Erkennendes Gericht: Bedeutung, Aufgaben und Einordnung
Als erkennendes Gericht wird das Gericht bezeichnet, das in einem konkreten Verfahren die Sache inhaltlich prüft, die Verhandlung führt, Beweise erhebt und am Ende eine Entscheidung trifft. Es ist das Gericht, das „erkennt“, also über den Streitstoff oder den Tatvorwurf entscheidet. Der Begriff wird in allen Gerichtsbarkeiten verwendet und beschreibt jeweils dasjenige Gericht, das im betreffenden Verfahrensabschnitt die Verantwortung für die Sachentscheidung trägt.
Aufgaben und Befugnisse
Prozessleitung und Verfahrensgarantien
Das erkennende Gericht leitet das Verfahren sachgerecht und fair. Es bestimmt Termine, lädt Beteiligte und Zeugen, erteilt Hinweise, achtet auf die Einhaltung von Fristen und führt die Verhandlung. Zu seinen zentralen Pflichten gehört, den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Grundsätze wie Mündlichkeit, Öffentlichkeit (mit gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen), Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sowie Neutralität und Unabhängigkeit prägen das Handeln des erkennenden Gerichts.
Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
Das erkennende Gericht erhebt Beweise, etwa durch Zeugenvernehmungen, Sachverständigengutachten, Urkunden oder Augenschein. Nach Abschluss der Beweisaufnahme würdigt es die Ergebnisse frei und umfassend. Es entscheidet, welchen Beweismitteln es folgt, und begründet, warum es bestimmte Aussagen oder Unterlagen für überzeugend oder nicht überzeugend hält.
Arten von Entscheidungen
Das erkennende Gericht fällt in der Regel Urteile über den Streitstoff oder Tatvorwurf. Daneben erlässt es verfahrensleitende Verfügungen und Beschlüsse, zum Beispiel zu Fragen der Verhandlungsführung, der Beweisaufnahme oder zu vorläufigen Maßnahmen. Es kann Vergleiche protokollieren und Einzelentscheidungen zur Kosten- und Verfahrensgestaltung treffen.
Zuständigkeit und Instanzen
Sachliche, örtliche und funktionelle Zuständigkeit
Ob ein Gericht erkennend tätig wird, bestimmt sich nach seiner Zuständigkeit. Dabei spielen sachliche Kriterien (Art und Bedeutung des Falles), örtliche Anknüpfungen (zum Beispiel Wohnsitz, Ort des Geschehens) und funktionelle Zuständigkeiten (erste Instanz, Berufung, Revision) eine Rolle. Je nach Verfahrensart ist das erkennende Gericht entweder das Gericht der ersten Instanz oder dasjenige Rechtsmittelgericht, das in der jeweiligen Stufe die inhaltliche Entscheidung trifft.
Erkennendes Gericht in den Verfahrensarten
Zivilverfahren
Im Zivilprozess ist das erkennende Gericht das Gericht, das über eine Klage oder ein Rechtsmittel in der Sache verhandelt und entscheidet. Es führt gegebenenfalls einen Güteversuch durch, erhebt Beweise und spricht ein Urteil, etwa über Ansprüche auf Zahlung, Unterlassung oder Feststellung.
Strafverfahren
Im Strafverfahren ist erkennendes Gericht das Gericht der Hauptverhandlung. Es klärt den Sachverhalt, prüft Schuld- und Rechtsfolgenfrage, hört Angeklagte, Zeugen und Sachverständige und verkündet am Ende das Urteil (Verurteilung oder Freispruch). Im Instanzenzug können auch übergeordnete Gerichte erkennend tätig werden, wenn sie selbst eine inhaltliche Entscheidung treffen.
Verwaltungs-, Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit
Auch in diesen Gerichtsbarkeiten ist das erkennende Gericht der Spruchkörper, der über den Streit in der Sache entscheidet. Es prüft die Rechtmäßigkeit behördlicher Entscheidungen oder arbeits- bzw. sozialrechtlicher Ansprüche, führt die mündliche Verhandlung durch und erlässt ein Urteil.
Abgrenzung zu anderen Gerichten und Entscheidungsträgern
Vom erkennenden Gericht zu unterscheiden sind insbesondere:
- Ermittlungsrichter oder andere gerichtliche Funktionsträger, die außerhalb der Hauptverhandlung über einzelne Maßnahmen entscheiden.
- Vollstreckungsgerichte, die nach Eintritt der Rechtskraft die Durchsetzung von Entscheidungen organisieren.
- Rechtsmittelgerichte, soweit sie nur eine rechtliche Überprüfung ohne eigene Sachentscheidung vornehmen; treffen sie jedoch selbst eine Sachentscheidung, handeln sie erkennend.
- Nicht richterliche Organe wie Staatsanwaltschaft oder Rechtspfleger, die andere Aufgaben im Verfahren wahrnehmen.
Zusammensetzung und Spruchkörper
Einzelrichter und Kammern
In vielen Zivil- und Fachgerichtsbarkeiten entscheidet häufig ein Einzelrichter, in bedeutsameren oder umfangreicheren Verfahren eine Kammer aus mehreren Berufsrichtern. Die konkrete Besetzung richtet sich nach der Geschäftsverteilung und der Verfahrensart.
Schöffengericht und Strafkammern
In Strafsachen wirken je nach Schwere der Tat neben Berufsrichtern auch ehrenamtliche Richter (Schöffen) mit. Schöffengerichte und Strafkammern sind typische erkennende Spruchkörper in der Strafgerichtsbarkeit.
