfolgung und § 138 StGB das bloße Unterlassen der Anzeige betrifft.

Abgrenzung zum Unterlassen einer Anzeigepflicht in anderen Rechtsgebieten

Abgrenzung zu anderen Meldepflichten

Neben der strafrechtlichen Anzeigepflicht existieren in anderen Rechtsbereichen, wie im Ordnungswidrigkeitenrecht oder Steuerrecht, weitere Melde- oder Mitteilungspflichten. Diese unterscheiden sich hinsichtlich Umfang, Adressatenkreis und Sanktionen deutlich vom Unterlassen der Strafanzeige nach § 138 StGB.

Verfassungs- und Europarechtliche Aspekte

Das Unterlassen der Strafanzeige steht im Spannungsfeld von öffentlichem Interesse und individuellen Grundrechten, etwa dem Zeugnisverweigerungsrecht oder dem Schutz vor Selbstbelastung. Auch europarechtliche Vorgaben, wie die EU-Richtlinien zur Bekämpfung schwerer Straftaten, beeinflussen die nationale Rechtsauslegung und Reformbestrebungen.

Relevanz in der Praxis und Rechtsprechung

Häufigkeit und Bedeutung

In der Praxis wird die Vorschrift des § 138 StGB vergleichsweise selten zur Anwendung gebracht und gilt als subsidiäre Schutzmaßnahme, um Tatbeiträge Dritter in Bezug auf besonders verwerfliche Delikte zu ahnden.

Gerichtliche Entscheidungen

Die Rechtsprechung beschäftigt sich regelmäßig mit Fragen der Zumutbarkeit der Anzeige, der genauen Abgrenzung des Vorsatzes sowie der Bewertung des Täterwillens bei Anzeigeversäumnis. Entscheidend ist stets die Möglichkeit zur Verhinderung oder Fortsetzung der Straftat.

Internationale Regelungen

Auch außerhalb Deutschlands existieren vergleichbare Vorschriften. Das österreichische Strafgesetzbuch (§ 286 StGB) und das Schweizerische Strafgesetzbuch (Art. 258 StGB) beinhalten ähnlich strukturierte Strafnormen. Der internationale Trend geht dahin, die Pflicht zur Anzeige besonders gravierender Straftaten zum Schutz der Allgemeinheit herauszustellen und gleichzeitig den Schutz persönlicher und familiärer Interessen angemessen zu berücksichtigen.

Zusammenfassung

Das Unterlassen einer Strafanzeige stellt eine strafbare Handlung dar, sofern die rechtlichen Voraussetzungen nach § 138 StGB erfüllt sind. Die Vorschrift dient der Prävention und Verfolgung besonders schwerwiegender Tatbestände, verfolgt jedoch hohe Anforderungen an Tatnachweis und subjektive Tatseite. Die Anzeigepflicht wird durch das Spannungsverhältnis zwischen öffentlichem Interesse und Individualschutz geprägt und setzt die effektive Strafverfolgung bedeutsamer Delikte voraus. Das Rechtsinstitut ist im internationalen Vergleich weit verbreitet und unterliegt stets der Abwägung zwischen staatlicher Verfolgungspflicht und Schutz privater Interessen.

Häufig gestellte Fragen

Ist man verpflichtet, eine Straftat zur Anzeige zu bringen?

Grundsätzlich besteht im deutschen Recht keine allgemeine Pflicht für Privatpersonen, eine beobachtete oder vermutete Straftat zur Anzeige zu bringen. Das Unterlassen einer Strafanzeige ist – abgesehen von bestimmten Ausnahmen – also in den meisten Fällen nicht strafbar. Allerdings gibt es Ausnahmen, die in § 138 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt sind: Wer von bestimmten schweren Straftaten (z.B. Mord, Raub, Hochverrat) im Vorfeld oder unmittelbar nach deren Begehung erfährt und diese nicht rechtzeitig der zuständigen Behörde meldet, macht sich unter Umständen wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten strafbar. Diese Anzeigepflicht bezieht sich jedoch ausschließlich auf bestimmte, in § 138 StGB konkret genannte Delikte.

Welche Konsequenzen drohen, wenn man eine nach § 138 StGB anzeigepflichtige Straftat nicht meldet?

