Haftung des Geschäftsführers einer GmbH im Kontext nicht abgeführter Zahlungen an die SOKA-Bau
Die Frage der persönlichen Haftung von Geschäftsführern für Verbindlichkeiten einer Gesellschaft ist Gegenstand kontinuierlicher unternehmensrechtlicher Diskussionen und Entscheidungen. Von besonderem Interesse ist hierbei die Haftung wegen unterbliebener Zahlungen an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (SOKA-Bau). Im August 2005 hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu eine aufschlussreiche Entscheidung getroffen (Urteil vom 31.08.2005 – 8 AZR 542/04), die maßgebliche Klarstellungen im Hinblick auf die persönliche Inanspruchnahme von Geschäftsführern bei säumigen Abführungen lieferte.
Die Rechtliche Ausgangslage: Gesellschaft und Geschäftsführer als getrennte Haftungssubjekte
Eine GmbH verfügt als eigenständige juristische Person über ein von den Mitgliedern und Organen getrenntes Vermögen. Hiernach sind es in erster Linie die Gesellschaft selbst und nicht deren Geschäftsführer, die für Verbindlichkeiten aus dem Geschäftsbetrieb – mithin auch gegenüber der SOKA-Bau – einzustehen haben. Der Geschäftsführer unterliegt im Rahmen seiner Organfunktion jedoch mannigfaltigen Verpflichtungen, sowohl gegenüber der Gesellschaft, als auch gegenüber Dritten, zu deren Erfüllung er nach den geltenden gesellschaftsrechtlichen Vorgaben verpflichtet ist.
Das Konzept der beschränkten Haftung der Gesellschaft wird indes durchbrochen, sofern und soweit Geschäftsführer persönlich schuldhaft gegen gesetzliche Pflichten verstoßen, was beispielsweise bei Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen oder vorsätzlicher Schädigung Dritter der Fall sein kann.
Unerlaubte Handlung als Anknüpfungspunkt für die Haftung
Abgrenzung gesellschaftsrechtlicher und deliktischer Verantwortung
Im zugrunde liegenden Fall wurde der Geschäftsführer einer zahlungsunfähigen GmbH in Anspruch genommen, weil Beiträge zur SOKA-Bau nicht abgeführt worden waren. Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse beanspruchte eine persönliche Haftung aus unerlaubter Handlung. Kern der Argumentation bildete die Auffassung, durch die Nichtabführung der Beiträge habe der Geschäftsführer eine deliktische Pflichtverletzung i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB, i. V. m. einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften, begangen.
Das BAG stellte jedoch klar, dass die Nichtabführung geschuldeter Abgaben an die SOKA-Bau keine deliktische Außenhaftung des Geschäftsführers gegenüber der Kasse begründet. Solche Beitragsforderungen sind primär Leistungsansprüche gegen die Gesellschaft. Eine persönliche Haftung des Vertretungsorgans kann nicht allein daraus hergeleitet werden, dass dieser die Abführung unterlässt – es sei denn, es liegt eine ausdrückliche gesetzliche Haftungsnorm oder ein Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung vor.
Grenzen der Geschäftsführerhaftung: Keine automatische Haftungsdurchgriff
Die Entscheidung betont, dass eine Geschäftsführerhaftung auf unerlaubte Handlung im Zusammenhang mit SOKA-Bau-Beiträgen nur unter besonderen, qualifizierten Voraussetzungen in Frage kommt. Insbesondere ist erforderlich, dass der Geschäftsführer eigenständig ein Schutzgesetz zu Gunsten der Kasse verletzt, das gerade eine eigene Haftungsgrundlage gegenüber dem Organmitglied eröffnet. Das abstrakte Deliktsrecht – insbesondere § 823 Abs. 2 BGB – bietet hierfür im Kontext der unterlassenen Beitragsabführung keinen Raum, solange nicht zusätzliche, spezifische straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Vorschriften betroffen sind (z. B. § 266a StGB bei Arbeitsentgelten).
Das BAG differenziert hier scharf zwischen der allgemeinen organschaftlichen Verantwortung und einer individuellen, deliktischen Außengefährdung, die nur bei Vorliegen besonderer Schutzzwecke oder schuldhafter Dreiecksschädigungen Geltung entfaltet.
Spezialfall: Sozialkassenverfahren und die Stellung der SOKA-Bau
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe – Beitragsnatur und Durchsetzung
Im Baugewerbe gilt aufgrund tarifvertraglicher und gesetzlicher Regelungen ein kollektivierter Ausgleichsmechanismus für Urlaub und Lohnausgleich zu Gunsten der Beschäftigten. Die SOKA-Bau fungiert hierbei als Zentrale für Beitragserhebung und -verteilung. Die Verpflichtung zur Beitragsabführung ergibt sich aus dem jeweiligen Sozialkassen-Tarifvertrag, der regelmäßig für allgemeinverbindlich erklärt wird. Die GmbH als Arbeitgeberin ist Normadressatin; die Geschäftsführung bleibt lediglich in ihrer Rolle als gesetzlicher Vertreterin verpflichtet, die ordnungsgemäße Abführung zu veranlassen.
Insolvenz und die Rolle der Geschäftsführer
Tritt Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein, ist der Geschäftsführer zur unverzüglichen Stellung des Insolvenzantrags verpflichtet (§ 15a InsO). Verletzt er diese Pflicht, kann unterlassene Beitragsabführung an die SOKA-Bau einen strafrechtlich oder haftungsrechtlich relevanten Tatbestand begründen. Im Verfahren des BAG ging es jedoch ausschließlich um die Frage der Zurechnung als unerlaubte Handlung außerhalb eines Strafbestands – und damit in der zivilrechtlichen Konsequenz letztlich um die klare Begrenzung der Außenhaftung.
Auswirkungen und weiterführende Überlegungen für Unternehmensorgane
Die Klarstellungen des BAG bewirken eine erhebliche Rechts- und Planungssicherheit für Organmitglieder von Gesellschaften. Insbesondere wird dem Grundsatz Rechnung getragen, dass die persönliche Inanspruchnahme von Geschäftsführern, insbesondere aus deliktischen Anspruchsgrundlagen, kein von den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben losgelöstes Haftungsrisiko nach sich zieht. Transparenz wird insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen verlangt, unter denen aus einer unterlassenen Beitragsabführung eine Außenhaftung resultiert.
Aufrechterhaltung der Trennung von Innen- und Außenhaftung
Insofern festigt die Entscheidung die Trennungslinie zwischen der klassischen Schadensersatzhaftung im Gesellschaftsinnenverhältnis und einer individuellen Haftung des Organs gegenüber Dritten. Die Restriktion einer persönlichen Haftung ist Ausdruck des Haftungssystems der Kapitalgesellschaften und schützt die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, ohne gleichwohl grobe Pflichtwidrigkeiten oder vorsätzliche Schädigungsabsichten zu privilegieren.
Unbenommen hiervon bleibt indes, dass Sondertatbestände, etwa aus dem Insolvenz-, Steuer- oder Sozialversicherungsrecht, gegebenenfalls eine eigenständige Außenhaftung des Geschäftsführers begründen können.
Rechtssicherheit für Geschäftsleiter und Unternehmen
Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Nichtabführung von Beiträgen an die Sozialkasse besitzt über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung für Geschäftsleiter im Baugewerbe sowie in anderen Branchen mit vergleichbaren Sozialkassenpflichten. Die differenzierte Herangehensweise des Gerichts schafft einen Rahmen, in dem Organverantwortlichkeit klar abgegrenzt und planbar ausgestaltet werden kann.
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