Senate der oberen Gerichte
In den oberen Instanzen entscheiden regelmäßig Senate, die aus mehreren Berufsrichtern bestehen. Auch diese Senate sind erkennende Gerichte, wenn sie in der jeweiligen Stufe eine Sachentscheidung treffen.
Verfahrensablauf aus Sicht des erkennenden Gerichts
Einleitung und Vorbereitung
Das Verfahren beginnt mit der Einleitung durch Klage, Anklage oder Antrag. Das erkennende Gericht prüft die Zulässigkeit, bereitet die Verhandlung vor, setzt Termine fest, lädt Beteiligte und ordnet erforderliche Maßnahmen zur Sicherung des Verfahrensablaufs an.
Mündliche Verhandlung bzw. Hauptverhandlung
Im Mittelpunkt steht die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht. Dort werden Anträge gestellt, der Streitstoff strukturiert, Hinweise erteilt und Beweise erhoben. Parteien und Beteiligte erhalten Gelegenheit, sich zu äußern und ihren Standpunkt darzulegen.
Urteilserlass und Rechtsmittel
Nach Beratung fällt das erkennende Gericht die Entscheidung, begründet sie und verkündet sie. Gegen Entscheidungen können je nach Verfahrensart und Voraussetzungen Rechtsmittel eingelegt werden. In einer höheren Instanz kann wiederum ein anderes Gericht erkennend tätig werden.
Bedeutung in Rechtsmitteln und Folgefragen
Rolle im Berufungs- und Beschwerdeverfahren
Im Berufungsverfahren trifft das Rechtsmittelgericht häufig eine eigene Sachentscheidung und ist damit erkennendes Gericht der zweiten Instanz. In reinen Rechtskontrollverfahren steht die Prüfung von Rechtsfehlern im Vordergrund; ergeht dabei eine eigene Sachentscheidung, nimmt das Rechtsmittelgericht die Rolle des erkennenden Gerichts ein.
Bindungswirkung und Rechtskraft
Entscheidungen des erkennenden Gerichts entfalten bei Eintritt der Rechtskraft Bindungswirkung. Im Zivilrecht wirkt die materielle Rechtskraft zwischen den Parteien. Im Strafrecht schließt ein rechtskräftiges Urteil eine erneute Verfolgung wegen desselben Tatvorwurfs aus. Die Urteilsgründe legen die tragenden Erwägungen offen und dienen der Nachprüfbarkeit.
Verhältnis zu Vollstreckung und Kosten
Nach Abschluss des Erkenntnisverfahrens schließt sich gegebenenfalls die Vollstreckung an, die von Vollstreckungsorganen durchgeführt wird. Das erkennende Gericht trifft häufig auch Entscheidungen zu Kosten und Auslagen und kann Anordnungen treffen, die für die spätere Vollstreckung bedeutsam sind.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet der Begriff „erkennendes Gericht“?
Erkennendes Gericht ist das Gericht, das in einem Verfahren die Verhandlung führt, Beweise erhebt und eine Entscheidung in der Sache trifft. Es ist der Spruchkörper, der den Streitstoff oder Tatvorwurf inhaltlich prüft und hierüber urteilt.
In welchen Verfahren gibt es ein erkennendes Gericht?
Den Begriff gibt es in allen Gerichtsbarkeiten: im Zivilprozess, in Strafsachen sowie in Verwaltungs-, Arbeits- und Sozialverfahren. Er bezeichnet jeweils das Gericht, das den Fall in der betreffenden Stufe sachlich entscheidet.
Worin besteht der Unterschied zum Vollstreckungsgericht?
Das erkennende Gericht fällt die inhaltliche Entscheidung über den Fall. Das Vollstreckungsgericht oder die Vollstreckungsorgane sind erst nach der Rechtskraft für die Durchsetzung der Entscheidung zuständig und prüfen keine neue Sachlage.
Entscheidet das erkennende Gericht nur in erster Instanz?
Nein. Auch ein Rechtsmittelgericht kann erkennend tätig werden, wenn es selbst eine Sachentscheidung trifft, etwa im Berufungsverfahren. In reinen Rechtskontrollverfahren steht hingegen die Prüfung von Rechtsfehlern im Vordergrund.
Wer gehört zum erkennenden Gericht?
Je nach Verfahren entscheidet ein Einzelrichter, eine Kammer oder ein Senat. In Strafsachen können neben Berufsrichtern auch ehrenamtliche Richter (Schöffen) mitwirken. Die genaue Besetzung ergibt sich aus der Verfahrensart und Geschäftsverteilung.
Welche Entscheidungen trifft das erkennende Gericht?
Hauptsächlich Urteile, die den Fall abschließend oder teilweise entscheiden. Daneben erlässt es verfahrensleitende Beschlüsse, ordnet Beweisaufnahmen an und protokolliert Vergleiche, wenn die Beteiligten sich einigen.
Welche Wirkung hat die Entscheidung des erkennenden Gerichts?
Mit Eintritt der Rechtskraft entfaltet die Entscheidung Bindungswirkung: Im Zivilrecht zwischen den Parteien des Rechtsstreits, im Strafrecht mit der Folge, dass wegen desselben Tatvorwurfs keine erneute Verfolgung stattfindet. Die Urteilsgründe dokumentieren die tragenden Erwägungen.