Wenn ein Anzeigepflichtiger Kenntnis von einer nach § 138 StGB anzeigepflichtigen, bevorstehenden oder begangenen Straftat erhält und diese nicht der zuständigen Behörde mitteilt, kann dies eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe nach sich ziehen. Zu beachten ist, dass die Strafbarkeit nur dann eintritt, wenn das Unterlassen vorsätzlich geschieht und der Täter die Meldung realisieren kann. Sonderregelungen bestehen zum Beispiel für Angehörige, die nicht verpflichtet sind, Anzeige zu erstatten, soweit sie sich selbst oder nahe Angehörige belasten würden (§ 138 Abs. 3 StGB).

Gibt es eine Anzeigepflicht für Amtsträger und bestimmte Berufsgruppen?

Amtsträger, Beamte sowie besonders verpflichtete Berufsgruppen (wie beispielsweise Steuerberater oder Ärzte) können unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sein, Straftaten anzuzeigen. Diese Pflicht ergibt sich jedoch nicht nur aus dem Strafrecht, sondern häufig auch aus dienstrechtlichen Bestimmungen oder spezialgesetzlichen Normen. Im Falle der Verletzung solcher Pflichten drohen Disziplinarmaßnahmen sowie – je nach Art der unterlassenen Anzeige – strafrechtliche Konsequenzen, vor allem bei den im Gesetz ausdrücklich benannten Delikten oder bei Beihilfe/Anstiftung zur Tat durch Unterlassen.

Könnte das Unterlassen einer Strafanzeige zivilrechtliche Folgen haben?

Das Unterlassen einer Strafanzeige kann unter Umständen zivilrechtliche Folgen haben, insbesondere dann, wenn durch das Unterlassen ein Schaden bei einem Dritten entsteht (z.B. wenn ein Arbeitgeber aus unterlassener Anzeige über kriminelle Machenschaften eines Mitarbeiters Vermögensschäden erleidet). In solchen Fällen kann eine Haftung auf Schadenersatz nach den Grundsätzen der unerlaubten Handlung (§ 823 BGB) oder wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten in Betracht kommen. Allerdings ist hierfür regelmäßig ein konkreter Zusammenhang zwischen dem Unterlassen und dem eingetretenen Schaden sowie ein Verschulden erforderlich.

Gibt es Ausnahmen für nahe Angehörige oder Personen in besonderen Beziehungen?

Ja, das Gesetz sieht für nahe Angehörige und Personen mit besonderem Vertrauensverhältnis Ausnahmen von der Anzeigepflicht vor. Nach § 138 Abs. 3 StGB gilt die Pflicht zur Anzeige nicht, wenn der Täter selbst oder einer seiner Angehörigen an der Vortat beteiligt war oder wenn durch die Anzeige Gefahr für sich oder einen Angehörigen drohen könnte. Das Ziel dieser Ausnahmebestimmung ist der Schutz des Familien- und Vertrauensverhältnisses, das sonst durch eine Pflicht zur Anzeige erheblich beeinträchtigt werden könnte.

Wie verhält es sich, wenn man eine Tat zwar nicht anzeigt, aber bei den Ermittlungen kooperiert?

Wer eine Straftat zunächst nicht angezeigt hat, im Ermittlungsverfahren aber umfangreich kooperiert und zur Aufklärung beiträgt, kann unter Umständen strafmildernd behandelt werden. Die konkrete Berücksichtigung liegt im Ermessen des Gerichts und hängt von den Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Bedeutung der Aussage und dem Zeitpunkt der Kooperation, ab. Der ursprüngliche Vorwurf des Unterlassens einer Strafanzeige nach § 138 StGB kann dennoch bestehen bleiben, auch wenn das nachträgliche Handeln strafmildernd wirkt.

Gilt eine Anzeigepflicht auch für Jugendliche oder Kinder?

Bei Minderjährigen wird grundsätzlich geprüft, ob das Unrecht des Unterlassens einer Anzeige für sie überhaupt einsehbar und zumutbar war. Für Kinder unter 14 Jahren gilt die sogenannte Schuldunfähigkeit (§ 19 StGB), sie sind deshalb nicht strafbar. Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren sowie Heranwachsende bis 21 Jahre unterliegen den Sonderregelungen des Jugendgerichtsgesetzes (JGG), bei denen vor allem das Maß der Einsichtsfähigkeit und die Reife im Vordergrund stehen. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Unterlassen einer Strafanzeige wird daher bei unter 18-Jährigen besonders sorgfältig geprüft.